Corona-Podcast mit Medizinerin Falk: "Unsere Immunität trägt sehr gut"
In der aktuellen Erkältungssaison zirkuliert Corona nur noch als ein Virus unter vielen. Über Boostern und Maske bestimmt jeder selbst. Gut so, sagt die Immunologin Christine Falk. Im Podcast Coronavirus-Update von NDR Info spricht sie auch über die Impfempfehlung für den Herbst, neue Virusvarianten und möglicherweise überschätzte Long-Covid-Zahlen.
Vor einem halben Jahr liefen die letzten Corona-Schutzmaßnahmen in Deutschland aus. Anfang Mai hob die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die internationale Gesundheitsnotlage auf. Nun, im ersten "Nach-Corona-Herbst", schätzen Experten die Lage trotz zwischenzeitlich wieder steigender Sars-CoV-2-Infektionen einhellig als stabil ein.
Falk: "Unsere Immunität trägt sehr gut"
"Unsere Immunität trägt sehr gut", sagt Christine Falk, Leiterin des Instituts für Transplantationsimmunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), in der neuen Folge des Coronavirus-Update: "Das Virus reiht sich ein in andere Atemwegserreger, löst aber keine schweren Verläufe aus. Das war das Ziel." Dies sei Ergebnis der Tatsache, dass viele Menschen in Deutschland dreifach geimpft sind beziehungsweise mittlerweile zwei bis drei Infektionen hinter sich haben.
Ob die Situation so entspannt bleibt, hänge nun davon ab, wie groß der Lerneffekt aus der Pandemie ist, sagt Falk: "Ob die Leute sich klug verhalten und eine Maske aufziehen, wenn sie erkältet sind und trotzdem zur Arbeit kommen. Wenn die Aufmerksamkeit dafür da ist, können wir das gemeinsam gut hinkriegen - so ein Schutz hilft ja auch gegen andere Viren, die man sich über den Nase-Rachen-Raum einfangen kann."
RKI: Covid-19-Dynamik scheint sich zu verlangsamen
Welche Viren gerade zirkulieren, darüber gibt der wöchentliche Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI) zu akuten respiratorischen Erkrankungen (ARE) Auskunft. Aus der aktuellen Erhebung zur Kalenderwoche 39 (25. September bis 1. Oktober) geht hervor, dass Rhinoviren, die vor allem Schnupfen und Halsweh auslösen, mit 28 Prozent aller gemeldeten ARE-Fälle an der Spitze liegen. Dahinter folgen Sars-CoV-2 mit 14 Prozent und Parainfluenzaviren (grippeähnliche Symptome) mit 6 Prozent.
Der Anstieg der Covid-19-Fälle scheine sich bereits wieder zu verlangsamen, stellt das RKI mit Blick auf Vergleichszahlen aus den beiden Vorwochen fest. Bei den Statistiken zu Covid-19 ist mittlerweile zu beachten, dass die tatsächlichen Fallzahlen deutlich höher liegen dürften als die gemeldeten. PCR-Tests werden meist nur noch bei schwereren Verläufen gemacht. Auch das Erbgut der Viren wird seltener auf neue Varianten untersucht.
Virusvarianten: Eris prominent - Pirola bislang selten
In knapp der Hälfte der sequenzierten Fälle in der RKI-Statistik wurde die relativ neue Virusvariante EG.5 (auch: Eris) nachgewiesen. Der Subtyp BA.2.86 (Pirola), der wegen der schieren Anzahl von Mutationen auf dem Spike-Protein bereits zu erhöhter Wachsamkeit geführt hat, scheint sich hier vorerst nicht durchzusetzen. Ganze vier Fälle wurden seit Ende August in Deutschland bestätigt.
Falk: Antikörper wie Kaugummi im Schlüsselloch
Beide Varianten gehören, ebenso wie die bereits seit Mai weltweit zirkulierenden XBB.1-Varianten, zur großen Omikron-Familie. Entwickelt sich das Virus in diesem Verwandtschaftsverhältnis weiter, sollte die Lage vermutlich weitgehend unter Kontrolle sein. So sagt zum Beispiel die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek: "Solange es Omikron bleibt, bin ich relativ entspannt."
Warum Experten zu dieser Einschätzung kommen, verdeutlicht Christine Falk mit einer Schlüssel-Metapher: Das Spike-Protein des Coronavirus könnte Zellen ohne weiteres öffnen, um sie zu infizieren. Doch unser Immunsystem konnte im Laufe der Pandemie einen Einbruchschutz aufbauen. Eine Barriere in Form von - durch Impfung oder Infektion erworbenen - neutralisierenden Antikörpern. "Diese Antikörper verkleben den Bart des Schlüssels wie Kaugummi", erklärt Falk.
Die neuen Omikron-Varianten und Sublinien haben sich wenig verändert, "als hätte man nur ein bisschen an dem Bart rumgefeilt, damit er wieder ins Schlüsselloch passt". Vorteil immunisierter Mensch: Die einmal gebildeten Antikörper wirken am Bart des Schlüssels vielleicht nicht mehr stark genug, um die Infektion zu verhindern. Sie sitzen aber weiterhin an Stiel und Griff des Schlüssels und helfen an anderer Stelle dabei, den Eindringling abzuwehren.
