Start-ups kämpfen gegen Lebensmittel-Verschwendung
Lebensmittelverschwendung kostet Geld und Ressourcen. Viele Initiativen und auch Unternehmen wollen Lebensmittelverschwendung etwas entgegensetzen - mit ganz unterschiedlichen Ansätzen.
Die gammeligen Möhren, die Milch, die vielleicht schon schlecht ist, die Sahnetorte, die nicht mehr verkauft werden kann - jeden Tag landen Unmengen Lebensmittel im Müll. Das betrifft nicht nur private Haushalte und den Supermarkt, Lebensmittelverschwendung beginnt schon beim Produzenten. Wie viele Lebensmittel weggeschmissen werden, kann niemand so genau sagen. Bisher existiert keine Meldepflicht für Industrie, Handel und Gastronomie, wenn Essen im Müll landet. Laut der Deutschen Umwelthilfe gibt es nur Schätzungen. Danach werden jährlich etwa 18 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet - das sind knapp 600 Kilogramm in der Sekunde. Etwa zwölf Prozent davon wird direkt auf dem Acker vernichtet, circa sieben Prozent im Handel. Rund die Hälfte der verschwendeten Lebensmittel landet in privaten Mülleimern, rund 75 Kilogramm pro Person jährlich. Darunter vor allem leicht Verderbliches wie Obst, Gemüse, Backwaren und Milchprodukte. Was hilft: Lieber öfter einzukaufen und besser zu planen, was wirklich gebraucht und auch verbraucht wird. Und den Joghurt zu probieren, auch wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist.
Brotretter: Gutes vom Vortag kommt gut an
Auch drei Firmen in Schleswig-Holstein wollen etwas gegen die Verschwendung von Lebensmitteln tun. Eine Bäckerei gehört auch dazu. Kund*innen wie Relana Mertin kaufen ihre Brötchen ganz bewusst in dieser Lübecker Bäckereifiliale: "Ich möchte das unterstützen und finde grundsätzlich die Brötchen hier total lecker. Außerdem schmeckt man den Unterschied überhaupt nicht." Das Besondere an den Brötchen und Muffins in der Brotretter-Filiale der Bäckereikette Junge: Sie sind schon einen Tag alt. Normalerweise unverkäuflich. Hier gibt es die Backwaren vom Vortag bis zu 70 Prozent günstiger. Antje Füllkrug leitet die Filiale. Sie hat viele Stammkund*innen, sagt sie. Manchmal kommen auch Kund*innen eher aus Versehen, aber viele lassen sich dann doch überzeugen: "Das Franzbrötchen vom Vortag kann man sehr gut aufwärmen. Ein Schwarzbrot von gestern schmeckt auch noch und Zuhause isst man sein Brot ja auch nicht an einem Tag."
Mit Digitalisierung gegen Foodwaste
Bäckereien gehören auch zu den Kunden des Lübecker Start-ups Food21. Das Unternehmen arbeitet an einer Datenplattform gegen Lebensmittelverschwendung. Die beiden Gründer sprechen gar von einer "Community". Einkaufs- und Verkaufsdaten vieler Produzent*innen und Händler*innen sowie Wetter- und Verkehrsdaten werden zusammengefasst, ausgewertet und sollen den teilnehmenden Unternehmen genauere Verbrauchsprognosen liefern. So kann punktgenauer bestellt werden; weniger bleibt übrig. Das sei weitaus effektiver, als wenn jeder datentechnisch sein eigenes Süppchen kocht, sagt Jan Pimanow. Wie das funktionieren kann, beschreibt er an zwei Bäckereien, eine in Kayhude in der Nähe von Hamburg und eine an der Ostsee: "Wenn wir sehen, dass der Kundenstrom bei gutem Wetter Richtung Ostsee tangiert, ist das eine Zusammenschaltung von Ergebnissen. Dann können wir unserem Kunden in Kayhude, der Bäckerei Matthiessen sagen, dass sie dieses Wochenende ein bisschen weniger produzieren soll, weil die Leute eher an die Ostsee fahren." Noch sei das Projekt in der Pilotphase, es hätten aber schon größere Supermarktketten Interesse, mitzumachen. Nächstes Jahr sollen auch Verbraucherdaten miteinfließen, zum Beispiel aus Einkaufszettel-Apps.
Problem: Zu hohe Qualitätsstandards im Handel
Eine sinnvolle Idee, findet Joyce-Ann Syhre, Referentin für die Themen Ernährung und Landwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe. Es sei gut, nicht nur die Symptome zu bekämpfen, sondern dafür zu sorgen, dass gar nicht erst zu viel produziert oder vom Handel eingekauft wird. Allerdings gibt es noch ganz andere Baustellen - zum einen der Perfektionswahn, wenn es um Obst und Gemüse geht: "Es gibt ja von der EU vorgegebene Qualitätsstandards und diese bilden die offiziellen Vermarktungsnormen der Händler*innen. In den vergangenen Jahren haben die zwar massiv abgenommen, stattdessen hat der Handel die selbst gesetzten Qualitätsstandards aber hochgeschraubt." Die Konkurrenz ist groß - und für Supermärkte sind makellose Äpfel und kerzengerade Gurken im Eingangsbereich die optische Visitenkarte.
Resteritter verarbeiten unvollkommenes Obst und Gemüse
Auch Verbraucher*innen haben sich an diese Qualität gewöhnt. Allerdings wird deswegen auf Äckern und in Gewächshäusern und bei der Ernte von Obstbäumen ein Drittel der Ernte weggeschmissen, schätzt die Deutsche Umwelthilfe. Vor allem Kartoffeln, Möhren und Äpfel, die eben oft nicht perfekt aus der Erde kommen oder am Baum hängen. Um vermeintlich unperfektes Obst und auch Gemüse kümmern sich die Resteritter: "Wir retten seit ungefähr drei Jahren Lebensmittel, die wir auf der einen Seite vom Obst- und Gemüsehändler hier in Kiel bekommen. Das sind Waren, die sonst weggeschmissen worden wären, weil sie keiner mehr kaufen wollte, etwa weil sie eine Druckstelle haben. Auch wenn sie nicht mehr ganz so schön sind, wie man sie gerne hätte, sind die Sachen noch super verwendbar", sagt Moritz Dietzsch, einer der drei Initiatoren.
Umweltverbände fordern Anti-Wegwerf-Gesetz
Die drei Kieler kochen daraus Marmelade und Chutneys. Im vergangenen Herbst haben sie nach eigenen Angaben allein zweieinhalb Tonnen Äpfel verarbeitet: "Es ist schockierend, macht auch irgendwie traurig und gleichzeitig Hoffnung, dass wir es retten können. Aber unser Ziel ist ein gesamtgesellschaftliches Umdenken. Es wäre schön, wenn es in ein paar Jahrzehnten solche Initiativen wie uns gar nicht mehr braucht, weil wir umdenken und weniger Lebensmitteln wegschmeißen." Damit sich wirklich etwas ändert, braucht es Gesetze, findet Joyce-Ann Syhre. Zum Beispiel ein "Anti-Wegwerf-Gesetz", mit klaren Sanktionen für Händler*innen und Produzent*innen, die Lebensmittel wegwerfen. Das sei bisher viel zu billig. Allein Informationskampagnen wie die vom Bundeslandwirtschaftsministerium gestartete Kampagne "Zu gut für die Tonne" würden die Probleme nicht lösen.