Geförderte Auslandspraktika für Azubis sind vielen unbekannt
Jedes Jahr nutzen Tausende Studierende das Erasmus-Programm der EU, um ein Uni-Semester im europäischen Ausland zu verbringen. Was viele nicht wissen: Auch für Azubis gibt es ein ähnliches Programm: Erasmus+.
Mit Erasmus+ können auch Lehrlinge eine Zeit lang im Ausland leben und arbeiten - finanziell gefördert von der Europäischen Union. Azubi Jennifer Bockelmann hat an dem Programm teilgenommen, sie ist angehende Orthopädietechnik-Mechanikerin und steht kurz vor ihrer Abschlussprüfung. In einem Sanitätshaus in der Nähe von Hannover hat die 21-Jährige ihren Schwerpunkt auf den Bau und die Anpassung von Prothesen gesetzt. Dass ihre Hamburger Berufsschule Auslandsaufenthalte innerhalb der Lehre anbietet, war für Bockelmann ein zusätzliches Sahnehäubchen bei ihrer Berufswahl: "Die Idee, dass ich ins Ausland will, hatte ich schon vor dem Abi. Aber dann kam Corona und es ist erstmal nicht dazu gekommen. Dann habe ich mich für die Ausbildung beworben und auf der Internetseite meiner Schule das Angebot des Erasmus-Projekts gesehen. Da habe ich mich dann beworben."
Für vier Wochen nach Sevilla
Gut ein Dreivierteljahr vorher fing sie an, alle Unterlagen für die Bewerbung zusammenzusammeln und unter anderem ein Motivationsschreiben zu verfassen. Es hat geklappt: Sie hat ein Stipendium bei Eramus+ bekommen und konnte damit vier Wochen in einem Betrieb im spanischen Sevilla verbringen. Untergebracht war sie in einer Vierer-WG mit Stipendiatinnen aus anderen Ausbildungsberufen, berichtet Jennifer Bockelmann: "Ich fand es sehr cool, mal im Ausland zu sein und das nicht als Tourist. Wir haben in einem Apartment in einer normalen Wohngegend, wo nur Einheimische wohnen, gewohnt. Da hat man so richtig den Alltag mitbekommen."
Der größte Unterschied bestand, wie sie sagt, in den Arbeitszeiten mit einer dreistündigen Mittagspause und dafür längeren Arbeitstagen bis in den Abend. Auch einige Verarbeitungstechniken waren neu für sie. Ihr Schul-Spanisch hat allerdings nicht so viel gebracht, da der Dialekt in Sevilla doch etwas anders ist. Aber der Betriebsleiter konnte ganz gut Englisch und auch Orthopädie-Fachenglisch, da er selbst mal drei Monate in London verbracht hatte.
Vorurteile und Ängste werden abgebaut
Eingeführt wurde das neue Programm Erasmus+, das neben Studienaufenthalten auch den beruflichen Austausch umfasst, im Jahr 2014, als Nachfolger des ähnlichen Projekts "Leonardo da Vinci". Für die Organisation "Arbeit und Leben" in Hamburg koordiniert Marlene Lecamus das Programm. "In unserer aktuell wilden Zeit zunehmender Internationalisierung und Flexibilisierung in allen Lebensbereichen sind Auslandspraktika ein Schlüssel, um diesen Veränderungen gewachsen zu sein. Außerdem verbessern die Auszubildenden ihre Arbeitsmarktchancen. Vorurteile und Ängste werden abgebaut und sie reflektieren dadurch auch die Lebens- und Ausbildungsbedingungen in Deutschland."
Budget für Erasmus+ wurde verdoppelt
Das Budget für Erasmus+ wurde mit knapp 28 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2021 bis 2027 gerade erst verdoppelt - gegenüber dem Zeitraum davor. Daraus werden unter anderem die Stipendien für Reise-, Verpflegungs- und Unterkunftskosten finanziert: In Jennifers Fall waren das insgesamt gut 1.800 Euro.
Bewährte Kooperation zwischen Firmen und Berufsschulen
Pro Jahr werden aus Hamburg etwa 500 junge Leute über das EU-Förderprogramm unterstützt, darunter ungefähr 70 aus Handwerksberufen. Bundesweit waren es im Jahr 2021 fast 8.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer - vor Corona sogar bis zu 27.000 jährlich. Grundlage, so Lecamus, sei eine schon bewährte Kooperation mit Firmen und Berufsschulen: "Da gibt es bestimmte Knowhows, zum Beispiel lernen die Auszubildenden in Dänemark Hockerpolsterung oder Holzvergoldung."
Insgesamt viermal im Jahr organisiert sie für "Arbeit und Leben" Gruppen-Aufenthalte wie den von Jennifer Bockelmann in Sevilla: "Wir gehen individuell auf die Wünsche der Betriebe, der Schulen und der Auszubildenden ein. Es gibt wirklich viele Möglichkeiten."