Marco Trips, Präsident des niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes. © Städte- und Gemeindebund Niedersachsen
Marco Trips, Präsident des niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes. © Städte- und Gemeindebund Niedersachsen
Marco Trips, Präsident des niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes. © Städte- und Gemeindebund Niedersachsen
AUDIO: Städte- und Gemeindebund: Bund muss Integrations-Offensive starten (5 Min)

Städte- und Gemeindebund fordert "Zeitenwende" in Integrationspolitik

Stand: 26.10.2024 13:48 Uhr

Die Zahlen der nach Deutschland Geflüchteten sind nach Ansicht des Präsidenten des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes, Marco Trips, zwar hoch, aber beherrschbar. Entscheidend sei die Integration, sagte er auf NDR Info.

Die Länder sehen weiter Handlungsbedarf beim Thema Asyl. Sie drängen die Bundesregierung zu weiteren Maßnahmen, um die Migration besser zu steuern. Per Beschluss forderten die Ministerpräsidenten bei ihrem am Freitag zu Ende gegangenen Treffen in Leipzig unter anderem eine Beschleunigung der Asylverfahren für Flüchtlinge mit geringen Chancen auf Anerkennung.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sagte, die Beschlüsse zur Migration seien vielleicht nicht der große Durchbruch. Sie seien aber weitere Bausteine eines Kurses, der in diesem Jahr dazu geführt habe, dass die Asylzugangszahlen zurückgehen.

Niedersachsens Städtebund-Präsident Trips nahm bei seiner Bewertung der MPK-Beschlüsse auf NDR Info den Bund in die Pflicht und berichtete von den Problemen der Kommunen.

Weitere Informationen
Auf dem Bild sind Alexander Schweitzer (SPD), Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident des Landes Sachsen, und Stephan Weil (SPD) Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, zu sehen - sie sprechen auf einer Pressekonferenz. Dort wurden die Ergebnisse der Ministerpräsidentenkonferenz erläutert. © Sebastian Willnow/dpa Foto: Sebastian Willnow/dpa

Die wichtigsten Ergebnisse der MPK in Leipzig

Die Regierungschefs der Länder haben sich in Leipzig aber auf eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geeinigt. mehr

Herr Trips, wie sehen Sie das? Werden die Belange der Kommunen in den migrationspolitischen Forderungen genug berücksichtigt?

Marco Trips: Wir haben immer die Sorge: Wie viele können wir unterbringen? Vor allem aber: Wie viele Menschen können wir integrieren? Die Zugangszahlen sind ja nach wie vor sehr hoch, bei 80 Prozent der Höchstwerte. Das ist immer noch sehr beachtlich, und das werden wir auf Dauer nicht leisten können. Insofern würde ich die Einschätzung teilen: Schritte in die richtige Richtung, aber es ist noch nicht der große Wurf.

Was hören Sie denn im Moment aus den Kommunen? Wie hoch ist die Belastung?

Trips: Die Unterbringungsbelastung ist einigermaßen im Griff. Was Probleme bereitet, ist in der Tat der Familiennachzug. Der soll ja nun auch eingeschränkt werden. Es ist so, dass immer große Familien über die Quote hinaus nachziehen. Weil die nicht angerechnet werden, tauchen dann immer große Familien auf, die untergebracht werden müssen. Das stellt einzelne Kommunen vor große Probleme.

Und ich glaube, die Integrationsfähigkeit und die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Menschenmengen darf man auf Dauer nicht unterschätzen. Insofern muss man im europäischen Verbund eine Lösung finden. Es ist ja bezeichnend, dass man bei der Durchsicht der ersten vier Sätze des Beschlusses den Eindruck gewinnt, dass Deutschland das nur deshalb diskutiert, weil es öffentlich diskutiert wird. Es besteht ja auch tatsächlich Handlungsbedarf. Man muss das ganze Problem in seiner Tragweite - Migration wird ja nicht aufhören - noch mehr erkennen. Sonst habe ich die Sorge, dass andere politische Mehrheiten entstehen werden. Und das ist, glaube ich, in anderen Punkten dann nicht sehr hilfreich.

Dass weniger Flüchtlinge kommen sollen, ist die eine Sache. Sie haben es gerade gesagt: Sich um die zu kümmern, die bereits hier sind, ist die andere. Was würde die Kommunen entlasten?

