Städte- und Gemeindebund fordert "Zeitenwende" in Integrationspolitik
Die Zahlen der nach Deutschland Geflüchteten sind nach Ansicht des Präsidenten des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes, Marco Trips, zwar hoch, aber beherrschbar. Entscheidend sei die Integration, sagte er auf NDR Info.
Die Länder sehen weiter Handlungsbedarf beim Thema Asyl. Sie drängen die Bundesregierung zu weiteren Maßnahmen, um die Migration besser zu steuern. Per Beschluss forderten die Ministerpräsidenten bei ihrem am Freitag zu Ende gegangenen Treffen in Leipzig unter anderem eine Beschleunigung der Asylverfahren für Flüchtlinge mit geringen Chancen auf Anerkennung.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sagte, die Beschlüsse zur Migration seien vielleicht nicht der große Durchbruch. Sie seien aber weitere Bausteine eines Kurses, der in diesem Jahr dazu geführt habe, dass die Asylzugangszahlen zurückgehen.
Niedersachsens Städtebund-Präsident Trips nahm bei seiner Bewertung der MPK-Beschlüsse auf NDR Info den Bund in die Pflicht und berichtete von den Problemen der Kommunen.
Herr Trips, wie sehen Sie das? Werden die Belange der Kommunen in den migrationspolitischen Forderungen genug berücksichtigt?
Marco Trips: Wir haben immer die Sorge: Wie viele können wir unterbringen? Vor allem aber: Wie viele Menschen können wir integrieren? Die Zugangszahlen sind ja nach wie vor sehr hoch, bei 80 Prozent der Höchstwerte. Das ist immer noch sehr beachtlich, und das werden wir auf Dauer nicht leisten können. Insofern würde ich die Einschätzung teilen: Schritte in die richtige Richtung, aber es ist noch nicht der große Wurf.
Was hören Sie denn im Moment aus den Kommunen? Wie hoch ist die Belastung?
Trips: Die Unterbringungsbelastung ist einigermaßen im Griff. Was Probleme bereitet, ist in der Tat der Familiennachzug. Der soll ja nun auch eingeschränkt werden. Es ist so, dass immer große Familien über die Quote hinaus nachziehen. Weil die nicht angerechnet werden, tauchen dann immer große Familien auf, die untergebracht werden müssen. Das stellt einzelne Kommunen vor große Probleme.
Und ich glaube, die Integrationsfähigkeit und die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Menschenmengen darf man auf Dauer nicht unterschätzen. Insofern muss man im europäischen Verbund eine Lösung finden. Es ist ja bezeichnend, dass man bei der Durchsicht der ersten vier Sätze des Beschlusses den Eindruck gewinnt, dass Deutschland das nur deshalb diskutiert, weil es öffentlich diskutiert wird. Es besteht ja auch tatsächlich Handlungsbedarf. Man muss das ganze Problem in seiner Tragweite - Migration wird ja nicht aufhören - noch mehr erkennen. Sonst habe ich die Sorge, dass andere politische Mehrheiten entstehen werden. Und das ist, glaube ich, in anderen Punkten dann nicht sehr hilfreich.
Dass weniger Flüchtlinge kommen sollen, ist die eine Sache. Sie haben es gerade gesagt: Sich um die zu kümmern, die bereits hier sind, ist die andere. Was würde die Kommunen entlasten?
Trips: Die Kommunen würde entlasten, wenn der Bund seine Aufgabe erkennen würde. Also dass Flüchtlinge, die keine Bleibeperspektive haben, vielleicht erst gar nicht ins Land gelassen werden, sie an den Grenzen abgewiesen und dann auch wieder außerhalb des Landes gebracht werden. Das wäre das eine. Die andere Aufgabe des Bundes ist die Integration. Wir brauchen eine Integrations-Offensive. Wenn Sie sich die wichtigsten drei Punkte der Bundespolitik vorstellen, dann ist das Klimawandel, vielleicht die wirtschaftliche Lage und dann auf jeden Fall die Integration. Da hat der Bund nichts vorzuweisen. Da brauchen wir eine Zeitenwende. Wir müssen fördern und fordern. Wir können doch nicht alle mit Bürgergeld und anderen sozialen Leistungen zuschmeißen, sie aber nicht in den Arbeitsmarkt integrieren. Das ist doch der Fehler, den wir machen.
Das machen andere Länder besser. In Dänemark arbeiten 78 Prozent der Ukrainerinnen, bei uns sind es 30 Prozent. Das kann nicht richtig sein. Insofern brauchen wir da eine gutgemeinte Offensive. Die können doch alle bleiben. Die Menschen, die guten Willens sind, die brauchen wir. Wir brauchen 400.000 Menschen pro Jahr, um unsere Wirtschaft am Laufen zu halten. Insofern ist das der Knackpunkt, der nicht erkannt wird. Das kritisiere ich ganz stark, dass der Bund nicht eine Integrations-Offensive startet.
Heißt das, Sie würden auch beim Bürgergeld streichen, so wie es diskutiert wird?
Trips: Es gibt ja Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, wie viel jeder haben muss. Aber ich halte es für einen Fehler, die Ukrainerinnen und Ukrainer komplett ins Bürgergeld überführt zu haben. Das löst Probleme im Finanzierungssystem aus. Die Kommunen zahlen auf einmal da drauf. Diese Lücke ist bisher immer einmalig geschlossen worden von Ministerpräsidentenkonferenz zu Ministerpräsidentenkonferenz. Jetzt steht sie offen, das heißt noch wieder eine Mehrbelastung der Kommunen.
Aber ich glaube, die Anreize, Arbeit aufzunehmen und auch die Fördermöglichkeiten und die Anerkennung von Berufsabschlüssen oder auch das Angebot von Ausbildungen, da müsste es eine konzertierte Aktion von Wirtschaft, Bund und Kommunen geben. Da müssten wir doch sagen: Du hast keinen Job, such' dir einen. Jeder nimmt sich einen mit, und dann werden die in den Arbeitsmarkt integriert. Ich weiß natürlich, dass das so einfach alles nicht geht. Aber wenigstens Ansätze davon wären doch mal wünschenswert.
Das Gespräch führte Liane Koßmann.