Pegel: Aufenthaltsrecht ukrainischer Männer gilt unverändert
Ukrainische Männer im wehrdienstfähigen Alter zwischen 18 und 60 Jahren müssen laut geltender Gesetzeslage derzeit nicht um ihr Aufenthaltsrecht hierzulande fürchten. Das sagte Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) im NDR Info Interview.
Hintergrund ist die Sorge vieler aus der Ukraine geflüchteter Männer, im Zuge der militärischen Mobilisierungskampagne ihres Heimatlandes zum Kriegsdienst verpflichtet zu werden. Die Ukraine klagt über zu wenig Soldaten, die im Kampf gegen Russland eingesetzt werden können - und will jetzt gegensteuern. So wurde etwa das Mindestalter für Soldaten, die an der Front kämpfen können, bereits von 27 auf 25 Jahre abgesenkt. Am Wochenende sollen im Zuge der Kampagne neue Gesetze in Kraft treten. Aus Äußerungen von mehreren Unionspolitikern ist rauszuhören, dass sie sich vorstellen könnten, die Ukraine bei ihrem Werben um die Rückkehr der wehrfähigen Männer in die Heimat zu unterstützen.
Herr Pegel, wie ist Ihre Haltung in dieser Frage: Könnte und sollte Deutschland versuchen dazu beizutragen, dass diese Menschen freiwillig wieder zurückgehen und der Ukraine als Soldaten im Krieg gegen Russland zur Verfügung stehen?
Christian Pegel: Ich verstehe das, was die Kolleginnen und Kollegen anregen, eher als moralische Appelle. Moralische Appelle können gerne erfolgen, juristisch sind wir da relativ klar: Diejenigen, die aus der Ukraine zu uns kommen, haben einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel, den haben sie ja auch bekommen. Übrigens: Die Zahl der Männer über 18 Jahren - und auf die gucken wir in diesem Zusammenhang ja in erster Linie - ist dann auch noch mal deutlich kleiner. Bei uns in Mecklenburg-Vorpommern haben etwa 25.000 Menschen Zuflucht gesucht - und circa 5.500 von ihnen sind männlich und über 18. Vor dem Hintergrund glaube ich, dass die Gruppe, auf die abgezielt wird, auch kleiner ist. Wir werden in Deutschland auf jeden Fall nicht die Möglichkeiten haben, die Wehrpflicht anderer Länder durchzusetzen. Sondern wir gehen mit unseren europäischen und deutschen Regeln um. Und die heißen: Diejenigen haben, solange der Krieg dort andauert und solange die Beschlüsse der EU das hergeben, einen entsprechenden Aufenthaltsanspruch.
Ukrainische Männer im Wehrpflicht-Alter, die hierher geflüchtet sind, können - ebenso wie Frauen und Kinder - aus humanitären Gründen legal bei uns sein - zumindest vorerst noch bis März kommenden Jahres. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat aber durchklingen lassen, dass diese Regelung die ukrainische Verteidigungsfähigkeit schwächen könnte - eben weil die Männer in der Heimat fehlen. Gehen Sie da mit?
Pegel: Ich glaube, dass wir mit unseren Regeln - und das gilt für den bayerischen Kollegen genauso wie es für mich in Mecklenburg-Vorpommern - umzugehen haben. Die Regeln besagen klar: Wer Schutz vor dem Kriegsgeschehen sucht und im Rahmen dieser "Massenflucht-Richtlinie" der Europäischen Union sich bewegt, der hat bei uns einen Anspruch. Wenn man da ran wollte, müsste man - soweit ich es übersehe - vor allen Dingen zunächst europarechtlich ran und dann hinterher auch im Bundesrecht. Und ich habe den Eindruck, dass auch unsere Nachbarländer - Polen zum Beispiel ist ja ebenfalls ein sehr großes Aufnahmeland - diese Diskussion so nicht führen. Und deswegen kann ich mir auch europäisch keine Änderung vorstellen.
