(93) Coronavirus-Update: Es ist noch nicht vorbei
In der neuen Folge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update spricht die Virologin Sandra Ciesek über Warnsignale aus England und das Dunkelfeld Long-Covid. Außerdem: Myokarditis als mögliche Impfnebenwirkung.
Die Direktorin der Medizinischen Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main Sandra Ciesek verdeutlicht am wieder aufgeflammten Infektionsgeschehen in Großbritannien, welche Risiken der Sommer mit vielen Reisen birgt. Außerdem spricht NDR Info Wissenschaftsredakteurin Korinna Hennig in Folge 93 mit der Virologin über den neuen Forschungsstand zu Long-Covid, eine Charité-Studie über die Immunantwort älterer Menschen nach einer Corona-Schutzimpfung und Herzmuskelentzündungen als mögliche Nebenwirkungen bei Jüngeren nach der Gabe von mRNA-Impfstoffen.
Die zentralen Themen der Folge im Überblick - per Klick direkt zur Textstelle springen
Sollte die Maskenpflicht in Deutschland aufrechterhalten werden?
Was bedeutet die rasante Ausbreitung der Delta-Variante in Großbritannien?
Wie hoch ist der Anteil der Delta-Variante in Deutschland?
Wie wirkt sich die zu erwartende Reisetätigkeit im Sommer auf die Pandemie aus?
Was sagen Daten aus Israel über die Effekte von Erwachsenen-Impfungen für Kinder?
Wie sind Berichte über Myokarditis als mögliche Nebenwirkung nach einer mRNA-Impfung einzuordnen?
Was sagen neue Daten über Risikofaktoren für einen schweren Covid-Verlauf bei Kindern aus?
Könnte der proteinbasierte Impfstoff, den Novavax entwickelt, besser für Kinder geeignet sein?
Wie steht es um die Forschung zu monoklonalen Antikörpern?
Warum ist die Erkrankung Long-Covid nach wie vor schwer greifbar?
Welche Therapieansätze gegen Long-Covid gibt es?
Korinna Hennig: 15,5 lautet die aktuelle Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland. Vor allem aber sage ich hier im Podcast eine Zahl besonders gerne: Fast die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland ist mittlerweile mindestens einmal geimpft (beides Stand 15. Juni, Anm. d. Red.). Mehr als ein Viertel hat schon beide Impfdosen erhalten. Das klingt Mut machend. Es ist aber natürlich noch längst nicht der ganze Weg zurückgelegt. Und trotzdem gibt es jetzt auch aus der Politik eine Debatte um die Maskenpflicht. Ist das aus Ihrer Sicht voreilig?
Sandra Ciesek: Ich glaube, das muss man differenzierter ansehen. Was sicherlich sehr positiv ist, ist, dass die Inzidenz weiter fallend ist. Und dass es sicherlich bei so niedrigen Inzidenzen vertretbar ist im Außenbereich, gerade wenn im Landkreis vielleicht die Inzidenz sogar noch niedriger ist, auf Masken zu verzichten, wenn man nicht in einer ganz großen Gruppe zusammensteht. Ich denke, dann ist das völlig in Ordnung, dass man auch im Außenbereich lockert. Im Innenbereich sehe ich es anders.
Sollte die Maskenpflicht in Deutschland aufrechterhalten werden?
Und was ich auch kritisch sehe, sind Großveranstaltungen. Also wo ganz viele Menschen, die noch nicht geimpft sind oder nur teilweise geimpft sind, zusammenkommen und wo dann sogenannte Superspreader-Events passieren können. Das haben wir ja letztes Jahr alle beobachten können. Also da wäre ich noch zurückhaltender.
Hennig: Bei der Debatte dreht es sich natürlich auch um die Situation in den Schulen. Wenn man auf Social Media verfolgt, was in England passiert, dann sieht man, dass es da durchaus auch ein Thema ist, gerade in Forscherkreisen. Es geht in diesen Wochen immer mal wieder unser etwas banger Blick nach England - wegen der Delta-Variante, formerly known as indische Variante, B.1.617.2. Die hat dort das Ruder übernommen. Von 90 Prozent der Neuinfektionen ist da die Rede. Eigentlich wollte man in England heute alles öffnen und hat diesen letzten Öffnungsschritt nun um vier Wochen verschoben, weil die Inzidenz wieder steigt. Ich will mal bewusst fragen: Wie kann man das erklären, dass die Neuinfektionen so hoch sind? Gestern war die höchste Zahl seit Anfang Februar in England, obwohl doch dort auch schon so viele Menschen geimpft sind - über 60 Prozent mindestens einmal und über 40 Prozent sogar mit zwei Dosen.
Was bedeutet die rasante Ausbreitung der Delta-Variante in Großbritannien?
Ciesek: Da sieht man, wie sensibel das Ganze ist. Wenn man zum Beispiel Großbritannien und Israel vergleicht, dann sieht man, dass, obwohl in Großbritannien viele schon geimpft sind, dort die Anzahl der Neuinfektionen wieder ansteigt. Vor allen Dingen in einer Altersgruppe zwischen zehn und ungefähr 39 Jahren. In dem Alter sind die meisten Infektionen. Da sind natürlich die meisten noch gar nicht oder nur einmal geimpft. Das ist schon mal eine Erklärung, warum es zu einem Anstieg der Zahlen kommt. Im Moment ist es so, dass über 42.000 Fälle mit dieser Delta-Variante gemeldet sind und dass es einen Anstieg um ungefähr 50 Prozent jede Woche gibt. Das ist natürlich ein Warnsignal. Da muss man dann reagieren. Und das haben die Briten auch getan, indem sie die Abschaffung aller Maßnahmen erst mal um vier Wochen verschoben haben.
Man sieht auch, dass das nicht unbedingt reichen muss, wenn nur 43 Prozent, so sind die letzten Zahlen, die ich gesehen habe, vollständig geimpft sind. Man vermutet ja, dass die Delta-Variante sich einfach schneller überträgt oder leichter übertragen wird als die Alpha-Variante, was man an diesen Real-Life-Daten auch ganz gut sehen kann. Ein bisschen unklar ist noch, aber die Befürchtung besteht aus frühen Daten aus England und Schottland, dass eine Infektion mit der Delta-Variante auch zu einem erhöhten Risiko für eine Hospitalisierung, also für eine Krankenhausaufnahme führt.
Hennig: In sozialen Medien ist die Rede von bis zu 60 Prozent höherer Übertragbarkeit. Es gibt ja immer wieder neue Reports von Public Health England, von den Gesundheitsbehörden dort. Ist das eine realistische Zahl, diese 60 Prozent? Oder ist das trotz allem noch ein bisschen spekulativ?
Ciesek: Das ist schwer einzuschätzen. Ich denke, das muss man noch in weiteren Kollektiven bestätigen. Wie es damals ja auch bei der Alpha-Variante der Fall war. Aber sie wird sicherlich eine höhere Übertragung haben. Ob es jetzt 50, 60 oder 40 Prozent sind, das wage ich jetzt noch nicht einzuschätzen.
Was man aber deutlich sieht, ist, dass es in den letzten vier Wochen viele Ausbrüche in Schulen gab. In Grundschulen, aber vor allen Dingen auch in weiterführenden Schulen und dass diese auch oft mit der Delta-Variante in Verbindung gebracht wurden. Wenn man sich den Report aus Großbritannien anschaut, waren die meisten Risiko-Settings die Bildungsstätten. Vor allen Dingen hier die Sekundarstufe und der Arbeitsplatz, wo Leute Kontakt hatten zu dem Virus. Das muss man weiter beobachten und gegensteuern. Das ist zum Glück in Deutschland noch nicht der Fall. Aber in den USA zum Beispiel, da sind mittlerweile zehn Prozent der sequenzierten Fälle ebenfalls auf die Delta-Variante zurückzuführen. Hier kommt es zu einer Verdopplung dieser Fälle alle sieben bis zehn Tage, sodass sich dort abzeichnet, dass die Delta-Variante sich durchsetzen wird und leichter übertragbar ist.
Hennig: Wenn von Todesfällen berichtet wird, gibt es auch immer mal wieder kursierende Zahlen von Menschen, die komplett durchgeimpft waren und die sich wieder infiziert haben. Sie sind vereinzelt auch gestorben. Aber da muss man vielleicht dazusagen, da fehlen ganz wichtige Informationen, um das einordnen zu können. Also wenn wir nur wissen, dass jemand gestorben ist, dann muss das noch keine Information sein, die die Gesamtheit der Bevölkerung in Beunruhigung stürzen müsste. Was genau müsste man dazu wissen?
Ciesek: Das ist ganz wichtig. Wenn man diese Zahlen anschaut, die auch Großbritannien rausgegeben hat: Die meisten Fälle sind bei nicht Geimpften. Aber es traten auch Fälle bei Geimpften auf und auch bei vollständig Geimpften. Was sie aber nicht angegeben haben, ist, wie alt diese Patienten waren. Ob sie Vorerkrankungen hatten, ob sie zum Beispiel Medikamente nehmen, die das Immunsystem unterdrückt haben. Wenn man sich die Anzahl der Todesfälle anschaut, die von den vollständig Geimpften gemeldet wurden, waren es zwölf. Da muss man schon genau gucken, was waren das dann für Patienten? War das zum Beispiel ein Altenheim-Ausbruch und alle waren über 80? Oder betraf das nicht zusammenhängende Ereignisse, sodass man daraus für den Einzelnen, also für die Privatperson, wenig Information rausziehen kann?
Testen trotz Impfung
Ich denke, die wichtige Message ist, dass man trotz Impfung auch eine Infektion bekommen kann. Und dass man einfach dran denken muss, gerade bei den niedergelassenen Ärzten, wenn jemand trotz Impfung mit typischen Symptomen in die Praxis kommt, sollte man trotzdem auch auf SARS-CoV-2 testen und nicht sagen: Ach, der ist ja geimpft, der kann das nicht haben. Was bei dem Aspekt noch interessant ist: In Großbritannien gibt es diese SIREN-Studie. Das ist eine Studie von Mitarbeitern aus dem Gesundheitssystem, die sind jünger. Es sind knapp 45.000 Teilnehmer, also sehr viele. Einige hatten eine Infektion, andere sind geimpft, da ist eine erstaunlich hohe Impfquote von 95 Prozent. Sie bekamen alle nach zwei Wochen noch mal eine PCR auf SARS-CoV-2. Hier zeigt sich, dass es auch in der letzten Zeit keinen Anstieg der PCR-positiven Teilnehmer in dieser SIREN-Kohorte gab. Obwohl die Delta-Variante immer häufiger und dominant wurde.
Das sind sehr positive Nachrichten und es spricht noch mal dafür, dass ein vollständiger Impfschutz auch sicher vor schweren Erkrankungen oder vor der Erkrankung schützen kann. Natürlich gibt es immer Einzelfälle, die man sich angucken muss, bei denen das nicht der Fall ist. Aber in dieser großen Nachbeobachtungsstudie kam es trotz der Dominanz von Delta nicht zu einem Anstieg von PCR-positiven Teilnehmern.
Wie hoch ist der Anteil der Delta-Variante in Deutschland?
Hennig: Jetzt haben wir Delta für Großbritannien ein bisschen eingeordnet. Der übliche Blick geht dann auch trotzdem noch mal auf die Zahlen des Robert Koch-Instituts zur Varianten-Verbreitung in Deutschland. Die jüngsten Zahlen sagen immer noch, dass wir da deutlich im einstelligen Bereich sind, was die Delta-Variante in Deutschland angeht?
Ciesek: Genau, wir sind bei ungefähr drei Prozent. In der Kalenderwoche 21 waren es 2,5 Prozent. Das entsprach auch gar nicht vielen Fällen. Ich glaube, 34 Fälle waren das. Das zeigt, dass das bisher in Deutschland noch nicht zu einem deutlichen Anstieg führt. Aber wie gesagt, wir sind da nicht geschützt.
Wenn man jetzt alle Maßnahmen aufheben würde, in Innenräumen zum Beispiel, und dann ein paar Superspreader-Events mit Delta passieren würden, dann hätten wir die gleiche Gefahr wie in anderen Ländern. Wir können dazu auch noch mal nach Israel schauen. Israel und Großbritannien haben beide eine hohe Impfrate, die in Israel ist noch ein bisschen höher. Das Interessante ist, Israel hat eine Inzidenz von 1,1, also noch viel niedriger.
Hennig: Herrlich.
Ciesek: Genau, ein interessantes Urlaubsland. Aber die Frage ist ja, warum setzt sich Delta da nicht durch, obwohl die auch nicht weiter weg von Indien sind im Vergleich zu Großbritannien? Man weiß es nicht genau. Also man denkt, dass vielleicht diese höhere zweite Impfrate, also 60 versus 43 Prozent auch einen Unterschied macht. Dann ist ein weiterer Unterschied sicherlich, dass in Israel alle mit Biontech geimpft sind und in Großbritannien verschiedene Impfstoffe verwendet werden, vor allen Dingen auch AstraZeneca. Und dass in Israel anscheinend, so wie ich gehört habe, die Grenzkontrollen strenger sind. Also dass man einfach sehr bemüht ist, dass das nicht so eingeschleppt wird.
