Eine Touristin mit Mund-Nasen-Schutz zieht einen Rollkoffer hinter sich her nach ihrer Ankunft auf dem Flughafen Teneriffa Süd. © dpa Foto: Andrés Gutiérrez

(114) Coronavirus-Update: Mit BA.4 und BA.5 in den Sommer

Stand: 17.06.2022 17:00 Uhr

Was die Omikron-Subtypen so ansteckend macht und ob sie krankmachender sind als ihre Vorgänger, darüber spricht die Virologin Sandra Ciesek in der neuen Folge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update.

Warum steigt die Infektionszahl gerade wieder? Welchen Einfluss haben BA.4 und BA.5 auf diese Entwicklung? Und was ist bisher bekannt über diese Subtypen? Dazu spricht die Wissenschaftsredakteurin Beke Schulmann in Folge 114 des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update mit der Virologin Sandra Ciesek.

Die zentralen Themen der Folge im Überblick - per Klick direkt zur Textstelle springen

Sommerwelle und Testpositivrate

Anteil von BA.4 und BA.5 am aktuellen Infektionsgeschehen

Wird zu wenig sequenziert?

Keine Angst vor BA.4 und BA.5?

Schnelltests bei BA.4 und BA.5

Übertragung der Sublinien

Immunescape der Sublinien

Zweite Auffrischungsimpfung

Pathogenität von BA.4 und BA.5

Aktuell steigende Infektionszahl

Hepatitisfälle bei Kindern und Zusammenhang mit Corona?

Sommerwelle und Testpositivrate

Beke Schulmann: Die Zahl der Neuinfektionen steigt wieder nach einer ganzen Zeit des Rückgangs. Wir alle haben vermutlich in dieser Woche häufiger Warnungen vor einer Sommerwelle gehört. Von einer Frühsommerwelle war auch die Rede. Wie schätzen Sie das ein? Sind wir schon mittendrin in einer Sommer- oder Frühsommerwelle? Oder ist das nur ein kleiner Ausriss nach oben und in ein paar Tagen überwunden?

Sandra Ciesek: Wenn man es so nennen will, ja, die Zahlen jedenfalls sind am Steigen. Sie sind aber natürlich noch deutlich niedriger, als sie im Februar oder März waren. Und sie sind auch nicht mehr ganz vergleichbar. Da muss man immer vorsichtig sein, weil natürlich anders getestet wird. Also zum Beispiel gibt es keine breitflächigen Schultests mehr, die verpflichtend sind.

Ich kenne mittlerweile auch viele, viele Leute, vielleicht auch andere Hörer oder Sie selbst, die sich selbst testen und dann bei einem positiven Test gar nicht mehr mit einem PCR-Test bestätigen lassen. Weil sie sagen, das hat für mich jetzt keine Konsequenz mehr, und sie bleiben einfach zu Hause. Das sind dann natürlich nicht die, die im Krankenhaus arbeiten, aber sonst im Büro sind und eben Homeoffice haben. Und deshalb sind die Zahlen natürlich immer schwer zu vergleichen.

Testpositivrate

Was man jedoch, finde ich, ganz gut sieht, ist, wenn man die Zahlen der ALM anschaut, also der akkreditierten Labore, die veröffentlichen ja immer ihre Zahlen. Da sieht man schon, dass die Positivrate wieder deutlich zugenommen hat. Und die lag zuletzt in der Kalenderwoche 23 bei immerhin 43,5 Prozent, und war angestiegen von ungefähr 35 und davor 30 Prozent in den Wochen davor. Und gleichzeitig ist auch die Anzahl der PCR-Tests auf einem niedrigen Niveau geblieben von ungefähr 500.000, 600.000 Tests pro Woche.

