Warum der Rückzug deutscher Firmen aus Russland schwierig ist
Viele deutsche Firmen haben sich trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine immer noch nicht aus Russland zurückgezogen, obwohl sie es angekündigt haben. Die NDR Info Wirtschaftsredaktion ist den Gründen nachgegangen. Es ist demnach nicht leicht, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland zu kappen.
Dass immer noch etliche deutsche Unternehmen ihre Geschäftsbeziehungen zu Russland noch nicht aufgekündigt haben, hat unterschiedliche Gründe. Viele haben vermutlich anfangs gehofft, dass der Krieg nicht so lange dauert und sie dann die Chance haben, die Lage noch mal neu zu beurteilen und ihr "Versprechen" zu überdenken. Doch so ein Rückzug aus Russland ist auch kompliziert und teuer.
Franchise-Unternehmen lösen sich leichter
Thomas Heidemann von der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS hat als Jurist fast 25 Jahre lang europäische Firmen beraten, die in Russland Geschäfte machen wollten. Seit dem 24. Februar 2022, dem Kriegsbeginn, berät er sie nun, wie sie diese Geschäfte beenden können. Er erklärt, dass es viel einfacher ist, ein Franchise-System - etwa wie McDonald's - abzustoßen als eigenen Geschäftsbesitz oder gar Fabriken vor Ort. Beim Franchise betreiben die Franchise-Nehmer die Filialen komplett selbst und auf eigene Rechnung, sodass die Namensnennung - in diesem Fall McDonald's - relativ schnell verboten werden kann.
Lieferanten von Waren können relativ schnell reagieren
Wenn Firmen nur Waren liefern, kommt es auf die Verträge an. Bei kurzfristigen Verträgen lassen sich diese einfach nicht verlängern - beziehungsweise es werden keine neuen abgeschlossen. Das haben viele deutsche Unternehmen so gemacht - beispielsweise Volkswagen: Es wurden keine Autos mehr nach Russland geliefert, auch vor Ort nicht mehr produziert und es wird dort auch erst mal kein neues Geld investiert. Komplizierter wird die Sache aber bei langfristigen Verträgen. Da kann der Vertragspartner wegen Vertragsbruch auf Schadenersatz klagen.
Rechtshilfeabkommen können internationale Sanktionen aushebeln
Obwohl Sanktionen gegen Russland verhängt sind, erkennt das Land diese nicht an. Unternehmen, die sich darauf berufen wollen, scheitern damit, da die Sanktionen von russischen Gerichten nicht als akzeptabler Kündigungsgrund anerkannt sind. Jurist Heidemann berichtete beispielsweise von Eisenbahnunternehmen, die nach Russland keine Züge und Gleisanlagen mehr liefern wollen und auch den vereinbarten Wartungsservice nicht mehr erbringen - und die dann zu Schadenersatz in Millionenhöhe verklagt worden seien. Russische Gerichte können aber in Deutschland kein Konto pfänden, um an das Geld für den Kläger zu kommen, weil es mit Deutschland kein sogenanntes Rechtshilfeabkommen gibt. Mit anderen Ländern hat Russland aber solche Abkommen. Darüber können international agierende Firmen - und dann auch deutsche - doch zur Kasse gebeten werden: "Der russische Kunde kann durchaus in anderen Ländern dieser Welt - denken Sie an China, denken Sie an Indien - versuchen, dort gegen das deutsche Unternehmen zu vollstrecken", sagte Heidemann NDR Info. Auch mit vielen ehemaligen Sowjetrepubliken gibt es solche Rechtshilfeabkommen.
Verkauf von Fabriken dauert lange und bedeutet Kapitalverlust
Der angekündigte vollständige Rückzug von Volkswagen aus Russland verzögert sich. Denn VW möchte seine Fabriken verkaufen und versucht, damit möglichst viel Kapital aus Russland abzuziehen. Genau das versucht der russische Staat den Unternehmen so schwer wie möglich zu machen. Dafür wurden im vergangenen Jahr zahlreiche neue Verordnungen erlassen. Seit September 2022 muss jeder Verkauf einer Firma durch einen sogenannten "unfreundlichen Ausländer" genehmigt werden.
Vor einem Verkauf muss nicht nur ein Käufer gefunden werden, sondern zunächst ein russischer Gutachter von einer kleinen, ausgesuchten staatlichen Liste bestellt werden. Das Ergebnis eines solchen Gutachtens fällt laut Jurist Heidemann erfahrungsgemäß zwar nicht völlig unfair aus, sei aber doch recht "konservativ berechnet". Ein deutscher Gutachter käme wohl zu einem deutlich höheren Wert. Dieses Gutachten sowie den geplanten Kaufvertrag muss dann bei einer Regierungskommission eingereicht. werden. Bis diese entscheide, ob und für wie viel Geld das Unternehmen verkauft werden darf, dauere es mehrere Monate. Grundsätzlich gelte: Das Werk darf für maximal 50 Prozent des Werts verkauft werden, den der russische Gutachter ermittelt hat, also maximal für die Hälfte, was das Werk laut Gutachten wert ist. Die Kommission könne auch entscheiden, dass es für noch weniger verkaufen werden muss. Diese Verordnungen zu umgehen, sei unmöglich. Man werde keinen russischen Notar und keinen Registrierungsbeamten finden, der dafür seinen Job riskieren würde, so Heidemann.
Großes Interesse von russischen Käufern an deutschen Werken
Zwar kauft kaum jemand in Kriegszeiten Produktionsstätten in einem Land, das weltweit auf Sanktionslisten steht, aber in Russland selbst gebe es Interessenten, berichtete Heidemann: "Es gibt durchaus kapitalkräftige Unternehmen, die sich jetzt auf ausländische Unternehmen, die im Moment verkauft werden, stürzen und da zu einem sehr günstigen Preis sehr gut ausgestattete Fabriken kaufen können. Die Käufer sind eher größere geschäftliche Organisationen oder dahinter stehende sogenannte Oligarchen."