Maske? Boostern? - Fragen und Antworten zum Corona-Herbst
Die Erkältungssaison ist in vollem Gange - mit dem Coronavirus als einem von vielen Atemwegserregern. Maske tragen, Abstand halten, Boostern: Welche Verhaltensregeln sind noch oder wieder sinnvoll?
Wie ist die Corona-Lage?
Das Coronavirus zirkuliert im Herbst als eines von vielen Viren, die die oberen Atemwege befallen. Laut Wochenbericht des Robert Koch-Instituts (RKI)zu akuten respiratorischen Erkrankungen (ARE) beherrschten in der Kalenderwoche 39 (25. September bis 1. Oktober) Rhinoviren das Infektionsgeschehen. Auf die Erreger, die vor allem Schnupfen und Halsweh verursachen, entfielen 28 Prozent aller gemeldeten ARE-Fälle. Dahinter folgen Sars-CoV-2 mit 14 Prozent und Parainfluenzaviren (grippeähnliche Symptome) mit 6 Prozent.
Welcher Trend ist aus den RKI-Statistiken abzulesen?
Das RKI registrierte seit Anfang Juli eine Zunahme der Corona-Erkrankungen. "Allerdings scheint sich die Dynamik für Covid-19 zu verlangsamen", heißt es im Wochenbericht. Experten gehen davon aus, dass es im Herbst/Winter wieder mehr Corona-Erkrankungen geben wird. Auch die Weltgesundheitsorganisation hat vor einer steigenden Zahl von Sars-CoV-2-Fällen gewarnt.
Wie zuverlässig sind die Zahlen zu Corona-Infektionen?
Nicht zuverlässig. Die tatsächlichen Fallzahlen dürften deutlich höher liegen als die erfassten (7-Tage-Inzidenz am 8. Oktober: 10 Fälle pro 100.000 Einwohner). PCR-Tests werden meist nur noch bei schwereren Verläufen gemacht. Zudem wird das Genom der Viren seltener sequenziert. Damit sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, neue Virusvarianten frühzeitig aufzuspüren.
Auch in Krankenhäusern sind Covid-Fälle meistens sogenannte Sekundärbefunde. "Viele sind einfach mit Corona im Krankenhaus, weil sie wegen anderer medizinischer Probleme aufgenommen werden. Die wenigsten sind wegen Corona im Krankenhaus", sagte der Intensivmediziner Stefan Kluge Anfang September.
Wie schätzen Experten die Corona-Lage ein?
Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité sagte Anfang Oktober der "Zeit": "Die Pandemie ist beendet, der globale Gesundheitsnotstand vorbei. Nicht weil das Virus weg ist, sondern weil die Immunität da ist." Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, urteilt: "Wir haben es eigentlich geschafft. Wir sind in der endemischen Phase. Aber wir sind immer noch nicht auf dem Schnupfen-Niveau, wir sind auf dem Grippe-Niveau."
Auf Intensivstationen wird in den kommenden Monaten lediglich mit einzelnen Fällen schwer kranker Corona-Patienten gerechnet. Die Situation ist nicht annähernd vergleichbar mit Spitzenwerten aus Pandemiezeiten, als bis zu 6.000 Corona-Infizierte gleichzeitig versorgt werden mussten.
Entspannt ist die Lage auf den ITS dennoch nicht: Rund 25 Prozent der Betten sind wegen Pflegemangels gesperrt. Auch auf Normalstationen stellt die Isolierung von Patienten die Krankenhäuser während der Infektsaison vor Herausforderungen.
Wie immun sind wir mittlerweile gegen das Coronavirus?
Mittlerweile sind so viele Menschen in Deutschland geimpft und genesen, dass insgesamt offenbar eine gute Bevölkerungsimmunität entstanden ist. Die Epidemiologin Berit Lange vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig hat im vergangenen Jahr gemeinsam mit Kollegen eine Kohortenstudie dazu gemacht, mit 33.000 Menschen aus unterschiedlichen Regionen. Das Ergebnis: Die überwältigende Mehrheit hatte Antikörper, die auf eine Impfung oder Infektion hindeuten. Ähnliche Untersuchungen wurden auch in diesem Jahr gemacht, wenn auch an einer deutlich kleineren Gruppe.