Das waren ja mal über zwei Millionen. Daran sieht man auch diese große Lücke. Kapazität haben wir von der ALM angegeben mit 2,75 Millionen Tests, also wir testen im Moment relativ wenig. Und ich habe mir die Zahlen von der ALM mal genauer angeschaut oder genauer bekommen. Und da sieht man auch, dass die Testpositivrate in den Bundesländern sehr unterschiedlich und variabel ist. Spitzenreiter im Moment in KW 23 sind zum Beispiel Schleswig-Holstein mit 63,3 Prozent positive Tests. Niedersachsen hat auch 55 Prozent und in Berlin sind es im Vergleich nur 14,5 Prozent.

Das Coronavirus © CDC on Unsplash Foto: CDC on Unsplash

(114) Mit BA.4 und BA.5 in den Sommer

Sendung: Das Coronavirus-Update von NDR Info | 17.06.2022 | 17:00 Uhr | von Schulmann, Beke
68 Min

Die Corona-Infektionszahlen steigen wieder, BA.4 und BA.5 sind mittlerweile die vorherrschenden Virusvarianten. Was die Omikron-Subtypen so ansteckend macht und ob sie krankmachender sind als ihre Vorgänger, darüber spricht die Virologin Sandra Ciesek in dieser Folge des Podcasts mit Beke Schulmann aus der NDR Info Wissenschaftsredaktion.

00:01:36 Sommerwelle und Testpositivrate
00:05:18 Anteil von BA.4 und BA.5 am aktuellen Infektionsgeschehen
00:08:19 Wird zu wenig sequenziert?
00:13:32 Keine Angst vor BA.4 und BA.5?
00:16:10 Schnelltests bei BA.4 und BA.5
00:17:45 Übertragung der Sublinien
00:20:52 Immunescape der Sublinien
00:27:11 Zweite Auffrischungsimpfung
00:30:03 Pathogenität von BA.4 und BA.5
00:34:54 Aktuell steigende Infektionszahl
00:42:03 Hepatitisfälle bei Kindern und Zusammenhang mit Corona

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Um das Buch „Eine Frage der Chemie“ geht es in Folge 63: „Sparkling Orange zum Geburtstag“

Aber man sieht überall einen Anstieg im Vergleich zur Vorwoche. Und ich finde, man sieht es auch am Umfeld. Bei uns nehmen auch wieder die Anzahl der erkrankten Mitarbeiter deutlich zu. Wir hatten da mal recht wenige pro Woche, jetzt sind es eher so viele am Tag wie sonst pro Woche. Ich habe so den Eindruck, dass viele, die zum Beispiel auf Konferenzen waren, insbesondere im Ausland, in den USA, positiv zurückkommen.

Wir hatten ja auch in Frankfurt so einen großen Volkslauf mit über 24.000 Teilnehmern und haben jetzt einen Anstieg von 100 Prozent in der letzten Woche an Infektionen. So ein bisschen habe ich den Eindruck, dass viele, die bisher nicht infiziert waren, dass es die jetzt doch auch erwischt und die sich infizieren. Also passt der persönliche Eindruck zu der Positivrate ganz gut.

Es ist aber trotzdem natürlich nicht vergleichbar mit vorherigen Wellen. Also gerade Screenings in Krankenhäusern von Mitarbeitern, aber auch bei Patienten. Da haben Sie einen ganz guten Überblick, wie viele zufällige Diagnosen Sie erheben. Ich denke, die Ursache ist auch klar, deswegen machen wir heute vor allen Dingen den Podcast. Das liegt natürlich an der zunehmenden Ausbreitung von BA.4 und BA.5.

Anteil von BA.4 und BA.5 am aktuellen Infektionsgeschehen

Schulmann: Die haben auch einen Einfluss auf das aktuelle Infektionsgeschehen, also diese beiden neuen Subvarianten, die sich derzeit in Europa und auch in Deutschland verbreiten. Diese Omikron -Subtypen wollen wir heute genauer unter die Lupe nehmen: BA.4 und BA.5. Im aktuellen Wochenbericht vom Robert Koch-Institut von gestern ist angegeben, dass BA.4 für 4,2 Prozent der Neuinfektionen verantwortlich ist. BA.5 für 23,7 Prozent. Halten Sie das für realistische Zahlen?