Wie wirkt sich die zu erwartende Reisetätigkeit im Sommer auf die Pandemie aus?
Hennig: Das ist ein gutes Stichwort für meine nächste Frage. Zum einen muss man festhalten, auch wir haben verschiedene Impfstoffe in Deutschland. Jetzt rückt die Reisesaison näher und die Fußball-EM ist auch schon losgegangen. Da gibt es auch schon Reisetätigkeit in Europa, da kommen Menschen zusammen.
In Teilen von Norddeutschland beginnen in der kommenden Woche zum Beispiel schon die Schulferien. Es gibt Analysen, die zeigen zum Beispiel, wie sich im vergangenen Jahr die Varianten durch das Reisen sehr schnell verbreitet haben, von und nach Spanien zum Beispiel. Da ging es auch um Varianten, die offenbar gar nicht maßgeblich übertragbarer waren als der Wildtyp aus Wuhan. Also eigentlich eine noch entspanntere Situation als die, die wir jetzt haben, wenn man mal die Impfung außen vor lässt. Deswegen würde ich gern nochmal die Frage stellen, die wir hier schon ein paarmal angefasst haben: Müssen wir nicht davon ausgehen, dass die Delta-Variante nach dem Sommer auch hier das Geschehen bestimmt, so wie bei B.1.1.7, bei der Alpha-Variante?
Ciesek: Damit muss man wohl rechnen. Ich denke, wichtig ist, dass man das so weit wie möglich hinausgezögert, um noch möglichst viele Menschen zu impfen und auch eine Zweitimpfung zu ermöglichen. Einfach, um die Zahlen an sich niedrig zu halten. Aber da diese Variante sowohl in Großbritannien als auch in den USA anscheinend doch eine höhere Transmission hat, wird sich das kaum verhindern lassen. Es gibt auch nicht nur den Flugverkehr, sondern auch Reisen per Auto, per Schiff, per Reisebus. Da sind die Kontrollen natürlich deutlich eingeschränkter als an den Flughäfen, wo es zumindest klare Regelungen gibt.
Corona-Ausbreitung: Reisen sind eine Gefahr
Aber natürlich sind Reisen eine Gefahr. Das zeigt auch das Paper, bei höherer Inzidenz besteht in den Reiseländern die Gefahr, dass man sich infiziert. Oft gibt es in den Reiseländern auch andere hygienische Bedingungen. Gerade, wenn es Fernreisen sind. Man verhält sich im Urlaub anders, das kennt glaube ich jeder von uns. Da möchte man nicht drinnen sitzen, sondern geht natürlich häufiger Essen oder unter Leute.
Dann wissen wir noch nicht so genau, was die Klimaanlagen für einen Effekt haben. Es kann natürlich auch sein, dass dadurch auch noch Viren verteilt werden. Deswegen kann es vorkommen, dass dann diese Viren in sogenannte Niedriginzidenz-Gebiete wie Deutschland eingeschleppt werden. Ich denke, das ist eine der großen Aufgaben für uns im Herbst. Wie ist bei den Reisenden der Umgang mit den Ungeimpften? Wird da etwas angepasst? Wie ist es auch bei den Geimpften? Braucht man da überhaupt Kontrollen? Wie überwacht man die Reisetätigkeit und die Reisenden? Macht man das bei allen oder bei Stichproben? Ich denke, das alles zu klären sind die Aufgaben, die in den nächsten Wochen anstehen.
Hennig: Beim Stichwort hinauszögern sind wir wieder bei den Regeln, die wir ja eigentlich nun in und auswendig kennen: Die AHA-Regeln und die Maskenpflicht. Vielleicht auch noch mal zu überlegen: Tut mir das wirklich so weh, die Maske noch ein bisschen weiter zu tragen, um Zeit zu gewinnen?
Ciesek: Ja, es ist eine schwierige Diskussion. Ich habe in Vorbereitung auf diese Sendung mal die Inzidenzen in Frankfurt angeguckt. Wir haben im Moment eine niedrige Inzidenz von, ich glaube, heute 22. Wenn man mal altersabhängig schaut, dann ist die Inzidenz bei den Fünf- bis 14-Jährigen immer noch 74 pro 100.000, also deutlich höher, über dreimal so hoch. Und das muss man vielleicht auch mit einfließen lassen, wenn man diese Diskussion führt. Wie ist die Inzidenz in dieser Altersgruppe? Also nicht nur auf die gesamte Inzidenz schauen. Bei uns in Frankfurt war sie für das Alter über 80 null, was sehr erfreulich ist und noch mal zeigt, wie gut die Impfungen wirken. Aber gerade bei den Ungeimpften ist sie mit 74 doch deutlich höher.
Was sagen Daten aus Israel über die Effekte von Erwachsenen-Impfungen für Kinder?
Hennig: Das Paper zur Varianten-Ausbreitung im vergangenen Sommer, das Sie angesprochen hatten, das verlinken wir hier natürlich wie alle Quellen. Da wollen wir jetzt aber nicht im Detail darauf eingehen. Jetzt haben wir Israel auch schon kurz angesprochen. Ich habe vorhin so schön über den Impf-Fortschritt frohlockt. Wir wissen aus manchen Studien schon, dass sich Auswirkungen auf die Pandemie ganz gut beobachten lassen, wenn viele geimpft sind, was den Schutz von Ungeimpften angeht, also zum Beispiel in der sekundären Attack-Rate in Haushalten. Also wie oft steckt ein Infizierter einen weiteren im privaten Umfeld an? Das verändert sich oft schon nach einer Dosis. Aber wie eng der Impf-Fortschritt mit dem Inzidenz-Rückgang tatsächlich zusammenhängt, das ist schwierig zu bestimmen, oder? Da haben wir gar keine richtigen Schwellenwerte oder Schwellenbereiche, auch aus diesen Real-World-Daten. Bislang.
Ciesek: Ja, da gibt es eine neue Studie aus Israel im "Nature Medicine". Die ist ganz neu erschienen. Wie schon gesagt, Israel ist das Land, was einfach am schnellsten seine Bevölkerung über 16, also die Erwachsenen, durchgeimpft hat. In neun Wochen haben sie fast die Hälfte der Bevölkerung geimpft.
Hennig: Mit einer Impfdosis, muss man sagen.
Ciesek: Genau. Was aber auch noch mal zeigt, wie schnell das bei denen war. Und wenn man sich diese Real-World-Daten anschaut, da haben Forscher zwischen Dezember und März dieses Jahres Impfdaten zusammen mit Virustest-Ergebnissen analysiert.
Die haben verschiedene Gebiete in Israel verglichen und dann für jede Gemeinde berechnet: Wie ist der Anteil der Erwachsenen zwischen 16 und 50, die geimpft wurden? Wie ist der Anteil der positiven PCR-Tests bei Kindern unter 16? Dann haben sie das kalkuliert und man kann grob sagen, man sieht eine klare Korrelation. Je mehr Erwachsene sich impfen lassen, umso geringer war der Anteil der Kinder, die positiv getestet wurden. Sie haben dann auch versucht, das genau zu beziffern. Sie sagen, wenn zwischen den 16- und 50-Jährigen ungefähr 20 Prozentpunkte mehr geimpft sind, dann sinkt für diese 20 Prozentpunkte der Anteil der Positiven unter 16 um die Hälfte, also jede 20 Prozent mehr Impfung führt zu einer Halbierung der positiven Tests bei Kindern und Jugendlichen. Das ist natürlich das erste Mal, dass man versucht hat, das so richtig zu beziffern. Und es zeigt auch noch mal, dass man, wenn man sich impfen lässt, nicht nur sich selbst vor einer Erkrankung schützt, sondern in den meisten Fällen auch die Weitergabe des Virus eingeschränkt oder verhindert hat. Man muss zur Studie sagen, dass man zum einen natürlich nicht vergessen darf, dass Israel in dieser Zeit noch im Lockdown war. Es war also nicht die einzige Intervention. Natürlich galten auch noch andere Einschränkungen. Das kann man in dieser Studie nicht rausrechnen.
Hennig: Und hier war nicht die Delta-Variante im Spiel. Das ist der entscheidende Unterschied zu dem, was wir aus England besprochen haben.
Ciesek: Wir wissen auch nicht, wie lange das anhält. Also das ist ja eine Momentaufnahme von sehr frisch Geimpften mit sehr hohen Titern. Sie haben also sehr viele Antikörper im Blut.
Antikörper werden abfallen
Und wir wissen jetzt schon, dass diese Antikörper nach einer gewissen Zeit auch wieder abfallen. Deswegen ist das eher eine Momentaufnahme. Es kann gut sein, dass das in einem halben Jahr oder einem Dreivierteljahr anders aussieht. Man muss dann schauen, wie lange das anhält.
Hennig: Also dieses Verhältnis könnte sich noch mal verändern. Aber wenn dann die zweite Impfung dazukommt, dann ist das auf jeden Fall ein positiver Effekt, was den Schutz angeht. Das haben wir hier schon öfter beschrieben.
Ciesek: Auf jeden Fall.
Hennig: Es sind in der Pandemie aber auch Netzwerk-Funktionen wichtig, also bei dem, was wir grob immer mit Herdenimmunität bezeichnet haben. Manche haben deutlich mehr und wechselnde Kontakte als andere. Die Autoren haben in der Studie auch geguckt, welche Bedeutung das Alter der Geimpften hat. Und auch da kann man sagen, je jünger und mobiler sie sind, umso größer ist der Schutzeffekt.
Das spricht einmal mehr dafür: Wenn wir Zeit gewinnen, um auch noch mehr jüngere Leute zu impfen, dann kann das für die Pandemie nur von Vorteil sein. Frau Ciesek, es gibt Hörer und Hörerinnen, die sagen: Ihr beschäftigt euch im Podcast viel zu wenig mit älteren Menschen. Ich finde, das ist eine wichtige Anmerkung. Natürlich wollen wir allen gerecht werden. Deshalb werden wir das heute hier auch tun. Aber vorher müssen wir zumindest noch ein bisschen was zum großen Komplex Impfung und Kinder nachtragen. Denn die STIKO-Entscheidung dazu ist erst in der vergangenen Woche rausgekommen. Ein paar mehr Daten und Fingerzeige sind jetzt verfügbar.
Wie sind Berichte über Myokarditis als mögliche Nebenwirkung nach einer mRNA-Impfung einzuordnen?
Ein Thema, das wir besprochen haben, war die Frage, ob Myokarditis, also eine Herzmuskelentzündung, eine Nebenwirkung der Impfung mit mRNA-Impfstoffen sein kann, insbesondere bei jüngeren Leuten. Verstärkt vielleicht auch bei männlichen. Das kann aber immer noch nicht wirklich weiter beantwortet werden. Zumindest das Paul-Ehrlich-Institut sieht in den deutschen Zahlen noch keinen Kausalzusammenhang. Aber in Israel und den USA gibt es mehr Auffälligkeiten, zumindest rein zahlenmäßig. Wie ist dort der Stand, wie ist die aktuelle Datenlage?
Ciesek: Mich wundert es nicht, dass das PEI und auch die EMA nicht viel sieht. Weil natürlich gerade in Europa Menschen unter 30 viel weniger geimpft wurden als in den Ländern Israel und USA. Deswegen muss man da sicherlich noch ein bisschen abwarten.
Daten fehlen noch
Es ist richtig. Zuerst wurde das in Israel berichtet. Die USA hat jetzt auch gemeldet, dass bei Jüngeren unter 30 Lebensjahren verstärkt Myokarditis-Fälle nach einer mRNA-Impfung gemeldet wurden. Sie haben jetzt die Zahlen aus dem Vaccine Adverse Event Reporting System veröffentlicht. Die Zahlen sind von Ende März. Also es ist schon eine Weile her, das hat immer ein bisschen Datenverzug. Da waren es knapp 800 Berichte über Myokarditis und Perikarditis. Knapp 500 waren es nach dem Biontech/Pfizer-Impfstoff und knapp 300 nach dem Moderna-Impfstoff. Sodass man bei den Daten aus den USA sagen kann, dass das wahrscheinlich generell die mRNA-Impfstoffe betrifft und nicht nur den Pfizer-Impfstoff.
Von diesen knapp 800 Fällen waren knapp 500, also 475 unter 30 Jahre alt. Typische Symptome waren Schmerzen in der Brust. Die kardialen Enzyme, also da kann man Enzyme abnehmen, die spezifisch für das Herz sind, die waren erhöht. Auch im EKG fand man Veränderungen. Manche hatten Luftnot und einzelne hatten auch im Herz-Echo, also im Herz-Ultraschall, Auffälligkeiten. Die sind noch nicht alle überprüft worden. Also, ob das wirklich mit der Impfung zusammenhängt. Das dauert ja immer ein bisschen. Man muss sich dann die Patientenakten angucken und einen Kausalzusammenhang stellen. Deshalb gibt es bisher nur Daten von knapp 300 Patienten, bei denen man sieht, dass diese Falldefinition, wie es die CDC gemacht hat, passend ist.
