Firmeninhaber Marius Bierig vor Paletten mit Lehmbausteinen © NDR Foto: Wiebke Neelsen
Firmeninhaber Marius Bierig vor Paletten mit Lehmbausteinen © NDR Foto: Wiebke Neelsen
Firmeninhaber Marius Bierig vor Paletten mit Lehmbausteinen © NDR Foto: Wiebke Neelsen
AUDIO: Nachhaltiges Bauen: Lehm als klimafreundliche Alternative (4 Min)

Klimaschonende Alternative zu Beton: Lehm als nachhaltiger Baustoff

Stand: 15.02.2023 06:42 Uhr

Fast acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen fallen bei der Herstellung von Beton an. Naturbaustoffe können eine nachhaltige Alternative für die Baubranche sein, deshalb soll Lehm eine DIN bekommen. Ein Unternehmer aus Schleswig-Holstein produziert schon seit 30 Jahren Lehmbausteine.

von Wiebke Neelsen

Lehmsteine, Lehmplatten, Lehmputze – in Langballig bei Flensburg stellen Marius Bierig und sechs Angestellte diese Produkte in einem Handstrich-Verfahren selbst her. Lehm kennen und schätzen gelernt hat der studierte Landwirt mit Schwerpunkt Bodenkunde während eines Studienaufenthalts in den achtziger Jahren in Äthiopien. Seitdem hat ihn der Baustoff nicht mehr losgelassen. Bierig: "Die Innenraum-Klimaeigenschaften von Lehm sind so gut organisiert, dass andere Baustoffe nicht mithalten können."

Baustoff Lehm: Gut für das Klima von Haus und Umwelt

Mitarbeiter Khaled Alfalah verbaut Lehmsteine. © NDR Foto: Wiebke Neelsen
Mitarbeiter Khaled Alfalah verbaut Lehmsteine. Das Material ist komplett recycelbar.

Im Winter speichern Lehmwände die Wärme aus Heizung oder Kamin, im Sommer geben sie Feuchtigkeit ab und der Lehm wirkt kühlend. Dazu kommt, dass Lehm deutlich klimaschonender ist als Beton, der zum Großteil aus Zement besteht. Laut der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) wird für die Verwendung von Lehm im Bau 85 Prozent weniger Energie benötigt als für die von Zement, weil Lehm nur getrocknet und nicht gebrannt wird. Lehm-Putz ist seit 2013 in der Norm. Dadurch wurden Lehmputze im wichtigen öffentlichen Bausektor interessant. Nun sollen Lehmbausteine folgen.

Das Material Lehm – einfache Erde mit einem Anteil an Tonmineralen – ist weltweit in nahezu allen Böden verfügbar. Bei Marius Bierig stammt ein Großteil des verwendeten Lehms aus regionalen Lehmstellen. Pro Saison, von April bis Oktober, bedient die Firma bis zu zehn Baustellen, vor allem Einfamilienhäuser bis etwa anderthalb Geschosse hoch. Das mache die Statik des Materials unbedenklich mit, so Bierig. Die BAM spricht sogar von vier Geschossen.

DIN für Bausteine aus Lehm soll dieses Jahr kommen

Zurzeit untersucht die Behörde tragende Lehmsteine mit dem Ziel, dass diese in die allgemeinen Anwendungsnormen aufgenommen werden. Noch in diesem Jahr soll das in Form einer Deutschen Industrie-Norm (DIN) geschehen, sagt Philipp Wiehle vom BAM: "Wir haben derzeit keine bauordnungsrechtlichen Grundlagen für tragendes Lehmmauerwerk. Wenn Sie als Bauherr ein Haus aus Lehm bauen wollen, heißt das, Sie brauchen von der Bauaufsichtsbehörde eine Zustimmung im Einzelfall. Das ist mit einem hohen Kosten- und Zeitaufwand verbunden."

Marius Bierig mit einem Lehmstein mit Biokohle-Beimischung, auf die er ein Patent hat. © NDR Foto: Wiebke Neelsen
Marius Bierig mit einem Lehmstein mit Biokohle-Beimischung, auf die er ein Patent hat.

Mit der Norm könnten Lehmbausteine auch im größeren Maßstab zu einer nachhaltigen Alternative für den Wohnungsbau in Deutschland werden. Denn die Herstellung der Lehmziegel erzeugt nicht nur deutlich weniger CO2, sagt Philipp Wiehle: "Gleichzeitig können wir die Bestandteile der Lehmbaustoffe sortenrein recyceln. Wir können also den Sand, den wir hier in dem Lehm verbauen, wieder dem Stoffkreislauf zuführen und zur Herstellung gleichwertiger Baustoffe nutzen." Das Material verliere nicht an Wert und Qualität, wie es in der Regel mit Beton oder Mauerwerksbruch der Fall sei, so Bierig. "Alle Häuser, die wir bauen - so schön sie ausschauen - sind zudem rückbaubar", erklärt er. "Sie haben keine Probleme mit der Entsorgung, sondern einen Restwert", erläutert der Lehm-Fachmann.

Dass Lehm als Baustoff aus der Wahrnehmung verschwunden war, hat auch mit dessen Image zu tun: Er wurde nach dem zweiten Weltkrieg, in Zeiten der Knappheit, verwendet. Danach war Brennmaterial ausreichend verfügbar – Beton und Ziegel galten als fortschrittlich. Ökologische Bedenken habe es damals nicht gegeben, so Wiehle.

Lehm als Baustoff: Kosten vergleichbar mit konventionellem Material

Die Häuser von Bierig werden nicht ausschließlich aus Lehm gebaut. Als Schutz gegen Feuchtigkeit im Außenbereich wird unter anderem recycelter Bauschutt in Form von Ziegeln verwendet. Außerdem wird Kalk verbaut. Leichtlehmsteine werden innen eingesetzt, bisher nicht als tragende Wände - das könnte sich mit der DIN ändern. Und mit Baukosten von etwa 2.500 Euro pro Quadratmeter bewegt sich ein Lehmbau auf dem Niveau eines konventionellen Baus.

Marius Bierig an einem Messgerät. © NDR Foto: Wiebke Neelsen
Bierig an einem Messgerät, das Lehm auf radioaktive Edelgase untersucht.

Seit der Firmengründung ist Bierig immer wieder auf neue Herausforderungen gestoßen. Zum Beispiel haben mineralische Baustoffe wie Lehm eine erhöhte Radioaktivität – Edelgase wie Radon, Thoron und Kalium strömen aus. Dagegen entwickelte Bierig eine Beimischung aus Biokohle, die er seinen Lehmsteinen zugibt, um die Schadstoffe aus der Raumluft zu filtern. Auf diese Beimischung hat er ein Patent.

Bierig möchte in Schleswig-Holstein mit Investorengeldern weitere Produktionsstätten eröffnen. Der Dachverband Lehm hat in Glücksburg die erste Weiterbildung für Handwerker zur "Fachkraft für Lehmbau" im Norden initiiert. Der Baustoff Lehm erlebt in Zeiten von Lieferengpässen und Kostensteigerungen eine Renaissance.

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