Fachkräftemangel: Tischlermeister will neue Wege gehen
Der Betrieb von Tischlermeister Nils Grimm aus Hamburg läuft gut. So gut, dass er aktuell rund 20 Prozent weniger Aufträge annehmen kann als eigentlich möglich - denn ihm fehlt Personal. Deshalb macht sich der 49-Jährige Gedanken, wie er als Arbeitgeber noch attraktiver werden kann - und führt die Vier-Tage-Woche ein.
"Werkstatt für feine Räume" - so lautet der Beiname der Tischlerei Grimm. Vor über 20 Jahren als Ein-Mann-Betrieb gestartet, fertigen Nils Grimm und seine mittlerweile 15 Mitarbeiter Möbel nach Maß, für private wie für Groß-Kunden. Er könnte noch viel mehr Mitarbeiter gebrauchen, sagt Grimm - etwa zur Weihnachtszeit, wo sich die Aufträge bei ihm stapelten. Aber: "Der Fachkräftemangel ist ein großes Problem. Wir könnten uns besser weiterentwickeln, wenn wir mehr Mitarbeiter hätten. Inzwischen müssen wir rund 20 Prozent der Aufträge absagen, weil wir es einfach nicht schaffen." Insgesamt gebe es nur eine begrenzte Zahl von Fachkräften am Markt, um die alle buhlten.
Die Pandemie hat zum Umdenken geführt
Die Corona-Pandemie hätte vieles verändert - auch in den Köpfen der Arbeitnehmer, sagt Grimm. Es sei viel Bewegung im Team, auch befreundete Betriebe hätten teilweise große Teile der Belegschaft verloren, denn Menschen orientierten sich zunehmend um. Dazu komme noch der mangelnde Nachwuchs. Dabei liege es im Bereich Tischlerei gar nicht an der Quantität der Bewerber, sondern an falschen Vorstellungen, die viele hätten, sagt der Tischlermeister: "Wir merken bei den Berufsinfobörsen in den Schulen, dass vielen gar nicht bewusst ist, was Handwerk heute bedeutet. Ich sage dann immer: Wir sind nicht nur Handwerker, sondern auch Kopfwerker. Wir müssen die Maschinen programmieren, auch räumliches Denken ist wichtig. Sich ein Objekt vorstellen zu können von der Skizze bis zum fertigen Produkt." Es werde einfach zu wenig gezeigt, was das Handwerk wirklich leistet.
Um das ausgebildete Fachpersonal aber wird gerungen - gerade die Industrie wie Flugzeugbauer oder Zulieferer lockten mit hohen Gehältern, und wilderten auch in den Tischlereien, sagt Grimm: "Alles was zwei Hände hat und schrauben kann, wird von der Industrie abgeworben."
Vier-Tage-Woche als Anreiz
Grimm überlegt deshalb, wie er seine Firma attraktiv hält. Seine Idee: eine Vier-Tage-Woche. Damit ist er als Chef proaktiv auf die Mitarbeiter zugekommen - tatsächlich habe es zunächst Bedenken gegeben: "Ich glaube, man muss sich innerlich von der Tradition der Fünf-Tage-Woche verabschieden. Heutzutage muss man auch Neues ausprobieren, und dann gucken wir, ob es für uns einen Mehrwert bringt. Zuerst gab es bei unseren Mitarbeitern eine ablehnende Haltung, aber dann haben wir festgestellt, dass es für uns einen Mehrwert bringt."
Neues Modell findet nun große Zustimmung
Die größte Sorge sei ein geringerer Verdienst gewesen. Der Betrieb sei den Mitarbeitern deshalb entgegengekommen. Wer die Regelwochenzeit von 40 Stunden, also vier Tage á zehn Stunden, um bis zu vier Stunden unterschreitet, bekommt trotzdem den vollen Lohn: "Mehr als die Hälfte der Belegschaft will dieses Modell ausprobieren. Wir machen einen Probelauf von einem Vierteljahr und dann werden wir ein Resumee ziehen. Dann sehen wir, ob es uns einen Vorteil gebracht hat und was man eventuell noch verändern oder verbessern kann."
Mehr Zeit für Freizeit und Termine
Geselle Ali Alijani, der seit seiner Ausbildung im Betrieb arbeitet, freut sich über die Vier-Tage-Woche: "Für mich ist das super, weil ich viele andere Termine habe, die ich erledigen will. Meistens klappt das nicht, wenn ich fünf Tage arbeite." Bei ihm sind das in erster Linie Behördengänge, aber auch für Treffen mit Freunden oder Sport bleibt dem 23-Jährigen, so hofft er zumindest, künftig mehr Zeit.
Studie: Unternehmen profitieren von 32-Stunden-Woche
Der Tischlermeister glaubt zwar, dass er kaufmännisch draufzahlen müsse, das aber mit einem motivierteren Team wieder ausgleichen könne. Und die Studienlage gibt ihm Recht: In Großbritannien läuft gerade das weltweit größte Pilotprojekt zum Thema Vier-Tage-Woche mit 73 Unternehmen und über 3.300 Angestellten aus verschiedenen Branchen. Halbzeit-Ergebnis der von der Oxford Universität begleiteten Studie: Knapp 90 Prozent der Unternehmen gaben an, dass die Vier-Tage-Woche gut funktioniere, ein gutes Drittel gab an, die Produktivität hätte sich leicht verbessert, 15 Prozent berichteten von einer erheblichen Verbesserung.
Nils Grimm sagt über sich, Neues auszuprobieren, sei sein Credo. Wenn man sich dadurch von den Mitbewerbern abheben könne, umso besser. Er selbst will künftig auch nur noch vier Tage arbeiten - das hat er sich jedenfalls vorgenommen.