Eine gebrauchte medizinische Maske hängt an einem Weihnachtsbaum auf dem einem Weihnachtsmarkt. © picture alliance/dpa Foto: picture alliance/dpa | Hauke-Christian Dittrich

Coronavirus-Update-Sonderfolge: Alles machen, was möglich ist

Stand: 03.12.2021 17:00 Uhr

In der Sonderfolge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update erklärt der Modellierer Dirk Brockmann, welche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie jetzt sinnvoll sind.

Bund und Länder haben sich gestern - am 2. Dezember 2021 - auf die Verschärfung der Corona-Regeln geeinigt. Unter anderem sollen Großveranstaltungen und Zusammenkünfte, an denen Ungeimpfte beteiligt sind, beschränkt werden. Außerdem soll beispielsweise die Impfkampagne gestärkt werden und bundesweit der Zugang zu öffentlichen Räumen nur mit der 2G-Regel möglich sein. Wie sinnvoll diese Beschlüsse sind und wie sinnvoll Einschränkungen für Geimpfte und Ungeimpfte, dazu spricht Wissenschaftsredakteurin Beke Schulmann in unserer Coronavirus-Update Sonderfolge mit dem Physiker Dirk Brockmann. Er arbeitet für die Humboldt-Universität Berlin und am Robert Koch-Institut als Modellierer und hat mit seinem Team neue Analysen erstellt.

Die zentralen Themen der Folge im Überblick - per Klick direkt zur Textstelle springen

Bewertung der aktuellen Lage

Kontakte in der Pandemie

Unterschiedliche Kontakte an Werktagen und Wochenenden

Wie sinnvoll wäre ein Lockdown?

Kontakte in den Abendstunden

Der Einfluss von Ungeimpften auf das Pandemiegeschehen

2G versus 3G

Generelle Impfpflicht sinnvoll?

Die Verbreitung von Omikron

Bewertung der aktuellen Lage

Beke Schulmann: Das Infektionsgeschehen zu bewerten ist im Moment etwas schwierig. Die Infektionszahlen sind ein paar Tage etwas zurückgegangen, aber Fachleute gehen auch schon davon aus, dass es sich um eine deutliche Untererfassung handelt. Was würden Sie sagen, entgleitet uns gerade die Lage?

Dirk Brockmann: Ja, ich glaube, man muss das ein bisschen differenziert betrachten. Es ist ja tatsächlich so, dass wir bundesweit so eine Art Stagnation sehen. Das hat viele Gründe. Also zum Beispiel kann es Untererfassung sein, aber es lohnt sich auch, es sich geografisch aufgelöst anzuschauen. Wenn wir uns die Landkreise in Deutschland angucken, dann gibt es ja erst mal in verschiedenen Regionen verschiedene Situationen.

Es gibt die Hochinzidenz-Gebiete Sachsen und Bayern. Und in vielen Landkreisen ist es tatsächlich so, dass die Fallzahlen auch wieder sinken. In anderen steigen sie aber. Und so ergibt sich da ein Mix. So eine Art Stagnation, die aber, wenn man sie etwas genauer anguckt, regional sehr unterschiedlich ist. Also wir sehen zum Beispiel in einigen Landkreisen in Bayern und Sachsen einen systematischen Rückgang der Inzidenz. Aber andere Landkreise haben auch wieder Anstiege.

Bewertung des RKI

Schulmann: Das RKI, mit dem Sie ja auch zusammenarbeiten, hat ja auch offenbar Schwierigkeiten mit der Bewertung der Lage. Da hieß es jetzt im aktuellen Wochenbericht, es könne eben sein, dass dieser gebremste Anstieg der Sieben-Tage-Inzidenz auf ein Abschwächen insgesamt hindeuten könnte, aber eben auch durch eine Überlastung von den Gesundheitsämtern und Laboren kommen könne. Wie schätzen Sie da auf den Gesundheitsämtern die Situation ein?

Brockmann: Das kann ich schwer beurteilen. Ich würde es aber auf jeden Fall so bewerten, dass, wenn man verschiedene Ursachen hat, die eine mögliche Erklärung sind für einen geringeren Anstieg und dann ja auch für einen kurzen Rücklauf, und jetzt geht es wieder hoch. Oder wenn man es halt regional betrachtet, auch so unterschiedliche Dynamiken. Dann würde ich immer erst mal davon ausgehen, wenn man vorsichtig agiert, dass man also Maßnahmen ergreifen muss.

Also Kontakte reduzieren, damit es auf jeden Fall runtergeht. Wir wollen ja keine Situation wie in der zweiten Welle, also in diesem Soft-Lockdown, in der wir ja auch einen Anstieg hatten und dann eine Plateaubildung und eine lange Diskussion, ob man jetzt noch weiter was machen muss oder nicht. Und dann hat das noch mal deutlich angezogen. Also daraus müssten wir lernen.

Das Coronavirus © CDC on Unsplash Foto: CDC on Unsplash

Sonderfolge: Alles machen, was möglich ist

Sendung: Das Coronavirus-Update von NDR Info | 03.12.2021 | 17:25 Uhr | von Schulmann, Beke
57 Min

Modellierer Dirk Brockmann erklärt, welche Maßnahmen jetzt sinnvoll sind und wie Ungeimpfte die Pandemie beeinflussen.

00:01:22 Bewertung der aktuellen Lage
00:06:10 Kontakte in der Pandemie
00:12:00 Unterschiedliche Kontakte unter der Woche
00:18:00 Wie sinnvoll wäre ein Lockdown?
00:21:10 Kontakte in den Abendstunden
00:23:18 Der Einfluss von Ungeimpften auf das Pandemiegeschehen
00:33:20 2G vs. 3G
00:35:27 Generelle Impfpflicht sinnvoll?
00:41:16 Die Verbreitung von Omikron

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Schulmann: Sie sind ja als Modellierer auch von Anfang an in dieser Pandemie damit beschäftigt gewesen, aufzuzeigen, was wahrscheinlich passiert, wenn wir jetzt zum Beispiel keine weiteren Maßnahmen ergreifen. Dann sind jetzt auch immer mal wieder Stimmen aus der Politik zu hören, die sagen: "Na ja, mit der vierten Welle, wir wussten ja von nichts, das konnte ja keiner ahnen, dass diese Welle uns jetzt eben so hart trifft." Macht Sie das auch ein Stück weit vielleicht sogar fassungslos?

Brockmann: Also, das RKI hat ja verschiedene Szenarien schon im Sommer berechnet und nicht nur die Teams da, sondern auch andere. Und man muss ja immer verstehen, diese Modellierungen, die machen ja sozusagen keine Vorhersage und sagen dann: "So wird es passieren." Das war ja auch immer die Kritik oder auch ein Missverständnis.

Das sind halt keine prognostischen Modelle in dem Sinne, dass sie genau vorhersagen, was passieren wird. Und dann passiert das entweder oder es passiert nicht. Sondern es werden verschiedene Szenarien durchgerechnet, die auf verschiedenen Annahmen beruhen. Und dann legen diese Modelle Scharen von Möglichkeiten auf den Tisch.

Herbstwelle mit Delta

Ein Szenario war eben auch genau das, was eingetreten ist, nämlich dass wir in dieser Herbstwelle mit Delta einen starken Anstieg der Inzidenz sehen werden. Und wenn das ein Szenario ist und auch unter realistischen Annahmen möglich ist, dann muss man eben auch damit rechnen. Und das ist halt etwas, was im Sommer eigentlich schon bekannt war. Und so ein bisschen komisch ist es natürlich auch, wenn man solche Szenarien dann kommuniziert und auch warnt, dass es so kommen könnte.

Nicht zwangsläufig so kommen muss, aber, dass es so kommen könnte. Dann muss man halt vorsichtig sein. Und als es sich dann letztendlich auch realisiert hat, es gab ja dann einen Anstieg, dann gab es wieder ein kurzes Minimum in der Inzidenz und dann hat es über vier Wochen so richtig angezogen, und alle waren so ein bisschen überrascht, vielleicht auch gelähmt, weil sich das, was im Sommer ein Szenario war, bewahrheitet hat. Da hätte man dann natürlich sehr früh reagieren müssen. Das ist ja klar.