Antikörper gehen zurück - Gedächtniszellen bleiben
"Ja, unsere Antikörper gehen mit der Zeit runter", sagt Falk, "aber sie sind nicht weg. Unsere Gedächtniszellen sind 'ready to go', wenn noch mal ein Virus kommt. Und ein Gedächtnis gilt mit drei Impfungen plus Infektion als gut angelegt." Bei Omikron-Varianten gibt es bislang keine Hinweise auf eine generelle Immunflucht: "Diese Schutzwall-Funktion wollten wir haben und es ist gut zu sehen, dass sie offensichtlich trägt."
Booster-Empfehlung: Ü60 und Risikopatienten
Weil das Virus hierzulande auf viele grundimmunisierte Menschen trifft, hält Falk auch die aktuelle Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) für angemessen. Einen Booster, der an den weit verbreiteten Omikron-Abkömmling XBB.1.5 angepasst ist, sollten sich demnach vor allem über 60-Jährige und Risikopatienten abholen, wenn möglich auch zusammen mit einer Grippeschutzimpfung.
"Ich möchte, dass die Leute wieder selber entscheiden können"
Für Kinder oder beispielsweise Schwangere spricht die Stiko keine generelle Booster-Empfehlung aus. "Sie sagt aber auch nicht, dass man sich nicht impfen lassen soll", betont Falk. Wie beim Masketragen vertraut sie auch hier auf Empowerment, also auf Selbstverantwortung im Leben mit dem Virus. "Ich möchte, dass die Leute wieder selber entscheiden können, weil ich glaube, dass man dann gesellschaftlich solche Dinge sehr viel besser mittragen kann, als wenn einem das von außen gesagt wird.“ Heißt konkret: Jeder sollte - unter Hinzuziehen seiner Ärztin oder seines Arztes - eine individuelle Entscheidung treffen.
Nutzen der Impfung ist belegt
"Epidemiologisch und immunologisch ist der Nutzen der Impfung belegt", sagt Falk. Untersuchungen zeigten, dass das Immunsystem geimpfter Menschen nicht so viele frische Abwehrzellen "verbrauchen" müsse, um die Eindringlinge abzuwehren. "Jüngere können einen Pool an sogenannten naiven Zellen wieder aufbauen, bei älteren Menschen stellt das Knochenmark nicht mehr so viele neue Zellen her", sagt Falk.
Wer noch ungeimpft ist, für den beschreibt sie die Auseinandersetzung mit dem Virus weiter als "substanziell". Omikron könne in Ungeimpften noch schwerere Verläufe auslösen.
Risiko für Long Covid überschätzt?
Interessante Daten gibt es inzwischen zu den insgesamt noch wenig erforschten Corona-Folgen Long Covid und Post Covid. So deutet einiges darauf hin, dass das Risiko für Langzeitfolgen nicht nur durch eine Impfung, sondern auch unter dem Omikron-Einfluss zurückgeht. Falk verweist auf eine Erhebung der AOK Niedersachsen, die sich Meldungen über Arbeitsunfähigkeit mit der Diagnose Long Covid angeschaut hat. Diese Quote lag bei ungefähr zehn Prozent, bevor es die Impfung gab. Am Verlauf der Daten lässt sich demnach ablesen, dass später der Anteil Geimpfter mit Long-Covid-Diagnose zurückging - und noch stärker, als Omikron und die Impfung zusammen auftraten. Es gebe auch keine Belege dafür, dass das Risiko für Long Covid mit jeder neuen Infektion steige, so Falk.
Wellen schlug vor Kurzem eine Analyse für das "British Medical Journal". Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass das Risiko für Long Covid und Post Covid aufgrund methodischer Mängel in Studien überschätzt werde. So fehlten häufig repräsentative Kontrollgruppen ohne Corona-Erkrankung, Auswahl und Definition von Symptomen seien nicht einheitlich.
Falk: Menschen mit Langzeitfolgen ernst nehmen
Falk stimmt dieser Einschätzung rein quantitativ zu: "Die Arbeit legt den Finger in die Wunde. Es ist aber ein fast unlösbares Problem, denn inzwischen haben wir keine Vergleichsgruppen mehr. Es gibt nur noch wenige, die sich noch nicht infiziert haben und nicht geimpft sind - und wenn, dann würden sie sich für Studien wahrscheinlich nicht zur Verfügung stellen", sagt die Immunologin.
Falk hält es für wichtig, dass wirklich schwere Fälle von Patienten mit leichteren Symptomen unterschieden und auch anders therapiert werden. Denn - das weiß sie aus der MHH-Spezialambulanz in Hannover aus erster Hand: Menschen mit gravierenden Langzeitfolgen einer Corona-Infektion gibt es. "Und ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass wir diese Leute nicht ernst nehmen."