Naim Bajrami steht auf einer Straße in Wismar. © NDR Foto: Lennart Banholzer

Ein Kosovare in Schwerin: Der lange Weg zur neuen Heimat

Stand: 19.06.2023 18:00 Uhr

Es herrscht Krieg in Europa. Das ist heute so - und das war auch vor 25 Jahren so, als die Kämpfe im Kosovo begannen. Auch damals flohen Tausende Menschen vor der Gewalt ins Ausland. Naim Bajrami lebt seitdem in Schwerin. 

von Lennart Banholzer

Sommer 1998: Die Lage im Kosovo spitzt sich immer weiter zu. Die Nachrichten von damals klingen so wie heute - auch wenn die Protagonisten andere sind. Serbische Panzer zerschießen albanische Dörfer. Zehntausende Flüchtlinge sind mit wenig mehr als ihrer Kleidung am Leib unterwegs. Naim Bajrami verlässt den Kosovo bereits kurz bevor die Kämpfe richtig eskalieren.

"Ich bin abgehauen in die Schweiz. Aber die Schweizer wollten mich in den Kosovo zurückschicken. Ich wusste nicht, wo ich hin sollte. Ich hatte niemanden von der Familie oder von Bekannten. Ich wollte nur weg da", erinnert sich Naim Bajrami.

Ohne Perspektive im Flüchtlingsheim

Bajrami kommt in eine Flüchtlingsunterkunft in Wismar, teilt sich das Zimmer mit anderen Geflüchteten. Am Anfang denkt er, es ist nur für kurze Zeit, bis sich die Lage im Kosovo beruhigt. Doch er bleibt mehr als fünf Jahre in der Unterkunft - ohne langfristige Aufenthaltserlaubnis, ohne Sprachkurs, ohne Berechtigung zu arbeiten.

"Fünf Jahre lang nur schlafen, rausgehen, Kaffee trinken und dann wieder ins Heim - darunter habe ich gelitten. Aber eine andere Möglichkeit hast du nicht gehabt, obwohl du wolltest und es auch immer versucht hast. Es war damals einfach nicht möglich", sagt Bajrami. 

Weitere Informationen
Ein Flüchtling sitzt in Friedland in einer Unterkunft. © picture alliance/dpa Foto: Swen Pförtner

Weltflüchtlingstag: Für mehr Integration und Akzeptanz

Mehr als 110 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Wie geht es denen, die nach Deutschland kommen? Wie kann Integration gelingen? mehr

Arbeitserlaubnis erst nach vielen Jahren

An Bajramis Aufenthaltsstatus ändert sich lange nichts. Eine NATO-Koalition unter Beteiligung von Deutschland greift serbische Ziele im Kosovo und in Serbien an. Doch nur langsam beruhigt sich die Lage dort. Erst 2008 erklärt der Kosovo seine Unabhängigkeit. Bis heute ist eine NATO-Sicherheitstruppe in dem Land stationiert. Für Bajrami kommt eine Rückkehr deshalb lange nicht infrage.

Schließlich entscheidet er sich, in Deutschland zu bleiben: Er lernt eine Frau kennen, heiratet und darf ab 2006 endlich ganz legal arbeiten. 2011 gründet er in Schwerin seine eigene Firma - für Trockenbau. "Wir machen nur Innenausbau, Renovierungen. Ich habe ganz klein angefangen. Mittlerweile sind wir schon eine relativ große Firma, mit 32 Angestellten. Es war nicht einfach für uns. Aber ich bin ein Mensch, der nie aufgibt."  

Rückenansicht eines Kindes mit Teddybär im Rucksack. © Fotoalia Foto: Lydia Geissler
AUDIO: Jahresbericht des UNHCR: So viele Geflüchtete wie nie zuvor (3 Min)

Das Herz noch im Kosovo

Mittlerweile laufen die Geschäfte gut, sagt er. Auch wenn er manchmal den Eindruck hat, Aufträge nicht zu bekommen, weil die nach ihm benannte Firma keinen deutschen Namen hat. Für seine Kinder ist Schwerin heute die Heimat, bei ihm ist das anders. "Ich fühle mich hier wohl. Ich habe hier was aufgebaut. Aber mein Herz ist mehr im Kosovo. Irgendwann wird der Schritt da sein, dass ich sage: Ich werde wieder zurückgehen. Aber nicht in einem Jahr, nicht in fünf Jahren, vielleicht in der Rente."

Schon jetzt fährt er, wann immer er kann, in den Kosovo. Meistens in die Hauptstadt Pristina. Schon bald will er sich wieder auf den Weg machen. 

Weitere Informationen
Gründerin Sylwia Sobotko. © Screenshot
1 Min

Geflüchtete gründen Begegnungsstätte in Lauenburg

Sylwia Sobotko hilft bei Behördengängen, gibt Sprachkurse und organisiert Termine. Sie kam einst selbst als Geflüchtete nach Lauenburg. 1 Min

Flüchtlinge sitzen in Hamburg auf Treppenstufen. © picture allaince / dpa Foto: Daniel Bockwoldt

Weltflüchtlingstag: Auch in Hamburg suchen Zehntausende Schutz

Derzeit leben in Hamburg knapp 45.000 Flüchtlinge. Die bestehenden Unterkünfte sind ausgelastet. Weitere sollen hinzukommen. mehr

Gerd Landsberg © dpa picture alliance Foto: Britta Pedersen
6 Min

Flüchtlingshilfe: Kommunen plädieren für Grundgesetzänderung

Die Versorgung von Flüchtlingen müsse im Grundgesetz als Gemeinschaftsaufgabe definiert werden, fordert Gerd Landsberg, Chef des Städte- und Gemeindebundes. 6 Min

Jürgen Trittin | NDR/Wolfgang Borrs © NDR/Wolfgang Borrs Foto: Wolfgang Borrs
6 Min

Trittin: "Deutsche Asylpolitik in Europa nicht mehrheitsfähig"

Jürgen Trittin, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, zeigt sich im Interview mit NDR Info zufrieden mit den Ergebnissen des Länderrats. 6 Min

Der Dom überragt die Häuser am Greifswalder Markplatz. © imago images / pemax

Greifswalder stimmen gegen Flächen-Verpachtung für Flüchtlingscontainer

Die Greifswalder konnten in einem Bürgerentscheid darüber abstimmen, ob die Stadt dem Landkreis Vorpommern-Greifswald entsprechende Flächen verpachten darf. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 19.06.2023 | 23:59 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Migration

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau hält ein Smarthphone in die Kamera, auf dem Display steht "#NDRfragt" © PantherMedia Foto: Yuri Arcurs

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Ein Polizist geht über den gesperrten Weihnachtsmarkt in Magdeburg. © dpa Foto: Sebastian Kahnert

Mutmaßlicher Täter von Magdeburg drohte in MV mit "Ereignissen"

Taleb A. lebte von 2011 bis 2016 in Stralsund. In einem Streit mit der Ärztekammer sprach der heute 50-Jährige schwere Drohungen aus. mehr