Pistorius: "Wir können nicht in die Köpfe der Beamten schauen"
Rechte und auch Anhänger der Reichsbürger-Szene suchen bewusst den Kontakt zu Personen, die in Behörden oder bei der Polizei arbeiten. Das sagte der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) im Hörfunk-Interview auf NDR Info.
Unter den 25 Festgenommenen bei der Razzia in der Reichsbürger-Szene Ende der Woche waren ein ehemaliger Polizist der Polizeidirektion Hannover, der per Gerichtsentscheidung aus dem Dienst entfernt worden war, eine Ärztin aus Peine sowie ein Rechtsanwalt aus Hannover. Der Vorwurf der Bundesanwaltschaft lautet: Mitgliedschaft und Unterstützung einer inländischen terroristischen Vereinigung. Inzwischen sitzen 23 mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer in Untersuchungshaft. Wie gefährlich sind die Reichsbürger? Diese und weitere Fragen hat Niedersachsens Innenminister Pistorius am Sonnabend auf NDR Info beantwortet.
Herr Pistorius, waren Sie eingeweiht in die Ermittlungen im Vorfeld dieser Razzia?
Boris Pistorius: Nein, das war ich nicht. Das ist auch nicht üblich.
Drei Festnahmen fanden in Niedersachsen statt. Wer sind die Festgenommenen? Bei einem soll es sich um einen früheren Polizisten handeln, der auch als Corona-Leugner bekannt ist.
Pistorius: Das trifft zu, das ist so. Der Mann ist seit einem halben Jahr aus dem Polizeidienst entfernt.
An den Umsturzplänen waren nach Angaben des Generalbundesanwalts mindestens ein aktiver Bundeswehrsoldat und zwei weitere ehemalige Soldaten beteiligt. Und in Niedersachsen wurde im Zusammenhang mit der Razzia ein LKA-Beamter freigestellt, der im Staatsschutz gearbeitet haben soll. Können Sie das bestätigen? Was wird ihm vorgeworfen?
Pistorius: Der Mann gehört nach den Informationen, die mir vorliegen, nicht zu dem engeren Kreis. Er ist auch nicht festgenommen worden im Zuge der Aktion. In welcher Form die Beteiligung sich feststellen lässt, ist jetzt Gegenstand der Ermittlungen des Generalbundesanwalts. Richtig ist: Er ist seit vergangenem November krank, dienstunfähig - er arbeitet schon nicht mehr seit der Zeit. Er war auch davor nur wenige Monate nach längerer Erkrankung in einer kurzen Wiedereingliederungsmaßnahme, gewissermaßen in Teilzeit wieder eingebunden. Er hatte in der Zeit keine vollwertigen Ermittlungsaufträge. Dort ist er aber seit November nicht mehr im aktiven Dienst gewesen, weil er krank war.
Wie steht es um Verbindungen der Reichsbürger zu Polizei und Bundeswehr? Was können Sie uns dazu aus niedersächsischer Sicht sagen?
Pistorius: Das Problem bei dieser Einschätzung ist natürlich, und das kann ja jeder nachvollziehen, dass wir in die Köpfe der Beamtinnen und Beamten nicht reinschauen können. Wer sich konspirativ bewegt und sich im Laufe seines Lebens verändert, so wie das im Zuge der Corona-Leugner und der Pandemie geschehen ist, kriegen wir das ja nicht unmittelbar mit. Erst dann, wenn er sich zeigt. So wie in dem Fall des Polizisten, den wir aus dem Dienst entfernt haben. Aber richtig ist: Natürlich hat die Reichsbürger-Szene ihre Kontakte, genauso wie die AfD. Und deswegen tun wir alles in der Polizei Niedersachsen dafür, dass unsere Polizei dagegen immunisiert wird; dass wir eine Kultur geschaffen haben, in der man über solche Dinge spricht und sie auch zur Debatte stellt - und vor allen Dingen dann auch meldet. Es schadet am Ende der gesamten Organisation, wenn sich das ausbreitet.
