Ein VW-Auto steht vor einem Autohaus in St. Petersburg. © picture alliance/dpa Foto: Igor Russak

Warum der Rückzug deutscher Firmen aus Russland schwierig ist

Stand: 29.08.2023 12:20 Uhr

Viele deutsche Firmen haben sich trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine immer noch nicht aus Russland zurückgezogen, obwohl sie es angekündigt haben. Die NDR Info Wirtschaftsredaktion ist den Gründen nachgegangen. Es ist demnach nicht leicht, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland zu kappen.

von Susanne Tappe

Dass immer noch etliche deutsche Unternehmen ihre Geschäftsbeziehungen zu Russland noch nicht aufgekündigt haben, hat unterschiedliche Gründe. Viele haben vermutlich anfangs gehofft, dass der Krieg nicht so lange dauert und sie dann die Chance haben, die Lage noch mal neu zu beurteilen und ihr "Versprechen" zu überdenken. Doch so ein Rückzug aus Russland ist auch kompliziert und teuer.

Franchise-Unternehmen lösen sich leichter

Thomas Heidemann von der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS hat als Jurist fast 25 Jahre lang europäische Firmen beraten, die in Russland Geschäfte machen wollten. Seit dem 24. Februar 2022, dem Kriegsbeginn, berät er sie nun, wie sie diese Geschäfte beenden können. Er erklärt, dass es viel einfacher ist, ein Franchise-System - etwa wie McDonald's - abzustoßen als eigenen Geschäftsbesitz oder gar Fabriken vor Ort. Beim Franchise betreiben die Franchise-Nehmer die Filialen komplett selbst und auf eigene Rechnung, sodass die Namensnennung - in diesem Fall McDonald's - relativ schnell verboten werden kann.

Lieferanten von Waren können relativ schnell reagieren

Wenn Firmen nur Waren liefern, kommt es auf die Verträge an. Bei kurzfristigen Verträgen lassen sich diese einfach nicht verlängern - beziehungsweise es werden keine neuen abgeschlossen. Das haben viele deutsche Unternehmen so gemacht - beispielsweise Volkswagen: Es wurden keine Autos mehr nach Russland geliefert, auch vor Ort nicht mehr produziert und es wird dort auch erst mal kein neues Geld investiert. Komplizierter wird die Sache aber bei langfristigen Verträgen. Da kann der Vertragspartner wegen Vertragsbruch auf Schadenersatz klagen.

Ein Logo steht im Foyer der Hauptverwaltung des Energieversorgungsunternehmens Uniper in Düsseldorf. © dpa Foto: Oliver Berg
AUDIO: Deutsche Firmen bleiben aktiv in Russland (4 Min)

Rechtshilfeabkommen können internationale Sanktionen aushebeln

Obwohl Sanktionen gegen Russland verhängt sind, erkennt das Land diese nicht an. Unternehmen, die sich darauf berufen wollen, scheitern damit, da die Sanktionen von russischen Gerichten nicht als akzeptabler Kündigungsgrund anerkannt sind. Jurist Heidemann berichtete beispielsweise von Eisenbahnunternehmen, die nach Russland keine Züge und Gleisanlagen mehr liefern wollen und auch den vereinbarten Wartungsservice nicht mehr erbringen - und die dann zu Schadenersatz in Millionenhöhe verklagt worden seien. Russische Gerichte können aber in Deutschland kein Konto pfänden, um an das Geld für den Kläger zu kommen, weil es mit Deutschland kein sogenanntes Rechtshilfeabkommen gibt. Mit anderen Ländern hat Russland aber solche Abkommen. Darüber können international agierende Firmen - und dann auch deutsche - doch zur Kasse gebeten werden: "Der russische Kunde kann durchaus in anderen Ländern dieser Welt - denken Sie an China, denken Sie an Indien - versuchen, dort gegen das deutsche Unternehmen zu vollstrecken", sagte Heidemann NDR Info. Auch mit vielen ehemaligen Sowjetrepubliken gibt es solche Rechtshilfeabkommen.

Verkauf von Fabriken dauert lange und bedeutet Kapitalverlust

Der angekündigte vollständige Rückzug von Volkswagen aus Russland verzögert sich. Denn VW möchte seine Fabriken verkaufen und versucht, damit möglichst viel Kapital aus Russland abzuziehen. Genau das versucht der russische Staat den Unternehmen so schwer wie möglich zu machen. Dafür wurden im vergangenen Jahr zahlreiche neue Verordnungen erlassen. Seit September 2022 muss jeder Verkauf einer Firma durch einen sogenannten "unfreundlichen Ausländer" genehmigt werden.

