Offene Kinder- und Jugendarbeit im Visier rechter Bedrohung
Hakenkreuze, Vandalismus und Hetze im Internet: Immer häufiger werden Einrichtungen offener Kinder- und Jugendarbeit das Ziel rechter Angriffe. Auch in Norddeutschland spitzt sich die Lage zu.
"Es ist eigentlich ein Angriff auf die Demokratie, die Meinungsfreiheit und die Vielfalt." Martin Karolczak hält sichtlich bewegt die letzten Überreste der rechten Tat auf dem Bauspielplatz Hexenberg in Hamburg-Altona vor ein paar Wochen in den Händen: ein mit Gewalt herausgerissenes kleines Stück der Holzfassade, in der nun ein Loch klafft. Er ist der Geschäftsführer der Gemeinwesenarbeit (GWA) St. Pauli, die den Bauspielplatz betreibt - ein Ort, der sich an alle Kinder und Jugendliche, unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung richten soll.
Hexenberg: Versuchter Einbruch und Vandalismus
Unbekannte Täter haben in der Nacht vom 17. auf den 18. Mai offensichtlich versucht, in das Gebäude einzubrechen, haben mit Holzpflöcken eines Blumenbeets ein Hakenkreuz vor den Eingang gelegt und ein Sonnensegel gestohlen. Was bleibt, ist die Erschütterung.
"Wir wollen den Kindern und Familien einen sicheren Ort bieten. Das ist so nicht möglich", sagt Karolczak. Unbekannte haben die Holzfassade der Einrichtung mit feindlichen Parolen beschmiert, darunter "Jeder soll machen, was es will, nur nicht mit Kindern" - eine klare Botschaft gegen das diversitätsorientierte Konzept mit Fokus auf queersensible Arbeit, das der Hexenberg verfolgt.
Freizeitangebot für nicht-binäre und Trans-Kinder
Einmal im Monat wird hier ein Freizeitprogramm für Kinder zwischen 8 und 14 Jahren angeboten, die sich zum Beispiel nicht in das traditionelle Geschlechtersystem einordnen. Das hat den Hexenberg in das Visier von rechten Akteuren rücken lassen. Dazu beigetragen hat ein Bericht der russischen Propagandaplattform "Russia Today". Eine Frage geht Karolczak aber nicht aus dem Kopf: "Was kommt noch?"
Schuhmacher: "Der Druck steigt"
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendarbeit sowie Forschende warnen, dass Angriffe auf Einrichtungen der Kinder- und Jugendsozialarbeit in Deutschland zunehmen. So auch Nils Schuhmacher, Professor für Kriminologie an der Universität Hamburg. Er hat 2021 die erste deutschlandweite Studie vorgelegt, nun folgt die nächste. Konkrete Zahlen können nicht genannt werden, weil die Dunkelziffer hoch ist - viele Angriffe werden nicht angezeigt. Eines stehe aber laut Schuhmacher fest: "Der Druck steigt."
In den letzten Jahren wären Bedrohungen rechter Akteure auf die Sozialarbeit mit Kindern und Jugendlichen immer intensiver und systematischer geworden - mit der AfD als Push-Faktor. Schon seit Jahren versucht diese mit kleinen Anfragen die Förderung der Einrichtungen infrage zu stellen und ihnen die Legitimierung abzusprechen. Das Ziel: Kontrolle und Einschüchterung.
Die Botschaft: "Wir sehen euch und wir kommen zu euch"
"Um in den Fokus solcher Angriffe zu geraten, gehört eigentlich nicht viel dazu", macht Schuhmacher deutlich. Es reiche schon, sich für Vielfalt einzusetzen und sich für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Zum einen wollen die Akteure laut Schuhmacher mit ihren Taten die Einrichtungen "markieren". Zum anderen wollen sie eine bestimmte Botschaft senden: "Wir sehen euch und wir kommen auch zu euch, wenn ihr nicht aufpasst".
Unwohles Gefühl bei Sozialarbeitern
Für Rico Vtelensky, Sozialarbeiter am derzeit geschlossenen "Demokratiebahnhof" in Anklam, beginnt aus diesem Grund jeder Tag wie folgt: "Ich fange an zu gucken: Ist was passiert? Wurde was angegriffen? Ist hier irgendetwas am Gebäude?" Auch diese Einrichtung der offenen Kinder- und Jugendarbeit in Mecklenburg-Vorpommern wurde bereits zum Ziel von Angriffen: Einbrüche, Graffiti mit Hakenkreuzen, ein Brandanschlag.
Bevor Vtelensky morgens ankomme, spüre er stets ein unwohles Gefühl. Der Druck auf Jugendclubs sei deutlich zu spüren. Er wolle sich aber nicht einschüchtern lassen - vor allem, weil es gerade im ländlichen Gebiet kaum eigene Räume für Jugendliche gebe.
Demokratieangebote in Gefahr
Neben dem ländlichen Raum seien auch Einrichtungen in Ostdeutschland laut Schuhmacher noch anfälliger für die Einflussnahme rechter Akteure, was eine ernstzunehmende gesellschaftliche Bedrohung darstelle. Wenn diese Orte der Kinder- und Jugendsozialarbeit schließen, würde es auf lange Sicht in diesen Kommunen zu massiven Problemen kommen bei der Frage: Wie soll sich noch eine demokratische Gesellschaft bilden?
Für Vorstandsmitglied Tino Nicolai sei der "Demokratiebahnhof" in Anklam deshalb nicht nur ein Ort der Freizeitgestaltung, sondern auch des demokratischen Engagements. "Weil jede Arbeit mit jungen Menschen und zwar dort, wo sie sich freiwillig aufhalten, da wo sie selbstbestimmt sind, auch ein kleines Stück Demokratiearbeit ist", hebt er hervor. Damit zeige man jungen Menschen, dass es Orte gibt, an denen sie mitbestimmen können. Politische Entscheidungen gegen die Jugendarbeit würden demokratiebildende Angebote gefährden.
Gegenseitige Verstärkung der Hetze
In Zukunft werde sich die Lage laut Schuhmacher aber sogar noch zuspitzen, die Hetze verstärke sich gegenseitig. Die jetzigen Angriffe und Interventionen von rechts sollen ein noch größeres Potenzial haben, die "fragile Struktur" der offenen Kinder- und Jugendarbeit sehr viel dauerhafter zu beschädigen.
Für Sozialarbeiter Vtelensky aus Anklam sei es darum wichtig, sich durch "rechte Ideologien" nicht in der Jugendarbeit beeinflussen zu lassen, bei Angriffen immer in die Öffentlichkeit zu gehen und sich Unterstützung zu suchen.
Karolczak: "Wir wollen anderen Mut machen"
So auch beim Vorfall in Hamburg-Altona: Martin Karolczak und sein Team vom Bauspielplatz Hexenberg wollen sich von den Angriffen nicht unterkriegen lassen. Sie haben sich externe Beratung geholt, sich noch stärker untereinander vernetzt und sich klar gegen rechte Hetze und Diskriminierung positioniert. "Wir wollen anderen Mut machen und wir wollen darauf hinweisen, dass das passiert, dass man da nicht drüber hinweg guckt. Und wir wollen uns auch nicht verängstigen lassen, sondern sagen: Nein, wir machen das." Das klare Zeichen nach innen und außen: Es geht weiter - gemeinsam.