Stress in der Stadt - wie können wir unsere Psyche schützen?
Menschen in Großstädten sind unglücklicher als Menschen, die auf dem Land leben. Gründe für sogenannten Stadtstress gibt es viele - Wege, sich zu schützen, auch. Das noch junge Wissenschaftsfeld der Neurourbanistik erforscht sie.
Ein voller Bürgersteig. Menschen schieben sich mühsam aneinander vorbei. Sie wollen zum Einkaufen, ins Theater oder nach Hause - vorbei an blinkenden Schaufenstern und hupenden Autos. Für mehr als die Hälfte der Menschheit ist das normal. Alltag in einer Stadt.
Doch genau darunter leidet die Psyche: Menschen in Städten sind erwiesenermaßen unglücklicher als auf dem Land. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Andreas Meyer-Lindenberg, beschreibt es sogar als "Dosis-Wirkungsbeziehung: Je größer die Stadt, desto unglücklicher die Menschen".
Deutlich höheres Risiko für Depressionen
Tatsächlich sind psychische Belastung und Stadtleben miteinander verknüpft. "Das Risiko für Depressionen ist anderthalbmal so groß, wenn man in der Stadt lebt, im Vergleich zum Leben im ländlichen Raum", erklärt der Stressforscher und Psychiater Mazda Adli. Er ist Leiter des Forschungsbereichs affektive Störungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin. Auch Angsterkrankungen und Schizophrenie kommen in der Stadt doppelt so oft vor.
Neurourbanistik beschäftigt sich mit Stadtstress
Doch woran liegen der vermehrte Stress und das höhere psychische Erkrankungsrisiko? Denn eigentlich haben Städte viele gesundheitliche Vorteile: Die medizinische Versorgung ist umfangreicher als die auf dem Land, Menschen ernähren sich gesünder und machen mehr Sport. Trotzdem leidet die Psyche.
Das wollten Mazda Adli und seine Kolleginnen untersuchen und gründeten vor einigen Jahren ein neues Forschungsfeld. Es nennt sich Neurourbanistik und bewegt sich zwischen verschiedenen Disziplinen: Beteiligt sind Medizin, Psychologie, Gesundheit, aber auch Stadtplanung, Architektur, Sozialwissenschaften, Geografie, und die Philosophie. Sie beschäftigen sich mit Stadtstress und damit, wie eine gesunde Stadt von morgen aussehen könnte.
Lärm, Reizüberflutung: Empfindliche "Stressantennen" im Gehirn
Eine wichtige Erkenntnis ist, dass Stress bei Stadtmenschen anders verarbeitet wird. Stressverarbeitende Areale im Gehirn reagieren empfindlicher. Schuld daran ist die Menge an Reizen, die in der Stadt konstant auf uns einwirken: vorbeifahrende Autos, Werbetafeln, Geschäfte, Fahrradfahrer oder Ampeln. Das bedeutet, die "Stressantennen“, wie Mazda Adli sie nennt, erfüllen eine wichtige Funktion: Sie lassen uns achtsamer sein. Gleichzeitig können sie zu Eingangspforten für psychische Erkrankungen werden.
Fehlender Rückzugsraum und Einsamkeit
Es gibt viele Faktoren, die Stadtstress auslösen können. Besonders belastend sind soziale Faktoren wie fehlender Rückzugsraum oder soziale Isolation. Wenn nicht ausreichend Wohnraum vorhanden ist und es keine Rückzugsmöglichkeit gibt - weder im öffentlichen noch im privaten Raum -, dann bedeutet das Stress. Und obwohl in Deutschland der durchschnittliche Wohnraum pro Person zugenommen hat, leben etwa zehn bis zwölf Prozent auf engem und kleinem Raum. Das macht öffentliche, nicht kommerzielle Räume noch wichtiger. Als Rückzugsraum, aber auch als Begegnungsstätte.
Mehr als 40 Prozent fühlt sich einsam in der Stadt
Denn auch soziale Isolation in Form von Einsamkeit ist ein entscheidender Faktor für psychische Belastung im städtischen Raum. Denn obwohl man sich konstant mit vielen Menschen umgibt, fühlen sich laut des Sozio-ökonomischen Panels 2021 (SOEP) mehr als 40 Prozent der Deutschen einsam - insbesondere in Großstädten. Die Zahl ist nach der Corona-Pandemie wieder gesunken - in der Tendenz jedoch steigend.
