VIDEO: Kommunen haben zu wenig Geld, aber viele neue Aufgaben (3 Min)

Finanzminister Kukies: "Kommunale Altschulden einmalig übernehmen"

Stand: 22.01.2025 05:00 Uhr

Bundesfinanzminister Jörg Kukies erklärt im Interview mit NDR Info, wie die enge finanzielle Situation der Kommunen die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland bedroht, warum auch der Bund knapp bei Kasse ist - und wie er sich die Übernahme von Altschulden durch den Bund vorstellt.

Im niedersächsischen Heeseberg (Landkreis Helmstedt) können dringend notwendige Investitionen in die marode Grundschulturnhalle nur erfolgen, wenn die eh schon klamme Kommune sich noch weiter verschuldet. 3.500 Einwohner leben dort, pro Kopf liegt die Verschuldung bei gut 11.000 Euro. Laut Städte- und Gemeindebund ist Heeseberg nur ein Beispiel von sehr vielen in Deutschland. Im NDR Info Interview erklärt Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD), wie er sich finanzielle Hilfen für die Kommunen vorstellt.

Herr Kukies, was macht das mit Ihnen, wenn Sie solche Berichte aus Kommunen hören wie den aus Heeseberg?

Bundesfinanzminister Jörg Kukies im Interview. © NDR
Finanzminister Kukies sieht die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland wegen der finanziellen Engpässe der Kommunen bedroht.

Jörg Kukies: Das motiviert natürlich dazu, genau das zu machen, was wir jetzt vorgeschlagen haben, nämlich die Voraussetzungen zu schaffen, dass Bund und Länder gemeinsam diese Probleme, die über viele Jahre gewachsen sind, was kommunale Altschulden angeht, zu lösen. Das würde den betroffenen Kommunen mehr Handlungsspielräume geben, um die Dächer der Kindergärten zu reparieren, Schulen instandzusetzen und kommunal zu investieren.

Wie beurteilen Sie die Situation der Kommunalfinanzen in Deutschland insgesamt?

Kukies: Die sind sehr unterschiedlich, und das ist ja genau der Punkt. Es gibt natürlich sehr wohlhabende Kommunen, aber das Beispiel Heeseberg, das Sie angeführt haben, ist natürlich auch die Lebensrealität vieler Kommunen. Wir haben einen grundgesetzlichen Auftrag, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse darzustellen. Die ist schlicht und einfach in vielen Fällen genau aufgrund dieser Defizite, die wir haben, nicht immer gegeben.

Der Städte- und Gemeindebund sagt, die Situation sei so schlimm wie noch nie. Wieso ist aus Ihrer Sicht so viel ins Rutschen gekommen?

Kukies: Das liegt daran, dass die Kommunen, die in der Vergangenheit sehr hohe sogenannte Liquiditätskredite aufgenommen haben, nicht nur unter der vergangenen Zinslast stöhnen, sondern auch unter dem Anstieg der Zinsen. Das muss man auch berücksichtigen, dass das Problem, als die Zinsen sehr niedrig waren, natürlich nicht so ausgeprägt war wie jetzt, wo die Zinsen sehr deutlich angestiegen sind.

Der Vorwurf der Kommunen und der kommunalen Verbände ist, dass die Kommunen deshalb vor allem finanzielle Probleme haben, weil sie Mehrbelastungen haben durch Aufgaben, die ihnen von den Ländern und auch vom Bund auferlegt wurden. Was sagen Sie dazu?

Kukies: Bei jedem Gesetz wird ja immer über genau diese Fragen verhandelt. Deswegen muss bei allen Gesetzen, die die Kommunen und die Länder betreffen, auch der Bundesrat zustimmen. Und deshalb wird da immer intensiv verhandelt, um genau das zu verhindern, wovon Sie sprechen. Da ist natürlich immer klar, dass in jedem Einzelfall diese Verhandlungen unterschiedlich ausgehen. Von daher ist es normal, dass es da auch unterschiedliche Wahrnehmungen von den Ergebnissen gibt. Aber insgesamt sieht der Gesetzgebungsprozess immer eine Abwägung der Interessen aller Beteiligten vor, weil die Länder immer - so sieht es die Verfassung vor - auch für die Kommunen mitverhandeln.

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Aus Sicht der Kommunen sind die Probleme vor allem Sozialleistungen - Jugendhilfe, Wiedereingliederungshilfe -, die sie dann finanzieren müssen, und bei denen sie etwa die steigenden Preise und Personalkosten ausgleichen müssen. Haben die Kommunen da einen Punkt?