Kontakte in der Pandemie

Schulmann: Jetzt sprechen wir am Tag nach den Beschlüssen von Bund und Ländern zu weiteren Maßnahmen gegen die Pandemie und über alles, was die Impfungen betrifft, würde ich gerne gleich noch ausführlich mit Ihnen sprechen. Aber erst mal würde ich jetzt gerne mit Ihnen über die Beschlüsse zu Kontaktbeschränkungen sprechen und da bei den Großveranstaltungen anfangen. Bei Großveranstaltungen in Innenräumen soll es jetzt eine Obergrenze von 5.000 Menschen geben, die soll eingehalten werden. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Brockmann: Ja, also das ist ja das eine und das andere ist, dass in Innenräumen prozentual reduziert wird, also was die Kapazitäten angeht. Und das ist schon ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Weil eine wesentliche Eigenschaft dieser Infektionsdynamik ist, dass sie durch zwei Dinge angetrieben wird: einmal sozusagen die Absolutanzahl der Kontakte oder so die mittlere Anzahl der Kontakte über den Tag und über die Zeit, die Personen haben.

Kontaktvariabilität

Aber eben auch der zweite Faktor, und das wird oft vernachlässigt, das ist die Kontaktvariabilität. Was heißt das? Also ich male mal zwei Bilder an die Tafel. Wir könnten uns vorstellen, dass alle von uns etwa jeden Tag gleich viele Kontakte haben. Dann wäre das eine sehr homogene Kontaktstruktur. Alle würden sich in etwa gleich verhalten, auch über die Zeit gleich verhalten. Aber es kann auch sein, dass eine Person sehr wenige Kontakte hat und andere sehr viele Kontakte.

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Coronavirus-Update Sonderfolge

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Also man kann sich vorstellen, dass zum Beispiel sehr viele Menschen sehr wenige Kontakte haben, aber sehr wenige Menschen, sehr viele. Also dass diese Kontakthäufigkeitsverteilung sehr breit ist, und das misst man mit der Kontaktvariabilität. Man weiß aus Modellen, die etwa 20 Jahre alt sind, aber auch aus empirischen Studien, dass nicht nur die Anzahl der Kontakte, also die Durchschnittskontakte, die man hat, sondern auch diese Variabilität ein wichtiger Faktor ist.

Infektionsdynamik

Das treibt beides in gleichem Maße die Infektionsdynamik an. Und wenn man jetzt überlegt, wie man Kontakte reduziert, könnte man entweder eine Philosophie machen, dass man sozusagen homogen reduziert. Also alle reduzieren die Kontakte um 30, 40 Prozent, sagen wir mal, oder man zieht das von der anderen Seite auf, indem man sagt: "Wir reduzieren die Kontakte, indem wir diese großen Gruppen einfach nicht mehr zulassen". Und da zeigt sich aus verschiedenen Studien, dass das der viel effektivere Weg ist, jedenfalls was die persönlichen Konsequenzen angeht. Also wie stark Leute verzichten müssen.

Also wenn man auf große Gruppen verzichtet, sind die Effekte, die man erzielt, ungleich höher. Das kann man sich gut vorstellen, indem man sich, sagen wir mal, eine Gruppe von 100 Leuten vorstellt. Also es treffen sich 100 Leute in einem Raum, dann sind das in etwa 10.000 mögliche Transmissionswege. Weil 100 Leute in etwa mit hundert anderen interagieren können. Also gibt es im Prinzip 10.000 mögliche Transmissionswege. Und wenn man die Gruppe jetzt auf nur 50 verkleinert, dann sind das nur noch 2.500, also nur noch ein Viertel.

Also wenn man eine Gruppe halbiert, dann viertelt man die Kontakte oder wenn man eine Gruppe auf ein Drittel reduziert, dann sind es auf einmal nur noch zehn Prozent der möglichen Kontakte. Deshalb ist diese Philosophie, Gruppengrößen zu verringern, sehr gut. Wenn ich allerdings höre, 5.000 Menschen in einem Raum, dann bin ich da natürlich am Zweifeln, ob das substanziell viel bringt. Wenn es halt 5.000 sind statt 25.000, ist das natürlich dennoch ein Gewinn.

Das heißt, wir müssen das ja an allen Ecken und Kanten drehen. Das heißt, wenn ich alle großen Gruppentreffen um einen substanziellen Anteil reduziere, dann reduziere ich diese Kontaktvariabilität. Das ist ein wichtiger Punkt.

Schulmann: Gibt es eine Gruppengröße, von der Sie sagen würden, die wäre gerade noch in Ordnung, um das Pandemiegeschehen trotzdem zu drücken?

Brockmann: Nein, das kann man so auch nicht sagen. Sie müssen sich das so vorstellen: Diese Kontaktverteilung ist eine sehr breite Verteilung und man muss sie sozusagen von der einen Seite abschneiden, aber wo da der kritische Wert ist, kann man auch gar nicht sagen, sondern man muss da halt von der Ecke kommen und dann tatsächlich wirklich große Gruppen vermeiden. Und wir hatten das ja schon mal im Lockdown, dass wir gesagt haben, keine Treffen mehr mit mehr als zehn Leuten oder mehr als fünf Leuten im privaten Bereich, das sind ja auch Elemente der Maßnahmen.

Aber tatsächlich ist es so, dass, egal in welchem Kontext wir uns befinden, wir sollten uns halt immer überlegen, dass, wenn ich persönlich jetzt zum Beispiel infektiös bin und in eine Gruppe mit drei Leuten gehe, dann kann ich maximal drei Leute anstecken, wenn die zum Beispiel nicht geimpft sind oder auch, wenn sie geimpft sind. Aber wenn es halt 30 sind, dann ist das überproportional. Und so muss man das an allen Ecken drehen. Was wir wissen, ist, dass diese Kontaktvariabilität, die aus dem Sommer kommt, immer stärker zugenommen hat. Das messen wir empirisch, wir messen ja Kontakte. Das ist Teil unseres Kontaktmonitor-Projekts, wo wir mit der Firma Net Check zusammenarbeiten, die geben uns solche Daten.

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Schulmann: GPS-Daten, oder wie funktioniert das genau?

Brockmann: Wir haben keine GPS-Daten, sondern wir kriegen nur Daten von dem Kooperationspartner dazu, wie viele Kontakte ein Mensch pro Tag hat. Und das aggregiert zum Beispiel pro Bundesland. Und da sehen wir, dass tatsächlich sowohl die Kontakthäufigkeit als auch die Variabilität seit dem Sommer zugenommen hat, genauso kongruent wie mit der Winterwelle letztes Jahr. Da war es ähnlich. Da haben auch diese beiden Faktoren zugenommen.

Unterschiede an Werktagen und Wochenenden

Schulmann: Zu den Kontakthäufigkeiten: Da haben Sie ja jetzt auch noch Berechnungen gemacht und geguckt, wann in der Woche wir im Moment wie viele Kontakte haben. Also wann eher weniger und wann eher mehr. Vielleicht können Sie uns das noch mal ein bisschen näherbringen. Wann sind die Menschen in Deutschland gerade viel unterwegs?

Brockmann: Wenn man sich diese Kontakthäufigkeit genauer anschaut, dann gibt es da im Wesentlichen zwei Größen. Es gibt die Kontakthäufigkeit und die Kontaktvariabilität. Also wie unterschiedlich meine Treffen in kleinen Gruppen sind, in großen Gruppen und so weiter. Und wir sehen eigentlich seit der Welle eine Stagnation, wenn man das über die ganze Woche betrachtet.

Aber wenn man jetzt Wochenenden und Werktage getrennt betrachtet, dann sieht man da eine Schere, die auseinandergeht. Das heißt, werktags haben die Menschen ihre Kontakte schon leicht reduziert. Sie arbeiten stärker im Homeoffice. Aber an Wochenenden nimmt sowohl die Kontakthäufigkeit als auch die Variabilität zu. Also wir sehen halt, im Freizeitbereich gehen wir wieder in Restaurants, zu Veranstaltungen, Konzerten etc. Wo wir uns halt in großen Gruppen treffen.