Man muss aber sagen, dass die meisten dieser Patienten sich vollständig erholt haben. Also 81 Prozent, die auch wieder die Klinik verlassen konnten und entlassen wurden. Und dass die Verläufe eher mild waren. Man muss auch wissen, dass eine Myokarditis bei jüngeren Menschen nach verschiedenen Virusinfektionen auftreten kann. Aber trotzdem ist in den USA gerade in der Altersgruppe 16 bis 17, also bei den Jugendlichen, die Zahl der Fälle deutlich über den erwarteten Fällen. Erwartet waren zwei bis 19 Fälle. Das ist eine relativ große Bandbreite, weil man die Inzidenz der Myokarditis nicht genau kennt. Beobachtet wurden 79 Fälle, also schon deutlich über dem, was man erwartet hätte. Und auch bei der Altersgruppe 18 bis 24 hatte man acht bis 83 Fälle erwartet, gemeldet wurden aber knapp über 200, also auch eine Erhöhung. Deshalb gehe ich davon aus, dass die CDC die Myokarditis in den nächsten Wochen als mögliche Impf-Komplikation nach mRNA-Impfstoffen einstufen wird. Und die Häufigkeit wurde von den Amerikanern bei 16 Fällen auf eine Million Impfungen bei der zweiten Dosis angegeben. Das entspricht 1:62.500. (Anm. d. Red.: Hier hatte sich ein Zahlenfehler eingeschlichen. Wir haben ihn nachträglich korrigiert.)
Hennig: Die Bandbreite der erwarteten Fälle ist relativ groß. Das liegt auch daran, weil man gar nicht so sicher sagen kann, wie oft Myokarditis im normalen Leben, also unabhängig von irgendwelchen Impfungen vorkommt. Vielleicht noch mal der Verweis, damit wir das hier nicht so ausufernd besprechen müssen, in Folge 87 haben wir ausführlich über Myokarditis gesprochen, im Allgemeinen, auch was die Symptomatik und die Diagnostik angeht. Das kann man da also ganz gut nachlesen oder nachhören. Nun gibt es ein paar Fallschilderungen aus den USA, die veröffentlicht wurden, also konkrete Fälle von Herzmuskelentzündung aus diesem Szenario nach einer Impfung mit Biontech. Da waren es, glaube ich, in allen sieben Fällen junge Menschen im Teenager- und jungen Erwachsenenalter. Wenn Sie sich die angucken, passen die für Sie auch ins Bild einer möglichen Impf-Nebenwirkung?
Ciesek: Ich denke schon. Ich lese oft als Kommentar, dass nach einer Covid-19-Infektion auch eine Myokarditis auftreten kann, und das sei viel häufiger. Die Häufigkeit war ungefähr mit eins zu 6.000 angegeben. Wobei sich das noch ändern kann. Das sind wirklich erste Zahlen.
Myokarditis durch Covid-19
Und es gab im "JAMA Cardiology" auch eine Studie von Leistungssportlern, bei denen man nach einer Covid-19-Infektion ein MRT gemacht hatte. Da hat man bei 2,3 Prozent eine klinische oder subklinische Myokarditis diagnostiziert. Das wird oft mit der Häufigkeit der Impfung verglichen. Dann wird gesagt: Na ja, Covid-19 macht das viel häufiger. Ich denke, um die Zahlen wirklich vergleichen zu können, müssten wir bei jedem, der geimpft wurde oder die zweite Impfung hatte, ein MRT des Herzens machen. So wie in dieser Studie. Es war nicht so, dass diese Sportler sich alle mit Symptomen gemeldet haben und dann auf eine Myokarditis untersucht wurden. Da kann man einfach auch noch nichts Genaues zu den Zahlen sagen.
Die Häufigkeit der Myokarditis-Fälle unter Covid-19 ist noch nicht ganz klar. Aber diese Case-Reports aus den USA geben ein bisschen den Hinweis, was einen da erwartet oder wie schwer das ist. Das waren junge Männer zwischen 14 und 19 Jahren, also auch gerade die Gruppe an Jugendlichen, wo diskutiert wird, ob man sie impfen soll. Die haben innerhalb von vier Tagen nach der zweiten Dosis, das war schon mal auffällig, diese Symptome einer Myokarditis entwickelt. Sie waren aber vorher gesund. Dann haben sie auch ein MRT bekommen, wo man charakteristische Anzeichen einer Myokarditis sah. Die hatten Brustschmerzen angegeben und einige hatten auch Fieber. Also fünf von sieben gaben an, sie hätten sich fiebrig gefühlt oder hatten auch Fieber oder Schmerzen an anderen Körperstellen. Trotzdem, wenn man dann Blut abnahm, sah man bei allen sieben Patienten, dass es zu einer Erhöhung dieser Herz-Enzyme kam, also auch vom Troponin-Wert im Blut. Das ist auch ein Wert, den man zum Beispiel bestimmt, wenn man den Verdacht auf einen Herzinfarkt hat.
Also das ist typisch, sozusagen ein Herzprotein, das bei Stress oder wenn es Schäden am Herzen gibt, anzeigt. Das kann man relativ einfach messen. Bei dem EKG fand ich ganz interessant, dass es bei den sieben Patienten sehr unterschiedlich war. Bei einigen passte es zu dem, was man normalerweise bei Myokarditis sieht, und bei anderen wieder nicht. Trotzdem war keiner von den Patienten so schwer krank, dass er irgendwelche kreislaufunterstützenden Mittel und keinen Sauerstoff brauchte. Deswegen wurde das als mild beschrieben, diese Myokarditis-Fälle. Drei von sieben Fällen wurden mit sogenannten NSAR, also nicht steroidalen Antirheumatika, behandelt. Das ist zum Beispiel Ibuprofen. Vier haben wahrscheinlich noch zusätzlich Immunglobulin und Cortison bekommen. Wichtig ist noch, dass man bei allen sieben natürlich eine akute SARS-CoV-2-Infektion ausgeschlossen hatte. Insgesamt muss man sagen, dass die Fälle eher mild waren. Es waren keine schweren Fälle. Sie hatten zum Beispiel keine Rhythmusstörungen, was immer eine große Gefahr oder Angst bei Myokarditis ist. Auch eine Herzinsuffizienz war nicht ausgeprägt. Ich glaube, es ist relativ wichtig, hier immer den richtigen Vergleich anzustreben.
Also die Frage ist ja: Was passiert mit einer ähnlichen Anzahl von Menschen, wenn sie stattdessen im gleichen Alter Covid-19 bekommen? Wie krank werden die im Verhältnis zu denen, die man geimpft hat? Hier sind die Untersuchungen zur Myokarditis einfach noch nicht abgeschlossen. Ich würde sagen, das ist jetzt im Fokus von den Zulassungsbehörden. Aber auch von den Ländern und es wird in den nächsten Wochen sicherlich noch weitere Untersuchungen dazu geben. Es gibt auch schon erste Überlegungen, wie es überhaupt dazu kommt, also zur Pathogenese, dass das vielleicht eine immunologische Überreaktion des Immunsystems ist. Gerade weil es auch nach der zweiten Impfung auftritt.
Reaktionen auf Myokarditis-Fälle
Es gibt auch die Überlegung, ob man zum Beispiel die zweite Impfung ein bisschen später gibt. Da werden wir auch Daten aus anderen Ländern bekommen, wo der Impfabstand verlängert wurde, um mehr Leuten eine erste Impfung zu geben. Das muss man dann vergleichen, ob dort vielleicht weniger Myokarditis-Fälle beobachtet werden. Eine dritte Möglichkeit ist sicherlich auch, dass man eine niedrigere Dosis bei jungen Männern unter 30 für die zweite Impfung verwendet, um diese Immunreaktion oder Überreaktion ein bisschen abzufangen. Das sind aber, sage ich mal, alles theoretische Überlegungen. Da muss man leider noch ein bisschen abwarten, bis man die Pathogenese, also die Entstehung besser versteht. Und die Daten aus anderen Ländern hat.
Hennig: Da haben wir jetzt schon rausgehört, es ist wie so oft: Es spielen sehr, sehr viele verschiedene Faktoren rein. Das gibt mir die Gelegenheit, an dieser Stelle auf einen anderen Podcast zu verweisen. Wir hatten hier Thomas Mertens, den STIKO-Vorsitzenden, zu Gast gehabt. Weil die STIKO all diese Faktoren auch weiter bewerten wird und möglicherweise ihre Impfempfehlung für Jugendliche auch nochmal anpasst. Wir haben in einem anderen NDR Podcast Professor Sabine Wicker zu Gast. Das ist die stellvertretende Vorsitzende der STIKO. Das ist für uns beide besonders interessant, weil sie Betriebsärztin bei Ihnen in der Uniklinik ist. Sprechen Sie mit ihr auch oft über Impfungen?
Ciesek: Genau. Frau Wicker ist bei uns die Betriebsärztin und zuständig fürs Impfen des Personals. Wir sprechen sehr häufig über Impfungen. Wenn ich Anfragen kriege, frage ich Sie noch mal: Wie siehst du das? Wir machen auch Studien zusammen. Zum Beispiel zum heterologen Impfen, also für die, die AstraZeneca das erste Mal bekommen haben und jetzt einen mRNA-Impfstoff bekommen, um die Immunantworten anzuschauen.
Was sagen neue Daten über Risikofaktoren für einen schweren Covid-Verlauf bei Kindern aus?
Hennig: Ich möchte ganz kurz noch mal bei dieser Risiko-Nutzen-Abwägung der Impfung bleiben, bevor wir uns anderen Themen zuwenden. Was diese Herzmuskelentzündungen in zeitlichem Zusammenhang zur Corona-Impfung angeht, bleibt also ein Fragezeichen. Das war ein Grund für die zurückhaltende Haltung der STIKO. Was das Risiko für Kinder durch eine Infektion angeht, gibt es mittlerweile ein paar mehr Daten. Sie sind auch wieder vom amerikanischen CDC, Centers for Disease Control. Die haben sich zum Beispiel Krankenhauseinweisungsdaten für Zwölf- bis 17-Jährige angeguckt. Ich sage jetzt mal eine Zahl vorab kumulativ: Also über ein Jahr zusammen betrachtet sagt man, das Risiko für eine Krankenhauseinweisung ist zwölfeinhalbfach niedriger als für Erwachsene. Bestätigt das ganz grob das Bild, das sich auch in Europa gezeigt hat? Kann man das so sagen?
Ciesek: Auf jeden Fall. Es ist ein altersabhängiger Effekt. Das CDC hat mehrere Daten rausgegeben. Es hat sich zum Beispiel auch angeschaut, wie ist es bei den Aufnahmen der Zwölf- bis 17-Jährigen, also die, die man jetzt theoretisch impfen könnte. Wie ist das in den letzten Monaten, also im Frühjahr gewesen? Da hat man gesehen, dass die stationären Aufnahmen angestiegen waren. Ein Drittel dieser stationären Fälle mussten auf Intensivstation und fünf Prozent mussten sogar mechanisch beatmet werden. Was man dazusagen muss, ist: Das waren junge Menschen mit Vorerkrankungen.
Über 70 Prozent hatten eine oder mehrere Grunderkrankungen. Das häufigste war eine Adipositas, also Übergewicht, oder chronische Lungenerkrankungen. Ich denke mal, das ist vielleicht in den USA noch ein bisschen häufiger als in Deutschland. Das weiß ich gar nicht, da kenne ich nicht die genauen Zahlen. Aber das ist einer der großen Risikofaktoren. Ich denke, es zeigt sich, dass es altersabhängig ist. Also je älter man ist, umso häufiger muss man ins Krankenhaus. Aber dass natürlich auch Risikogruppen bei jungen Menschen existieren. Die Daten fand ich ganz interessant: also dass von diesen Jugendlichen, die Vorerkrankungen haben, doch ein Drittel auf Intensivstationen aufgenommen werden musste.
Hennig: Die Zunahme der Krankenhauseinweisungen in bestimmten Phasen haben mutmaßlich wieder mit den Varianten zu tun?
Ciesek: Genau, als Grund hat die CDC angegeben, dass man mehr übertragbare Varianten gefunden hat, dass es auch eine Änderung von Social Distancing und dem Tragen von Masken gab oder auch überhaupt des Verhaltens. Dass die Übertragung wiederum, auch wieder passend zu den anderen Daten, vor allen Dingen in der Sekundarstufe erfolgt ist, also in weiterführenden Schulen. Dort wurden Ausbrüche beobachtet, vor allen Dingen waren sie mit außerschulischen Aktivitäten assoziiert. Und das, denke ich mal, passt ganz gut zum Gesamtbild, was wir immer wieder sehen, dass es jetzt einfach bei den Älteren gute Impfraten gibt. Aber das sich bei den nicht Geimpften das Virus natürlich den sucht, der noch nicht infiziert ist. Also es sucht sich den leichtesten Weg.
