Stark-Watzinger: Bildungsgipfel sollte Aufbruchssignal senden
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat den von ihr einberufenen Bildungsgipfel gegen Kritik verteidigt. Länder-Bildungsminister von der CDU wie Karin Prien aus Schleswig-Holstein hatten eine Teilnahme abgelehnt.
Der von ihr einberufene Bildungsgipfel sollte keine "Kultusministerkonferenz light" sein, sagte Stark-Watzinger am Mittwoch auf NDR Info. Ziel sei gewesen, die verschiedenen Akteure zum Beispiel aus der Zivilgesellschaft an einen Tisch zu bringen, um einen Aufbruch zu schaffen und gemeinsame Ziele festzulegen.
Die Aufgaben seien groß und sie ließen sich auch nicht an einem Tag lösen. Als Beispiele nannte Stark-Watzinger den Mangel an Lehrkräften, einen Infrastruktur-Stau und den Leistungsabfall bei Schülerinnen und Schülern. Sie forderte, wegzukommen von einer rein Input-orientierten Betrachtung, etwa was die Zahl der zu schaffenden Lehrerstellen angeht. "Wir müssen schauen: Was sind die Bedürfnisse der Kinder? Wie kann die beste Bildung stattfinden?"
Kritik an zu viel Bürokratie
Die Ministerin beklagte in diesem Zusammenhang ein Zuviel an Bürokratie, konkret bezogen auf den Digitalpakt, der die Ausstattung der Schulen mit digitalen Medien vorantreiben soll. "Wir haben als Bund nicht mit den Kommunen sprechen dürfen", sagte Stark-Watzinger. Diejenigen, die den Digitalpakt umsetzen sollen, seien gar nicht von Anfang an beteiligt gewesen.
Bildungsforscher: Auf Lehrkräftemangel und schwache Schüler konzentrieren
Der Kieler Bildungsforscher Olaf Köller vom Leibniz-Institut identifiziert zwei Kernthemen, um die sich im deutschen Bildungssystem dringend gekümmert werden müsse. Das eine sei der Lehrkräftemangel. "Dort müssen wir Wege finden, wie wir die qualifizierten Lehrkräfte stärker auf ihre Unterrichtsarbeit konzentrieren und ihnen andere Arbeiten abnehmen", sagte Köller im Interview auf NDR Info.
Der andere wichtige Punkt betreffe die vielen schwachen Schülerinnen und Schüler, die im System seien. Hier gebe es Programme wie etwa in Hamburg, die etwa das Leseverständnis und die Rechenfähigkeiten stärken. "Hamburg ist damit offensichtlich erfolgreich", sagte Köller und bezog sich darauf, dass das Bundesland als eines der wenigen in den vergangenen zehn Jahren keine abnehmenden Schülerleistungen aufweise. Solche Maßnahmen seien jedoch unpopulär, sie entsprächen der Tradition des Paukens. "Gerade für die Schwächsten in unserem System müssen wir solche hochstrukturierten Übungssequenzen aber einführen, damit sie überhaupt etwas lernen."
Lehrerverband mit positiver Bilanz
Der Deutsche Lehrerverband äußerte sich zum Abschluss des Bildungsgipfels positiv über die Ergebnisse. "Ohne Zweifel war der Beginn dieses Bildungsgipfels sehr holprig, aber ich bin trotzdem optimistisch, dass es gut weitergeht“, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er hoffe nun, dass es in der angekündigten neuen Arbeitsgruppe eine breite Zusammenarbeit geben werde. "Wir haben auf dem Gipfel gesehen, dass die Erkenntnis da ist, dass man nur gemeinsam gegen den Bildungsnotstand vorgehen kann", so Meidinger.
Prien kritisiert den Gipfel und nimmt nicht teil
Zu dem zweitägigen Bildungsgipfel waren Vertreterinnen und Vertreter von Ländern und Kommunen sowie aus der Wissenschaft und Zivilgesellschaft eingeladen. Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) gehörte zu den 14 Landesministerinnen und -ministern, die nicht teilnahmen. Prien bemängelte am Dienstag auf NDR Info, dass es für die Veranstaltung weder eine Tagesordnung gebe noch eine gemeinsame Vorbereitung stattgefunden habe. "Alle Voraussetzungen, die man eigentlich braucht, um gut miteinander arbeiten zu können, liegen leider nicht vor. Deshalb liegt der Verdacht nahe, dass hier eher lustlos der Koalitionsvertrag abgearbeitet werden soll."