Ihr bayerischer Kollege Herrmann nennt das Bürgergeld, das die Männer hier bekommen, eine Art "Prämie für Wehrdienstflüchtlinge". Und der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter regte im Redaktionsnetzwerk Deutschland an, für Betroffene die Bürgergeld-Zahlung auszusetzen. Wie klingt das in ihren Ohren?
Pegel: Auch da haben wir klare Regeln: Wenn man darüber diskutieren möchte, ob man sagt, diejenigen, die wirtschaftlich leistungsfähiger sind, sollen ab einem gewissen Zeitpunkt ihren Lebensunterhalt stärker aus eigenen Möglichkeiten herrühren, dann gilt das aber, glaube ich, unabhängig von Alter oder Geschlecht. Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass wir bei einer Bürgergeld-Auszahlung dann zunächst prüfen, ob jemand nach dem Recht eines anderen Staates Wehrpflicht-fähig wäre - und natürlich auch wehrtauglich. Sie müssten dann eine Menge Regelungen mit abprüfen, bevor sie sagen, dass jemand tatsächlich unter diese Regelung fällt. Wir werden nicht die Wehrpflicht anderer Länder umsetzen und durchsetzen können.
Eine Anfrage aus der Ukraine an Deutschland, die Männer zurückzuschicken oder sie dazu aufzufordern, gibt es bisher nicht. Was aber, wenn die kommt?
Pegel: Dann würde sich die Bundesregierung dem annehmen. Ich habe verstanden - die Diskussion war ja schon mal aufgebrochen vor einem Vierteljahr -, dass zumindest das Bundesjustizministerium da auch Zurückhaltung geäußert hat bei der Frage, ob man zum Beispiel dann strafrechtlich unterstützt. Aber auch dann gilt: Diejenigen, die nach europäischem Recht zu uns kommen nach so einem Massenflucht-Fall, haben einen Anspruch. Vor diesem Hintergrund: All das, was man diskutiert, müsste man erst mal ins europäische Recht hineingehen. Und auch da sehe ich momentan keine Mehrheiten, substanziell etwas zu ändern. Aber noch mal: Ich sehe uns auch technisch, medizinisch nicht in der Lage, dass wir das alles abprüfen, was man dann dafür abprüfen müsste, ob jemand wehrfähig, wehrtauglich, wehrpflichtig ist.
Ein Versuch, ukrainische Männer zurück in die Heimat zu holen, ist ganz offensichtlich auch eine Änderung im Passwesen: Ihre Reisepässe, die ablaufen, können nicht mehr in Deutschland verlängert werden. Erst wenn sich die Männer in ihrer Heimat wehrtauglich melden, bekommen sie neue Pässe - dürfen dann aber nicht mehr legal ausreisen. Eine Zwickmühle also. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Betroffenen schon die Angst genommen: Das Aufenthaltsrecht in Deutschland sei auch durch eventuell ungültige Pässe nicht gefährdet, wenn sie hier arbeiten. Die Betroffenen wünschen sich aber offizielle Erklärungen und Regelungen. Was sagen Sie als Minister den ukrainischen Männern in Mecklenburg-Vorpommern?
