Handwerk: Mit Maßschuhen gegen Nachwuchssorgen
Seit Jahren ist die Zahl der Schuhmacher in Deutschland rückläufig. Bundesweit gibt es noch gut 2.000 Betriebe, darunter auch solche, die nur Schuhe reparieren. Für viele Handwerksbetriebe ist es schwer, einen Nachfolger zu finden. Auch die Suche nach Auszubildenden gestaltet sich oft schwierig. Dass es auch anders geht, zeigt ein Schuhmacherbetrieb in der Hamburger Neustadt.
Im Maßschuh-Geschäft Klemann Shoes in Hamburg riecht es nach Leder und Klebstoff. Die Werkstatt ist bis unter die Decke vollgestellt mit sogenannten Holzleisten - damit sind Vorlagen gemeint, auf die im klassischen Schuhmacher-Handwerk individuell angepasste Maßschuhe genäht werden. Firmenchef Benjamin Klemann erklärt: "Man kann einen Schuh innerhalb von drei Arbeitstagen bauen. Dann kommt noch der Schaft, der Leistenbau und so weiter - und schon ist man bei vier bis fünf Tagen. Aber Trockenzeiten hat man dann noch keine eingehalten. Der Schuh muss noch auf dem Leisten trocknen, damit er seine Form hält. Das Leder muss seine Feuchtigkeit wieder abgeben. Es muss sich alles setzen, muss reifen wie ein Wein."
Vom Vermessen über das Entwerfen bis zur Auslieferung
Besonders reizt den 63-Jährigen das ganzheitliche Arbeiten: vom ersten Gespräch mit dem Kunden über das Vermessen und Entwerfen bis zur Auslieferung des Werkstückes. Also des fertigen Maßschuhes, der - je nach Materialien und Verarbeitung - von 3.000 Euro an aufwärts kostet. Klemanns Zielgruppe hat ein überdurchschnittliches Einkommen: "Zu unseren Kunden gehören Rechtsanwälte, Unternehmensberater, Werber, aber auch der Medizinbereich ist ganz stark vertreten."
Spezielle Schuhe für spezielle Füße
Es ist eine spezielle Klientel, die Klemann bedient, darunter viele Stammkunden. Sie kommen aus insgesamt 20 Ländern: "Die Schuhindustrie versucht, uns in Normen zu pressen, aber ein kleiner Teil der Menschen fällt einfach durch. Vielleicht sind es 20 Prozent, die sie nicht erfassen - das ist unser Potenzial. Das sind die Leute mit besonders kleinen oder großen Füßen, mit besonders breiten, schmalen, mit ungleich großen Füßen und so weiter." Schon als kleiner Junge begeisterte Klemann ein Schuster auf seiner Heimat-Insel Föhr, der seine Fußballschuhe reparierte. Später folgte die Ausbildung in Neumünster, Jahre beim englischen Hoflieferanten und in einer Werkstatt auf Gut Basthorst.
Die Familie arbeitet mit
Seit 15 Jahren ist Klemann mit einem eigenen Geschäft in der Hamburger Neustadt angesiedelt. Er hat sechs Angestellte - auch seine Frau, eine Schuhmachermeisterin, und die beiden Söhne arbeiten mit. In der beleuchteten Werkstatt am Fenster sitzt Sohn Vincent an der Werkbank: "Am Anfang war das ein bisschen komisch, dass die Leute vor dem Fenster stehen und mir beim Arbeiten zuschauen. Anderseits ist es auch spannend, weil sich oft witzige Situationen daraus entwickeln. Dann nimmt man das in Kauf, dass man ein bisschen in der Öffentlichkeit sitzt. Das ist unser Social Media."
"Die richtige Entscheidung"
Auch das "richtige" Social Media, den firmeneigenen Instagram-Kanal, betreut der 39-Jährige. Überzeugen mussten ihn seine Eltern nicht, denselben Beruf wie sie zu ergreifen. Vincent Klemann: "Wenn ich mich in meinem Freundeskreis umgucke, wo viele im Medienbereich untergekommen sind, da sind viele Grafikdesigner oder Motiondesigner geworden. Da war ich mir nicht sicher, ob ich vielleicht doch auf die Kunsthochschule gehen soll oder nicht. Aber alle, mit denen ich gesprochen habe, haben gesagt: Warum? Du hast doch total das schöne Handwerk direkt vor der Nase. Und im Endeffekt bin ich dann hier sitzen geblieben - aus Leidenschaft."
Viele Aufträge durch Lockdown weggebrochen
Zehn Aufträge pro Monat benötigt der Betrieb, um rentabel zu sein - mehr sind den Schumachern natürlich lieber. Doch in Lockdown-Zeiten waren es zeitweise auch weniger, weil fast ein Drittel der Aufträge von ausländischen Kunden weggebrochen waren. Aktuell macht Klemann Shoes die hohe Inflation zu schaffen - eine Folge des Krieges in der Ukraine: "Da sind unsere Aufträge sofort in den Keller gerauscht, seit März war alles sehr sehr zäh. Wir fummeln uns das zusammen, wir kriegen die Aufträge, aber es ist mit sehr viel mehr Aufwand verbunden. Wir müssen uns überlegen, wie wir an die Kundschaft rankommen."