Sie haben die AfD gerade erwähnt. Unter den deutschlandweit Festgenommenen ist auch eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete. Wie eng sind Ihren Erkenntnissen nach die Verbindungen der Reichsbürger-Szene zur AfD?
Pistorius: Es gibt sie, weil es inhaltliche Schnittmengen gibt. Beispielsweise die Unterstützung oder die fehlende Ablehnung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, die Ablehnung der USA, die weit in die Tiefe der AfD - aber auch der Reichsbürger-Szene - gehende Ablehnung unseres demokratischen Rechtsstaates. Da gibt es viele Schnittmengen. Gleichzeitig muss man aber sagen: Das Reichsbürger-Denken hat jetzt nicht die große Dominanz in der AfD. Aber es nimmt zu. Die AfD hat in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass sie es schafft, in bestimmte Themenbereiche vorzudringen, um daraus für ihre eigenen Zwecke politischen Treibstoff zu generieren. Das beobachten wir hier eben auch.
Wie groß ist denn die Reichsbürger-Szene in Niedersachsen? Und für wie gefährlich halten Sie die?
Pistorius: Die Reichsbürger-Szene in Niedersachsen ist stabil seit einigen Jahren. Wir gehen von etwa 900 Mitgliedern dieser Szene aus - davon rund 50 Rechtsextremisten, das ist noch mal eine besondere Schnittmenge. Aber die Reichsbürger sind stärker in anderen Ländern. Aber 900 in Niedersachsen sind es eben auch - und ein Teil davon gilt auch als gewaltbereit, ja.
Wie gehen Sie in Niedersachsen mit dieser Reichsbürger-Szene politisch um?
Pistorius: Auf zweierlei Ebenen: Erstens haben wir sehr früh angefangen. Wir haben schon 2016 gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz darauf gedrungen, das Thema Beobachtung der Reichsbürger-Szene auf die Tagesordnung der Ämter-Tagung zu setzen. Das ist immer abgelehnt worden mit der Begründung, das sei nicht relevant; vielleicht könne man das unter "Verschiedenes" erörtern. Erst nach dem Mord eines Reichsbürgers an einem SEK-Beamten in Bayern im Oktober 2016 ist man dort wach geworden. Seitdem sind die Reichsbürger Beobachtungsobjekt. Das ist auch notwendig. Ich habe im selben Jahr noch einen Erlass rausgegeben, der die Waffenbehörden anweist, bei nachgewiesener Reichsbürger-Identität zu sagen: Wir entziehen die Waffen, soweit es Waffen gibt. Das machen wir sehr konsequent seitdem. Wir müssen es gerichtsfest machen. Aber wir tun alles, zusammen mit den Waffenbehörden, damit der legale Waffenbesitz bei diesen Menschen, die diesen Staat nun mal nachweislich ablehnen, ein Ende hat.
Sie haben gesagt, Sie haben nichts gewusst von dieser Razzia und den Ermittlungen im Vorfeld. Haben Sie jetzt den Eindruck, dass genug geschieht? Der Generalbundesanwalt hatte versichert, die Demokratie in Deutschland sei zu keinem Zeitpunkt in Gefahr gewesen. Aber es gibt ja viele politische Stimmen, die sich Sorgen machen. Wie geht es Ihnen da?
Pistorius: Beides stimmt. Ich glaube, dieser konkrete Fall muss aufschrecken. Er muss allen - auch den letzten Zweiflern - klarmachen, dass wir es hier mit einer Szene zu tun haben, die nicht nur dummes Zeug erzählt und diesen Staat irgendwie ablehnt, sondern die bereit ist, auch sich selbst ins kriminelle Milieu zu begeben, Straftaten und Tötungsdelikte und Umsturz-Delikte zu begehen. Das muss man schon auf dem Schirm haben. Das ist gefährlich. Deswegen ist es völlig klar, dass wir da sehr wachsam sein müssen. Aber genau das haben die Sicherheitsbehörden in diesem Fall eben auch gezeigt. Wir haben akribisch ermittelt - über längere Zeit - und dann diesen konzertierten, sehr erfolgreichen Schlag durchgeführt.
Das Interview führte Ulrike Heckmann, NDR Info.