Hennig: Umso wichtiger ist natürlich, dass vorerkrankte Kinder jetzt auch in Deutschland die Impfung bekommen können. Für die ist das noch mal eine ganz andere Risikoabschätzung. Aber Sie haben eben schon das Stichwort Übergewicht genannt. Das zeigt sich auch in anderen Datenerhebungen. Da gibt es zum Beispiel eine begutachtete Studie, sie kommt auch aus den USA, da hat man sich Daten von über 40.000 Kindern angeguckt. Da ist Übergewicht einer der wichtigeren Risikofaktoren, oder? Wie bei Erwachsenen?
Ciesek: Ja, das ist eine interessante Studie, die in einem Unterjournal vom JAMA, "JAMA Network Open" publiziert wurde. Da hat man über 40.000 Kinder unter 18 angeschaut, das mittlere Alter war zwölf Jahre. Die haben nach zwei Dingen geschaut. Das eine ist: Welche Kinder werden hospitalisiert, kommen ins Krankenhaus? Und welche Kinder haben dann auch ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf? Das ist ja oft gar nicht unbedingt eins zu eins das gleiche. Ich finde das sehr wichtig, weil das natürlich dabei hilft einzuschätzen, welche Kinder bevorzugt geimpft werden sollten. Und bei welchem kann man vielleicht darauf verzichten oder warten. Das waren Daten aus der Notaufnahme von stationären Aufenthalten bei Kindern mit Covid-19.
Risikofaktoren bei Kindern: Asthma, Diabetes, Übergewicht, neurologische Störungen
Die am häufigsten diagnostizierte Vorerkrankung war mit zehn Prozent Asthma. Dann gab es auch neurologische Entwicklungsstörungen, Angststörungen, Depressionen und auch Adipositas. Der stärkste Risikofaktor für einen Krankenhausaufenthalt war in dieser Studie ein Typ-1-Diabetes und das Übergewicht, worüber wir schon gesprochen haben. Und der stärkste Risikofaktor für einen schweren Verlauf dieser Erkrankung war auch Typ-1-Diabetes. Also da passte es sehr gut. Aber auch angeborene Anomalien von Herz und Kreislauf gehören dazu. Außerdem, das ist auch wichtig, dass Kinder, die jünger als zwei Jahre sind und eine Frühgeburt waren, auch einen Risikofaktor für eine schwere Erkrankung hatten. Die können wir im Moment noch gar nicht impfen. Das war aber wirklich nur bis zum Alter von zwei Jahren ein Risikofaktor, also in den ersten zwei Lebensjahren.
Dann wurde noch genannt, dass ein Risikofaktor für Krankenhausaufenthalte chronische und komplex-chronische Erkrankungen sind. Das muss nicht unbedingt immer mit der Covid-Erkrankung zusammenhängen. Es kann auch bei einem Kind mit schweren Vorerkrankungen und Covid sein, dass es eher zur Sicherheit aufgenommen wird. Denn man weiß nicht, wie der Verlauf ist. Aber es hat sich auch hier gezeigt, dass die Kinder eher schwere Erkrankungen haben, wenn sie an Covid-19 erkranken. Außerdem wurde noch genannt, dass ein höheres Risiko für einen Krankenhausaufenthalt Kinder mit einer Epilepsie haben, also mit Krampfanfällen. Interessant fand ich vor allen Dingen, dass das höchste Risiko wirklich Kinder mit Diabetes mellitus Typ 1 haben. Das haben auch schon andere Studien gezeigt. Und dass das zum Teil sogar eine Erstmanifestation war. Das heißt, dass der Diabetes im Rahmen dieser Infektion erst dann diagnostiziert wurde oder dass es zu einer Entgleisung des Zuckers durch die Infektion kam.
Hennig: Das heißt, die Kinder wussten vorher gar nicht, dass sie Diabetes hatten.
Ciesek: Zum Beispiel, genau, dass man das dadurch entdeckt hat. Und auch, dass Asthma ein altersabhängiger Risikofaktor war, fand ich interessant. Also Asthma war nur bei Zwölf- bis 18-Jährigen ein Risikofaktor für einen schweren Verlauf im Krankenhaus. Und was natürlich schwierig an der Studie ist: Sie haben sogenannte ICD-10-Codes verwendet. Die Diagnosen, die im Krankenhaus erfasst werden. Dadurch hat man nicht unbedingt die genauen Schweregrade. Also wenn man sich den BMI noch mal anschaut, also das Gewicht, wäre es natürlich besonders gut, wenn man wüsste, wie ausgeprägt das Übergewicht war. Also was das Kind genau gewogen hat, wie hoch der BMI war, und nicht nur die Diagnose. Das wäre noch genauer.
Priorisierung bei Kinderimpfung
Aber ich denke, dass diese Arbeit ganz gute Hinweise gibt, welche Kinder prioritär geimpft werden sollten. Wenn man sich dann die STIKO-Empfehlung anschaut, ist das dort eigentlich auch ganz gut erfasst. Also die haben auch die Adipositas als Risikofaktor und Herzfehler mit Zyanose, das sind Erkrankungen des Kreislaufsystems. Eine Herzinsuffizienz, pulmonale Hypertonie, sind auch alles Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch chronische Lungenerkrankungen werden als Risiko genannt. Und die STIKO geht sogar noch weiter als die Studie. Sie hat auch immunsupprimierte Kinder dazugezählt oder Kinder mit einer chronischen Niereninsuffizienz, die jetzt in der Studie nicht speziell genannt wurden. Oder auch Kinder mit malignen Grunderkrankungen. Aber sie nennen auch ausdrücklich den Diabetes mellitus, der schlecht eingestellt ist. Deswegen passt das eigentlich ganz gut zu der Studie, dass Kinder mit diesen Vorerkrankungen oder auch mit komplexen Vorerkrankungen eine Impfung bekommen sollten. Also, wenn es von der Zulassung her möglich ist, also ab zwölf.
Hennig: Gut eingestellt ist so ein Stichwort, bei dem viele Eltern sicher aufhorchen. Also Asthma zum Beispiel ist gar nicht so selten unter Kindern. Welche Rolle spielt es denn da eigentlich, ob die Patienten medikamentös gut eingestellt sind, also ob die regelmäßig Asthma-Medikamente nehmen, zum Beispiel Kortison?
Ciesek: Das ist eine gute Frage, die man immer mit seinem behandelnden Arzt besprechen sollte. Ich glaube, da sind Ferndiagnosen oder Tipps sehr schwierig. Ich glaube, da wird manchmal auch der Podcast ein bisschen überinterpretiert. Wir wollen hier keine individuelle Patientenberatung machen. Das ersetzt auch kein Gespräch mit Ihrem Arzt, der Sie kennt, der die Befunde von den Patienten kennt. Ich denke, das muss man einfach noch mal betonen, das muss man individuell mit dem Arzt besprechen, der einen gut kennt und der die erhobenen Befunde kennt. Ich würde das nicht von jemandem, der den Patienten nicht kennt, entscheiden lassen. Da spielen einfach so viele andere Faktoren eine Rolle. Das sollte wirklich in einer Arzt-Patienten-Beziehung, wo sich die Menschen in die Augen schauen und das dann besprechen, entschieden werden.
Hennig: Depression und Angststörung ist aber was, was mich trotzdem noch mal aufmerksam gemacht hat. Wie kann man erklären, dass Depression und Angststörung ein Risikofaktor sind für Krankenhausaufnahmen im Zusammenhang mit einer Coronavirus-Infektion?
Ciesek: Also ich kann bei einer Krankenhausaufnahme sehr gut verstehen, dass man, wenn man Kinder oder Jugendliche mit einer Angststörung hat und die dann die Diagnose bekommen und dann dadurch vielleicht eine Verschlechterung ihrer Grunderkrankung ausgelöst wird, dass man die auch zur Sicherheit aufnimmt. Um sie zu kontrollieren. Das spielt sicherlich auch eine Rolle bei Kindern und Erwachsenen. Das muss nicht heißen, dass jemand, der zum Beispiel eine Depression hat, auf Intensivstation landet. Da sehe ich eher das Problem in der Grunderkrankung, dass man Sorge hat, dass sich die Grunderkrankung durch die Angst verschlechtert, die vielleicht dadurch ausgelöst wird und die Unsicherheit.
Könnte der proteinbasierte Impfstoff, den Novavax entwickelt, besser für Kinder geeignet sein?
Hennig: In der Risiko-Nutzen-Abwägung der Impfung für Kinder und Jugendliche, sagt die STIKO auch, wenn ein anderer Impfstoff ins Spiel kommt, bei dem wir weniger Sicherheitsfragezeichen haben, dann könnte die Empfehlung auch noch mal anders lauten, also später im Pandemie-Verlauf. Ein Hoffnungsträger für manche ist der proteinbasierte Impfstoff von Novavax, den sich die EU im Prinzip auch auf den Einkaufszettel geschrieben hat. Auch wenn das mit den Vertragsverhandlungen ein bisschen stockend voranging. Das ist ein Protein-Impfstoff. Da werden also Bruchstücke des Spike-Proteins nachgebildet und verimpft, grob vereinfacht gesagt. Ganz kurz noch mal zur Erinnerung: Wo kommt Impfdesign jetzt schon zum Einsatz? Warum hält man das für so sicher und gut kalkulierbar?
Ciesek: Weil zum Beispiel auch die Firma einen Grippe-Impfstoff hat, und der auch das Prinzip hat. Da haben wir viel Erfahrung und was da vielleicht wegfallen wird, sind die, die kritischer sagen: “Oh, das ist ein gentechnisch veränderter Impfstoff“. Das ist wie gesagt ein Spike-Protein oder ein Teil. Der Vorteil ist auch die Lagerung. Der braucht keine besonderen Lagerbedingungen. Also es wird nur gekühlt. Man hat einfach doch mehr Erfahrung mit diesen Impfstoffen, die proteinbasiert sind. Es ist keine neue Technik oder so. Und auch nicht unbedingt gentechnisch, was oft von kritischen Menschen im Rahmen von diesen mRNA-Impfstoffen oder auch von den Vektorimpfstoffen erwähnt wird.
Hennig: Die Firma hat jetzt Daten aus ihrer Phase 3 veröffentlicht. Da ist noch keine Studie da, aber immerhin eine Pressemitteilung. So war es bei den meisten, dass die erst mal ein paar Zahlen auf den Markt gebracht haben. Die hatten rund 30.000 Probanden in ihrer Studie. Von denen haben dann zwei Drittel den Impfstoff bekommen und ein Drittel ein Placebo. Und Frau Ciesek, man kann sagen, die Wirksamkeit sieht auch ziemlich gut aus.
Ciesek: Das war eine Studie aus USA und Mexiko. Man kann wirklich sagen, die Effizienz zum Schutz einer symptomatischen Infektion lag bei 90 Prozent. Das sind schon sehr gute Ergebnisse. Die haben auch verschiedene Varianten, also insbesondere die Alpha-Variante, angeschaut. Dort hat man auch eine Effizienz von ungefähr 86 Prozent gesehen. Man hofft, dass Novavax hier einen Zulassungsantrag in den USA und Europa bis Ende September stellt. Das ist natürlich ein sehr interessanter Impfstoff, auch für Jüngere, also für Kinder und Jugendliche.
Hennig: Allerdings sind die Studien zu Jüngeren noch nicht abgeschlossen.
Ciesek: Es ist vielleicht noch erwähnenswert, dass die in der Studie auch keine Probleme mit Thrombosen oder Myokarditis gesehen haben. Wobei man fairerweise sagen muss, dass das auch bei den anderen Studien mit den mRNA-Impfstoffen oder mit den Vektor-Impfstoffen der Fall war und dass man das wirklich erst gesehen hat, als viel mehr Menschen geimpft wurden.
Charité-Studie über Ausbruch in Berliner Pflegeheim
Hennig: Novavax ist zumindest auch das Unternehmen, das im Mai angekündigt hat, dass man bereits daran arbeitet, einen kombinierten Impfstoff mit einer Grippeschutzimpfung zusammen auf den Markt zu bringen. Wie weit die da sind, das weiß ich nicht. Seitdem haben wir noch nichts davon gehört. Aber das ist eine schöne Überleitung für unser nächstes Thema. Jetzt wollen wir endlich zu den Älteren kommen, die ich schon angekündigt habe. Also die wichtige Frage: Wie gut wirken Impfungen konkret bei Älteren? Da hatten wir zuletzt schon Hinweise aus verschiedenen Studien und Untersuchungen, dass es da Unterschiede bei der Antikörperbildung gibt. Jetzt sind zwei wichtige Paper aus der Charité erschienen. Da hat man sich zum Beispiel einen Ausbruch in einem Berliner Pflegeheim in diesem Februar angeguckt. Da waren fast alle geimpft, aber ein paar eben auch noch nicht. Und es hat sich auch eine beträchtliche Zahl von Bewohnern angesteckt, die ein paar Tage zuvor sogar ihre zweite Impfdosis bekommen hatten. Kurz einmal der Transparenz halber, da ist auch Christian Drostens Name auf dem Paper mit drauf, aber er ist nicht der Hauptautor.
