Mansour zu Silvester-Gewalt: Kein rein migrantisches Phänomen
Welche Schlüsse zieht die Politik aus den Attacken auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht? Die Debatte ist in vollem Gang. Ein Problem aus Sicht des Psychologen Ahmad Mansour: Gewalt gegen Polizisten gilt bei vielen Jugendlichen als legitim.
Auch in Norddeutschland hatte es zahlreiche Übergriffe gegeben, zum Teil mit Verletzten. Besonders massiv waren die Attacken allerdings in der Hauptstadt, etwa in Berlin-Neukölln, einem Stadtteil, in dem der Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund hoch ist. Der Psychologe und Autor Ahmad Mansour beschäftigt sich seit Jahren mit Problemen der Radikalisierung und gescheiterten Integration von Menschen mit muslimisch-arabischen Wurzeln. Im Interview auf NDR Info sagte Mansour am Dienstag, es handele sich um kein reines migrantisches Phänomen, sondern ein Jugendphänomen. Gewalt werde als cool betrachtet. "Gewaltverherrlichende Videos und Lieder sind in den letzten Jahren noch heftiger geworden, und ich glaube, was noch eine Rolle dieses Silvester gespielt hat, ist die Ablehnung des Rechtsstaats, die Ablehnung der Polizei, der Rettungskräfte als Repräsentanten des Staates", sagte Mansour. Zu diesem Feindbild trage auch eine "schiefgelaufene Debatte über Rassismus in der Polizei" bei, die die Ordnungshüter für viele Jugendliche als "legitime Angriffsziele" erscheinen lasse.
Mansour: Herkunft von Straftätern nicht tabuisieren
Der Experte warnte allerdings auch davor, "aus Angst rassistisch zu sein rassistisch zu handeln". Es sei kontraproduktiv, die Herkunft von Straftätern zu verschweigen. "In dem Moment, wo ich eine Gruppe schützen will, nur aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer religiösen oder nationalen Herkunft, dann betreibe ich keine Gleichberechtigung, sondern nehme diese Gruppe als homogene Gruppe wahr und will sie vor etwas schützen, wo sie Verantwortung übernehmen soll." Um Probleme zu lösen, müsse man sie klar benennen, sonst würden Rechtsextreme die Debatte für sich nutzen, um politisches Kapital daraus zu schlagen. Die Jugendlichen müssten vor allem in den sozialen Medien, in den Schulen und in Integrationskursen erreicht werden, um ihnen klarzumachen, dass solches Verhalten nicht akzeptabel sei. Es müsse klar werden, dass Angriffe auf Polizei und Rettungskräfte "harte Konsequenzen" nach sich zögen. "Diese Kommunikation haben wir in den letzten Jahren nicht betrieben", sagte Mansour.
Niedersachsen: Nicht viel mehr, aber heftigere Angriffe
Zuvor hatte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) auf NDR Info gesagt, es habe zwar nicht signifikant mehr Angriffe auf Einsatzkräfte als in den Vor-Corona-Jahren gegeben, die Taten seien aber intensiver gewesen. Es brauche keine Strafverschärfungen, aber schnellere Verurteilungen der Täter. "Unser Problem ist, dass es überhaupt so weit kommt, dass Menschen auf den Gedanken kommen, Rettungskräfte, Sanitäter, Feuerwehr oder Polizei grundlos anzugreifen", sagte Pistorius. Noch im Januar wolle er mit Gewerkschaften und Vertretern der Einsatzkräfte über Maßnahmen sprechen, wie der Respekt gegenüber den Rettern wiederhergestellt werden könne. Die Polizei Hannover hat inzwischen mehr als ein Dutzend Ermittlungsverfahren wegen verschiedener Vorfälle in der niedersächsischen Landeshauptstadt und in der Region Hannover in der Silvesternacht eingeleitet. Dabei geht es den Angaben zufolge unter anderem um gefährliche Körperverletzungen, Sachbeschädigungen an Polizei- und Feuerwehrfahrzeugen, tätliche Angriffe auf Einsatzkräfte, Landfriedensbruch sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.
Hamburg: Mehr als 20 Tatverdächtige identifiziert
Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) ist bestürzt vom Ausmaß der Gewalt. Im Interview mit dem Hamburg Journal im NDR Fernsehen nahm er Stellung zur Silvester-Gewalt gegen Einsatzkräfte und sieht die Übergriffe nicht als reines Silvester-Problem. Gewalt gegen Polizei und Feuerwehr sei ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Aggression besonders von jungen Männern richte sich gegen die Repräsentanten des Staates. Da spiele das Thema Migration mit rein, aber auch verschiedene andere Gruppen zeigten ein hohes Gewaltpotenzial, so Grote. An Silvester habe die Polizei durch konsequentes Einschreiten mehr als 20 Tatverdächtige identifiziert. Über Konsequenzen der Silvester-Angriffe in Hamburg hat der Senat noch nicht entschieden. Grote sagte, dass nur ein bundesweites Verkaufsverbot für Feuerwerkkörper Sinn mache. Eine Hamburger Insellösung beim Böllerverbot würde nicht funktionieren, so der Innensenator.
Gewerkschaften fordern Böllerverbot und Kameraüberwachung
Die Gewerkschaft der Polizei macht sich nach den Angriffen für ein bundesweit einheitliches Böllerverbot stark. Als Reaktion auf die Übergriffe gibt es nun nicht nur vonseiten des Feuerwehrverbands die Forderung, die Einsatzkräfte und Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr mit umfassender Videotechnik auszustatten. "Es muss geprüft werden, ob eine Abschreckung durch Technik wie Dashcams oder Bodycams möglich ist", erklärte Feuerwehrverbands-Präsident Karl-Heinz Banse. Der Bundestag hatte 2017 die Strafen für Übergriffe auf Rettungskräfte verschärft - auf bis zu fünf Jahre Haft.