Schulmann: Die ja auch einfach viel am Wochenende stattfinden.

Brockmann: Ganz genau und das hat weiter zugenommen. Es gibt allerdings jetzt auch frohe Botschaften, insbesondere aus Sachsen und Bayern, dass die letzten Datenpunkte der letzten zwei Wochen zeigen, dass da auch ein starker Rückgang zu beobachten ist, also auch an den Wochenenden. Es gibt zwar noch einen Unterschied, aber es gibt offenbar eine Reaktion in der Gesellschaft. Oder es kann auch eine Konsequenz dieser Wellenbrecher-Maßnahmen sein, dass es tatsächlich runtergeht. Das ist ein gutes Signal. Ob das dann ausreicht, das werden wir sehen.

Schulmann: Das heißt, die Leute beschränken sich da vielleicht auch schon selbstständig, weil sie sagen: "Bei uns ist jetzt gerade eine sehr hohe Inzidenz. Da gehe ich lieber nicht ins Kino oder nicht ins Restaurant, sondern bleib lieber zu Hause." Also so eine Art Selbstschutz?

Brockmann: Ja, das ist ein Element. Und wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass dieser Anstieg der Kontakte und der Variabilität auch etwas damit zu tun hat, dass natürlich Menschen eine doppelte Impfung hatten, damit als geschützt galten. Und gegen schwere Erkrankungen sind sie es ja auch. Erst so nach und nach sickerten die Informationen durch, dass auch geimpften Personen am Infektionsgeschehen teilnehmen, zwar weniger, aber darüber reden wir ja sicherlich noch. Aber ich persönlich weiß es ja auch.

Ich hatte eine doppelte Impfung im Sommer und dann weiß man, also die Information, die sich auch in der Bevölkerung verfestigt hat, dass ich mich mit einer Impfung natürlich wieder freier bewegen kann. Wir können in den Kontaktdaten nicht unterscheiden zwischen Geimpften und Ungeimpften, aber das ist natürlich ein wesentliches Element. So langsam sickert die Information durch, dass man natürlich auch als geimpfte Person angesteckt werden kann.

Impfdurchbrüche

Es gibt eben Impfdurchbrüche. Die schweren Erkrankungen sind viel, viel seltener unter den Geimpften. Aber auch die Geimpften werden dann wieder vorsichtiger, weil man natürlich auch im persönlichen Umfeld immer mehr davon hört: "Ah, okay, die Person war geimpft und hat dennoch Covid bekommen, sie ist nicht besonders krank geworden etc." Aber plötzlich spürt man die Gefahr wieder näher.

Schulmann: Vielleicht auch die Gefahr, Geimpfte zu treffen und sich dann doch zu infizieren.

Brockmann: Genau. Diese Dynamik ist ja zwischen den Geimpften und Ungeimpften außerordentlich komplex, aber als geimpfte Person kann man andere Geimpfte anstecken. Aber auch Ungeimpfte kann man anstecken. Und es geht hin und her. Aber das ist wieder näher. Das macht sich halt in diesen Verhaltensmustern bemerkbar, die wir dann empirisch messen.

Wie sinnvoll wäre ein Lockdown?

Schulmann: Wenn wir noch mal auf die Verteilung der Kontakte unter der Woche und am Wochenende zurückkommen, könnte man da sagen: Eigentlich bräuchte man da vielleicht gar keinen generellen Lockdown, sondern es würde schon einiges bewegen, wenn wir alle Großveranstaltungen einfach generell absagen würden. Also vielleicht auch sagen: "Am Wochenende bleiben jetzt einfach mal alle zu Hause."

Brockmann: Natürlich würde das was bringen. Aber es ist ja immer die Frage: Müssen wir nicht alles machen, was möglich ist? Also wir haben in den verschiedenen Wellen, also nicht bei der ersten, aber in der zweiten, beim Soft-Lockdown, auch bei der dritten Welle immer diskutiert: Reicht dies aus? Reicht vielleicht das aus? Finden Kontakte nicht hier statt oder in der Schule oder am Arbeitsplatz oder im Restaurant oder im Club oder beim Einkaufen?

Da war ja der Diskurs oftmals so, dass man überlegt hat, welche dieser Faktoren, die ja alle Faktoren sind, sind wichtig und welche sind vernachlässigbar oder weniger wichtig. Das lässt sich aber sehr schwer messen und deshalb ist da der Diskussions-Spielraum offen. Und was man im Diskurs halt merkt, ist, dass natürlich alle, die betroffen sind, viel leichter eine Behauptung loswerden: "Bei uns passiert das nicht." Dann sind halt alle möglichen Akteure und Vertreter etc. am Tisch und sagen: "Ja, ja, wir wollen alle mithelfen, aber bei uns spielt das eigentlich keine Rolle." Wir haben super Hygienekonzepte und so weiter. Und das ist die falsche Diskussion.

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Grafische Darstellung eines Coronavirus © COLOURBOX Foto: Volodymyr Horbovyy

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Wir müssen ja nicht das Minimum machen. Also ich käme ja nicht auf die Idee, wenn ich jetzt zum Beispiel mit dem Auto von Berlin nach München fahre, auf den Tropfen genau genug Benzin in meinen Tank zu machen, sodass ich exakt da ankomme. Niemand würde das machen. Man würde mehr machen, damit man mit Sicherheit ankommt. Und so müssen wir auch über die Pandemie nachdenken. Das heißt, ich zitiere ja sehr gerne Mike Ryan, der schon in seinen prägnanten Aussagen im Frühjahr letzten Jahres gesagt hat, wie man eigentlich damit umzugehen hat. Das heißt, wenn wir viel Zeit damit verbringen, die perfekte Lösung zu finden, haben wir schon verloren, weil wir zu langsam sind. Und es ist auch ein Riesenfehler, wenn man gerade so versucht, das Minimum zu machen.

Fehler der zweiten Welle

Siehe zweite Welle. Plateau-Bildung und dann hat das noch mal angezogen, dass man dann wieder sozusagen diese Trägheit in Bewegung setzen muss und wieder was machen muss. Dann ist auch die Enttäuschung da, dass es nicht gereicht hat. Wir müssen mehr machen als notwendig, weil wir letztendlich diesen R-Wert deutlich unter eins senken müssen. Je weiter er unter diesem kritischen Wert eins liegt, desto schneller geht auch die Welle wieder zurück.

Also, wenn wir wenig machen, dann werden wir vielleicht erfolgreich und die Welle wird gebrochen, dann geht sie so langsam wieder zurück. Aber wir haben ja in der Vergangenheit in verschiedenen Wellen in Irland, in Belgien, in Portugal gesehen, dass starke Maßnahmen, gegebenenfalls auch regional differenzierter, wenn das Inzidenzgeschehen regional sehr unterschiedlich ist, dass die effektiven Maßnahmen auch einen schnellen Rückgang der Inzidenz bedeuten. Und das wollen wir ja machen.

Schulmann: Da kann man ja ein bisschen raushören: Sie würden den Tank auf der Autofahrt nach München ganz voll machen. Heißt das: genereller Lockdown jetzt sofort?

Brockmann: Na ja, genereller Lockdown, das ist immer so ein abstraktes Wort.

Schulmann: Also alle gehen nur noch einkaufen und arbeiten, wenn möglich, im Homeoffice.

Schulschließungen

Brockmann: Ja, aber zum Lockdown damals gehörte ja zum Beispiel auch, dass die Schulen geschlossen waren, wovon ich echt abraten würde. Letztendlich haben wir in dieser Pandemie ja selbst in der Hand, wie sich die Inzidenz entwickelt. Die Verantwortung liegt letztendlich bei den Erwachsenen. Und es ist in der Vergangenheit schon geschehen, dass wir das als Erwachsene, die auch sozusagen politisch repräsentiert sind und auch politisch mitentscheiden können, anders als Kinder, die Verantwortung dann letztendlich auf die Schultern der Kinder gelegt haben.