Ciesek: Ich wusste auch gar nicht, dass er mit draufsteht.
Hennig: Mittendrin.
Ciesek: Also der letzte Autor ist Victor Corman, der in der Virologie an der Charité tätig und ein sehr erfahrener Kollege ist. Was haben die gemacht? Oder was war passiert? Anfang Februar gab es noch das Screening der Mitarbeiter in einem Altenpflegeheim mit Antigen-Schnelltests, und da war ein positiver Test bei einer Pflegekraft aufgefallen. Die hatte insgesamt 24 Bewohner betreut. Von diesen 24 Bewohnern hatten dann 20 Bewohner kurz vorher, also am 29., 30. Januar, also nicht mal eine Woche davor, die zweite Dosis von dem Impfstoff erhalten. Das war auch Biontech/Pfizer. Vier Bewohner waren nicht geimpft, zum Teil aus medizinischen Gründen, zum Teil, weil sie einfach nicht wollten beziehungsweise es keine Zustimmung des Betreuers gab.
Dann hat man natürlich mit Antigen-Schnelltests, aber auch mit PCR bei diesen 24 Bewohnern geschaut. Und hat am 4. Februar gesehen, dass bei diesen vier Ungeimpften drei infiziert waren und bei den 20 Geimpften, wobei die zweite Impfung kurz vorher erfolgt waren, war die Hälfte infiziert, also zehn. Und zwei Geimpfte waren ein bisschen müde und schlapp, einer hatte Durchfall. Alle anderen waren aber asymptomatisch. Dann hat man das weiter beobachtet. In der darauffolgenden Woche hat man noch mal weitere Tests durchgeführt und sieben weitere Infektion festgestellt, sodass sich zum Schluss vier von vier Ungeimpften, also alle Ungeimpften infiziert hatten.
Von den 20 Geimpften hatten immerhin 16 auch eine Infektion. Was schon mal die erste wichtige Beobachtung ist: Es war wahrscheinlich ein klassisches Superspreading-Event oder die war einfach sehr infektiös, die Dame, der Herr, ich weiß gar nicht, ob es überhaupt angegeben ist. Es ist auch völlig egal. Und das nur vier der Geimpften in dem Nachbeobachtungszeitraum von 30 Tagen eine Infektion hatten. Es ist vielleicht auch interessant, dass man sich auch die Mitarbeiter angeguckt hat, die natürlich jünger sind. Hier hat man immerhin 33 Prozent, also ein Drittel der Mitarbeiter positiv getestet. Von diesen war aber keiner doppelt geimpft. Ein Viertel hatte eine Dosis erhalten und immerhin über 40 Prozent waren gar nicht geimpft worden. Was auch noch mal zeigt, wie wichtig das ist, dass man sich, wenn man in diesem Bereich arbeitet, vielleicht doch impfen lässt. Wichtig ist da noch, dass von dem Personal, die infiziert waren, keiner im Krankenhaus behandelt wurde. Aber wie war das jetzt bei den älteren Herrschaften? Da war es so, dass ein Drittel der Geimpften und alle vier Ungeimpften Husten hatten, Kurzatmigkeit und sogenannte respiratorische Symptome. Und wer musste ins Krankenhaus? Das waren alle, die nicht geimpft waren. Die mussten ins Krankenhaus aufgrund der Erkrankung. Aber nur zwei der 16 Geimpften, was ungefähr zwölf Prozent entsprach. Sauerstoff brauchten drei Viertel der nicht Geimpften, aber nur einer der Geimpften. Das zeigt schon mal deutlich klinische Unterschiede. Also dass die, die nicht geimpft waren, deutlich schwerer betroffen waren von der Infektion als die nicht Geimpften.
Hennig: Daraus folgt aber, wenn wir uns jetzt die Bewohner und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angucken, dass es wichtig ist, dass man perspektivisch eben nicht allein die vulnerablen Gruppen gut durch eine Impfung schützt, sondern ganz besonders auch die Pflegekräfte, die engen Angehörigen. Also das man so eine Art Ringimpfung um die Schutzpersonen herum bildet.
Ciesek: Ich glaube, die Kollegen waren einfach über die Größe des Ausbruchs überrascht, weil man sich doch relativ sicher fühlt, wenn doch so viele geimpft sind. Das hat man dann auch virologisch noch weiter aufgearbeitet. Man hat gesehen, dass das wahrscheinlich ein Ausbruch war, also dass das Virus nicht unterschiedlich war, sondern wirklich einer die anderen entweder direkt oder als Kettenreaktion angesteckt hat. Das zeigt, dass man trotzdem immer noch ein großes Augenmerk auf diese Einrichtung haben muss, gerade wenn die Impfrate beim Personal niedriger ist. Es reicht eigentlich nicht, die alten Menschen zu impfen. Es führt schon dazu, dass die Verläufe besser sind. Aber besser wäre es natürlich gewesen, wenn das Personal auch geimpft worden wäre und dann der Ausbruch vielleicht deutlich kleiner gewesen wäre oder gar nicht hätte stattfinden können.
Hennig: Das heißt, dass so Durchbruchsinfektionen zum einen mit dem Impfstatus zusammenhängen, zum anderen aber auch mutmaßlich mit dem Alter der Geimpften oder natürlich nicht Geimpften.
Ciesek: Genauso. Was den Kollegen noch auffiel, ist, dass die Konzentration an Viren bei den Geimpften insgesamt niedriger war als bei Ungeimpften. Das korreliert man ja auch damit, wie ansteckend sie sind und dass dann die Ansteckungsgefahr doch geringer ist, also das weiterzugeben.
Ausscheidungsdauer hängt wohl von Impfstatus ab
Es ist auch interessant, dass die Dauer der Ausscheidung deutlich kürzer bei Geimpften als bei Ungeimpften war. Und das war 7,5 Tage versus 31 Tage, also wirklich ein deutlicher Unterschied. Was auch noch wichtig ist: Es ist alles auf diese Alpha-Variante zurückzuführen, die sich ja damals in Deutschland gerade anfing durchzusetzen und häufiger wurde. Es lässt vermuten, dass gerade diese Gruppe von Menschen, die erst eine Impfung bekommen haben und die zweite noch nicht 14 Tage her ist, nur einen begrenzten Schutz vor dieser Variante haben. Das zeigen ja auch andere Daten, jetzt nicht nur im Kontext von Älteren, sondern auch generell im Kontext von Geimpften. Also, dass bei nur teilweise Geimpften, also nach der ersten Impfung oder kurz nach der zweiten Impfung, Varianten häufiger zu finden sind, wenn sich diese Menschen infizieren. Mein Rat ist da einfach, dass man in dieser Zeit ganz bewusst noch die Maßnahmen aufrechterhält und sich nicht in falscher Sicherheit wiegt. Also dass man sagt: Oh, jetzt habe ich die erste Impfung schon eine ganze Weile hinter mir oder sogar gerade die zweite bekommen. Da sollte man nicht leichtsinnig werden, sondern wirklich diese 14 Tage abwarten, bis der Impfschutz voll ausgeprägt ist und nicht riskieren, sich auf den letzten Metern zu infizieren.
Welche Hinweise gibt eine neue Studie zu einer schwächeren und verzögerten Immunantwort bei Älteren nach einer Corona-Schutzimpfung?
Hennig: Jetzt kommt dazu aber noch der immunologisch wirklich interessante Teil aus der Forschung dieser Gruppe um Victor Corman. Sie haben sich unabhängig von diesem Ausbruch, sondern in größeren Zusammenhang auch angeguckt, wie der Zeitverlauf der Antikörper-Antwort bei Älteren im Vergleich zu Jüngeren ist. Da zeigt sich doch ein deutliches Bild, das wir auch schon so in der Richtung geahnt haben: Die Immunantwort bei Älteren ist doch sehr viel schwächer, und fällt zeitlich auch anders aus. Richtig?
Ciesek: Genau. Das ist im gleichen Journal eine weitere Studie, die zeitgleich erschienen ist, die bei über 70 Patienten mit einem mittleren Alter von 81 Jahren, also wirklich ältere Patienten, untersucht und das verglichen hat mit Krankenhausmitarbeitern, die im Schnitt 34 Jahre waren. Sie haben sich die Immunantworten vor der ersten Impfung angeschaut, kurz vor der zweiten Impfung und vier Wochen nach der zweiten Impfung. Da sah man vor allen Dingen bei diesem zweiten Zeitpunkt, also kurz vor der zweiten Impfung, deutliche Unterschiede zwischen der älteren Kohorte und der jüngeren.
Immunantwort hängt wohl vom Alter ab
Sowohl bei den Antikörperspiegeln, also den IgG-Spiegeln sah man einen deutlichen Unterschied, und auch in einem zweiten Zeitraum, also nach der zweiten Impfung, dass es eine Verzögerung gab und insgesamt auch eine reduzierte Antikörperantwort bei den Älteren. Zusätzlich haben die sich aber auch diese T-Zell-Antworten mit so einem Interferon-Gamma-Release-Assay, IGRA, angeschaut. Und auch hier hat man gesehen, dass ältere Teilnehmer wirklich signifikant niedrigere Antworten gezeigt haben als jüngere. Das ist natürlich wichtig zu wissen, dass man bei Älteren sowohl eine sehr verzögerte, aber auch eine wenig robuste zelluläre und humorale Immunantwort beobachten kann als bei jüngeren Erwachsenen. Das haben wir ja immer vermutet, aber das ist mal eine publizierte Arbeit, die das wirklich schön nachweist und sagt: Okay, diese Risikogruppen müssen wir einfach weiter genau anschauen und beobachten. Und wenn es hier zu einer Häufung von Infektionen kommt, müssen wir überlegen, was machen wir jetzt mit denen?
Hennig: Das eine ist ja diese verzögerte Immunantwort. Grob verallgemeinert: Nach der ersten Dosis sind jüngere Leute zu einem deutlich größeren Anteil geschützt als Ältere. Nach der zweiten gleicht sich das dann ein bisschen mehr an. Aber es gibt auch gerade unter den älteren Patienten, und das zeigt diese Studie auch, gar nicht so wenige, die wirklich keine oder nicht genug Antikörper bilden. Und das auch nicht nach der zweiten Impfung. Fast jeder Zehnte ältere Patient, das kann man aus dieser Studie rauslesen.
Ciesek: Genau. Und was wir nicht wissen, ist, wie ist es im Verlauf? Gehen die Antikörper dann auch schneller wieder verloren als bei den Jungen? Was jetzt auch wirklich ansteht, sind Studien zu: Wie ist es mit einer dritten Impfung, einem weiteren Boost? Welchen Impfstoff nehme ich da eigentlich am besten? Funktioniert dieser Boost dann noch? Wir wissen ja noch aus den Studien aus den USA: Wenn jemand eine Infektion hatte und dann eine einmalige Impfung bekommt, dann war das ein sehr guter Booster-Effekt, also eine Verstärkung der Immunantwort.
Booster-Effekt
Aber ein zweiter Booster hat bei denen nichts mehr gebracht. Wir wissen einfach gar nicht, wie gut eine dritte Impfung zu einem Booster-Effekt führt und wie da die idealen Abstände sind. Ich denke, da kann man einfach auch noch nichts wissen. Aber damit muss man jetzt anfangen: Also Studien zu planen und sich damit zu beschäftigen. Ich denke, insgesamt zeigen beide Paper noch mal, dass bei älteren Menschen die Impfung der Kontaktpersonen einfach wirklich vorrangig sein muss. Man kann einfach nicht 100 Prozent sicher gehen, dass ältere Menschen vor einer Infektion geschützt sind, auch nicht vor einem schweren Verlauf. Wobei die Zahlen zeigen, dass die Verläufe deutlich milder waren, was sehr erfreulich ist. Aber dass es doch wichtig ist, dass auch die Kontaktpersonen von diesen alten Menschen geimpft sind und damit auch die alten Menschen schützen, sich zu infizieren.
Hennig: Diese Sache mit der dritten Booster-Impfung, also eine Auffrischimpfung, so wie man das von der Influenza kennt, die haben wir jetzt in der allgemeinen Wahrnehmung eigentlich in relativ großer Selbstverständlichkeit die ganze Zeit schon so gesagt. Da braucht man dann wahrscheinlich noch mal eine Auffrischimpfung. Jetzt sagen Sie, da braucht es wiederum Studien. Sind das alles völlig offene Fragen? Also dass man vielleicht sagt, vielleicht ist auch da ein heterologes Impfschema angebracht, weil es ganz gute Ergebnisse gebracht hat als wir es durch die AstraZeneca-Komplikationen eher zufällig ansteuern mussten?
Ciesek: Ja, im Moment gibt es gar keine Empfehlung für die dritte Impfung, weil es einfach keine Daten gibt. Und wir haben ja schon mehrmals besprochen, dass es bei Vektor-Impfstoffen zu einer Immunität gegen den Vektor kommen kann. Natürlich spielt das eine Rolle und umso länger der Abstand ist, umso weniger sollte das eine Rolle spielen.
