Eigenanteil fürs Pflegeheim immer höher: "Ein richtiger Seelendruck"
Das Pflegepersonal darf sich über gestiegene Löhne freuen - doch Angehörige zahlen die Mehrkosten. Der Eigenanteil bei der Heimbetreuung ist erneut gestiegen, im Schnitt auf 2.871 Euro im Monat. Betroffene müssen ihr Eigenheim verkaufen - oder Sozialhilfe beantragen.
Irmgard Eckert hat ihr Leben lang gearbeitet und stets für sich selbst sorgen können. Doch mit fast 86 Jahren musste sie Sozialhilfe beantragen - um sich die Unterbringung im Gast- und Krankenhaus, einem Pflegeheim in Hamburg-Poppenbüttel, weiterhin leisten zu können. "Man kommt sich so unwürdig vor, weil man hart gearbeitet hat für die Rente. Dann habe ich zusätzlich noch das Witwen-Geld von meinem Mann und selbst das reicht nicht aus."
Zunächst hatte sie sich riesig gefreut, in dem Heim einen Platz zu bekommen. Denn eigentlich hätten sie und ihr Mann damals gar keine Chance gehabt. Es habe Hunderte Voranmeldungen gegeben. Aber dann kam an einem Freitag im Dezember 2021 ein Anruf mit der Information, dass eine Wohnung frei geworden sei. "Es wollte keiner von den anderen acht Tage vor Weihnachten ausziehen aus der vorherigen Wohnung." Die Eckerts zunächst auch nicht, schließlich sei zu Hause alles schon weihnachtlich dekoriert gewesen. Zudem sei der Druck, sich von Freitag bis Montag zu entscheiden, ganz schön groß gewesen. Verwandte schauten sich daraufhin sofort das Heim an und rieten den Eckerts zum Einzug. Der erfolgte dann kurz vorm Fest. "Und da bin ich auch glücklich darüber, muss ich ehrlich sagen", resümiert Eckert. Ihr Mann war zu dem Zeitpunkt bereits schwer erkrankt, er starb im Mai 2022. Seitdem lebt sie alleine im Heim - und sieht sich mit immer stärker steigenden Kosten konfrontiert.
Heimleiter: Gestiegene Kosten "eine Riesenbelastung"
Das Gast- und Krankenhaus hat den Eigenanteil in den vergangenen zwei Jahren um 250 bis 600 Euro pro Monat erhöht, wie Heimleiter André Drummond erklärt. Eckert zum Beispiel zahlt in diesem Jahr pro Monat 2.573 Euro selbst dazu. Der Anteil für Menschen, die wie Eckert seit drei Jahren im Heim leben, sei binnen Jahresfrist um 370 Euro gestiegen, so Drummond. Gründe für die Erhöhung seien zum einen die um zehn Prozent erhöhten Personalkosten aufgrund gestiegener Tarife sowie zum anderen ebenfalls gestiegene Energie- und Sachkosten. "Das stellt einfach eine Riesenbelastung für unsere Bewohnerinnen und Bewohner dar."
Lauterbach bringt Deckelung ins Spiel
Das Problem beschäftigt auch die Politik: "Es ist einfach im Moment eine enorme Dynamik dort zu beobachten", sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Donnerstag im Interview auf NDR Info. "Ich persönlich glaube, dass der Eigenanteil mittlerweile eine Größenordnung hat, wo er eine Bedrohung für ältere Menschen ist. Da müssen wir ran." Er könne sich vorstellen, dass eine Deckelung des Eigenanteils eine Möglichkeit sei, wolle aber koalitionsinternen Beratungen nicht vorgreifen. Geplant sei, dass es noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz zur Lösung des Problems geben soll.
Sozialamt springt ein: "Das war ganz schrecklich"
Für Irmgard Eckert blieb nur der Weg, sich staatliche Unterstützung zu holen. "Das war ganz schrecklich. Durch diese Erhöhung muss das Sozialamt ran", erzählt sie. Ihre Familie habe ihr beim Ausfüllen der nötigen 29 Bögen geholfen, das Geld sei dann zügig und problemlos geflossen. "Das ist jetzt bei mir Gott sei Dank gesichert, das ist ein richtiger Seelendruck gewesen." So wie ihr dürfte es zunehmend mehr Menschen in ganz Deutschland gehen. Der Eigenanteil fürs Pflegeheim nimmt überall im Land zu.
Bundesweit liegt der Eigenanteil im Schnitt bei 2.871 Euro - im Monat
Mit Stand 1. Juli werden im ersten Heimjahr im bundesweiten Schnitt 2.871 Euro pro Monat aus eigener Tasche fällig - das sind 211 Euro mehr als Mitte 2023, wie eine Auswertung des Verbands der Ersatzkassen kürzlich ergab. In norddeutschen Heimen fällt der Eigenanteil etwas geringer aus als im Bundesschnitt. Am günstigsten ist es in Mecklenburg-Vorpommern. Dort liegt der Eigenanteil monatlich bei 2.472 Euro, in Hamburg hingegen bei 2.857 Euro.