Weil wir es nicht geschafft haben und weil wir nicht verzichten konnten auf Einkaufen, auf Besuche in Clubs und Bars und Restaurants, weil wir uns nicht einschränken konnten oder wollten, mussten es letztendlich dann die Schülerinnen und Schüler tragen, die nicht mehr zur Schule gehen konnten. Das ist ja jetzt auch besonders heikel, weil sie vermehrt noch keinen Impfschutz haben.

Individuelle Verantwortung

Also ich würde sagen: Alles was man tun kann, sollte man tun und auch endlich überlegen: Was kann ich eigentlich tun, damit diese Welle gebrochen wird? Und zwar nicht nur politisch, sondern auch persönlich. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil es ist einfach auch in der individuellen Verantwortung mit drin. Genauso wie wir ja auch wählen gehen, obwohl unsere Stimme nur eine von Millionen ist. Wir machen das ja trotzdem, weil wir dieser Verantwortung gerecht werden wollen. Alle können das machen. Das ist echt einfach.

Also wir können auf viele Kontakte verzichten, auf viele sicherlich auch nicht. Aber wir können es dennoch machen. Wenn ich jetzt den Maßnahmenkatalog ansehe, wenn das tatsächlich durchgesetzt wird, 2G, 2G+, 3G, wenn dafür gesorgt wird, dass man sich nicht mehr trifft in großen Gruppen, wenn gerade auch unter den Ungeimpften wenige Kontakte stattfinden, weil sie ja auch für das Infektionsgeschehen einen großen Faktor ausmachen, dann muss man das halt machen. Wir müssen halt echt Kontakte reduzieren. Das ist das Allerwichtigste.

Kontakte in den Abendstunden

Schulmann: Vielleicht können wir da noch mal kurz verweilen. Was würde denn einen großen Ausschlag machen in der Kontaktreduktion? Wir haben jetzt schon über Großveranstaltungen gesprochen, aber Sie hatten ja zum Beispiel auch 2020 schon mal analysiert, wie sich die Menschen in den Abendstunden bewegen. Würde das zurzeit einen großen Ausschlag geben? Halten Sie das für eine gute Möglichkeit, dass man noch mal sagt, zum Beispiel von 22 oder 21 Uhr bis fünf Uhr bleiben bitte alle zu Hause, die da nicht arbeiten müssen?

Brockmann: Das ist schwer zu quantifizieren. Wir haben damals versucht, über die Mobilität etwas herauszubekommen. Mobilität bedeutet ja indirekt auch Kontakte, weil wir typischerweise unterwegs sind, um andere Menschen zu treffen. Es ist ja nicht so, dass wir abends alle in den Wald zum Spazierengehen fahren.

Mobilität und Kontakte

Die meisten Autos fahren meist zu anderen Menschen. Das kann zum Einkaufen sein. Und wenn viele Leute unterwegs sind, bedeutet das im Endeffekt auch viele Kontakte, typischerweise natürlich unter Maskenschutz und so was. Das ist natürlich auch total wichtig, ein super wichtiges Element. Aber in diesen Analysen, die wir damals gemacht haben, war ein relativ kleiner Bruchteil von der reinen Mobilität abends. Aber dennoch ist es natürlich so, dass man sich gerade abends besonders in größeren Gruppen trifft. Man darf da auch Äpfel nicht mit Birnen vergleichen.

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Jemand macht eine Strichliste neben der Abbildung von Viren. © picture alliance, panthermedia Foto: Image Broker

Podcast mit Drosten und Ciesek: Links zu Corona-Studien

Im Podcast Coronavirus-Update mit Christian Drosten und Sandra Ciesek werden viele Studien erwähnt. Hier finden Sie eine Linksammlung. mehr

Natürlich ist es völlig klar, dass Innenräume mit vielen Menschen, also Clubs, Restaurants, Veranstaltungen, natürlich einen größeren Ausschlag haben als Einzelveranstaltungen, als wenn ich mich zu Hause mit ein paar Freunden treffe. Aber dennoch ist es so, in dem Setting, weil es ja auch oft vorkommt, kann man auch Gruppengrößen um 50 Prozent reduzieren. Also, dass man sich eben nicht mit zehn Leuten zu Hause trifft, sondern eben nur mit drei Menschen. Das macht in der Summe dann auch einen Riesenunterschied.

Das heißt, wir sollten unsere Treffen und das, was wir unternehmen, in den Kontakten als Gruppen sehen, die sich treffen. Und kann man die vielleicht reduzieren? Das kann man auf allen Ebenen machen. Und das hat einen riesigen Effekt als Ganzes.

Der Einfluss von Ungeimpften auf das Pandemiegeschehen

Schulmann: Wenn wir jetzt noch mal den Faktor geimpft oder ungeimpft dazunehmen, da gab es ja einen Satz, der in den letzten Tagen viel in den Schlagzeilen zu lesen war und der lautet: "Ungeimpfte sind wohl an acht von zehn Infektionen beteiligt". Obwohl sie nur etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Das ist die Quintessenz aus einer Ihrer Analysen.

Obwohl viele Menschen ja auch seit Beginn der Pandemie immer mal wieder von Modellierungen gehört haben, ich finde weiterhin, die sind nicht immer ganz leicht zu verstehen. Mit dieser Grafik, die es dazu gibt, vielleicht schon eher. Aber vielleicht fangen wir da mal ganz am Anfang an: Welche Zahlen haben Sie da als Grundlage genommen, um diese Analyse zu erstellen?

Brockmann: Also, ich werde mal was zu dieser Analyse sagen. Das ist also eine wissenschaftliche Arbeit, die jetzt auf einem sogenannten Preprint-Server liegt. Die ist federführend von Benjamin Maier aus meiner Arbeitsgruppe gemacht worden, zusammen mit Cornelia Betsch und Mirjam Jenny ist noch involviert und einige andere, die mitgearbeitet haben an dieser Studie. Das ist letztendlich auch ein Modell, aber es ist im Wesentlichen eine Rechnung. Es ist eine neue Art und Weise, über dieses System nachzudenken, indem man sich fragt, dieser wichtige Parameter, der R-Wert: Da wissen wir ja, der sollte deutlich unter eins sein und sollte nicht über eins sein.

Und das ist ja erst mal nur so eine Zahl. Also vor einigen Wochen war der zum Beispiel bei 1,2, also überkritisch. Also in einem kritischen Bereich, so, dass es halt zum exponentiellen Wachstum kam. Das ist eigentlich eine Rechnung dieser Arbeit. Man kann also so Rechnungen machen mit empirischen Werten, was zum Beispiel die Effektivität des Impfstoffes angeht, oder auch berücksichtigen, dass zum Beispiel der Impfschutz über die Zeit nachlässt. All diese Dinge kann man im Prinzip berücksichtigen und am Ende dieser Rechnung kann man dann feststellen, welcher Bruchteil des R-Werts durch verschiedene Ansteckungen hervorgerufen wird.

Tortenvergleich Geimpfte und Ungeimpfte

Man muss sich den R-Wert quasi als eine Torte vorstellen, die man in vier verschiedene Stücke aufteilt. Das eine Stück, das ist: Geimpfte stecken Geimpfte an. Das zweite Stück ist: Ungeimpfte stecken Ungeimpfte an. Das dritte Stück ist: Geimpfte stecken Ungeimpfte an. Das vierte Stück ist: Ungeimpfte stecken Geimpfte an. Es gibt vier Sorten verschiedener Ansteckungsmöglichkeiten. Gleichzeitig ist in dieser Berechnung auch berücksichtigt, dass zum Beispiel die Kontakte nicht in allen Altersgruppen gleich sind oder auch der Impfstatus in allen Altersgruppen nicht gleich ist.

Schulmann: Also Jüngere haben wahrscheinlich eher mehr Kontakte als Ältere.

Brockmann: Genau, die haben unter sich mehr Kontakte. Dazu gibt es eine Studie von 2005 aus Großbritannien.