Kukies: Das ist genau der Grund, der uns jetzt motiviert zu handeln, weil wir natürlich sehen, dass die Belastungen aus unterschiedlichen Gründen, die aber zum selben Ergebnis führen, höher werden. Die Tatsache, dass wir gerade eine schwache Konjunktur haben, führt natürlich dazu, dass Sozialausgaben steigen. Das haben wir ja gesehen auf Bundesebene mit dem Anstieg der Ausgaben für das Bürgergeld. Und genauso reflektiert sich das dort, wo die Kommunen die Aufgaben haben, dass da auch die Ausgaben steigen. Von daher ist zusätzlich zu der steigenden Zinslast auch dieser Faktor etwas, das den Druck erhöht und das aus unserer Sicht eine Einigung absolut notwendig macht.

Sie wollen jetzt einen Gesetzesentwurf ins Kabinett einbringen. Der sieht vor, dass der Bund Altschulden der Kommunen zum Teil übernehmen will. Was konkret versprechen Sie sich davon?

Kukies: Das Ziel ist ja, dass die Länder und der Bund gemeinsam agieren und dass ein Konzept gefunden wird, das für die Kommunen, die mit übermäßig hohen Liquiditätskrediten ausgestattet sind, eine gemeinsame Lösung gefunden wird, bei der das Land und der Bund jeweils zur Hälfte kommunale Altschulden einmalig übernehmen. Das ist das Grundkonzept dessen, was wir vorhaben.

Die Chance, dass es dafür jetzt wenige Wochen vor der Bundestagswahl noch eine Verfassungsänderung gibt, die dafür nötig wäre, ist sehr gering. Warum kommt die Bundesregierung erst jetzt bei so einem schon lange bekannten, drängenden Problem mit einer Lösung um die Ecke?

Kukies: Die Tatsache ist, dass wir schon noch Zeit haben. Wir haben eine bevorstehende Kabinettbefassung. Der Bundestag kann darüber beraten. Er kann auch rasch darüber beraten. Der Bundesrat tagt auch noch. Von daher gibt es schon noch Möglichkeiten zu agieren. Wir schlagen jetzt in der ersten Stufe zunächst eine Änderung des Grundgesetzes vor. Das heißt, wir schaffen nur die Möglichkeit für den Bund, hier zu agieren. Stand jetzt darf der Bund an einer solchen Regelung gar nicht teilnehmen, weil es keine verfassungsrechtliche Möglichkeit gibt. Und wir wollen im ersten Schritt nur die Möglichkeit schaffen. Das Nähere regelt ein Gesetz, wie es so oft heißt. Das wäre auch hier der Fall.

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Der Städte- und Gemeindebund sagt, die Idee für die Altschuldenübernahme sei eine gute Sache. Aber das löse die strukturellen finanziellen Probleme mit ständig steigenden laufenden Kosten nicht. Was sagen Sie zu solchen Anmerkungen?

Kukies: Das ist eine Diskussion, die man in der föderalen Republik wie der unseren immer hat, dass bei allen Gesetzen zwischen den drei Ebenen Bund, Ländern, Kommunen diskutiert wird, wie die Finanzlasten aufzuteilen sind. Und das ist ja auch gut gelebte Praxis in unserer Demokratie. Als Finanzminister kann ich auch sagen, dass auch der Bund enge Finanzierungsbedingungen hat. Und auch bei uns ist es oft so, dass nicht alle Ausgabenwünsche befriedigt werden können. Von daher ist es völlig klar, dass das immer eine Abwägung ist zwischen den Ebenen, immer wenn neue Gesetze kommen. Bei der Anpassung der kalten Progression, als wir die Steuerentlastungen kurz vor Weihnachten gemacht haben, gab es genau diese Diskussionen auch zwischen den Kommunen, die gesagt haben, dann fallen ihnen aber Anteile weg, und den Ländern. Das ist eine immer wiederkehrende Aufgabe in einer föderalen Finanzverfassung.

Was kann der Bund tun, um die teils prekäre Situation der Kommunen zu verändern?

Kukies: Wir versuchen sehr gezielt einzugreifen. Und es wird den Bund natürlich auch Geld kosten. Sobald wir Liquiditätskredite übernehmen, muss der Bund ja dafür sorgen, dass sie verzinst werden. Diejenigen, die die Kredite ausgereicht haben, wollen ja trotzdem ihre Zinsen bekommen. Und die Darlehen müssen natürlich zurückgeführt werden. Das heißt, das wird den Bund auch im laufenden Haushalt belasten und die betroffenen Kommunen entlasten. Deshalb muss auch klar sein, und das ist auch in unserem Vorschlag beinhaltet: Erstens ist es eine einmalige Aktion, und zweitens müssen die Länder, die die Kommunalaufsicht haben, dann in ihren Haushaltsregeln und mit ihrer Kommunalaufsicht dafür Sorge tragen, dass das nicht noch mal passiert, dass so hohe Altschulden aufgetürmt werden. Von daher ist auch der Anreiz da, das Problem zu lösen, aber auch der Anreiz da, zu verhindern, dass das Problem wieder auftritt.

Das Interview führte Balthasar Hümbs.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 22.01.2025 | 07:21 Uhr

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Haushaltspolitik

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