30 Jahre nach Einführung: Reformideen für die Pflegeversicherung
Am 1. Januar 1995 wurde die Pflegeversicherung in Deutschland eingeführt. 30 Jahre später steht sie vor großen Herausforderungen. Ein Heimleiter, Bewohner, Angehörige sowie der Pflegerat haben Reformideen - und Gesundheitsminister Lauterbach auch.
30 Jahre nach ihrer Gründung steht die Pflegeversicherung in Deutschland vor großen Herausforderungen: In einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft sind immer mehr Menschen sind immer länger in Pflege, die Nachfrage nach vollstationären Pflegeplätzen übersteigt das Angebot. Dennoch stehen Zimmer in Pflegeheimen leer, weil Personal fehlt.
Allen Beteiligten ist klar, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, soll die Pflege für alle verfügbar und halbwegs bezahlbar bleiben. Doch Heimbetreiber, Bewohner, Angehörige und der Deutsche Pflegerat haben unterschiedliche Ansätze und Prioritäten, an welchen Stellschrauben gedreht werden sollte. Doch manche Lösungsansätze und Reformideen sind konsensfähig - so auch die Idee einer Bürgerversicherung für die Pflege, wie sie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorschlägt.
Der Minister: "Mehr von dem, was Pflegekräfte können, auch dürfen"
Gesundheitsminister Lauterbach ist zunächst einmal damit zufrieden, dass es die Pflegeversicherung überhaupt gibt. Andere europäische Länder beneideten uns darum. Doch: "Pflege droht wieder ein Armutsrisiko zu werden. Daher müssen wir den Eigenanteil deckeln." Die Pläne der SPD, mit denen sie in den Bundestagswahlkampf zieht, sehen vor, den Eigenanteil auf 1.000 Euro zu begrenzen. Das solle sowohl für die stationäre als auch die ambulante Pflege gelten. Hinzu kommen aber weiterhin die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, gleichwohl verspricht sich der Minister eine durchschnittliche Entlastung von 678 Euro im Monat. Lauterbach macht sich zudem für einen stärkeren Solidarausgleich in der Pflegeversicherung stark und plädiert für eine Bürgerversicherung, in die auch Beamte und Selbständige einzahlen würden.
Desweiteren spricht er sich für eine Auslagerung von pflegefremden Leistungen aus, die die Pflegeversicherung gar nicht übernehmen sollte. Konkret meint er damit medizinische Leistungen, die in der Pflege erbracht werden, und Rentenbeiträge für pflegende Angehörige. "Die müssen entweder von der gesetzlichen Krankenversicherung oder vom Steuerzahler bezahlt werden. Dann ist die Pflegeversicherung auch solide finanziert."
Als einen wichtigen Punkt für zukunftsfähige Pflege nennt er zudem das Pflegekompetenzgesetz, das allerdings noch nicht vom Bundestag beschlossen ist. "Das Gesetz erlaubt Pflegekräften mehr von dem, was sie eigentlich können, auch zu dürfen." Denn in Deutschland darf vieles nur unter Anleitung eines Arztes gemacht werden. Das demotiviere Pflegekräfte. "Das ist auch nicht gerade attraktiv für ausländische Pflegekräfte, die nach Deutschland kommen, weil sie mit der gleichen Ausbildung zum Beispiel in Skandinavien oder in England mehr dürfen als Betreuen." Das Gesetz sei in enger Zusammenarbeit mit den Pflegeverbänden entstanden. "Die Pflegekompetenz wird dann besser eingesetzt. Das wird dazu führen, dass sich mehr für diesen Beruf interessieren und dass wir auch attraktiver werden für ausländische Pflegekräfte."
Was die Parteien in ihren Wahlprogrammen zur Pflege vorschlagen
Der Heimleiter: "Pflege auch mal anders denken"
Der Hamburger Heimleiter André Drummond spricht sich dafür aus, den Anteil, den die Bewohner und Bewohnerinnen tragen, festzulegen. So könnten sie leichter kalkulieren, was sie in vollstationären Einrichtungen zahlen müssen. Um die dadurch entstehenden Mehrkosten tragen zu können, sollte die Pflegeversicherung aus seiner Sicht zu "einer Art Bürgerversicherung" umgebaut werden - mit dem Ziel, "dass es nicht mehr dieses zweigeteilte System wie bei gesetzlich und privat Krankenversicherten, sondern dass alle in eine Bürgerversicherung einzahlen, sodass dann mehr Geld vorhanden ist".