Kontakthäufigkeiten je nach Alter

Da kann man halt sehr gut schätzen, wie die Kontakthäufigkeiten unter den Altersklassen sind. Das wird da alles mit eingebaut und insbesondere ein Parameter ist wichtig: Wie effektiv ist der Impfstoff als Schutz vor einer Infektion? Und wenn man das dann alles zusammennimmt, dann findet man, dass bei einem Impfstoff, der eine sehr hohe Effektivität von etwa 90 Prozent hat, dass dann 50 Prozent des R-Werts oder der Ansteckung innerhalb der ungeimpften Bevölkerung stattfindet. Das heißt also, 50 Prozent dieser Torte sind: Ungeimpfte stecken Ungeimpfte an.

Bei einer hohen Effektivität des Impfstoffes sind es etwa nur neun bis zehn Prozent dieser Torte, also vielleicht ein kleines Tortenstück. Das kann man sich vielleicht so vorstellen: Wenn ich die Torte in zehn Teile teile, dieses kleine Tortenstück, das ist der Anteil des R-Werts, wo Geimpfte andere Geimpfte anstecken. Und dann gibt es noch so mittelgroße Teile, die daher kommen, dass Geimpfte Ungeimpfte anstecken und Ungeimpfte Geimpfte. Wir wollten diese Studie machen, damit da mal Klarheit entsteht, weil wir ja nach und nach immer gehört haben: Okay, es gibt Impfdurchbrüche. Geimpfte können auch angesteckt werden.

Das stimmt ja alles, aber wir wollten die Größenordnung hier sozusagen mal klar berechnen. Das war die Idee von Benjamin Maier und das kam dabei raus. Das ist halt eine Art und Weise, die Ergebnisse anzuschauen. Weil nur etwa zehn Prozent bei einer hohen Impfeffektivität der Infektion unter den Geimpften stattfindet. Es sind halt bei dem Rest immer auch Ungeimpfte involviert. Das heißt, bei 90 Prozent des R-Werts sind es halt Ansteckungen, die entweder von einer ungeimpften Person ausgelöst werden oder die eine ungeimpfte Person treffen oder beides.

Schulmann: Die sich ansteckt.

Brockmann: Genau. Das unterstreicht noch mal, dass das Impfen nicht nur einen Schutz gegen schwere Erkrankungen bietet, sondern dass es auch für die Dynamik der Infektion oder der Pandemie eine wichtige Rolle spielt. Und es wurde dann so ein bisschen falsch interpretiert, dass sozusagen die Geimpften die Verantwortung tragen. Aber sie sind ja auch sehr stark die Empfänger dieser Infektion, vermehrt durch die anderen Ungeimpften, aber auch durch die Geimpften. Das heißt, das spielt ja auch eine große Rolle in der Dynamik. Das heißt, das ist sozusagen die Quintessenz dieser Studie.

Effektivität des Impfschutzes

Diese Werte hängen dann so ein bisschen davon ab, wie effektiv der Impfschutz ist, wie effektiv diese Impfungen sind. Wenn man die zum Beispiel auf einen geringeren Wert reduziert, dann ändern sich diese Zahlen auch. Dann wird zum Beispiel der Anteil der Geimpften, die andere Geimpfte anstecken, größer, aber nicht substanziell. Also, man muss die Impfeffektivität deutlich runterdrehen, damit das ungefähr gleich wird.

Schulmann: Vielleicht können wir da auch noch mal einen genaueren Blick drauf werfen. Sie haben auch eine pessimistische Schätzung zu dem Impfschutz gemacht. Also dass Sie sagen, der Impfschutz ist geringer. Nach welchen Zahlen sind Sie da gegangen?

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Brockmann: Also, da fließen verschiedene Faktoren ein. Wir haben erst mal zwei Impfeffektivitäten verglichen, einmal etwa 90 Prozent. Das ist also eine hohe Impfeffektivität und dann eine geringere, 84 Prozent und auf verschiedene Impfraten in verschiedenen Altersgruppen, also z.B. bei Null- bis Elfjährigen. Die haben halt gar keine im Rate. Und auch die Impfeffektivitäten kann man in den Altersgruppen anders verteilen.

Dann kommt man halt auf solche Werte und die werden halt bestimmt durch empirisch gemessene Parameter. Jetzt machen wir auch noch eine Rechnung, die sozusagen stärker berücksichtigt, dass die Impfeffektivität mit der Zeit nachlässt, also die Immunisierung nachlässt.

Boosterung

Dass aber auch gleichzeitig wieder geboostert wird, das hebt sich dann wieder so ein bisschen auf. Aber wichtig ist, und das ist auch ein ganz wichtiger Teil der Modellierung, dass man wieder so verschiedene Szenarien letztendlich einsetzt, um dann zu sehen, wie strukturell stabil sind die Ergebnisse. Also wenn ich jetzt zum Beispiel nur ein bisschen an der Impfeffektivität drehen würde und die Ergebnisse sehen gleich völlig anders aus, dann ist da keine Aussage drin.

Aber das ist relativ stabil. Also in allen diesen Berechnungen bleibt die Aussage stabil, dass ein Großteil des R-Werts daher kommt, das Ungeimpfte in irgendeiner Weise involviert sind, entweder als ansteckende oder als angesteckte Person.

Schulmann: Da könnte man ja auch sagen, Geimpfte sind auch häufiger mal symptomlos infiziert und merken das gar nicht bzw. melden das dann eben auch nicht an die Gesundheitsämter. Da könnte man ja jetzt sagen, diese Dunkelziffer könnte diese Analyse schon auch verzerren. Oder konnte das irgendwie mit einberechnet werden?

Brockmann: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Also in vielen diesen Berechnungen, übrigens auch was die Modellierung von Inzidenzen und diesem prognostischen Modellen angeht, muss man Annahmen bezüglich der Dunkelziffer machen. Also da sind viele Details, die berücksichtigt werden müssen, die dann letztendlich auch in diesen Stabilitätsanalysen des Modells überprüft werden müssen. Das ist klar, natürlich.

Aber die Idee ist ja gerade, dass man jetzt sozusagen nicht absolute Zahlen berechnet. Wie viel Inzidenz wird produziert in diesen verschiedenen Gruppen, denn das würde wieder so ein bisschen in diesen Kanal reinspielen. Manche haben ja gesagt, auch in den Medien, auch Politikerinnen und Politiker: "Ja, es gibt ja jetzt immer mehr Geimpfte in den Intensivstationen, was ja allein daran liegt, dass viel mehr Leute geimpft werden."

Schulmann: Nicht daran, dass der Impfstoff nicht wirkt.

Brockmann: Genau. Und die Idee, die Benjamin Maier hatte, ist, es mal andersherum aufzuzäumen und einfach zu sagen: Okay, welche Anteile haben diese Personengruppen an dem Reproduktionswert? Also nicht sozusagen auf die Gruppengrößen bezogen, sondern unabhängig davon. Weil es ja letztendlich die Größe ist, die wir unter eins drücken wollen. Und dann kann man sich halt diese Größe vorstellen als so eine, wie ich gesagt habe, Torte, die aus unterschiedlichen Stücken besteht.

Ergebnisse bei höherer Durchseuchung

Und eine Analyse in diesem Paper war auch, mal zu gucken, was passiert, wenn wir zum Beispiel die Durchimpfung von dem jetzigen Wert von etwa 70 Prozent auf 90 Prozent erhöhen. Ich glaube, fast 90 Prozent, diese hypothetische Vergleichsstudie. Um dann mal zu sehen, was aus der Torte wird und aus den relativen Tortenstückchen. Da wird man dann unterkritisch.

Das heißt, der R-Wert würde deutlich unter eins sinken, wenn alle anderen Parameter gleich bleiben. Aber dieser Teil Ungeimpfte stecken Ungeimpfte an, wird überproportional viel reduziert. Interessanterweise wächst da natürlich das Tortenstück “Geimpfte stecken Geimpfte“ an. Aber dann könnte man sagen: Okay, dann bringt das ja nichts. Aber das ist halt ein relativer Anteil.

2G versus 3G

Schulmann: Weil es eben viel mehr Geimpfte gibt. Wenn man sich dieses Modell jetzt anguckt: Demnach wären ja Beschränkungen nach der 2G-Regel deutlich sinnvoller als nach der 3G-Regel.