Von einer soliden Grundimmunität gehen auch andere Forschende aus. "Unsere Immunität trägt sehr gut", sagt die Immunologin Christine Falk im Podcast Coronavirus-Update von NDR Info.
Welche Virusvarianten zirkulieren aktuell in Deutschland?
Seit Mai zirkulieren weltweit hauptsächlich XBB.1-Varianten. Im aktuellsten ARE-Wochenbericht des RKI lag der Anteil der relativ neuen Virusvariante EG.5 (auch: Eris) an allen bestätigten Fällen bis Anfang Oktober bei 47 Prozent. Der Subtyp BA.2.86 (Pirola) wurde seit Ende August in Deutschland erst viermal nachgewiesen. Diese Sublinie hat wegen der hohen Anzahl von Mutationen auf dem Spike-Protein bereits zu erhöhter Wachsamkeit geführt, scheint sich hier aber vorerst nicht durchzusetzen.
Alle drei Subtypen sind Omikron-Verwandte. Weltweit gibt es bislang keine Hinweise darauf, dass die neuen Varianten krankmachender sein könnten als ihre Vorgänger.
Wer sollte sich im Herbst nochmals boostern lassen?
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt nur noch bestimmten Gruppen Auffrischimpfungen, vorzugsweise im Herbst und ähnlich wie beim Grippeschutz. Dazu gehören etwa Menschen ab 60, Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen ab einem Alter von sechs Monaten, Pflege- und Gesundheitspersonal sowie Angehörige von Risikopatienten. Mindestens zwölf Monate sollen in der Regel seit der letzten Impfung oder Infektion vergangen sein.
Gesunden Erwachsenen unter 60 und Schwangeren wird dies nicht mehr empfohlen. Grundimmunisierung und Booster empfiehlt die Stiko auch nicht mehr für gesunde Säuglinge, Kinder und Jugendliche.
Warum beschränkt die Stiko die Impfempfehlung auf bestimmte Gruppen?
Bei Älteren und Menschen mit Vorerkrankungen lassen die Antikörper und damit die Immunantwort gegen die Viren schneller nach - oder das Immunsystem funktioniert nicht so gut wie bei gesunden Menschen. "Multi-Morbidität ist ein Risiko-Faktor, und wenn man einen schlecht eingestellten Blutdruck hat, wenn man zu dick ist, wenn man einen schlecht eingestellten Zucker hat, dann hat man natürlich auch mehr Organ-Erkrankungen und dadurch doch wieder ein Risiko", sagt der Pneumologe Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover.
Bei jüngeren, immungesunden Menschen deutet die Datenlage darauf hin, dass sie nach einer Grundimmunisierung immer noch genug Schutz vor schwerer Krankheit haben.
Können sich Gesunde, Kinder und Schwangere trotzdem impfen lassen?
Die Stiko rät nicht grundsätzlich von weiteren Impfungen ab. Die Immunologin Christine Falk empfiehlt im Corona-Podcast: Wer über einen Booster nachdenkt, solle sich mit seinem Arzt oder seiner Ärztin beraten, welche Entscheidung zur individuellen Situation passt. Beispielsweise sollten sich Angehörige von Immunsupprimierten, also Menschen mit heruntergefahrenem Immunsystem, boostern lassen - möglicherweise auch Kinder. Auch "nachgeborene" Kinder, die noch keine Infektion hatten, könnten in Absprache mit dem Kinderarzt geimpft werden, so die Immunologin.
Schützt ein weiterer Booster vor Ansteckung?
Ein weiterer Booster kann für kurze Zeit auch die Schleimhautimmunität stärken und damit vorübergehend vor Ansteckung schützen, langfristig aber nicht. Eine Auffrischimpfung schützt jedoch vor einem schweren Krankheitsverlauf.
Was bedeutet Grundimmunisierung?
Wer als gesunder Mensch mindestens dreimal Kontakt mit dem Erreger oder einem Bestandteil davon hatte, gilt als gut geschützt - zum Beispiel dreimal geimpft oder zweimal geimpft und einmal infiziert. Risikopatienten brauchen einen Kontakt mehr. Die dadurch erlangte Immunität gilt als guter Schutz gegen einen schweren Verlauf.
Mit welchem Impfstoff wird jetzt geboostert?