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Ciesek: Die hängen immer ein bisschen hinterher. Das war angegeben für die Kalenderwoche 22. Mittlerweile befinden wir uns in der Kalenderwoche 24. Und was man am RKI-Bericht sieht, ist, dass die Werte sich ungefähr wöchentlich verdoppeln. Und wenn man dann einfach hochrechnet, wird man in Kalenderwoche 23, also letzte Woche, schon einen Anteil von 56 Prozent mit BA.4 und 5 gehabt haben. Aktuell wird der natürlich noch höher sein.

Abwasseruntersuchungen

Wenn man sich dann Abwasseruntersuchungen anschaut aus Nordrhein-Westfalen, das haben wir mit den Kollegen aus Aachen gerade in einer Pressemitteilung veröffentlicht, also wir arbeiten mit den Kollegen schon länger zusammen und machen aus verschiedenen Abwassergebieten Untersuchungen.

Schulmann: Darüber haben wir im Podcast auch schon mal gesprochen, dass das einen ganz guten Einblick über das Infektionsgeschehen ermöglichen kann, das Abwasser genauer zu untersuchen.

Ciesek: Da wurden am 5. Juni Proben genommen, also Ende Kalenderwoche 22, und da war der Anteil von BA.4 und 5 bereits über 50 Prozent. Bei Twitter hat ein Labor aus Süddeutschland, also die den Einzugsbereich in Süddeutschland haben, die Zahlen veröffentlicht. Das ist ein großes Labor, die die Zahlen erheben, und die hatten in Kalenderwoche 22 auch einen Anteil von knapp 31 Prozent, in der Kalenderwoche 23 von 50 Prozent.

Insgesamt muss man sagen, ist da vielleicht ein leichter Verzug von ein, zwei Wochen. Aber man kann sagen, dass irgendwann zwischen KW 22 und 23 BA.4 und 5 auch hier in Deutschland mit über 50 Prozent dominant geworden ist. Und dass das natürlich lokal ein bisschen unterschiedlich sein kann. Deswegen decken sich die Zahlen vielleicht nicht zu 100 Prozent.

Schulmann: Würden Sie sagen, man kann Ihre Untersuchungen auf ganz Deutschland übertragen? Oder kann es sein, dass diese beiden Subtypen in NRW viel weiter verbreitet sind als in anderen Teilen Deutschlands?

Ciesek: Es gibt sicherlich Bereiche in Deutschland, wo das weniger ist, aber es deckt sich ja auch gar nicht so schlecht mit den Zahlen vom RKI, wenn die dann nächste Woche die KW 23 sehen, dass es über 50 Prozent ist. Und es gibt sicherlich lokale Unterschiede. Aber da wir überall den Anstieg sehen, in allen Bundesländern, gehe ich davon aus, dass das doch recht ähnlich ist, die Entwicklung zu BA.5.

Wird zu wenig sequenziert?

Schulmann: Kann man daraus schließen, dass in Deutschland im Moment nicht genug sequenziert wird? Also hätte man mit mehr Sequenzierungen schon eher einen realistischeren Überblick über die Verbreitung von BA.4 und BA.5 haben können?

Ciesek: Das ist eine gute Frage, die schwierig zu beantworten ist. Also laut dem letzten Wochenbericht vom RKI, den Sie auch gerade zitiert haben, werden seit Anfang 2022 nur zwei Prozent der Proben sequenziert. Das ist natürlich sehr wenig, wenn man bedenkt, dass somit 98 Prozent gar nicht sequenziert werden. Das bedeutet vor allen Dingen, dass wir, wenn eine neue Variante entstehen würde, die erst mal sehr leicht übersehen würden.