Brockmann: Ja klar, weil 2G bedeutet ja, dass man auf jeden Fall geimpft oder genesen ist, also zu den Immunen gehört, und damit den Teil der Infektionen, die stattfinden, wo Ungeimpfte teilnehmen, was ja einen substanziellen Anteil macht, relativ egal, wie effektiv der Impfstoff ist. Also für diese Werte, die wir da angenommen haben, die würde man reduzieren, solange auch der Impfstatus wirklich kontrolliert wird. Das ist ja auch etwas, was Herr Wieler immer wieder betont in den Bundespressekonferenzen: dass diese Regeln wirksam sind, wenn sie überprüft werden. Also, das ist halt total wichtig. Wenn man das nicht macht, dann kann es ja sein, dass in einer großen Gruppe eine tatsächlich ungeimpfte Person viele Infektionen auslöst. Man muss aber auch begreifen, dass natürlich immer noch auch Infektionen innerhalb der Geimpften stattfinden. Aber es ist halt ein viel kleinerer Teil. Das heißt, die 2G-Regel, wenn sie denn überprüft und durchgesetzt wird, reduziert das nicht auf null. Das muss man einfach auch verstehen. Und das war auch immer wieder in der Debatte, wenn es um Schnelltests ging, auch in der dritten Welle, um die Effektivität und die Sensitivität. Es wird oft sehr schwarz-weiß über etwas nachgedacht, das ein Schwellen-Phänomen ist.

Reproduktionswert

Es ist unmöglich, den Reproduktionswert auf null zu drücken. Aber wir können ihn deutlich unter eins drücken und es ist unmöglich, durch eine 2G-Regel absolut auszuschließen, dass Leute sich, wenn sich nur Geimpfte und Genesene treffen, dass da keine Ansteckung stattfindet. Das wird passieren, aber es passiert halt weniger häufig. Das ist genauso, wie ein Anschnallgurt nicht davor schützt, bei einem Autounfall zu verunglücken. Das ist einfach nicht so, aber es reduziert die Wahrscheinlichkeit enorm.

Generelle Impfpflicht sinnvoll?

Schulmann: Sie schließen ja Ihre Analyse dann auch damit, dass Sie sagen, die Pandemie wird derzeit eben durch den fehlenden oder nachlassenden Impfschutz getrieben. Was folgt daraus für Sie? Wäre eine Impfpflicht jetzt gerade die beste Methode, die Pandemie zu beenden, jedenfalls in Deutschland?

Brockmann: Das ist ganz richtig. Also die Impflücke ist ein Riesenproblem. Die Impflücke ist deshalb ein Riesenproblem, weil wir überproportional stark Kontakte reduzieren müssen, um das zu kompensieren. Also man könnte sich ja überlegen, wir brauchen die Impflücke nicht zu schließen, aber wir sitzen jetzt nur noch alleine zu Hause und haben keine Kontakte mehr. Das wäre möglich, in so einer Art Gedankenexperiment. Je geringer die Impflücke ist, am besten null, je weniger muss ich Kontakte einschränken. Das sieht man ja nun auch in europäischen Ländern, wo eine hohe Impfrate ist.

Selbst wenn man das innerdeutsch vergleicht, mal einen Zusammenhang herstellt zwischen der Größe der Impflücke in den einzelnen Bundesländern und der Intensität der vierten Welle. Dann ist das zwar keine Kurve, wo alle Punkte genau auf einer Kurve liegen. Das ist halt so eine Art Punktwolke, so muss man sich das vorstellen. Aber es gibt eine ganz klare Korrelation, auch wenn man jetzt zum Beispiel noch alle europäischen Länder dazu nimmt, die ja unterschiedliche Impfraten haben. Da ist ein klarer Zusammenhang.

Impflücke schließen

Und das bedeutet: Die Impflücke muss geschlossen werden, damit das nicht durch massive Kontaktreduktion kompensiert werden muss. Und über etwas haben wir ja auch noch gar nicht gesprochen: die Konsequenzen, die das hat. Es laufen ja die Intensivstationen voll. Die Situation ist super kritisch in den Krankenhäusern. Covid-Patienten müssen verlegt werden, was ein Riesenaufwand ist.

Ich kenne mich in dem medizinischen Bereich nicht wirklich aus, aber verfolge die Berichte, die es darüber gibt und kann mir nur vorstellen, dass es unfassbar ist und einen riesigen gesundheitlichen Rattenschwanz hinter sich her zieht, weil bestimmte Operationen nicht stattfinden können und so weiter.

Boostern, Impflücke und Kontaktreduktion

Es gibt halt drei Elemente. Es gibt Boostern, das gehört auch zum Thema Impfschutz. Die Impflücke bei den Ungeimpften schließen und Kontaktreduktion. Das stabilste und robusteste Element ist der Impfschutz, weil er halt auf einer viel längeren Zeitskala wirksam ist. Kontakte reduzieren ist ja so, ich kann das für ein paar Wochen machen und dann ist das sehr wirksam. Dann lockere ich das wieder auf und dann geht es wieder los. Und das antwortet sofort, während der Impfschutz auf einer viel längeren Zeitskala abnimmt. Wir Boostern jetzt, nach einem halben Jahr oder so und dann ist für ein halbes Jahr Ruhe, bis dann die nächsten Varianten kommen etc.

Aber das Impfen ist ein relativ geringer Aufwand und ein extrem geringes Risiko und die Effekte sind gigantisch. Aus Sicht des Virus ist das maximaler Mist, weil das Virus enorme Schwierigkeiten hat, dann noch Wege zu finden. Und momentan, das liegt in der Natur dieser Virusübertragung, sucht sich das Virus, vermehrt die ungeimpfte Bevölkerung und kann sich da halt noch sehr gut ausbreiten. Und deshalb ist es wichtig, die Impflücke zu schließen.

Impfpflicht

Um auf die Frage zur Impfpflicht einzugehen: Wie viele habe ich das äußerst skeptisch gesehen. Mittlerweile ist die Gesundheitssituation so dramatisch in den Krankenhäusern, dass ich denke, dieses Wort Pflicht, das bedeutet auch, dass wir als Mitmenschen verpflichtet dazu sind, nicht nur den Leuten zu helfen, dass sie kein Covid bekommen, weil als ungeimpfte Person kann ich auch andere anstecken. Also, diese Vorstellung, dass ich jemanden anstecke und die Person wird sehr krank oder stirbt. Das ist für mich unfassbar und das hieße für mich auch, diesen solidarischen Aspekt auch mal zu betonen: dass wir das füreinander tun.

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Ein Pflaster klebt auf dem Arm einer jungen Frau. © Colourbox Foto: Csaba Deli

Coronavirus-Update: Alle Folgen

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Jemand, der sich impft, macht das auch für mich. Das ist ja nun mal so, dass das Virus über Kontakte, über das, was uns als Spezies auch auszeichnet, nämlich wir sind ja soziale Wesen und das Virus greift genau da rein. Es kann ohne unsere Kontakte, ohne dieses Element unseres Daseins nicht existieren. Und wir sind eben auch mehr als einfach so ein Eimer voller Individuen, sondern wir sind halt eine Gemeinschaft. Und dieses Element greift das Virus an und wir können es aber auch über dieses Element in die Knie zwingen, indem wir uns füreinander impfen.

Mittlerweile ist die Situation in den Krankenhäusern so dramatisch: Wenn ich Bilder sehe von den Leuten, die da arbeiten oder Menschen, die da verenden. Es tut mir leid. Ich rede mich jetzt gerade ein bisschen in Rage. Ich rede mit Leuten, die in diesen Kliniken arbeiten. Es ist halt nun mal so, wenn man an diese Beatmungsgeräte angeschlossen wird, wenn es richtig ernst wird auf so einer Intensivstation, dann ist das ein Wurf einer Münze, ob man da lebendig wieder rauskommt. Und es muss nicht sein. Wir müssen das nicht haben, und wir können alle was dafür tun, dass das nicht geschieht.