Konkrete Themen müssten bearbeitet werden
Prien verwies darauf, dass konkrete Themen auf dem Tisch lägen, die dringend bearbeitet werden müssten. Dazu gehörten die Qualitätsoffensive Lehrerausbildung und die Fortsetzung des Digitalpakts. Zudem nannte Prien das Startchancen-Programm, bei dem bundesweit 4.000 benachteiligte Schulen finanziell unterstützt werden sollen. Sie sollen das Geld für Sozialarbeiter, Investitionszulagen für Neubauten und ein Budget, über das sie selbst verfügen können, verwenden. Der Bund könne hier helfen, sagte Prien, wenn er Gelder aus dem Programm nicht erst im Herbst 2024 freigebe, sondern bereits in diesem Jahr.
FDP-Fraktionschef Vogt kritisiert Priens Fernbleiben
Schleswig-Holsteins FDP-Landtagsfraktionschef Christopher Vogt kritisierte Priens Fehlen beim Bildungsgipfel scharf. "Der Boykott des Bildungsgipfels ist eine hochnotpeinliche Arbeitsverweigerung der schwarz-grünen Landesregierung", sagte Vogt. Es sei äußerst befremdlich, dass die Ministerin nicht einmal eine Vertretung nach Berlin schicke. "Es ist schon reichlich absurd, eine 'Show-Veranstaltung' zu beklagen, während man sich in Interviews derart theatralisch über die Bundesregierung auslässt", sagte er laut einer Mitteilung.
Lehrerin: Föderalismus steht Fortschritt oft im Weg
In Sachen Digitalisierung sieht die Lehrerin und Buchautorin Lisa Graf einige Schulen als Vorreiter, die schon sehr weit seien. "Das ist das große Problem in unserem Land: Es gibt wenig Einheit", sagte Graf am Dienstag im Interview mit NDR Info. Gute Programme müssten konsequent überall umgesetzt werden. Doch das verhindere der Föderalismus im Bildungsbereich. Wenn jedes Land sein eigenes Süppchen koche, stehe man sich bei Fortschritten zu oft selbst im Weg.
Graf unterrichtete drei Jahre lang an einer Haupt- und Realschule in sozial benachteiligter Lage und hat über ihre Erfahrungen dort ein Buch mit dem Titel "Abgehängt" geschrieben. Die Kernthese dort: Aufstieg durch Bildung sei heutzutage nicht mehr möglich, das Bildungssystem sei nicht durchlässig.
Kritik: Bisherige Reformen haben nicht viel bewegt
"Was wir in der Vergangenheit gesehen haben, waren viele kleine Reformen, die viel Geld gekostet haben, aber im Großen und Ganzen nicht viel bewegen", so Graf. Sie fordert einen Richtungswechsel und ein Ende des dreigliedrigen Schulsystems. Zudem sei der Lehrkräftemangel zu lange verschlafen worden.
Hamburgs Schulsenator warnt vor Grundsatzdebatten
Der Streit darüber, wer in Bildungsfragen mehr zu sagen haben sollte, ist für Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) hingegen verschwendete Zeit. "Mehrheiten für eine nötige Grundgesetzänderung gibt es seit 70 Jahren nicht", sagte Rabe. "Die ständigen Grundsatzdiskussionen über Sinn und Unsinn des Föderalismus mögen für akademische Seminare spannend sein, sie blockieren aber die tatsächlich jederzeit auch unter den bestehenden Rahmenbedingungen möglichen Verbesserungen für Schulen und ihre Schülerinnen und Schüler."
Niedersachsens Kultusministerin: Mehr Geld im Bildungssystem ist notwendig
Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) sieht vor allem mehr Geld im System als Schlüssel für eine Lösung zur Bewältigung der Bildungskrise. "Krisen lassen sich abfedern, wenn zielgenau investiert wird. Das haben wir bei Corona, Ukraine und Energie gesehen", sagte sie. Ein wirksamer Anfang sei das Startchancen-Programm. Der Bund müsse jetzt zügig den Finanzrahmen klären und das Programm am besten noch in diesem Jahr auf den Weg bringen, betonte die stellvertretende niedersächsische Ministerpräsidentin.