Zudem plädiert der Geschäftsführer des Pflegeheims Gast- und Krankenhauses dafür, "Pflege auch mal anders zu denken". Bislang zahle jeder Mensch in einer Pflegeeinrichtung die gleichen Preise, "egal, ob sich ein Bewohner mehr oder weniger einbringen kann". Es fehlten Anreize, um so eventuell Kosten zu sparen, etwa für Menschen, die sich ihr Essen noch selbst machen können und auch sonst weniger Unterstützung benötigen für alltägliche Tätigkeiten. "Wenn man es schafft, dass man sein Zimmer alleine reinigt oder das einmal die Woche vielleicht von den Kindern oder Bekannten gemacht wird, könnte man dadurch die Kosten etwas senken." Statt wie bisher Pflege wie eine All-inclusive-Leistung zu behandeln, könne man verschiedene Pakete anbieten. So könne Personal frei werden, um zusätzliche Heimplätze anbieten zu können, meint Drummond. "Wir bieten ja nicht ausschließlich Pflege an, sondern ein großer Teil besteht aus Servicetätigkeiten. Wenn man diese aus der professionalisierten Pflege mehr und mehr rausnehmen könnte, hätte man mehr Zeit für die professionelle Pflege und das ganze System wäre auch günstiger."
Der Pflegerat: Geld im System belassen
Der Deutsche Pflegerat, der Dachverband der wichtigsten deutschen Verbände im Pflege- und Hebammenwesen, plädiert für ein einfacheres System in der Pflege - bei dem aber letztlich der Patient und die Patientin im Mittelpunkt stehen sollte. "Ich glaube, dass wir mehr auf Gesundheitsversorgung insgesamt schauen müssen, also medizinische Versorgung und pflegerische Versorgung"", sagt Präsidentin Christine Vogler. Es müsse die Frage gestellt werden, was überhaupt finanziert werden müsse, um die Gesundheit von Menschen in der Bundesrepublik zu sichern. "Da gehört es dazu, dass man nicht pflegerische Versorgung von medizinischer Versorgung trennt."
Im nächsten Schritt müsse dann die Finanzierung sichergestellt werden. "Natürlich ist es der gerechteste Weg, alle Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen, gemessen an ihren Einkommen, ohne Deckelung", sagt Vogler und spricht damit gegen die bisher gültigen Beitragsbemessungen in der Sozialversicherung aus. "Wenn jemand sehr viel verdient, warum wird hier gedeckelt in der Sozialversicherung? Warum gucken wir uns das nicht auch mal an?" So komme auf solidarische Weise mehr Geld ins System. "Wenn das Geld in das System einfließt, müssen wir gucken, ob es auch im System bleibt. Oder geht es eventuell über Aktiengesellschaften, die Heime oder Krankenhäuser betreiben, auch wieder raus?" Der Verbleib des Geldes im System müsse gesichert werden.
Die Angehörigen: Weniger Bürokratie
Sigrid und Alexander Suckert sind die Angehörigen einer Bewohnerin im Hamburger Gast- und Krankenhaus. Bevor ihre Bekannte in dem Heim aufgenommen wurde, gab es sehr viel Papierkram zu erledigen. "Bürokratie ist ein ganz großer Punkt", sagt Sigrid Suckert. "Das ist ein großes Wirrwarr, wo kein Otto-Normal-Verbraucher durchkommt. Ich kann mir manche Sätze durchlesen und noch mal mit meinem Mann besprechen. Ich verstehe es einfach nicht."
Es sei wünschenswert, wenn es eine Checkliste gäbe, aus der hervorgeht, was alles zu tun ist, wenn man in Pflege müsse, ergänzt ihr Mann. So etwas gebe es jedoch leider nicht, die beiden hätten sich von Schritt zu Schritt durchhangeln müssen. Und immer wieder dieselben Unterlagen einreichen müssen. "Wir haben riesige Datenbanksysteme bei uns in der Bundesrepublik. Aber die Daten werden einfach nicht durchgereicht", sagt Alexander Suckert. "Das ist das, was nervt und was die ganze Sache auch verzögert, weil irgendein Formular fehlt immer."
Bewohnerin Durner: In der Jugend auch privat vorsorgen
Annelotte Durner lebt seit drei Jahren in dem gleichen Heim und ist dankbar, dass es die Pflegeversicherung gibt. "Sonst würden viele Leute durch das Sieb fallen", sagt sie. Um die hohen Kosten im Alter tragen zu können, müsste aus ihrer Sicht schon in der Jugend auch privat für die Pflege im Alter vorgesorgt werden.
"Gut wäre, wenn das irgendwie staatlicherseits zumindest angeregt wird, dass man so etwas machen könnte oder sollte", sagt Durner. Aber wenn es nicht verpflichtend sei, dann würden das aus ihrer Sicht vermutlich zu wenige Menschen machen. "Wer macht das denn noch freiwillig zusätzlich zu all den Steuern und den Sozialabgaben?" Die Jugend müsse ja bereits viel schultern und auch zunehmend mehr Rentner finanzieren. "Und ich finde, man muss schon darauf achten, dass die Jungen einfach auch Zukunft haben. Und nicht nur die Alten."