Pegel: Also zunächst reicht, wenn ich eine entsprechende Anerkennung nach dem Aufenthaltsgesetz habe, der entsprechende Aufenthaltstitel, um mich hier in Deutschland zu bewegen. Zweitens gehe ich davon aus, dass für eine Rückreise in die Ukraine jederzeit von Konsulat auch Passersatzpapiere ausgestellt würden. Also: Wenn jemand den Weg zurück wählen will, wird der mit Sicherheit nicht dadurch verstellt sein. Aber innerhalb Deutschlands kommt es nicht zwingend auf den gültigen wirksamen Pass aus der Ukraine an. Manche, die sehr hektisch vor den Kriegsgeschehnissen geflohen sind, und zwar egal welchen Alters, egal welchen Geschlechts, haben ja zum Teil auch jetzt keine Papiere bei sich. Für uns geht es um den Aufenthaltstitel, mit dem ich in Deutschland mich bewegen kann. Also für den Aufenthalt hier ist das erst mal keine Herausforderung. Aber natürlich erstens für Rückreisen - dann würde ihnen das Konsulat aber helfen. Wenn ich dann aber hin und her reisen will, werde ich mit Sicherheit mit den ukrainischen Behörden in Schwierigkeiten kommen. Und da wird man dann umgekehrt sagen müssen: Auch unser Wehrrecht hat da sehr klare Regeln. Wenn wir eine Situation wie in der Ukraine hätten, ganz im Konjunktiv gesprochen, würden auch wir jeden, der im wehrfähigen Alter ist, hier entsprechend einbinden.
Sollten den Betroffenen denn von den deutschen Behörden Ersatz-Passdokumente ausgestellt werden? Ist das aus Ihrer Sicht eine Möglichkeit?
Pegel: Nein, die Frage stellt sich momentan nicht, weil wir unsererseits ja nur sicherstellen müssen, dass innerhalb Deutschlands jemand sich entsprechend bewegen kann. Das tun wir über den Aufenthaltstitel und die entsprechenden damit verbundenen Dokumente, die ausgehändigt werden. Die genügen für uns. Dass wir jetzt anfangen, in Größenordnungen Passersatzpapiere der Ukraine auszustellen, ist für unsere Situation hier in Deutschland zumindest nicht erforderlich. Und dann bleibt umgekehrt ja immer noch die Möglichkeit, eben auch die Ausweispapiere des Heimatlandes zu bemühen. Wir werden jetzt auch nicht diejenigen sein, die alles an Ersatzleistungen liefern können, damit jemand sich weiterhin entziehen kann. Das wiederum kann auch nicht unsere Aufgabe sein.
In dieser Woche haben wir mit einem geflüchteten Ukrainer gesprochen, der uns von seinen Erlebnissen an der Front und der Angst um sein Leben erzählt hat. Er möchte auf keinen Fall zurück in den Krieg. Herr Pegel, man kann Menschen ja nicht zwingen, zu kämpfen. Es gibt also auch eine menschliche Komponente in dieser Frage: In Deutschland sind die geflüchteten Wehrpflichtigen sicher - in der Ukraine riskieren sie gegebenenfalls ihr Leben. Wie gehen Sie als Politiker mit diesem Dilemma um, wenn eine Entscheidung her muss?
Pegel: Ich sehe momentan nicht, welche Entscheidung in Deutschland dabei her müsste. Da müssten Sie mir helfen, was sie dabei genau vor Augen haben. Ich würde es mal umgekehrt formulieren: Auch in Deutschland und im Übrigen auch in den europäischen Nachbarländern haben wir Regeln. Wenn wir eine ähnliche Situation hätten, würden wir gleichermaßen auch über Mobilisierungen uns bemühen, unsere Wehrhaftigkeit zu erhalten. Von daher ist das staatliche Interesse für mich durchaus nachvollziehbar. Und an der Stelle: Ja, Krieg ist immer etwas ganz, ganz Bitteres. Deswegen wünschen wir uns alle, dass sich diese Situation möglichst schnell verändert. Ich glaube auch, dass da alle Kraft reinstecken wollen und sollen. Aber ich glaube auch nicht, dass wir jetzt umgekehrt sagen können, wir lösen alle diese Schwierigkeiten auf. Das können wir von Deutschland aus momentan nach meiner Einschätzung nicht. Die Regeln der Ukrainer sind, glaube ich, unseren nicht so unähnlich, wenn wir in einer ähnlichen Situation stecken würden. Und umgekehrt: Für unsere aufenthaltsrechtlichen Fragen ist alles mit europäischem Recht geklärt.
Das Interview führte Uli Petersen.