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(114) Mit BA.4 und BA.5 in den Sommer

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Wenn man bestimmen will, wann ungefähr eine Variante dominant wird, wie jetzt bei BA.5, dann scheinen aber diese zwei Prozent gar nicht so falsch zu sein, sondern auszureichen. Denn die RKI-Zahlen sind ja jetzt nicht komplett anders als die im Abwasserprojekt, was wir mit Aachen zusammen machen, und auch von dem Labor in Bayern nicht so unterschiedlich. Die Frage ist auch, was hat das wirklich für eine Konsequenz, ob jetzt in KW 22 oder 23 BA.5 dominant wurde? Ich glaube, das ist für die Konsequenzen egal. Trotzdem, als Mediziner würde ich natürlich gerne mehr sequenzieren. Ich finde es aus bestimmten anderen Gründen auch relevant.

Therapie mit monoklonalen Antikörpern

Zum Beispiel, wenn es um die Frage einer möglichen Therapie bei den Patienten geht, also welche monoklonalen Antikörper gebe ich dem Patienten? Da gibt es ja Unterschiede, je nach Variante, wie die wirken. Alternativ könnte man Mutations-PCRs machen, die aber nicht mehr bezahlt werden.

Ich finde es auch wichtig, das merken wir gerade für Immunitätsstudien, also wenn Sie Kollektive untersuchen wollen, die zum Beispiel eine BA.2-Infektion hatten, wie sind die jetzt vor BA.5 im Labor geschützt? Dann müssen Sie natürlich genau wissen, welche Variante hatte Ihr Studienteilnehmer? Wenn wir aber nur einen geringen Prozentsatz sequenzieren und die meisten Leute gar nicht wissen, ob sie BA.1, BA.2 oder BA.5 hatten, dann macht das diese Studien einfach schlechter und schwieriger. Das finde ich persönlich halt sehr schade. Wie gesagt, wir würden auch nicht mitbekommen, wenn eine neue Variante entsteht. Wir verlassen uns immer noch sehr auf die anderen Länder, die deutlich mehr sequenzieren.

Schulmann: Warum wird in Deutschland seit Januar weniger sequenziert?

Ciesek: Ich glaube, das war zum großen Teil eine Frage der Auslastung der Labore. Da gab es ja einfach wahnsinnig viele Infektionen oder wir haben seit Omikron ein Vielfaches mehr an positiven PCRs. Das ist ein ganz anderes Verhältnis geworden, als es früher war, also vor Delta oder Omikron. Und ich glaube, das ist auch eine Kapazitätsfrage, dass man es einfach gar nicht schafft.

Also mittlerweile schon, jetzt, wo die Zahlen wieder niedrig sind. Aber als die so hoch waren, hat man das kaum geschafft und dann hat man einfach gesagt: Was ist wichtiger? Da war natürlich die eigentliche PCR wichtiger. Wie gesagt, ich vermisse doch sehr diese Mutations-PCRs, weil die sind schnell und auch kostengünstiger. Da hat man zumindest eine grobe Einschätzung, hat der Patient BA.5 oder BA.2, mit einfachen PCR- Methoden, die ja auch viel schneller sind. Also die Sequenzierung hängt ja auch immer ein oder zwei Wochen hinterher.

Schulmann: Warum wird die Mutations-PCR so selten gemacht?

Fehlende Finanzierung

Ciesek: Weil sie nicht bezahlt wird. Ich glaube, im Februar wurde die Finanzierung eingestellt vom BMG. Wenn Sie das nicht bezahlt bekommen, können Sie es nicht machen. Das ist ganz einfach. Sie müssen ja auch wirtschaftlich arbeiten. Ob das nun ein Privatlabor ist oder ein Universitätslabor. Und wenn Sie das nicht abrechnen können, dann wird das natürlich auch nicht im großen Maßstab gemacht.

Sie könnten es dann natürlich im Rahmen von Forschung machen. Aber da muss man ja auch immer priorisieren. Was mache ich jetzt genau mit dem Geld, was ich für Forschung zur Verfügung gestellt bekomme? Mache ich da Mutations-PCRs oder ein anderes Projekt? Ich glaube, dadurch ist das einfach stark zurückgegangen.