Der neue mRNA-Impfstoff von Biontech ist an die weit verbreitete Omikron-Sublinie XBB.1.5 angepasst und soll auch gut gegen die stark aufkommende Variante EG.5 (Eris) wirken, weil sich die Spike-Proteine beider Subtypen, also der Teil des Erregers, der an die Wirtszelle andockt, ähneln. "Zurzeit schaut es also so aus, dass wir Impfstoffe haben, die die derzeit zirkulierenden Varianten gut neutralisieren können", sagt der Infektiologe Leif Erik Sander von der Charité Berlin bei NDR Info.
Kann man sich gegen das Coronavirus und Grippe gleichzeitig impfen lassen?
Ja, und das empfehlen Immunologen und viele Ärzte älteren Menschen und Risikopatienten auch. Zurzeit werden zwei getrennte Impfungen verabreicht. An einem kombinierten Corona-Influenza-Impfstoff wird gearbeitet.
Schlagen bei einer Covid-Infektion die Schnelltests noch an?
"Antigentests auch aus dem letzten Jahr können weiterhin genutzt werden, solange ihr Haltbarkeitsdatum nicht überschritten ist und sie bei der empfohlenen Temperatur gelagert wurden", sagt der Infektiologe Sander. Es gebe bisher keine Hinweise, dass die herkömmliche Virusdiagnostik durch die neuen Varianten beeinträchtigt werde.
Wie verhalte ich mich, wenn ich ein positives Testergebnis habe?
Es gibt keine gesetzlichen Regeln mehr für den Umgang mit einer Infektion in der Öffentlichkeit. Der Arbeitgeber kann sogar verlangen, dass Arbeitnehmer trotz Infektion zur Arbeit kommen - jedenfalls sofern keine schwereren Krankheitssymptome wie Fieber auftreten.
Sollten auch wieder Masken getragen werden?
Jeder sollte bedenken, dass es Menschen gibt, die auf Schutz angewiesen sind. Nicht nur bei einer Corona-Infektion, sondern bei allen akuten Atemwegsinfektionen sollten deshalb die gelernten Verhaltensregeln für einige Tage wieder greifen, raten die Fachleute: Bei der Arbeit Maske tragen, Abstand halten, Kontakte reduzieren. Gefährdete Menschen sollten das zum Selbstschutz in der Erkältungssaison überall dort tun, wo sich Kontakte nicht vermeiden lassen, zum Beispiel in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Ist mit Omikron das Long-Covid-Risiko gesunken?
Ja, vor allem in Verbindung mit einer Immunisierung durch Impfung. Das belegen Studien. Wie viele Menschen unter Long Covid leiden und wie sich diese multisystemische Erkrankung von anderen Leiden abgrenzen lässt, dazu gibt es noch immensen Forschungsbedarf.
Möglicherweise wurde die Zahl der von Langzeitfolgen betroffenen Menschen in der Anfangszeit der Pandemie überschätzt. Zu diesem Schluss kommt eine Analyse für das "British Medical Journal". Die Gründe: methodische Mängel wie fehlende Kontrollgruppen und unterschiedliche Definitionen von Symptomen.
Klar ist: Eine Infektion - auch mit anderen Viren - birgt immer das Risiko für Folgeerkrankungen. Dabei geht es nicht nur um Long Covid, sondern zum Beispiel auch um Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Wie sehen die Prognosen für die Evolution von Sars-CoV-2 aus?
Wenn sich das Virus in der Omikron-Familie weiterentwickelt, beobachten Forschende und Mediziner die sogenannte antigenetische Drift relativ gelassen - vor allem weil das Virus bei der Immunflucht derzeit keine großen Sprünge zu machen scheint. "Solange es bei Omikron bleibt, bin ich relativ entspannt", sagt etwa die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek. "Wir werden weiter ein gewisses Auf und Ab erleben", urteilt der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb. Solange keine gänzlich andere Variante entstehe, sehe er keine neue pandemische Situation: "Aber wachsam müssen wir schon bleiben."
Entscheidend ist die Frage, ob womöglich doch noch mal eine Variante entsteht, die unser Immunsystem wieder richtig austricksen kann. "Bisher habe ich keine neue Variante gesehen, bei der ich Bauchschmerzen kriegen und zu besonderer Wachsamkeit mahnen würde", sagt der Immunologe Watzl.
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