Studien zur dritten Impfung fehlen
Aber das sollte zumindest wirklich mit Studien begleitet werden, dass man irgendwann weiß, welches ein ideales Schema für diese Patienten ist. Bisher ist mir nicht bekannt, dass es in diesem Fall eine dritte Impfung gibt. Ich kriege auch viele Anfragen von Patienten, die zweimal geimpft sind und irgendwie immunsupprimiert sind und die sich dann Antikörper bestimmen und fragen: Ja, wie ist das jetzt? Ich habe keine Antikörper, kann ich eine dritte bekommen? Also mir ist nicht bekannt, dass das schon erfolgt ist, weil man einfach keine Daten hat. Und weil man ehrlicherweise auch sagen muss, dass die Antikörper, die wir messen, ja nur ein Teil sind. Also wenn man trotzdem vor einer schweren Erkrankung geschützt wäre, auch ohne entsprechende Antikörpernachweise im Labor, dann wäre das auch schon viel wert und wahrscheinlich ausreichend. Wir haben auch schon mehrmals besprochen, dass es einfach mehr gibt als Antikörper und da auch die T-Zell-Antworten eine Rolle spielen. Da gibt es einfach noch viele Fragezeichen. Man lernt sozusagen jede Woche dazu. Aber das ist einfach noch abschließend zu klären.
Hennig: Wäre es denn nicht trotzdem bei besonders Alten, also wir haben eben das Durchschnittsalter von 81 genannt, sinnvoll, einen Antikörpertest nach vollständiger Durchimpfung zu machen, um wenigstens einen Teil der Immunantwort beurteilen zu können?
Ciesek: Ja, das ist eine schwierige Frage. Denn, was macht man mit dem Ergebnis? Also eigentlich sollte man nur Untersuchungen machen, wenn sie eine Konsequenz haben. Und ich habe ja eben schon gesagt, dass eigentlich, soweit ich weiß, bisher keine dritten Impfungen erfolgen. Das heißt, die Menschen wissen dann, ich habe keine Antikörper, sind todunglücklich. Wir wissen aber eigentlich auf der fachlichen Seite gar nicht, was das bedeutet.
Korrelation zwischen Antikörperhöhe und Immunität
Wir wissen ja auch nicht, welche Höhe von Antikörpern mit Immunität korreliert oder ob es da überhaupt eine Korrelation gibt. Deswegen glaube ich, dass es Sinn ergibt, wenn man weiß, dass die eine dritte Impfung bekommen müssen und dass das einen guten Effekt hat. So lange man das nicht weiß, wird es die Menschen eher verunsichern und nicht wirklich zum Erkenntnisgewinn beibringen. Da fehlt einfach wirklich weitere Forschung und weitere Studien, um das beantworten zu können. Im Grunde genommen ist es im Moment für viele ein bisschen auch ein Hobby, die Antikörperspiegel zu bestimmen. Je mehr man hat, umso besser. Aber klinisch und rein labortechnisch wissen wir gar nicht richtig, was das bedeutet, wenn man ehrlich ist. Diese Tests sind auch nicht vergleichbar. Es gibt ganz unterschiedliche Antikörpertests mit ganz unterschiedlichen Zahlen, die da rauskommen. Das ist einfach nicht vergleichbar. Wir wissen es einfach nicht genau. Natürlich ist es gut, wenn da ein Wert rauskommt. Das heißt aber auch nicht, dass man zu 100 Prozent vor einer Infektion geschützt ist und anders herum. Deswegen ist das schwierig bis kontraproduktiv, das jetzt im großen Maßstab zu messen, wenn man gar nicht weiß, was man genau misst.
Hennig: Sie sagten jetzt gerade, ob es überhaupt eine Korrelation zwischen Antikörper-Titer und Immunität gibt. Davon geht man aber doch grundsätzlich schon aus, wenn ich Antikörper habe, dass es einen Hinweis auf einen Schutz gibt?
Ciesek: Genau, vor allen Dingen neutralisierende Antikörper scheinen da ja eine Rolle zu spielen. Aber wirkliche Neutralisationstests machen nur wenige Labore, meistens Virologien, weil man auch noch ein S3, ein Hochsicherheitslabor der Sicherheitsstufe 3 braucht. Die sind sehr aufwendig.
Cut-off-Wert fehlt
Klar, das korreliert natürlich schon. Aber es gibt nicht diesen berühmten Cut-off-Wert, bei dem ich zum Beispiel sage: Sie haben 20, damit sind Sie immun. Das gibt es ja bei anderen Viruserkrankungen. Das gibt es bei SARS-CoV-2 in dem Fall nicht. Der Wert ist ja auch nicht stabil, der verändert sich. Wenn Sie wahrscheinlich alle vier Wochen messen, kriegen Sie jedes Mal einen anderen Wert, der tendenziell abnimmt. Und wie gesagt, das ist auch nicht immer 100 Prozent sicher, dass man, wenn man da eine Zahl hat, keine Infektionen bekommen kann. Genauso ist es gut möglich, dass da vielleicht kein Antikörper nachweisbar ist, man aber vor schweren Verläufen trotzdem geschützt ist, weil doch das Immunsystem einen gewissen Schutz aufbaut und das sieht man zum Beispiel bei den Grippe-Impfungen.
Die sind ja nicht so erfolgreich oder haben nicht so hohe Effizienz wie die Impfung gegen SARS-CoV-2. Wie gesagt, von 90 Prozent würden wir träumen. Trotzdem habe ich in den schweren Grippesaisons, in denen ich im Krankenhaus gearbeitet habe, nicht gesehen, dass jemand einen schweren Verlauf hatte, wenn er geimpft war. Das waren wirklich die Ungeimpften. Natürlich, Ausnahmen bestätigen die Regel. Das gibt es natürlich auch. Aber prinzipiell schützte das bei der Grippe schon vor schwersten Verläufen. Nicht, dass man im Krankenhaus landet, sondern dass man auf Intensivstation landet und daran verstirbt. Das habe ich nicht bei Geimpften gesehen, sondern wirklich eher bei Ungeimpften.
Hennig: Haben Sie in der Forschung mittlerweile denn eigentlich mehr Anhaltspunkte, unter welchen Bedingungen Antikörper auch neutralisierende Antikörper sein können? Also wann und wie viel da durch die Impfung zustande kommen können? Und was die dazu macht? Oder ist auch das noch eine ganz weit offene Frage?
Ciesek: Wir haben da nur begrenzt Daten selbst erhoben. Ich sehe da im Moment noch kein wirklich schlüssiges Muster, wer jetzt vor allen Dingen neutralisierende Antikörper macht. Was man grob gesehen hat, war, dass die, die eine Infektion hatten und dann eine Impfung bekommen haben, nach Infektion deutlich besser neutralisiert hatten als die, die nur geimpft wurden.
Bis jetzt nur Einzelfallbeschreibungen
Aber das sind alles eher Einzelfallbeschreibungen. Wir haben das mal, wie jedes Labor das macht, in kleineren Gruppen untersucht oder einfach auch in eigenen Mitarbeitern oder Kollegen, die das wissen wollten. So ein richtiges Muster erkennt man da noch nicht, wer besonders gut neutralisiert. Aber tendenziell kann man schon sagen, dass das altersabhängig ist und dass es Unterschiede gibt es zwischen denen, die die Infektion durchgemacht haben, und dann eine Impfung bekommen, versus die, die nur geimpft sind. Es wird sicherlich auch Unterschiede bei den Impfstoffen geben. Aber so richtig druckreif sind diese Daten nicht.
Wie steht es um die Forschung zu monoklonalen Antikörpern?
Hennig: Jetzt ist ja gerade für ältere Menschen natürlich die große Frage: Was macht man mit dieser offenen Flanke, die da in der Immunantwort entstehen kann, wenn man nicht sicher sein kann, dass Impfstoffe wirken beziehungsweise lange genug wirken oder auch schnell genug wirken? Das Bundesforschungsministerium hat jetzt angekündigt, die Medikamentenforschung noch besser zu unterstützen. Da haben wir im Podcast schon drüber gesprochen, um welche Bereiche es da geht, antivirale Medikamente, antientzündliche. Aber es gibt noch die monoklonalen Antikörper, über die man auch schon einiges gehört hat. Also synthetisch hergestellte Antikörper, die zielgerichtet agieren, nicht breit feuern, sondern besonders effektiv sein können. Das Problem war bislang eigentlich, dass sie früh verabreicht werden müssen, um dann aber einen schweren Verlauf zu verhindern und dass sie bislang nur intravenös gegeben werden konnten. Also streng genommen konnte man die ja nur im Krankenhaus anwenden. Das beschränkt die Einsatzmöglichkeiten ganz erheblich.
Ciesek: Soweit ich weiß, ist das auch noch so. Da hat Deutschland einige Dosen gekauft, die werden vor allen Dingen über die Unikliniken verteilt. Da gibt es Gremien, die entscheiden, welcher Patient das wirklich benötigt und braucht. Es wird nicht einfach jedem gegeben, sondern es wird genau geschaut, dass die Gabe auch stationär erfolgt. Das ist natürlich sehr umständlich. Wenn ich mich jetzt an den Ausbruch in dem Altenheim in Berlin erinnere, wenn Sie da viele Herrschaften haben, die nicht geimpft sind oder vielleicht nicht mehr so einen guten Impftiter haben und denen wollten Sie das geben, dann müssten Sie die alle ganz umständlich ins Krankenhaus verlegen. Das zu bewerkstelligen ist oft gar nicht so einfach, weil die natürlich auch nicht mobil sind.
Hennig: Das müssten die Patienten natürlich auch wollen, wenn sie am Anfang der Erkrankung stehen oder der Infektion und sagen: Eigentlich geht es mir noch ganz gut. Was soll das?
Ciesek: Ja, oder ich habe noch gar keine Infektion. Ich hatte nur Kontakt mit dem Pfleger. Da gibt es jetzt vom DZIF, das ist das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung, von den Kollegen aus Marburg zusammen mit den Kollegen aus Köln ein Preprint, was vielleicht ganz interessant ist, und zwar haben die einen monoklonalen neutralisierenden Antikörper entwickelt, der nicht nur intravenös gegeben werden kann, sondern den man intranasal applizieren kann, das heißt als Nasenspray sozusagen.
Monoklonale Antikörper als Nasenspray
Das sind tierexperimentelle Daten. Da kam es in der Lunge von diesen infizierten Mäusen zu einem Effekt und auch die Veränderungen in der Lunge konnten abgemildert werden. Und dieser Antikörper, das ist vielleicht auch sehr wichtig, der wirkt auch gegen bestimmte Varianten, die hier in dem Paper beschrieben wurden, also unter anderem wirkt er etwas schlechter gegen die Beta-Variante. Aber andere monoklonale Antikörper, die wir kennen, die wirken ja fast gar nicht mehr gegen diese Variante. Also das war besser. Und es ist natürlich eine elegante Methode, dass man sich eigentlich zukünftig vorstellen könnte, dass man einfach dann, wenn ein Ausbruch in einem Heim ist, mit einem Nasenspray vorbeifährt und jeder ein Nasenspray in die Nase bekommt. Das ist nicht invasiv, es geht schnell, ist einfach zu verabreichen. Und wäre eine ideale Lösung für dieses Problem der verminderten Impfreaktionen, Impfantworten von Älteren. Ich muss nur sagen, so toll sich das anhört, das wird natürlich noch dauern. Das sind ja noch tierexperimentelle Daten, das heißt, jetzt wäre das die Basis für eine klinische Studie, dass man damit in die klinischen Phasen einsteigt. Phase 1 bis 3. Und dann erst könnte man das breitflächig anwenden. Das wird noch eine Weile dauern. Ich finde es nur einfach eine sehr gute Idee. Vielleicht werden wir es auch gerade für solche Fälle brauchen.
Hennig: Das heißt, man könnte das therapeutisch und prophylaktisch einsetzen.
Ciesek: Genau. Gerade, wenn Sie wissentlich Kontakt hatten. Wir haben ja bei dem Altenheim-Ausbruch gesehen, dass einige schon positiv waren und andere erst im Verlauf positiv wurde. Die waren vielleicht schon in der Inkubationszeit, aber das wäre natürlich eine sehr frühe Gabe und ideal, wenn man das in dieser Situation geben könnte. Wenn es also in einem Heim einen Ausbruch gibt, könnte man einfach die Bewohner, die noch nicht infiziert sind, prophylaktisch damit behandelt.
Hennig: Sie stehen auch mit drauf auf dem Paper. Was war Ihr Anteil daran?
Ciesek: Wir sind ja immer die Sammler der Varianten, die wir dann von den Reisenden am Flughafen abfangen. Wir haben den Kollegen die Varianten isoliert und zur Verfügung gestellt, um zu testen, ob der Antikörper auch aktiv ist, zum Beispiel gegen diese Beta-Variante. Wir haben denen jetzt auch noch die indische Variante, also die Delta, zur Verfügung gestellt. Es werden jetzt wohl auch noch Daten dazu kommen, ob der Antikörper auch gegen diese Variante aktiv ist. Was natürlich, wenn man an den Anfang des Podcasts denkt, sehr wichtig im Herbst sein wird. Wenn wir damit rechnen, dass sich dann diese Variante durchsetzt.