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Grafische Darstellung eines Coronavirus © COLOURBOX Foto: Volodymyr Horbovyy

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Schulmann: Weil Sie es gerade schon gesagt haben, es ist auch für jeden Einzelnen interessant zu wissen, war ich mit BA.2, 4 oder 5 infiziert? Wie lange dauert es jetzt? Wenn wir es hochrechnen, müsste das wahrscheinlich so drei Wochen, vier Wochen dauern, bis alle Infektionen auf BA.5 zurückzuführen sind, oder? Also dass jemand, der infiziert ist, sagen kann, ich habe auf jeden Fall BA.5.

Ciesek: BA.4 steigt ja auch an. Ich glaube, das kann man nie sagen. Es ist auch nicht so, dass es 100 Prozent BA.5 sein wird. Man muss mal gucken, wie sich BA.4 und 5 gegeneinander einpendeln. Aber ich glaube, das wird man sehen. Ich glaube nicht, dass man dann 100 Prozent sicher sein kann, BA.5 zu haben. Gerade im Moment ist die Chance ja eher 50/50, ob man BA.2 oder BA.4, 5 hat und zwischen BA.4 und BA.5 muss es sich auch noch einpendeln. Es wird sich noch zeigen. Der Anteil von BA.4 steigt ja auch und verdoppelt sich wöchentlich.

Keine Angst vor BA.4 und BA.5?

Schulmann: Ende November waren wir ja in einer ganz ähnlichen Situation als Omikron, also BA.1 aufgetaucht ist. Damals haben Sie die Abstriche untersucht, die direkt am Flughafen genommen wurden, um zu gucken, ob jemand möglicherweise mit Omikron infiziert ist. Da ging es ja auch noch darum, die Variante möglicherweise noch komplett zu stoppen. Dieses Mal war die Stimmung rund um die Verbreitung von diesen Sublinien eine ganz andere.

Man hat davon gehört, dass sich BA.4 und 5 in Portugal ausbreiten. Aber ob diese Subtypen nun auch nach Deutschland kommen, das haben die meisten ziemlich locker genommen. Lag das daran, dass es in nur “Subtypen“ von Omikron sind? Oder hat man das bei der Ausbreitung von BA.1 gelernt, dass man es nicht stoppen kann oder nicht verhindern kann, weil die meisten Menschen sowieso wieder so mobil sind wie vor der Pandemie?

Ciesek: Ich denke, beide Punkte sind richtig. Zum einen sind BA.5. und BA.4 nur Subtypen von Omikron und damals war Omikron absolut neu und hat ganz viele Infektionen in Südafrika vorgerufen. Und da hat man sich natürlich Sorgen gemacht, weil man noch nicht wusste, wie die Krankheitsschwere war. Omikron war einfach so anders als Delta, weil sich auch viele wieder infiziert hatten, die geimpft oder genesen waren. Deswegen war man damals doch viel vorsichtiger.

Und ich glaube trotzdem, dass es schwierig ist, mit dem Flugverkehr, mit der Globalisierung, diese Varianten wirklich effektiv aufzuhalten. Das haben wir ja auch schon bei Omikron gesehen, was Sie gerade gesagt haben. Das ist extrem schwer, weil die Leute nicht immer Direktflüge haben. Also wir haben dann natürlich die Flüge aus Südafrika untersucht, was auch ganz schön viele sind, die da in Frankfurt landen. Aber die, die jetzt zum Beispiel über die Drehkreuze Paris oder Amsterdam kommen, die können Sie gar nicht erwischen, wenn die sich nicht selbst melden. Das zu kontrollieren ist, aufgrund der Anzahl der Passagiere unmöglich.