Eigenanteil steigt trotz erhöhter Entlastungszuschläge
Hintergrund der privaten Zuzahlung ist, dass die Pflegeversicherung nur einen Teil der Heimkosten trägt, und zwar für die eigentliche Pflegeleistung. Die Beträge für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen müssen von den Bewohnern selber gezahlt werden. Seit 2022 gibt es neben den Zahlungen der Pflegekasse besondere Entlastungszuschläge, die mit einer Reform der Ampel-Koalition zum 1. Januar noch einmal erhöht wurden. Der Eigenanteil für die reine Pflege wird so im ersten Jahr im Heim um 15 statt 5 Prozent gedrückt, im zweiten um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent. Doch auch mit dem höchsten Zuschlag ab dem vierten Heimjahr stieg die Zuzahlung bundesweit im Schnitt auf 1.865 Euro monatlich, 91 Euro mehr als im Vorjahr.
Zur Not muss das Eigenheim für die Pflege versilbert werden
Bevor wie bei Irmgard Eckert die Sozialhilfe greift, werden zunächst die privaten Vermögenswerte der Pflegebedürftigen überprüft. "Wenn kein Kapital da ist, also kein Eigenheim oder Geld auf dem Konto, dann wird das vom Sozialhilfeträger komplett übernommen", erklärt Heimleiter Drummond. "Aber es gibt eben auch Menschen, die haben ein Haus. Und dann muss zuerst das Haus verkauft werden, damit die Pflege weiterhin gewährleistet werden kann."
Anfang des Jahres sei eine Bewohnerin ausgezogen, die ein Haus hatte und dieses auch verkaufen wollte - eigentlich. Doch im Moment sei die Immobilien-Zeit nicht so rosig. "Der Verkaufspreis war nicht in der gewünschten Höhe und somit musste dann die Bewohnerin ausziehen, weil dann die Kosten einfach nicht mehr zu decken waren", sagt Drummond. Sie werde jetzt zu Hause weiter versorgt vom ambulanten Dienst.
Angehöriger: Pflegeberuf muss gut entlohnt werden
Sven Jacobs Mutter hatte kein Haus und auch nicht viel auf dem Konto. "Da wurde halt gut gelebt", sagt er lächelnd. Dennoch schaffe es seine demente Mutter mit ein wenig finanzieller Unterstützung seinerseits, die gestiegenen Heimkosten aufzufangen. Rund 500 Euro im Monat, das sei schon eine Menge. "Was aber berechtigt ist. Die Menschen machen hier einen großartigen Job", sagt Jacob. "Das ist ein Beruf, der wirklich auch gelebt werden muss. Es ist eine physische und psychische Belastung, die schon sehr hoch ist. Und entsprechend sollte sie auch entlohnt werden, damit der Anreiz da ist, dass mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diesen Job machen wollen."
Schließlich wollten doch alle später mal, dass man sich um einen kümmert "und dann auch eine Pflege bekommt, die uns angemessen erscheint. Und da sollte man dafür auch einen bestimmten Betrag bezahlen."
Lauterbach setzt auf höheren Steueranteil bei Pflegekosten
Das sieht auch Gesundheitsminister Lauterbach so. "Wir haben große Probleme gehabt, Pflegepersonal zu gewinnen, zu halten", sagte er im NDR Info Interview. "Daher brauchen wir höhere Löhne, und wir brauchen auch eine gute Perspektive." Lauterbach sprach im Hinblick auf die künftige Finanzierung des Pflegesystems noch einen Punkt an: "Wir brauchen eine stärkere Steuerfinanzierung der Pflege. Langfristig müsse aus seiner Sicht der Steueranteil in der Pflege wachsen. Denn die Pflegeversicherung übernehme aktuell auch Leistungen, die sie gar nicht bezahlen sollte, etwa die Rentenbeiträge von pflegenden Angehörigen. "Das sind eigentlich Gemeinschaftsaufgaben, die aus Steuern bezahlt werden müssten", so Lauterbach.
Heimbewohnerin Eckert: Mehr Pflegekräfte, "dass man nicht allein gelassen wird"
Für den Hamburger Heimleiter Drummond ist vor allem die Planbarkeit der Kosten wichtig. "Dass für die Menschen einfach kalkulierbar ist, was Pflege kostet. Der Eigenanteil sollte aus meiner Sicht fixiert werden. Und die zusätzlichen Kosten müssten dann eben von der Pflegeversicherung oder dem Sozialhilfeträger getragen werden."
Irmgard Eckert wünscht sich vor allem, "dass jeder nicht diese Not hat, überhaupt zum Sozialamt zu gehen. Ich wünschte mir, dass man nicht angewiesen ist auf Sozialhilfe". Zudem sollten die Pflegekräfte Geld genug bekommen für den schweren Job, den sie machen. "Und ich wünsche mir, dass auch ein wenig mehr Pflegekräfte zur Verfügung stehen." Denn das sei das Wichtigste - "dass man nicht allein gelassen wird".