Trips: Die Kommunen würde entlasten, wenn der Bund seine Aufgabe erkennen würde. Also dass Flüchtlinge, die keine Bleibeperspektive haben, vielleicht erst gar nicht ins Land gelassen werden, sie an den Grenzen abgewiesen und dann auch wieder außerhalb des Landes gebracht werden. Das wäre das eine. Die andere Aufgabe des Bundes ist die Integration. Wir brauchen eine Integrations-Offensive. Wenn Sie sich die wichtigsten drei Punkte der Bundespolitik vorstellen, dann ist das Klimawandel, vielleicht die wirtschaftliche Lage und dann auf jeden Fall die Integration. Da hat der Bund nichts vorzuweisen. Da brauchen wir eine Zeitenwende. Wir müssen fördern und fordern. Wir können doch nicht alle mit Bürgergeld und anderen sozialen Leistungen zuschmeißen, sie aber nicht in den Arbeitsmarkt integrieren. Das ist doch der Fehler, den wir machen.

Das machen andere Länder besser. In Dänemark arbeiten 78 Prozent der Ukrainerinnen, bei uns sind es 30 Prozent. Das kann nicht richtig sein. Insofern brauchen wir da eine gutgemeinte Offensive. Die können doch alle bleiben. Die Menschen, die guten Willens sind, die brauchen wir. Wir brauchen 400.000 Menschen pro Jahr, um unsere Wirtschaft am Laufen zu halten. Insofern ist das der Knackpunkt, der nicht erkannt wird. Das kritisiere ich ganz stark, dass der Bund nicht eine Integrations-Offensive startet.

Weitere Informationen
Drei junge Flüchtlinge arbeiten im Ausbildungszentrum der Siemens Professional Education an der Verdrahtung eines Schaltschranks. © picture alliance / Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa | Monika Skolimowska Foto: Monika Skolimowska

Migration: Jeder dritte Geflüchtete im Norden hat Arbeit

Anteilig arbeiten die meisten in Hamburg, die wenigsten in Mecklenburg-Vorpommern. Fehlende Sprachkenntnisse sind oft das größte Problem. mehr

Heißt das, Sie würden auch beim Bürgergeld streichen, so wie es diskutiert wird?

Trips: Es gibt ja Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, wie viel jeder haben muss. Aber ich halte es für einen Fehler, die Ukrainerinnen und Ukrainer komplett ins Bürgergeld überführt zu haben. Das löst Probleme im Finanzierungssystem aus. Die Kommunen zahlen auf einmal da drauf. Diese Lücke ist bisher immer einmalig geschlossen worden von Ministerpräsidentenkonferenz zu Ministerpräsidentenkonferenz. Jetzt steht sie offen, das heißt noch wieder eine Mehrbelastung der Kommunen.

Aber ich glaube, die Anreize, Arbeit aufzunehmen und auch die Fördermöglichkeiten und die Anerkennung von Berufsabschlüssen oder auch das Angebot von Ausbildungen, da müsste es eine konzertierte Aktion von Wirtschaft, Bund und Kommunen geben. Da müssten wir doch sagen: Du hast keinen Job, such' dir einen. Jeder nimmt sich einen mit, und dann werden die in den Arbeitsmarkt integriert. Ich weiß natürlich, dass das so einfach alles nicht geht. Aber wenigstens Ansätze davon wären doch mal wünschenswert.

Das Gespräch führte Liane Koßmann.

 

Weitere Informationen
Yasemin Kocak (Mitte) und Martina Kamp (rechts) erarbeiten gemeinsam mit Niema El Moufti, welche Möglichkeiten die Marokkanerin mit ihren Qualifikationen in Deutschland hat. © NDR Foto: Katrin Schwier

Projekt hilft hochqualifizierten Frauen mit Migrationshintergrund

Besonders hoch qualifizierte Frauen haben es schwer, in Deutschland Fuß zu fassen. Das Projekt KommMit Bildung in Lüneburg hilft ihnen. mehr

Der Syrer Kamiran Almahmoud arbeitet mit einer Schweißmaschine, sein Ausbilder guckt zu. © Screenshot

"Schaffen wir das?": Wie Geflüchtete schneller in Arbeit kommen

In Schleswig-Holstein versucht ein Pilotprojekt, Geflüchtete passgenauer zu vermitteln. Doch es gibt Hürden - sprachliche und bürokratische. mehr

Logo der Agentur für Arbeit. © Imago Images / Panama Pictures Foto: Imago Images / Panama Pictures

Geflüchtete Arbeitskräfte: Eine Chance für Unternehmen

Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums hat sich die Zahl der arbeitenden Geflüchteten in Schleswig-Holstein seit 2016 verachtfacht. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Interview | 26.10.2024 | 10:15 Uhr

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Arztteam rollt Patient auf Klinikbett durch einen Krankenhausflur. © panthermedia Foto: spotmatikphoto

Krankenhausreform beschlossen: Nord-Länder geteilter Meinung

Niedersachsens Gesundheitsminister Philippi lobt den Bundesratsbeschluss. SH-Ministerin von der Decken spricht von "grobem Fehler" - enthielt sich aber bei der Abstimmung. mehr