Stand: 29.10.2018 14:00 Uhr

Offshore-Windparks - auch mal im Gegenwind

Eine Offshore-Windenergieanlage wird installiert © Repower Systems
Mehrere Hundert Windkraftanlagen sind in Nord- und Ostsee in den letzten Jahren gebaut worden.

Experten sind sich sicher: Die Zukunft der Stromerzeugung liegt auf dem Meer. Denn die Windverhältnisse rund um Offshore-Windparks sind deutlich besser als an Land. Windenergieanlagen (WEA) können dort fast doppelt so viel Strom erzeugen. Die (zuletzt immer wieder nach unten korrigierten) Ziele der Bundesregierung sehen vor, dass im Jahr 2030 die deutschen Offshore-Windanlagen 15 Gigawatt Strom erzeugen und damit rein rechnerisch die Jahresleistung von rund zwölf Atomkraftwerken ersetzen.

Problematisch ist nach wie vor, wie der Strom von der Küste bis in die Regionen transportiert werden kann, wo er gebraucht wird. Derzeit sind mehrere Trassen in Planung. Viele Anwohner haben vor allem gegen die überirdischen Hochspannungsleitungen Bedenken. Erdkabel sind aber deutlich teurer, sodass die einzelnen Trassen mehrere Milliarden Euro kosten und wohl nicht vor Mitte der 2020er-Jahre in Betrieb gehen werden.

Immer mehr Anlagen, immer mehr Strom

Die Windparks in der Nordsee erzeugten 2017 knapp 16 Terawattstunden Strom und damit 47 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Dazu kommen noch einmal rund 1,5 Terawattstunden aus der Ostsee, sodass die gesamte Windernte rund 17,5 Terawattstunden betrug, wie der Netzbetreiber Tennet mitteilte.

Ende Juni 2018 waren nach Angaben von Deutsche WindGuard 1.169 Anlagen in 18 Windparks am Netz - 997 in der Nordsee und 172 in der Ostsee. Zusammen verfügen sie über eine Leistung von knapp 5.400 Megawatt. Zum Vergleich: Die verbliebenen deutschen Atomkraftwerke leisten im Schnitt gut 1.400 Megawatt. Den Angaben des Bundesverbandes WindEnergie zufolge beschäftigt die Branche 27.200 Menschen im Bereich Offshore (Stand 2016).

Die deutschen Offshore-Anlagen in der Nordsee

alpha ventus

45 Kilometer vor Borkum geht im April 2010 der erste deutsche Offshore-Windpark "alpha ventus" in Betrieb. Die 250 Millionen Euro teure Anlage ist als Testfeld der großen Energieunternehmen E.ON, Vattenfall und EWE konzipiert, steht in 30 Meter tiefem Wasser und besteht aus zwölf Turbinen mit einer Leistung von je fünf Megawatt, insgesamt also 60 Megawatt. Die einzelnen Komponenten der Anlage wurden zumeist an Land vormontiert: Inklusive Rotor sind die Windkraftwerke rund 143 Meter hoch.

Die deutschen Offshore-Anlagen in der Ostsee

Baltic 1

In der Ostsee nahm "Baltic 1" als erster kommerzieller Offshore-Windpark im Mai 2011 den Betrieb auf. Die Anlage ging nach einem Jahr Bauzeit mit einer Gesamtleistung von 48,3 Megawatt ans Netz. Die 21 Windkraftanlagen des Betreibers EnBW stehen rund 16 Kilometer vor Zingst und liefern Strom für rund 50.000 Haushalte.

Offshore-Anlagen deutlich teurer

Die Errichtung von Offshore-Anlagen wird durch die immensen Kosten erschwert: Pro installiertem Megawatt Leistung werden bei Anlagen im Meer je nach Standort zwischen 2,5 und 4 Millionen Euro fällig. Die Kosten an Land werden mit etwa 1 bis 1,4 Millionen Euro pro Megawatt beziffert. Konkret: Der Windpark "BARD Offshore 1" vor Borkum war am Ende deutlich teurer als ursprünglich geplant und kam auf Investitionskosten von mehr als zwei Milliarden Euro.

Die deutschen Anlagen sind zumeist aufwendiger konzipiert als die der europäischen Nachbarn. Während sie in Dänemark oder Schweden dichter an Land stehen, müssen die deutschen Windräder wesentlich weiter von der Küste entfernt sein - das bedeutet einen höheren Aufwand beim Bau und bei der Wartung. Einige Experten bezweifeln daher, dass sich Windparkentwickler weiterhin an deutsche Offshore-Projekte heranwagen, wenn sie kostengünstiger im Ausland umgesetzt werden können.