Warum ist die Erkrankung Long-Covid nach wie vor schwer greifbar?
Hennig: Ein großer Themenbereich, der oft und beharrlich und mit großer Geduld hier bei uns im Podcast in der Hörerpost nachgefragt wird, und der vor allem perspektivisch wichtig bleibt, wenn die Zahl der Neuinfektionen nicht mehr so groß ist und akute schwere Verläufe auch weniger im Krankenhaus zu sehen sind, das sind die Folgen der akuten Erkrankung. Da gibt es ganz verschiedene Begriffe für: Post-Covid-Syndrom ist einer davon. Wir haben hier meistens Long-Covid gesagt. Wir haben uns in Folge 67 mit Long-Covid beschäftigt, mit einem Gast, mit Gernot Rohde, der eine Post-Covid-Ambulanz bei Ihnen in Frankfurt leitet. Das war im Dezember. Da haben wir aber vor allen Dingen aus der klinischen Erfahrung, aus seinen Erfahrungen darüber gesprochen. Mittlerweile gibt es ein paar mehr Daten. Auch die Forschung hat ein bisschen zugelegt, was die Erkenntnisse dazu angeht, oder? Passiert da jetzt einiges, was die Erforschung von Long-Covid angeht?
Ciesek: Man muss dazu vielleicht mal sagen, dass das primär nicht unbedingt virologische Forschung ist. Ich bin primär Virologe und kann mich mit dem Virus beschäftigen. Für die Forschung oder Erforschung von diesem Long-Covid braucht man sicherlich eher ein interdisziplinäres Team, also Immunologen, Internisten, Neurologen. Das ist schon ein sehr komplexes Krankheitsbild. Es gibt eine Ausschreibung vom BMBF. Gerade für Verbundforschung, was natürlich in diesem Themenfeld wichtig ist, weil das so viele Fächer betrifft – die dafür Geld zur Verfügung stellen. Es gibt natürlich auch im Ausland, also in Großbritannien, USA große Förderprogramme für Long-Covid. Das ist sicherlich auch sehr wichtig. Primär ist das aber nicht unbedingt eine virologische Fragestellung, weil wir ja auch noch gar nicht so genau wissen, ob das Virus hier überhaupt der Auslöser ist.
Hennig: Wir können hier trotzdem ein bisschen versuchen, das Phänomen zu erfassen, denn Sie sind auch Ärztin. Sie können aus der Perspektive ganz gut draufgucken. Ich sage es ganz offen, da gibt es einen wirklich guten Artikel in "Nature", in dem auch viele Studien zitiert und verlinkt sind. Den haben wir beide uns im Vorfeld auch angeguckt. Wir wollen uns ein bisschen daran orientieren. Wir verlinkten natürlich auch den Artikel, da kann man vieles nachlesen. Dieses Forschungsfeld war vor einem halben Jahr, als wir hier gesprochen haben, noch ein bisschen im Aufbau. Wie würde man denn mittlerweile aus der Literatur herausgelesen Long-Covid definieren, was die Zahl, die Art der Symptome und die Dauer angeht? Was bezeichnet man da überhaupt als Long-Covid?
Ciesek: Damit fängt es schon an. Am Anfang der Pandemie, in den ersten Monaten beschäftigt man sich natürlich erst mal mit den schweren Verläufen, die auf Intensivstation sind oder versterben. Man hat da einen Fokus drauf und hat vielleicht gar nicht so den Fokus auf die etwas milderen Verläufe und deren Folgen und muss das ja auch erst mal verstehen. In frühen Prävalenz-Studien hat man dann auch bei Patienten geguckt, die im Krankenhaus waren, also nicht dem typischen Patienten mit Covid-19.
3.500 Befragte nannten 205 Symptome
Hier fand man je nach Studie bei einem Drittel bis zu fast 90 Prozent der Patienten noch Symptome nach mehreren Monaten. Das ist natürlich nicht repräsentativ. Zum einen nicht, weil nicht jeder ins Krankenhaus muss. Das wissen wir mittlerweile gut. Zum anderen, weil die, die so schwer krank sind, dass sie ins Krankenhaus kommen, vielleicht auch noch andere Probleme haben. Wenn man sich dann Befragungen von Menschen anschaut, die eine Covid-Erkrankung oder eine Infektion hatten, dann gibt es da ganz gute Daten. Das ist auch eine Studie, die mehr als 3.500 Menschen befragt hat. Da wurden insgesamt 205 Symptome angegeben, das zeigt wie multifaktoriell das ist. Dass das eben nicht eine Erkrankung ist, sondern auf jeden Fall eine Multisystemerkrankung. Die Frage bleibt für mich auch immer: Ist das alles die gleiche Ursache? Oder gibt es verschiedene Mechanismen, die dazu führen?
Am häufigsten wurde bei dieser Befragung Müdigkeit und Unwohlsein nach Anstrengung, aber auch sogenannte kognitive Dysfunktion genannt. Also Probleme, sich Sachen zu merken. Leistungsfähigkeit, im Beruf fällt dann auch auf. Typisch ist auch ein wellenförmiger Verlauf. Also es gibt Phasen, wo es den Menschen besser geht und sie sich fast normal fühlen, dann wiederum Phasen, wo es zu einer deutlichen Verschlechterung führt. Wir haben uns im Podcast schon oft die ONS-Daten aus Großbritannien angeschaut, weil sie einfach so gut erhoben werden. Wenn man sich die mal dazu anschaut, da hat man mal eine repräsentative Gruppe von Personen nachbeobachtet, die einmal positiv auf das Virus getestet wurden, aber die nicht im Krankenhaus waren. Da konnte man bei knapp 14 Prozent nach mehr als zwölf Wochen noch ein Symptom nachweisen. Das ist für mich im Moment die beste Schätzung. Wie gesagt, die Symptome sind sehr bunt, sehr breit.
Das bedeutet wirklich, dass einer von zehn Menschen nach einer Infektion doch auch noch längerfristig etwas von dieser Infektion hat. Wenn wir überlegen, wie viele Infektionen wir weltweit haben, dann ist das natürlich eine hohe Anzahl. Man sieht auch, dass vor allen Dingen Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Und dass die Menschen betroffen sind, die mittelalt sind, ich sage mal zwischen 35 und 50. Das sind natürlich Menschen, die im vollen Arbeitsleben stehen, die volle Leistung erbringen wollen und möchten. Das hat dann natürlich bei so einer Anzahl auch Folgen im Hinblick auf Ausfälle für das Arbeitsleben, die man auch mitbedenken kann.
Long-Covid hat Folgen für das Arbeitsleben
Darauf hat man am Anfang der Pandemie natürlich nicht primär geguckt. Da ging es um Krankenhaus und Überleben. Aber diese Fälle von Long-Covid haben einen großen Einfluss oder können einen großen Einfluss auf die generelle Arbeitsfähigkeit, Gesundheit von mittelalten Menschen haben. Und hier sind, wie gesagt, vor allen Dingen Frauen betroffen.
Hennig: Sie sagten jetzt jeder Zehnte. Bei 14 Prozent ist das ja sogar noch konservativ geschätzt. Es gibt auch noch eine Zahl von einem Paper aus Köln, also aus deutscher Forschung, das ist in “Lancet“ erschienen. Die kommen auf 12,8 Prozent, also ungefähr jeder Achte der untersuchten Probanden. Das waren auch nicht hospitalisierte, also auch Menschen mit milder Infektion oder die sogar fast keine Symptome gehabt haben. Sie haben aber trotzdem Long-Covid entwickelt, also vier bis sieben Monate andauernde Symptome.
Ciesek: Genau. Da zeigt sich eigentlich ein ähnliches Muster wie in Großbritannien. Es ist immer wichtig, dass das in verschiedenen unabhängigen Kollektiven gezeigt werden kann. Die Kölner haben vor allen Dingen Kurzatmigkeit beschrieben, also wirklich pulmonale Folgen. Auch Geschmacksverlust und Geruchsstörungen waren eine der häufigeren Beobachtungen. Und wiederum fast zehn Prozent gaben Müdigkeit an. Das sind so die häufigsten Symptome. Aber wie gesagt, es gibt noch viel mehr. Und es ist ein sehr buntes oder kann ein sehr buntes Bild sein.
Hennig: Diese Kölner Studie hat sich in ihrer statistischen Auswertung auch Risikofaktoren angeguckt, also versucht auszumachen, ob es Risikofaktoren für Long-Covid gibt. Was kann man dazu sagen? Bei Frauen, das haben Sie jetzt schon gesagt, gibt es eine Überbetonung, das ist aber noch ein ganz allgemeines Bild. Aber was Symptome während der akuten Infektion angeht, kann man da was ableiten?
Ciesek: Ja, die haben gesehen, dass das anscheinend mit niedrigen Antikörperspiegeln am Anfang der Infektion korreliert. Also dass es einfach weniger Antikörper gab. Dass während der akuten Infektion eine Anosmie, also dieser Geruchsverlust auftrat. Und Durchfall während der akuten Infektion war mit einem höheren Risiko verbunden. Was das genau bedeutet, weiß man natürlich noch nicht. Aber das sind schon interessante Hinweise, vielleicht auch auf einen Pathomechanismus, der da eine Rolle spielen könnte.
Hennig: Aber viel mehr weiß man in Bezug auf Risikofaktoren noch nicht, oder?
Ciesek: Nein, das ist so grob. Es gibt schon Rechner, der nach Alter und Geschlecht Risikopersonen identifizieren kann.
Rechner identifizieren Risikopersonen
Die sind wohl erstaunlich gut darin, das vorherzusagen indem man Alter, Geschlecht und die Anzahl der Symptome in der ersten Woche angibt. Aber das ist natürlich nie 100 Prozent. Es gibt halt Hinweise. Genau weiß man nicht, wer erkrankt und wer das nicht bekommt.
Hennig: Eine ganz wichtige Frage dafür, was man denn gegen diesen langen Schatten des Virus tun kann, wie man den niederkämpfen und therapieren kann, ist ja: Wie kommt Long-Covid überhaupt zustande? Also was ist der Mechanismus, der dahintersteckt? Da gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Gibt es welche, die Sie für besonders plausibel finden?
Ciesek: Ja, es gibt insgesamt drei, die ich eigentlich alle plausibel finde. Ich glaube nicht, dass man dieses Krankheitsbild unbedingt als eine Krankheit verstehen kann. Es kann sein, dass alle drei dieser Gründe oder dieser vermuteten Fehlsteuerungen eine Rolle spielen, aber für unterschiedliche Symptome und Ausprägungen. Also das eine ist, dass man eher nicht denkt, dass das Virus selbst es tut, weil wir natürlich wissen, dass bei den meisten Menschen, die überwiegende Anzahl, das Virus ja aus dem Körper entfernt ist und sie nicht mehr infektiös sind. Trotzdem gibt es da Hinweise, in einem Paper beschrieben von der Rockefeller University in New York, dass bei Darmspiegelungen noch Virusfragmente, also Proteine gefunden wurden, und das über Monate, gerade im Dünndarm.
Virusfragmente im Dünndarm
Das ist schon mal sehr interessant, weil das erwartet man nicht. Da hat man durch, ich glaube Zufall, eine Koloskopie gemacht, eine Darmspiegelung, und hat dann noch nach Monaten bei diesen Patienten Fragmente von diesem Virus im Dünndarm gefunden. Das könnte eine Ursache sein. Passt vielleicht so ein bisschen zu dem Durchfall als Risikofaktor bei den Kölnern. Das ist jetzt sehr überinterpretiert, das sage ich auch dazu. Aber wenn es da zu einer Virusvermehrung im Dünndarm kommt und der Dünndarm vielleicht sogar geschädigt wird, das führt ja zu Durchfall. Da könnte es schon sein, dass es dann länger persistieren kann oder zumindest Teile. Das müsste man genau überprüfen. Ich finde das persönlich als Gastroenterologe sehr spannend.
Autoimmunerkrankung
Eine zweite Variante oder zweite Möglichkeit, die diskutiert wird, ist diese Autoimmunerkrankung. Die haben wir hier im Podcast auch schon besprochen. Also, dass es durch die Infektion zu einer Bildung von sogenannten Autoantikörpern kommt, die sich gegen eigene Strukturen des Körpers richten. Es gibt mehrere Daten dafür, das diese Autoantikörper in diesen Patienten gefunden werden. Da muss man natürlich genau schauen, welche Rolle die spielen. Und vielleicht noch mal zur Virus-Persistenz oder Virusvermehrung, ich könnte mir vorstellen, dass das zum Beispiel beim Geruchsverlust eine Rolle spielt. Da gibt es ja auch Hinweise, dass die Riechzellen direkt infiziert und zerstört werden. Das ist dann aber wiederum ein ganz anderer Mechanismus als die Autoantikörperbildung, die vielleicht zu Entzündungen führt und zu dieser extremen Müdigkeit führen kann. Deswegen ist es jetzt vielleicht klarer, was ich damit meine: Das ist nicht ein Krankheitsbild, sondern es gibt verschiedene Aspekte.