Deshalb ist jetzt meine Tendenz tatsächlich auch zu einer Impfpflicht, weil es offenbar nicht anders geht. Ich sehe keine andere Möglichkeit mehr. Ich wünschte mir, dass wir sozusagen als Gemeinschaft, als Kollektiv sagen: Der Feind ist dieses Virus und wir zwingen das jetzt in die Knie. Das geht, das funktioniert. Das wäre toll. Aber wenn es halt so nicht geht, dann muss es irgendwie anders gehen. Deshalb: Ich habe damit emotional auch immer noch Schwierigkeiten, aber ich sehe echt keine andere Möglichkeit, dass wir diese Impflücke schließen, weil das sonst immer weiter geht, immer weiter.

Schulmann: Wir haben jetzt über die Beteiligung von Geimpften und Ungeimpften am Infektionsgeschehen gesprochen, über beschlossene und weitere mögliche Maßnahmen.

Die Verbreitung von Omikron

Aber jetzt hat sich ja vor ein paar Tagen noch einmal vieles geändert bzw. es kamen noch einmal ganz viele Fragezeichen neu auf. Und zwar mit der Entdeckung der Omikron-Variante. Die wurde ja schnell als besorgniserregend eingestuft. Es gibt Hinweise auf eine höhere Übertragbarkeit, aber es ist noch unklar, ob sie vielleicht auch zu schwereren oder sogar milderen Verläufen führt oder ob sie vielleicht sogar eine Immunescape-Variante ist. Wie können wir uns das vorstellen, was war da bei Ihnen im Team los, als Sie so die ersten Nachrichten über Omikron gehört haben?

Brockmann: Na ja, erst mal reagiert sozusagen das Team immer genau wie alle anderen auch reagieren und denken: "Oh Gott, jetzt noch so ein Ding!" Weil wir ja auch, wie alle anderen auch, erst mal nur limitierte Informationen haben. Ich glaube, Leute, die sich genauer damit auskennen, also mit der virologischen Seite oder der phylogenetischen Seite, das heißt, das sind diese Leute, die sich halt mit den genetischen Mutationen und den Evolutionsbäumen der ganzen Virusvarianten sehr genau auskennen. Also zum Beispiel Leute, die Nextstrain (Webapplikation, die die genetische Entwicklung von Sars-CoV-2 trackt/d. Red.) betreiben. Die werten diese ganzen Sequenzdaten aus und gucken dann, wie die verschiedenen Varianten entstanden sind und wie sich dann hier und da zum Beispiel die Delta-Variante durchgesetzt hat oder Alpha etc..

Und man hört die Neuigkeiten: Da ist irgendwie eine neue Variante und die ist total angestiegen im geographischen Bereich. In diesem Fall war es halt Südafrika. Und dann gibt es die ersten Fälle irgendwo auf der Welt verteilt und dann ist man erst mal besorgt, weil es ja sein kann, dass es eine Variante ist, die eine höhere Ansteckung hat. Weil es ja sein kann, dass es eine Immunescape-Variante ist. Das ist besorgniserregend. Aber natürlich auch nicht überraschend, dass es irgendwann passiert, weil wir hatten das mit Alpha. Dann kam Delta. Delta hat Alpha ganz schnell verdrängt, in Deutschland zum Beispiel. Dass das noch weitergeht, das ist nicht sehr verwunderlich.

Verdrängungszeitpunkt

Da ist dann immer noch die Frage, wann das passiert. Auch dass irgendwann Immunescape-Varianten entstehen. Ich meine, das haben wir ja auch schon im Frühjahr diskutiert, dass so was passieren kann. Das ist insofern im großen Kontext dieser Gesamtdynamik der Pandemie dann nicht überraschend. Wenn man so antizipatorisch damit rechnet, dann muss man eben zum Beispiel über eine Impfpflicht nachdenken, damit gewährleistet ist, dass wir nicht permanent jedes Jahr zwei Wellen haben oder mehr von wiederum neuen Varianten.

Und man muss auch darüber nachdenken: Wenn es dann Immunescape-Varianten sind, wie stark ist dann letztendlich der Impfschutz durch eine Impfung? Man muss untersuchen, wie krank diese neuen Varianten machen und dann irgendwann in einen Automatismus kommen, in dem es zur Norm wird, dass man sich jährlich gegen die neuen Coronavirus-Varianten impft. Und das weltweit.

"Covid-19 Mobility Report"

Schulmann: Sie haben sich aber ja dann auch direkt angeguckt, wie die neue Variante in andere Länder kommt. Also zuerst entdeckt wurde sie ja in Südafrika und Botswana und dann war sie am 30.11. auch schon in elf weiteren Ländern nachgewiesen worden. Und von dem Tag ist ja auch der "Covid-19 Mobility Report" von Ihnen und Ihrem Team. Da haben Sie die Flugverbindungen unter die Lupe genommen, um auch abzuschätzen, wie wahrscheinlich ein Land diese neue Variante einführt. Können Sie uns da mal erklären, wie Sie da genau vorgegangen sind?

Brockmann: Das ist eine Methode, die wir auch ganz am Anfang der Pandemie angewendet haben, als die Ursprungsvariante nur in China war. Das ist ja völlig klar, die globale Ausbreitung dieses Virus wird dominiert durch die Mobilität auf dem weltweiten Flugverkehrsnetz. Es ist ja nicht so, dass wir jetzt über den Atlantik spazieren gehen. Also spielt der Flugverkehr eine Rolle und man muss sich den Flugverkehr vorstellen als so ein Netz, das aus unserer globalen Welt quasi ein Dorf macht, weil alle Orte irgendwie miteinander verbunden sind und viele Menschen auf diesem Flugverkehrsnetz unterwegs sind und damit als Viruswirt das Virus von A nach B tragen können.

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Und dieses Netzwerk ist außerordentlich kompliziert. Aber man kann es natürlich nutzen, um abzuschätzen: Wenn jetzt ein lokaler Ausbruch irgendeines Erregers kommt, das muss jetzt nicht das Coronavirus sein, sondern das haben wir schon bei Ebola angewendet. Und noch früher, in Ansätzen auch bei der H1N1-Pandemie. Da kann man dann ganz gut quantifizieren: Bei einer Abhängigkeit eines Ausbruchsortes, in diesem Fall ist es zum Beispiel Südafrika, wann kommt es dann irgendwann irgendwo an, weil man ja weiß, wie viele Menschen pro Tag zum Beispiel aus Südafrika wegfliegen. Damals, also im Februar letzten Jahres, war das halt China und da hatten wir die großen Flughäfen.

Und dann konnten wir abschätzen, wie viel höher ist das Risiko, dass ein Import in Großbritannien stattfindet im Vergleich zu Deutschland, im Vergleich zu Frankreich, Italien, Spanien etc.? Und die Methodik ist die gleiche. Wir haben jetzt eine neue Virusvariante, und man muss sich das einfach so vorstellen: Ganz salopp gesagt, berechnen wir, wenn jetzt eine Person in einem von verschiedenen Orten ins Flugzeug steigt, wie wahrscheinlich landet die an einem anderen Ort? Diese Wahrscheinlichkeit kann man halt schätzen über diese Flugverkehrsverbindungen und so berechnen wir das, damit man ganz gut auf dem Radar hat: Welche Länder werden betroffen sein? Wo würde es sich als nächstes ausbreiten?

Statistische Aussage

Das stimmt nicht immer, aber das stimmt sozusagen statistisch ganz gut und gibt dann sozusagen ein gutes Maß. Also es ist wie wenn, sagen wir mal, Borussia Dortmund gegen einen Vierte-Liga-Club spielt, dann kann ich zwar nicht garantieren, dass sie gewinnen, aber es passiert mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit. Und so muss man diese Ergebnisse verstehen. Die schätzen solche Wahrscheinlichkeiten.

Schulmann: Hätten Länder jetzt ein größeres Risiko, dass die Variante schneller zu ihnen kommt, die direkte Flugverbindungen von Südafrika in das jeweilige Land haben?