Gravierende Folgen für die Offshore-Branche

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Raues Wetter, schwere Stürme, aggressives Salzwasser, vielleicht auch Eisschollen - der Bau und die Wartung der Offshore-Anlagen, die immerhin bis zu 20 Jahre ihren Dienst verrichten sollen, stellt die Betreiber vor große Herausforderungen.

Damit sich die Investitionen trotzdem lohnen, verabschiedete die Bundesregierung 2000 das sogenannte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das zum ersten Mal eine besondere Einspeisevergütung für deutsche Offshore-Windparks vorsah. Umstrittene Reformvorschläge unter dem Schlagwort "Strompreisbremse", denen zufolge die EEG-Umlage gedeckelt werden sollte, hatten ab 2013 gravierende Folgen für die Offshore-Branche. Banken und Investoren zogen sich zurück, viele Beschäftigte verloren daraufhin ihren Job.

Mehr Geld für Offshore-Anlagen

Nach einer erneuten Überarbeitung des Gesetzes im Juli 2014 blieb eine erhöhte Anfangsvergütung von 15,4 Cent pro Kilowattstunde für die ersten zwölf Jahre bestehen. Alternativ wurde Investoren ein "Stauchungsmodell" angeboten, dass eine Anfangsförderung von 19,4 Cent vorsieht - allerdings nur für die ersten acht Jahre. Zum Vergleich: An Land gab es laut der 2014 in Kraft getretenen Novelle nur eine Anfangsvergütung von 8,9 Cent pro Kilowattstunde.

Das Vergütungsmodell für Windenergie wurde ab 2017 erneut geändert und in ein Ausschreibungsmodell umgewandelt, bei der sich Erzeuger um die Stromproduktion bewerben können. Experten wie der Hamburger Professor für Windenergie und Konstruktion, Peter Dalhoff, sehen diese Entwicklung kritisch. Sie befürchten, dass sich Investoren erneut zurückziehen, wenn sie nicht mehr auf eine verlässliche Vergütung bauen können.

Umweltschützer mit nur wenig Bedenken

Während die Windenergieanlagen zu ihren Anfangszeiten auf dem Land wegen ihrer Auswirkungen auf die Umwelt immer wieder kritisch beäugt wurden, begrüßen Umweltschützer heute zumeist die neue Offshore-Technik. "Wenn wir die Risiken der verschiedenen Technologien abwägen, ist die Windkraft als eine erneuerbare Energie klar den Atom- oder Kohlekraftwerken vorzuziehen", heißt es beispielsweise bei Greenpeace.

Welche Folgen hat die Technik für das Leben im Meer?

Doch der Bau der Anlagen bedeutet für die Meeresbewohner ernste Risiken. Denn damit die riesigen Generatoren nicht von Wind und Wellen umgeworfen werden, müssen ihre Fundamente mit dicken Pfählen im Meeresgrund verankert werden. Mächtige Rammen treiben die fünf bis sechs Meter dicken Pfähle mit mehr als 1.000 Schlägen in den Boden und verursachen dabei enormen Lärm - jeder Rammstoß ist mindestens 225 Dezibel laut.

Naturschützer befürchten, dass dieser Lärm - trotz gesetzlicher Schallschutzauflagen - beispielsweise hörempfindliche Schweinswale nicht nur vertreibt, sondern sogar schädigen kann: Untersuchungen zufolge wird ihr Gehör schon bei einer Lautstärke von 200 Dezibel beeinträchtigt. Zum Vergleich: Ein Düsenjet erreicht 150 Dezibel. Die menschliche Schmerzgrenze liegt zwischen 120 und 140 Dezibel. Andere Tierarten könnten die Windpark-Fundamente allerdings auch nutzen: Einem Forschungsprojekt zufolge sind sie prinzipiell dafür geeignet, beispielsweise dem Nordsee-Hummer einen neuen Lebensraum zu bieten.

Tourismus-Experten skeptisch

Nach wie vor skeptisch gegenüber Offshore-Windparks sind Tourismus-Experten. Sie fürchten zurückgehende Gästezahlen, wenn Windräder den Blick zum Horizont verstellen, und sehen zudem die Gefahr von Schiffskollisionen an den Fundamenten der Windparks. Ölverschmutzte Strände könnten eine Folge sein. Außerdem gab es Forderungen, eine Lotsenpflicht einzuführen, um Havarien zu vermeiden.

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Dieses Thema im Programm:

NDR//Aktuell | 06.12.2016 | 21:15 Uhr

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