Anstoß ohne anzustoßen: Dieser Fanclub feiert Fußball alkoholfrei
Die weiß-braunen Kaffeetrinker*innen beim FC St. Pauli sind Fanclub und Selbsthilfegruppe in einem. Die Mitglieder gucken zusammen ohne Alkohol Fußball, außerdem begleiten sie Suchtkranke nach der Therapie bei der Rückkehr ins Stadion.
Ob im Sponsoring oder beim Stadionbesuch: Alkohol ist in der Fußball-Bundesliga sehr präsent. Das ist für Suchtkranke, Familien und manche Menschen, die lieber drogenfrei leben, ein Problem. Für sie setzt sich der St. Pauli-Fanclub der weiß-braunen Kaffeetrinker*innen (WBK) seit fast 30 Jahren ein.
Fanclub-Sprecher Michael Krause: "Wir hatten anfangs Probleme, unser Anliegen gegenüber dem Verein durchzusetzen. Auch die aktive Fanszene hat uns damals eher kritisch betrachtet. Im Laufe der Jahre ist es uns aber gelungen, zu erklären, dass es uns nicht darum geht, den Fußballfans ihr Bier wegzunehmen, sondern darum, einen Schutzraum für betroffene Fußballfans zu schaffen."
Bundesliga-Premiere: der alkoholfreie Getränkestand am Millerntor
2022 wurde dafür im südlichen Bereich des Millerntorstadions der erste alkoholfreie Getränkestand der Bundesliga eröffnet: das Trockendock. Außerdem erarbeitete der Fanclub zusammen mit dem Verein ein Suchtpräventionskonzept.
Derzeit haben die weiß-braunen Kaffeetrinker*innen rund 50 Mitglieder. Waren in den Anfangsjahren hauptsächlich Männer mittleren Alters dabei, sind es mittlerweile auch junge Frauen. Eine von ihnen ist Dani. Sie erzählt: "Seit fünfeinhalb Monaten bin ich trocken und lebe alkoholfrei. Es ist für mich sehr wichtig, dass es diese Möglichkeit im Stadion gibt."
Neben der alkoholfreien Zone ums Trockendock ist auch der Zusammenhalt des Fanclubs wichtig. "Um einen herum wird überall konsumiert. Nicht nur getrunken, auch Cannabis geraucht. Das hält Menschen davon ab, ins Stadion zu gehen, weil sie Angst haben, rückfällig zu werden. Wenn man den Stadionbesuch in der Gemeinschaft erleben kann, ist das eine große Stütze", sagt Michael Krause.
Suchtforscher: "Fußball und Alkohol haben eine symbiotische Beziehung"
Das bestätigt Suchtforscher Daniel Deimel von der Technischen Hochschule Nürnberg: "Fußball und Alkohol haben eine fast symbiotische Beziehung, weil sehr viele Vereine Brauereien als Hauptsponsor haben. Alkoholkranke sind dadurch permanent damit konfrontiert, sofort konsumieren zu können. Sich in so ein Setting zu begeben und standhaft zu bleiben, ist eine große Herausforderung für viele Menschen in solchen Problemlagen."
Der Fanclub engagiert sich nicht nur beim Thema Alkoholsucht, sondern hat durch sein Engagement auch dafür gesorgt, dass der FC St. Pauli Kinder- und Jugendschutz betreibt sowie beim Sponsoring auf Online-Sportwetten verzichtet, um Spielsucht nicht zu fördern.
Weiß-braune Kaffeetrinker*innen preisgekrönt
Im Jahr 2020 erhielten die weiß-braunen Kaffeetrinker*innen den Hamburger Selbsthilfepreis, 2022 wurden sie von der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur als Fanclub des Jahres ausgezeichnet.
Suchtprävention und alkoholfreier Stadionbesuch sind in der Bundesliga rar. Ein vergleichbares Konzept zum Kiezclub bietet nur die Initiative "Nüchtern betrachtet" von Union Berlin.