Zytokine und Long-Covid
Und der dritte Pathomechanismus ist eigentlich erst vor kurzem in einem Preprint aus Australien erschienen. Da hat man Patienten verglichen, die Long-Covid hatten, mit Patienten, die auch eine Infektion hatten und kein Long-Covid, und Gesunden. Und mit Patienten, die eine andere Coronavirus-Infektion hatten. Und man hat dann acht Monate nach der Infektion bestimmte Zytokine im Blut von Patienten mit Long-Covid gefunden, die in der anderen Gruppe so nicht zu finden waren. Diese Zytokine, die werden vor allen Dingen gebildet, wenn eine Entzündung im Körper ist. Sie werden sozusagen bei einer Entzündung freigesetzt.
Hennig: Botenstoffe.
Ciesek: Genau. Eine ganz interessante Beobachtung. Insbesondere, wenn man an das oft als ähnlich bezeichnete Krankheitsbild der myalgischen Enzephalitis, also dieses Chronic-Fatigue-Syndrom, denkt. Das fand ich spannend, dass die sagen, dass das zum Teil andere Zytokine waren, die sie bei Long-Covid gefunden haben. Was dabei helfen könnte, klinisch zu unterscheiden, also ob es ein klassisches Long-Covid ist oder eher eine andere Erkrankung, dass man das anhand des Zytokin-Musters erkennen kann. Aber dafür braucht man sicherlich noch breitere Daten und wieder auch ein anderes unabhängiges Kollektiv, was die gleichen Zytokin-Veränderungen sehen würde, um da weiterzukommen. Insgesamt finde ich einfach immer noch die Definition von Long-Covid unbefriedigend.
Unterschied zu Chronic-Fatigue-Syndrom
Zum Beispiel bei respiratorischen Symptomen: Wenn Sie eine Pneumonie, also eine Lungenentzündung oder einen schweren Infekt hatten, da kann man ja über Monate oder über Wochen noch Reizhusten haben. Das ist dann was anderes, als wenn man ein Chronic-Fatigue-Syndrom entwickelt. Ich glaube auch, dass das von der Pathogenese etwas anderes sein wird. Das macht das auch so schwer und so wichtig, dass da interdisziplinär zusammengearbeitet wird. Vor allen Dingen sollte die Definition mal genau festgelegt werden oder vielleicht auch verschiedene Formen eines Long-Covid definiert werden. Dass es zum Beispiel eine pulmonale oder respiratorische Form gibt, dann die Form, dass es vor allen Dingen zu diesen Geschmacks- und Geruchsverlust kommt, was vielleicht wiederrum eine andere Pathogenese hat als das Krankheitsbild, was sehr ähnlich zu dieser myalgischen Enzephalitis ist.
Hennig: Das macht es ja besonders schwierig, dass auch da die Ursache immer noch nicht richtig verstanden ist. Also dass auch das so ein unklares Krankheitsbild in sich ist.
Ciesek: Auf jeden Fall. Ich glaube, das ist oft ein Krankheitsbild, was auch oft falsch verstanden wird. Und sich zum Teil sogar die Menschen, die darunter leiden, wirklich missverstanden fühlen, weil sie oft in bestimmte Schienen geschoben werden. Oder wenn es keine Diagnose gibt, die dann einfach nicht entsprechend behandelt werden oder auch nicht diese Krankheit anerkannt genug bekommen.
Das ist ein großes Problem. Aber da sehe ich jetzt auch durch das Bewusstsein für Long-Covid und den weltweiten Fördermöglichkeiten, die da jetzt fließen, eine Chance für diese Erkrankung. Also für das Chronic-Fatigue-Syndrom, dass es auch dort zu neuen Erkenntnissen kommt und man diesen Patienten insgesamt besser helfen kann. Also auch das Chronic-Fatigue-Syndrom ist oft eine postvirale Erkrankung. Das ist ein auslösender Faktor, der dazukommt. Das ist ja auch gar nicht so ungewöhnlich, dass es nach Infektionen längere Symptome gibt. Da gibt es ganz unterschiedliche Erkrankungen, also sowohl viral als auch bakterielle, die das auslösen können. Ich denke, dass auf jeden Fall dieses Krankheitsbild, auch wenn wir bei Long-Covid mit der Forschung weiter kommen, davon profitieren wird und man gemeinsame Ansätze findet, die Erkrankung besser zu behandeln.
Hennig: Wenn wir jetzt über die Forschung von Long-Covid sprechen, hat man sich denn da weitgehend einigen können, von welchen Symptomen oder von wie vielen Symptom man da sprechen muss? Ich habe ganz unterschiedliche Dinge gelesen. Also, dass man sagt, es muss eins der wesentlichen, der bekanntesten Symptome vorkommen. Oder es müssen eigentlich immer mehrere Symptome sein. Sie haben es schon angesprochen, lang andauernder Reizhusten nach einer relativ normalen Erkältung zum Beispiel, das kennen sicher viele. Da wird die Abgrenzung dann natürlich schwierig.
Ciesek: Wie gesagt, ich bin als Virologin nicht der primäre Ansprechpartner für Long-Covid. Das sind eher Immunologen oder Internisten, Neurologen. Mir ist es nicht bekannt. Ich weiß nur, dass in den Studien meistens im Durchschnitt 16 oder 17 Symptome angegeben werden. Das zeigt nochmal, wie bunt dieses Bild ist. Und das macht es auch so schwer und so frustrierend. Zum einen, wenn Sie die Ursache nicht kennen, ist es schwer zu behandeln, außer symptomatisch.
Da gibt es oft nicht viel. Zum anderen ist es einfach schwierig, wenn man so viele Symptome angibt und vielleicht nicht weiß, ob die alle die gleiche Ursache haben oder inwieweit die alle wirklich mit der Erkrankung zusammenhängen. Also ich kenne keine ganz klare Definition. Das wäre, glaube ich, schon mal eine gute Hilfe. Es gibt aber so Analysen aus Studien, auch aus Großbritannien sind die glaube ich, die sagen, dass die insgesamt vier Gruppen von Patienten mit Long-Covid sehen, die haben unterschiedliche Symptome. Eine Gruppe hat zum Beispiel ausgeprägte kognitive Probleme, also Erinnerung. Die Denkleistungsfähigkeit ist deutlich eingeschränkt. Die anderen hatten eher physische, aber auch psychische Beeinträchtigungen. Ich glaube, dass es wirklich sinnvoll ist, in verschiedene Gruppen einzuteilen und auch ein bisschen zu trennen.
Verschiedene Pathogenesen
Ich vermute, dass es nicht eine Pathogenese gibt, sondern wahrscheinlich verschiedene Ursachen existieren. Da gibt es auch, wie gesagt, in Großbritannien große Studien, die diese Patienten nachverfolgen ganz ausführlich untersuchen, inklusive Entzündungszeichen, Gerinnungssystem. Die schauen sich auch diese Zytokine noch mal genauer an. Ich glaube, wenn man die Erkrankung besser verstanden hat und wie die entsteht, dann wird man auch besser oder leichter Medikamente finden, die man einsetzen kann, um sie zu behandeln.
Welche Therapieansätze gegen Long-Covid gibt es?
Hennig: Das ist ja auch eine ganz wichtige Frage. Wenn es dann verschiedene Mechanismen sind, die eigentlich erst verschiedene Symptome oder verschiedene Symptomkombinationen über die Dauer der Zeit hervorrufen, dann liegt nahe, dass man die auch auf unterschiedliche Art therapieren muss. Was für Ansätze gibt es überhaupt? Da gibt es noch gar nicht viel, wie man therapieren kann. Oder?
Ciesek: Es gibt verschiedene Medikamente, die auch in diesem tollen Artikel, den Sie schon erwähnt haben, beschrieben sind. Das ist einmal ein Medikament, das antifibrotisch und entzündungshemmend wirkt. Das muss man sich nicht merken, ist nicht mal zugelassen. Vor allen Dingen wird das für respiratorische Spätfolgen untersucht, in klinischen Studien. Dann gibt es noch einen Ansatz von einem Gerinnungshemmer, den man verwendet. Das stammt wahrscheinlich noch aus der Anfangszeit, in der man vermutet hat, dass eine Entzündung des Endothels und Thromben-Bildung eine Rolle spielen.
Hennig: Also Endothel, Gefäßinnenwände.
Ciesek: Genau. Also das ist Apixaban, es ist einfach ein Gerinnungshemmer, der eigentlich gegen Thrombosen eingesetzt wird und in der Gerinnungskaskade den Faktor Xa hemmt. So nennt man das. Wie gesagt, ich glaube eher, das stammt noch aus dieser Vorstellung, dass es zu einer Entzündung der kleinen Gefäße kommt und dadurch zu einem Gerinnsel. Da muss man schauen, was diese Studien bringen. Ein weiteres Medikament, das untersucht wird, ist ein Statin, also Atorvastatin. Statine kennen vielleicht viele, weil sie es einnehmen, wenn das Cholesterin zu hoch ist, also es ist ein Fettsenker, ein Cholesterinsenker. Es wird aber auch bei Risiko für koronare Herzkrankheiten eingesetzt, um das zu minimieren. Da vermutet man auch, dass das einen Effekt auf das Endothel hat, ähnlich wie dieser Gerinnungshemmer. Hier muss man einfach die Studien abwarten. Das geht aber eher in die Genese, dass eine Endothel-Entzündung wahrscheinlich eine Rolle spielt.
Helfen Impfstoffe bei Long-Covid?
Das letzte Medikament ist jetzt das falsche Wort, aber die letzte Maßnahme, die noch eine Rolle spielen könnte, ist die Rolle von Impfstoffen, also ob man diese Patienten nach einer Erkrankung mit Long-Covid impfen sollte. Da gibt es erste Daten. Das wurde, glaube ich, im Mai berichtet, dass knapp 60 Prozent eine Verbesserung ihrer Symptome haben, wenn sie geimpft wurden, wohingegen aber ein Viertel keine Veränderungen hatte und sogar knapp 20 Prozent eine Verschlechterung feststellten.
Also hier laufen weitere Studien. Das wird noch mal genau überprüft. Da denke ich mal, dass da einfach das letzte Wort noch nicht gesprochen wurde. Also inwieweit eine Impfung helfen könnte. Hier ist die Idee, dass im Körper verbliebene Virenreste beseitigt werden, indem das Immunsystem wieder ins Gleichgewicht kommt. Das würde ein bisschen zu dieser ersten Theorie passen, dass es im Darm ein Reservoir von Virusfragmenten oder Virusresten geben könnte. Da bin ich sehr gespannt, inwieweit die Studien helfen. Wenn man sich die anderen Mechanismen anguckt, Zytokine und Autoimmunerkrankungen, würde man eigentlich therapeutisch eher daran denken, das Immunsystem ein wenig zu bremsen. Also ich würde dann eher an Cortison oder andere Immunsuppressiva denken. Aber da habe ich zumindest bisher keine Daten gefunden, dass das überlegt wird.
Kein Zusammenhang zwischen Krankheitsschwere und Long-Covid
Es ist vielleicht noch wichtig zu erwähnen, dass dieses Long-Covid-Syndrom nicht mit der Schwere der Erkrankung in der akuten Phase zusammenhängt. Das ist ja, was Leute oft fragen: Kriege ich Long-Covid, wenn ich einen leichten Verlauf hatte oder einen schweren? Also da gibt es keinen Zusammenhang in den Studien. Das ist, denke ich, auch wichtig, dass eher das Alter, Geschlecht und die ersten Symptome eine Rolle spielen als wirklich der weitere Verlauf der Erkrankung.
Hennig: Auch da gibt es bisher alles andere als Sicherheit. Dieser Einfluss der Impfungen, das ist so populär diskutiert worden, weil man solche Anekdoten natürlich eigentlich gerne hört. Das klingt so simpel: Ich habe mich monatelang mit Long-Covid geplagt. Jetzt habe ich sechs Monate nach meiner Infektion eine Impfung bekommen und dann wurde vieles schlagartig besser. Da muss man aber dazusagen, das sind Beobachtungsdaten. Also das ist noch nicht immunologisch nachvollzogen worden, was da passiert sein könnte.
Ciesek: Ja. Und man muss das auch wirklich in einer kontrollierten Studie machen, wo man einige impft und andere ein Placebo bekommen. Und dann vergleichen, inwieweit das wirklich einen Effekt hat und natürlich auch immunologisch untersuchen, was genau passiert im Körper? Ich schließe nicht aus, dass das einen Effekt hat.
Aber manchmal liest man ja von Berichten, dass dann ein, zwei Tagen nach der Impfung alles weg sei. Das kann ich mir wiederum auch nicht vorstellen, weil die Impfung einfach gar nicht so schnell zu einer Reaktion des Körpers führt. Die Antikörper müssen ja erst mal gebildet werden. Da denke ich mal, es ist ganz wichtig, saubere, kontrollierte Studien durchzuführen.