Stadtleben: Mehr Menschen - weniger positive Interaktionen
Der Unterschied besteht laut Andreas Meyer-Lindenberg besonders in der Art der Begegnungen, die man in der Stadt hat: "In der Stadt ist die Packungsdichte an Menschen erhöht. Man sieht mehr Menschen, aber man hat trotzdem weniger positive Interaktionen", sagt der Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim. "Auf dem Land hingegen sieht man weniger Menschen, hat aber trotzdem häufiger positiv wahrgenommene Unterhaltungen - weil man die Leute eben eher kennt und sie Interesse an einem zeigen."
Wenig Natur und Pflanzen - dabei aktivieren sie die Stressregulierung
Weitere starke Belastungsfaktoren sind, wenn zu wenig Natur und Pflanzen im Alltag vorhanden sind. Auch zu viel Verkehrslärm oder Feinstaub sind schädlich. Stressregulierende Areale arbeiten unter Einfluss der Natur besser. Ein paar Bäume reichen schon aus, um diese Areale zu aktivieren. Es wurde auch nachgewiesen, dass genau diese Bereiche im Gehirn bei hoher Feinstaubkonzentration langsamer arbeiten, Stress also schwieriger zu verarbeiten ist.
Wichtig: Resilienz aufbauen
Doch es gibt Möglichkeiten, sich zu schützen. Andreas Meyer-Lindenberg betont, wie wichtig es ist, Resilienz aufzubauen und vorhandene Ressourcen zu nutzen. Man kann zum Beispiel den etwas grüneren Weg zur Arbeit nehmen, der mehr Bäume hat. Denn schon allein das Sehen von Natur und Grün hilft, selbst aus dem Augenwinkel. Der Hauptentspannungseffekt scheint visuell zu sein, gegen Stress helfen können aber auch Handlungen, die allgemein resilienzfördernd sind. Etwa ein wertebasiertes Leben oder die Stärkung von Selbstwirksamkeit.
Städte menschenfreundlicher gestalten
Selbst resilienter zu werden, kann also helfen. Doch ebenso wichtig ist es, dass auf planerischer Ebene etwas passiert. Städte müssen menschenfreundlicher gestaltet werden. Es brauche mehr Grün, mehr Kultur und mehr Begegnungsflächen, meint Mazda Adli: "Eine Nachbarschaft muss so gestaltet sein, dass die Menschen gern vor die Haustür gehen."
Es braucht also Räume, die Menschen zusammenbringen. Orte der Begegnungen die öffentlich, grün und nicht kommerziell sind. Das muss kein großer Park sein, auch ein kleiner Taschenpark, eine Ansammlung von Bäumen oder ein Blumenbeet hilft.
"Seeing green" am UKE in Hamburg
"Seeing Green", Grün sehen, heißt eine Arbeitsgruppe am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, UKE, die sich mit gesundheitsfördernder Umgebung beschäftigt. Jürgen Gallinat ist Klinikdirektor der Psychiatrie und Psychotherapie und Mitleiter der Gruppe. Ein wichtiges Projekt ist der Neubau einer psychiatrischen Klinik. Gerade da besteht eine besondere Verantwortung im Hinblick auf die Frage: Was ist eine heilsame Umgebung?
Untersucht und berücksichtigt werden eine Reihe von Faktoren, etwa wie die Inneneinrichtung ein Gegenmittel zu Stress werden kann, aber auch die Umgebung des Krankenhauses. Ein Ergebnis war, dass innerhalb einer eher rundlichen Umgebung zum Beispiel die kognitive Leistungsfähigkeit besser war und auch das Gefühl sich erholen oder entspannen zu können, war stärker ausgeprägt.
Mehr Grün = weniger Schmerzmittelbedarf
Die Umgebung soll, wie kann es auch anders sein, grün werden. Grund dafür ist eine Studie: Es konnte gezeigt werden, dass diejenigen, die in ihrem Krankenzimmer auf eine Grünfläche oder auf Wald geblickt haben, einen kürzeren Aufenthalt und weniger Schmerzmittelbedarf hatten. Auch sonst waren sie zufriedener als diejenigen, die aus ihrem Krankenzimmer zum Beispiel auf ein anderes Gebäude geguckt haben.
Während die Neurourbanistik weiter daran forscht, wie Städte stressfreier gestaltet werden können, ist ein Blick ins Grüne oder der Spaziergang im Park unbedingt zu empfehlen.