Weitere Informationen
Logo NDR Info Wirtschaft in 10 Minuten © NDR

Zehn Minuten Wirtschaft

Wir spüren die wichtigsten Themen auf und liefern sie in zehn Minuten - recherchiert von der NDR Info Wirtschaftsredaktion. mehr

Vor einem Verkauf muss nicht nur ein Käufer gefunden werden, sondern zunächst ein russischer Gutachter von einer kleinen, ausgesuchten staatlichen Liste bestellt werden. Das Ergebnis eines solchen Gutachtens fällt laut Jurist Heidemann erfahrungsgemäß zwar nicht völlig unfair aus, sei aber doch recht "konservativ berechnet". Ein deutscher Gutachter käme wohl zu einem deutlich höheren Wert. Dieses Gutachten sowie den geplanten Kaufvertrag muss dann bei einer Regierungskommission eingereicht. werden. Bis diese entscheide, ob und für wie viel Geld das Unternehmen verkauft werden darf, dauere es mehrere Monate. Grundsätzlich gelte: Das Werk darf für maximal 50 Prozent des Werts verkauft werden, den der russische Gutachter ermittelt hat, also maximal für die Hälfte, was das Werk laut Gutachten wert ist. Die Kommission könne auch entscheiden, dass es für noch weniger verkaufen werden muss. Diese Verordnungen zu umgehen, sei unmöglich. Man werde keinen russischen Notar und keinen Registrierungsbeamten finden, der dafür seinen Job riskieren würde, so Heidemann.

Großes Interesse von russischen Käufern an deutschen Werken

Zwar kauft kaum jemand in Kriegszeiten Produktionsstätten in einem Land, das weltweit auf Sanktionslisten steht, aber in Russland selbst gebe es Interessenten, berichtete Heidemann: "Es gibt durchaus kapitalkräftige Unternehmen, die sich jetzt auf ausländische Unternehmen, die im Moment verkauft werden, stürzen und da zu einem sehr günstigen Preis sehr gut ausgestattete Fabriken kaufen können. Die Käufer sind eher größere geschäftliche Organisationen oder dahinter stehende sogenannte Oligarchen."

Weitere Informationen
Ein VW-Auto steht vor einem Autohaus in St. Petersburg. © picture alliance/dpa Foto: Igor Russak

Vermögenswerte von VW in Russland beschlagnahmt

Der russische Autobauer Gaz hat gegen seinen früheren Partner aus Wolfsburg geklagt. Gaz hatte für VW Autos produziert. mehr

Trotz des anhalten Krieges in der Ukraine verkauft Unilever weiterhin Produkte auf dem russischen Markt. © Screenshot
3 Min

Hamburger Firmen treiben trotz Krieg Handel mit Russland

Auf der sogenannten Liste der Schande der Yale University befinden sich Unternehmen wie Tom Tailor und Beiersdorf. 3 Min

Ein Gebäude der Firma Beiersdorf. © Screenshot
2 Min

Russland-Boykott: Längst nicht alle Firmen ziehen mit

Unilever produziert noch fleißig für den russischen Markt und auch der Hamburger Beiersdorf-Konzern liefert seine Kosmetikprodukte. 2 Min

Anna, die Ehefrau eines vor zwei Monaten getöteten Soldaten, und der Vater Oleksandr stellen auf dem Friedhof der Hafenstadt Odessa die ukrainische Nationalflagge am Grab ihres Ehemannes auf. (Foto vom 24. Februar 2024) © Kay Nietfeld/dpa

Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Russlands Überfall und die Folgen

Am 24. Februar 2022 begann der Angriff. In der Ukraine starben mindestens 10.000 Zivilisten. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 30.05.2023 | 04:37 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Globalisierung

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Beschäftigte von Volkswagen demonstrieren bei den Tarifverhandlungen von Volkswagen und IG Metall in Wolfsburg. © dpa-Bildfunk Foto: Alicia Windzio

VW-Tarifrunde: Tausende Mitarbeiter protestieren in Wolfsburg

IG Metall und Betriebsrat betonten vor Gesprächsbeginn, vor Weihnachten eine Lösung zu wollen - und wiesen auf mögliche Warnstreiks hin. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?