Landwirte: "Agrardiesel hat Fass zum Überlaufen gebracht"
Auch in Norddeutschland haben sich am Montag Tausende Landwirte mit einem Trecker auf den Weg gemacht, um gegen die Politik der Bundesregierung zu protestieren. Was sagen die Bauern, die mitmachen?
Erst die Arbeit, dann der Protest - so lautet das Motto am Montagmorgen für Kay Heidorn. Der Landwirt aus Holm im Kreis Pinneberg ist extra eine Stunde früher aufgestanden, um seine aktuell 55 Kühe im Stall zu versorgen. Denn er hat noch viel vor an diesem besonderen Tag. Heidorn will protestieren. Um 5.30 Uhr füttert er seine Rinder. Um 6.30 Uhr steht er dann mit seinem Trecker im nahegelegenen Ort Appen, wo sich Landwirte aus der Umgebung versammeln. In einer Kolonne mit rund 100 Treckern geht es in Richtung Hamburg. Immer schön langsam, mit etwa 15 km/h über die Landstraßen. Rund 25 Kilometer liegen vor ihnen. Heidorn hat an seinem Fahrzeug gut sichtbar ein Plakat angebracht: "Es reicht! Gegen den politischen Irrsinn!!" Er hofft, dass die Landwirte mit dem Protest-Tag besser in der Gesellschaft auf ihre Probleme und Nöte aufmerksam machen können.
Neuregelung beim Agrardiesel: 800 Euro weniger im Jahr
Der geplante Wegfall der Vergünstigungen beim Agrardiesel bereiten Heidorn Kopfschmerzen. "Das wären 700 bis 800 Euro im Jahr, die wir dann weniger haben. Das müssten wir irgendwie ausgleichen, und das ist momentan schwierig." Heidorn führt seinen kleinen Betrieb als Nebenerwerb, allein von den Einnahmen des Hofes könnte seine Familie nicht leben. "Am Ende des Jahres schreiben wir eine gute schwarze Null, aber mehr kommt dabei nicht herum", sagt der Landwirt. Aufgeben will er nicht. Schon sein Urgroßvater sei Landwirt gewesen. Und sein Sohn wolle den Betrieb fortführen. Für Heidorn geht es keineswegs nur um den Agradiesel. "Wir müssen in der Landwirtschaft etwas Grundlegendes verändern, damit auch ein Betrieb wie unserer überlebensfähig ist", so Heidorn. Zum Beispiel gebe es viel zu viel Bürokratie.
Im Schneckentempo nach Hamburg
Nach zweieinhalb Stunden im Schneckentempo kommt Kay Heidorn in der Hamburger Innenstadt an. Aus allen Himmelsrichtungen treffen nach und nach Trecker-Kolonnen ein. Die Polizei spricht von rund 2.200 Fahrzeugen, die nahe der St. Michaelis-Kirche und auf umliegenden Flächen abgestellt werden. Nach Angaben des Vereins "Land schafft Verbindung" (LSV), der die Versammlung angemeldet hat, sind es sogar mehr als 4.000 Fahrzeuge. Auffallend ist: Die Landwirte sind sehr bemüht, dass alles ordentlich abläuft und die Absprachen mit der Polizei eingehalten werden.
Immer wieder ist von den Bauern vor Ort zu hören, die angekündigten Sparmaßnahmen der Bundesregierung "hätten das Fass zum Überlaufen gebracht". Es ginge längst nicht nur um Agrardiesel und Kfz-Steuer. "Wir haben deutlich tieferliegende Probleme in der Branche", sagt auch Uta von Schmidt-Kühl, die Vorsitzende des Vereins LSV in Schleswig-Holstein und Hamburg. So müssten die Landwirte hierzulande mit Produkten aus anderen Ländern konkurrieren, wo es weniger umfangreiche Regelungen zu Umweltschutz und Tierwohl gebe. Helfen würde ein Nachweis auf den Produkten, die zeigen, unter welchen Bedingungen sie hergestellt worden sind, so Uta von Schmidt-Kühl.
"Wir wurden mit immer mehr Gesetzen gegängelt"
Auch in vielen weiteren Städten im Norden laufen am Montag Proteste. Der Landwirt Otto Rogali beteiligt sich schon in den frühen Morgenstunden an einer Kundgebung. Er ist Betriebsleiter auf dem Landhof Bobitz in Mecklenburg-Vorpommern. Warum macht er bei den Protesten mit? "In den vergangenen Jahren wurden wir Landwirte mit immer mehr Gesetzen gegängelt", sagt Rogali. Als Beispiel nennt er die Düngeverordnung und die Vorgaben rund um das Tierwohl-Label. "Es ist einfach zu viel." Er fordert "eine vernünftige, nachhaltige Politik mit Nachsicht für uns Landwirte".
Dass die Proteste der Landwirte teilweise von Rechtsextremen für ihre Zwecke missbraucht werden, nimmt Rogali mit Unbehagen wahr. "Wir wollen einen friedlichen, vernünftigen, demokratischen Weg. Wir wollen die Regierung nicht stürzen. Wir wollen einfach Flagge zeigen, dass es so nicht weitergehen kann."
"So geht es nicht weiter"
Sogar von der Insel Fehmarn haben sich Landwirte für die Proteste auf den Weg gemacht. Es ist ein weiter Weg, der bis in die Landeshauptstadt Kiel führt. Die Landwirte Torben Liesenberg und Theresa Schmidt sind um 3 Uhr in der Nacht losgefahren, um sich ab 6 Uhr an einer Aktion am Landeshaus zu beteiligen. "Wir werden von jeder Seite mit Gesetzen geknebelt, es reicht jetzt. Man nimmt uns die Zukunft, die Perspektive", sagt Liesenberg. "Jetzt sind wir da, um zu sagen: So geht es nicht weiter!"
Viele Handwerker unterstützen die Landwirte
Nicht nur Landwirte sind bei den Protestaktionen im Norden zu sehen, auch viele Handwerker machen mit. Zum Beispiel die Familie Raap. Sie hat sich nach Itzehoe aufgemacht. Die Familie führt in Schenefeld im Kreis Steinburg eine Zimmerei und Tischlerei. Von insgesamt 24 Mitarbeitern sind 22 mitgekommen. Der Betrieb hat alle Kundentermine für diesen Tag verschoben. "Unser Betrieb ist mit der Landwirtschaft groß geworden: Wir haben viele Ställe und Unterstände gebaut", erzählt Sohn Florian Raap, der den Betrieb übernehmen wird. Dass es immer weniger Landwirtschaftsbetriebe gibt, habe die Firma in den vergangenen Jahren gemerkt.
Auch der Handwerker Jörg Kruse aus Delmenhorst steht auf Seiten der Landwirte. Er spricht von ähnlichen Problemen in seiner Branche. Konkret nennt er "die Regulierungswut und den Bürokratie-Wahnsinn, den wir in Deutschland haben". Darauf wolle er nun aufmerksam machen, sagt Kruse.
Für den Landwirt Kay Heidorn aus Holm endet der Ausflug nach Hamburg nach ein paar Stunden. Er ist sichtlich zufrieden. "Das war ein erhabenes Gefühl zu sehen, wie die Bauern alle zusammenstehen." Nun hofft er, dass die Bundesregierung "uns auch tatsächlich erhört". Dann geht es mit dem Trecker wieder zurück auf den Hof. Dort warten im Stall seine Kühe auf ihn.