Brockmann: Das wird dominiert durch solche Direktverbindungen. Aber es gibt dann auch Umwege. Das ist eigentlich ganz simpel. Es ist ein kompliziertes Element dabei, dass man über die Flugverbindungen, wir haben ja nur sozusagen Verkehrsfluss, dass man zum Beispiel bei großen Flughäfen nicht genau weiß, welcher Anteil von Menschen landet da, nur um weiterzufliegen, im Vergleich zu denen, die da dann tatsächlich auch aussteigen und da bleiben. Das ist so bei vielen der großen Drehkreuze im Flugnetz. Und das macht es etwas komplizierter. Aber im Wesentlichen funktioniert das so, wie Sie gesagt haben.

Schulmann: Und was ist dabei herausgekommen? Welche Länder haben das größte Risiko gehabt in Ihrer Analyse, dass das Virus zuerst auftauchen könnte?

Brockmann: Da kommen eigentlich sehr plausible Sachen dabei raus. Also insbesondere sind es einige afrikanische Länder natürlich. Aber auch europäische Länder, die natürlich immer noch sehr starke Verbindungen auch zum afrikanischen Kontinent haben. Ich weiß jetzt aus dem Kopf nicht das Ranking der europäischen Länder, aber das ist halt auch plausibel, was da rauskommt.

Das heißt also, Europa spielt da noch eine große Rolle. Das war damals bei Ebola genauso. Da waren zum Beispiel Frankreich und Großbritannien sehr stark betroffen. Hier in dem Ranking ist Deutschland sehr weit oben. So ein bisschen die üblichen Verdächtigen der Länder, die viele Flugverbindungen nach Südafrika haben.

Schulmann: Ist das eine Analyse, die Sie auch machen oder gemacht haben, um zu gucken: Welches Land hat vielleicht noch die Möglichkeit, sich komplett abzuschotten vor der Variante oder sie gar nicht erst ins Land zu lassen? Kann man das daraus ablesen?

Brockmann: Das ist ja eine Pandemie. Und das ist mal wieder ein Beispiel dafür: Jetzt entsteht irgendwo wieder mal eine Variante und die ist sozusagen ein globales Risiko. Und das differenziert zu betrachten ist immer gut, weil auch hier und da immer mal überraschende Ergebnisse dabei rauskommen, die man nicht erwartet. Wenn man das so grob quantifiziert, kann man sehen, dass diese Importrisiken auch ein ganz gutes Maß dafür sind, wie schnell das Virus irgendwo ankommt.

Und für mich persönlich ist diese Analyse deshalb wichtig, weil es oftmals immer noch in unserer Intuition so ist, dass, wenn etwas sehr weit weg geschieht, dass das dann sehr lange dauert, bis es vor der Tür steht. Aber dadurch, dass dieses Flugverkehrsnetz so dicht geknüpft ist und auch quasi die Bedeutung der geographischen Entfernung auflöst. Deshalb ist es wichtig, dass diese Sachen auch dann quantifiziert werden, sodass auch klar wird, wie groß das Risiko ist, auch wenn es noch weit weg ist.

Schulmann: Wie geht es jetzt bei Ihnen im Team weiter? Welche Analysen oder Modellierung folgen da jetzt? Legen Sie los mit der Frage: Was passiert, wenn Omikron zum Beispiel 30 Prozent, 70 Prozent ansteckender ist, wie wird es hier dann weitergehen?

Brockmann: Na ja, wir haben so verschiedene Projekte, die wir sehr intensiv betreiben. Ein ganz großer Schwerpunkt ist eben nicht diese prognostische Modellierung, sondern eher die genaue Messung des Zustands. Also wo sind wir jetzt gerade und sozusagen die Verhaltenskomponente. In diesen Situationen ist es halt wichtig zu wissen: Funktioniert zum Beispiel der Lockdown, sieht man das in der Mobilität? Deshalb haben wir diese Monitore entwickelt, die da quasi sozusagen digitale Surveillance Tools sind, um zu gucken, was passiert.

Kontaktmessungen

Oder wie verändert sich etwas mit der Zeit? Wir hatten ja über diese Kontaktmessungen gesprochen. Also so etwas wollen wir messen, damit wir sehen, dass zum Beispiel die Kontakte an den Wochenenden und werktags jetzt so eine Schere gemacht haben. Das ist ja eine wichtige Information, um das jetzige Geschehen besser zu verstehen. Es ist ja eigentlich eine ganz simple Sache. Wir müssen impfen und Kontakte reduzieren und dann geht die Welle weg. Also mal so ganz, ganz simpel gesagt.

Aber in den Projekten, die wir betreiben, wollen wir eher verstehen: Was führt dazu, dass das jetzt gerade kommt? Gibt es gesellschaftliche Antworten? Denn es ist ja dieses Wechselspiel zwischen der Ausbreitung der Virusvarianten und unserem Verhalten als Wirt, was die Dynamik macht. Es ist ja nicht das Virus alleine, sondern der allergrößte Faktor sind ja wir, und das wollen wir besser messen. Also da gibt es halt dieses Mobilitätsprojekt, das wir betreiben, und ganz intensiv dieses Kontakt-Projekt momentan.

Aber auch natürlich was die Dynamik angeht, wir wollen weiterhin so Fragen beantworten: Wie ändert sich jetzt zum Beispiel dieser Kuchen der Geimpften und Ungeimpften, wenn die Impfeffektivität runtergeht?

Kinder und Jugendliche

Kann man beantworten, wie wichtig es wäre, zum Beispiel Schülerinnen und Schüler und Kinder zu impfen? Welchen Effekt hat das denn? Die sind ja noch ohne Impfschutz momentan, vermehrt jedenfalls. Und dann haben wir ja auch noch eine andere Baustelle, die sehr groß ist, das ist die Corona-Datenspende, wo wir uns mit Fragen beschäftigen: Wie sieht das mit Long Covid aus? Spenderinnen und Spender spenden jetzt schon fast seit zwei Jahren täglich ihre Puls- und Schrittanzahl über diese Fitness-Tracker.

Und jetzt können wir auch in der zweiten Version diese Community fragen, also Surveys machen. Und da kann man dann zum Beispiel fragen: Wann hattet ihr Covid oder wann hattet ihr einen positiven PCR-Test, wie war die Symptomatik? Und wir können das dann korrelieren mit den Daten aus den Fitness-Trackern und können dann sehen, das war unser letztes Ergebnis, auch diese Community, die ja typischerweise junge und gesunde Menschen sind, hat sehr starke Langzeiteffekte einer Covid-Infektion. Also der Ruhepuls kann im Mittel noch 90 bis 120 Tage entfernt sein von dem, was für die Person normal ist.

Das deckt sich auch mit Studien aus den USA und ist aber sehr, sehr schwerwiegend. Das sind ganz, ganz wichtige Aspekte. Wir müssen ja jetzt auch handeln, damit die gesundheitlichen Folgen dieser Pandemie auch nächstes Jahr nicht schlimm sind. Die ganzen Leute, die jetzt betroffen sind, was Langzeitfolgen angeht, das ist so quasi der Blumenstrauß von Projekten, mit denen das Team sich beschäftigt.

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Schulmann: Und mit all diesen möglichen Maßnahmen, die wir heute besprochen haben, mit den Analysen zu Impfungen und zu Omikron im Hinterkopf: Mit welchem Gefühl gehen Sie in die nächsten Wochen?

Brockmann: Es ist sehr gemischt. Nicht gut, muss ich ehrlich sagen. Ich bin sehr besorgt, dass wir die Kurve nicht kriegen. Das schwankt auch. Also, ich sehe verschiedene Möglichkeiten, was passiert. Ich bin besorgt, was Omikron angeht. Dass es sich herausstellt, dass diese Variante sehr viel ansteckender ist. Ich hoffe, es ist aber tatsächlich auch eine Hoffnung, dass sich diese Impflücke bald schließt, damit diese Welle gebrochen wird.

Nicht nur in Deutschland, sondern auch in allen anderen europäischen Ländern, die betroffen sind. Und ich mache mir extreme Sorgen, dass die Situation in den Krankenhäusern noch schlechter wird. Und das besorgt mich. Und weiter als dahin gucke ich noch nicht. Jedenfalls nicht wissenschaftlich.

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NDR Info | Das Coronavirus-Update von NDR Info | 03.12.2021 | 17:00 Uhr

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