Geothermie: Weltweit tiefste Bohrung in Finnland
Finnland will bis 2035 klimaneutral werden - 15 Jahre früher als es der "Green Deal" der EU vorsieht. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen die Finnen unter anderem auf Erdwärme.
Finnlands grüne Umweltministerin Krista Mikkonen sieht die Lage in ihrer nordischen Heimat ganz klar: "Wir wissen heute, dass der Klimawandel in Finnland Realität ist, dass dieser Teil der Welt sich schon um zwei Grad Celsius erwärmt hat." Die Auswirkungen dessen könne man schon ganz konkret in der Natur beobachten: "Neue Spezies, Vögel und Bäume, wandern ein, und Arten, die es früher nur in Südfinnland gab, tauchen plötzlich weiter nördlich auf. Und mit der Erwärmung treten auch neue Krankheiten bei Tieren und Pflanzen auf." Um diese Entwicklung aufzuhalten, hat Finnland besonders ehrgeizige Klimaziele. Wie in vielen anderen Bereichen geben die Finnen auch beim Thema CO2-Einsparung den Takt vor in Europa: Neben Windkraft und E-Mobilität setzen die Finnen dabei auch auf Erdwärme. Ein großes finnisches Energieunternehmen dringt dabei in bislang unerreichte Tiefen vor.
Finnland: Vorreiter in Geothermie
In Espoo in Südfinnland steht Matti Pentti mit Schutzhelm und -brille vor einem 40 Meter hohen Kran, an dem ein riesiges Bohrgestänge hängt. Pentti war früher Schiffsbauer, heute arbeitet er für ST1. Das Energieunternehmen mit Sitz in Helsinki betreibt über 1.400 Tankstellen in Skandinavien und Polen, besitzt eine eigene Ölraffinerie – ein Auslaufmodell des fossilen Zeitalters, so scheint es. Mit Öl und Benzin jedoch hat Matti Pentti wenig am Hut. Das Thema, das den 57-Jährigen umtreibt heißt Erdwärme: "Was wir hier sehen, ist die weltweit tiefste geothermische Bohrung, die es je gegeben hat. Wir sind hier zum ersten Mal in der Lage zu kommerziellen Zwecken in eine Tiefe von sechs Kilometern vorzudringen und wollen ab Mitte 2021 Fernwärme mit der Anlage produzieren. Es gibt zwar durchaus tiefere Bohrungen, allerdings nur zu wissenschaftlichen Zwecken.
Vorteile von Geothermie: Besonders emissionsarm
Matti Pentti erklärt, wie das technisch funktioniert: Die ST1-Ingenieure pumpen durch die erste Bohrung Millionen Liter Wasser in so genannte Bruchzonen: Spalten in den unterirdischen Gesteinsschichten. Die natürliche Erdwärme erhitzt das Wasser auf rund 120 Grad Celsius, und durch ein zweites Bohrloch wird das Wasser wieder nach oben gepumpt und ins bestehende Fernwärmenetz von Espoo eingespeist, mit 280.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt im Land nach der Hauptstadt Helsinki. Damit kann eine Leistung von 20 bis 40 Megawatt erreicht werden und das entspricht ungefähr zehn Prozent des Heizbedarfs von Espoo.
Für Matti Pentti ist Erdwärme eine Schlüsseltechnologie, wenn es um Fernwärme ohne Emissionen geht: "Die einzige Energie, die wir benötigen, ist der Strom für die Pumpen. Um 40 Megawatt zu produzieren, verbrauchen diese Pumpen vier Megawatt, also haben wir eine Effizienz von 90 Prozent. Und wenn wir dafür noch Windenergie verwenden, liegen die Emissionen bei Null." Zudem müsse die Energie nirgendwo aufwendig gespeichert werden, und Rohstoffe müssten auch nicht importiert und transportiert werden. Nur den Strom werde benötigt.
Keine Gefahr durch tiefe Bohrungen
In Deutschland gab und gibt es immer wieder Kritik an der Geothermie. In einigen wenigen Fällen sackten bei Bohrungen naheliegende Gebäude ab, oder es traten Risse im Mauerwerk auf. Vor vier Jahren lösten Bohrungen im bayerischen Poing offenbar ein leichtes Beben aus. Ein Team des Hannoveraner Leibniz-Instituts für angewandte Geophysik hat den Fall untersucht und kommt zu dem Schluss, dass solche Mikrobeben zwar durch Bohrungen ausgelöst werden können, aber kein Grund zur Sorge sind. Sie seien nicht stärker, als die Erschütterung, die ein Lkw auf holpriger Fahrbahn verursacht.
Atomkraft in Finnland als Übergangslösung
Die Finnen gehen solche Fragen eher pragmatisch an, das zeigt sich auch beim Thema Atomkraft. Denn zur Wahrheit der ambitionierten Klimaziele in Finnland gehört auch: Sie sind nur zu erreichen, indem das Land auch weiterhin und verstärkt auf Kernenergie setzt. Aktuell vier Reaktoren produzieren rund ein Viertel des verbrauchten Stroms, zwei weitere Meiler sind im Bau. Umweltministerin Mikkonen sagt, Atomkraft sei einfach eine notwendige Übergangslösung, um weg zu kommen von Kohle, Torf und Öl. Wenn überhaupt, werde man in Finnland künftig aber nur noch kleine, dezentrale Atommeiler planen.
Kohleausstieg früher als in Deutschland
Auch größere Erdwärme-Projekte wie das in Espoo könnten laut Mikkonen ein Mosaikstein bei der angepeilten Energiewende sein: Bis 2029 etwa will Helsinki den Kohleausstieg schaffen, neun Jahre früher als Deutschland. Matti Pentti sagt: "50 Prozent der Fernwärme in Südfinnland werden heute in Kohlekraftwerken produziert. Helsinki alleine hat fünf solcher Kraftwerke und das größte davon hat einen CO2-Ausstoß von 1,2 Millionen Tonnen pro Jahr. Wir wollen hier zeigen, dass es auch alternative Wege gibt, Wärme zu produzieren."