Ich glaube, bei BA.5 ist der Drops gelutscht. Also, ob Sie das jetzt noch kontrollieren, das hat sich schon so ausgebreitet, gerade wenn es auch aus Europa selber kommt. Nach Portugal gibt es ja auch andere Wege als den Flugverkehr, also Bahn oder Autofahrten. Und das kann man nicht kontrollieren. Da muss man nur hoffen, dass, wenn eine Variante kommt, die man gerne kontrollieren würde, dass die Leute mitmachen und zu Hause bleiben oder sich melden. Aber das ist, glaube ich, einfach unrealistisch, das wirklich langfristig zu verhindern, dass das in ein Land kommt.

Schnelltests bei BA.4 und BA.5

Schulmann: Schlagen denn eigentlich die Schnelltests, die wir alle im Handel kaufen können, bei BA.4 und BA.5 an? Ist dazu schon was bekannt?

Ciesek: Ich habe bisher jedenfalls nichts Gegenteiliges wahrgenommen, denn viele unserer Kolleginnen und Kollegen identifizieren sich ja durch einen Schnelltest. Ich habe da bisher nicht wahrgenommen, dass es große Probleme gab und dass nur die PCR positiv wurde. Es ist aber auch schwer zu untersuchen, weil wir im Moment gar nicht wissen, hat die oder der BA.4, BA.5 oder BA.2?

Oder es oft erst im Nachhinein wissen, also nach ein, zwei Wochen. Dann sind die Schnelltests eh nicht mehr positiv. Wie gesagt, ich habe nichts Gegenteiliges wahrgenommen. Ich kann es aber aus eigener Erfahrung gar nicht sagen, weil wir das gar nicht mehr in dem Maße untersuchen können, wie wir das früher gemacht haben.

Schulmann: BA.4 und BA.5 werden ja gerade häufig in einem Atemzug genannt. Liegt das daran, dass sie sich sehr ähnlich sind? Oder auch, weil man BA.4 vielleicht etwas vernachlässigen kann oder viele Leute das vernachlässigen, weil sich abzeichnet, dass sich BA.5 durchsetzen könnte?

Ciesek: Wie gesagt, wie BA.4 und BA.5 zum Schluss gegenüberstehen, das weiß ich noch nicht. Ich denke schon, das BA.4 vielleicht nicht ganz verdrängt wird. Aber es ist so, wie Sie sagen, die haben ähnliche Mutationen im Genom, die eine Relevanz haben, zumindest im Labor, also in In-vitro-Untersuchungen. Deswegen werden die oft in einem Atemzug genannt, weil die ähnliche Eigenschaften haben und ähnliche Probleme machen.

Übertragung der Sublinien

Schulmann: Dann würde ich mit Ihnen gerne die Viren, die beiden Subtypen genauer angucken. Da sind noch drei große Bereiche mit einigen Fragezeichen versehen. Zum einen die Übertragung. Also wird das Virus ansteckender durch die Mutationen, die bei BA.4 und BA.5 vorliegen? Dann der Immune-Escape, können BA.4 und BA.5 unsere Immunantwort nach der Impfung oder nach einer überstandenen Infektion auch umgehen? Und die Pathogenität, also macht das Virus nach einer möglichen Infektion kränker? Diese Punkte würde ich gern mit Ihnen nacheinander durchgehen und bei der Übertragung anfangen.

Viele sagen jetzt schon, die Subtypen sind ansteckender, weil sich der Anteil der Variante auch bei kleinen Fallzahlen in Deutschland von Woche zu Woche verdoppelt hat. Auch durch den Blick nach Portugal, wo die Inzidenz zwischendurch wieder bei 2000 lag. Ist es sicher, dass insbesondere BA.5 eine intrinsische Fitness hat?

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Jemand macht eine Strichliste neben der Abbildung von Viren. © picture alliance, panthermedia Foto: Image Broker

Podcast mit Drosten und Ciesek: Links zu Corona-Studien

Im Podcast Coronavirus-Update mit Christian Drosten und Sandra Ciesek werden viele Studien erwähnt. Hier finden Sie eine Linksammlung. mehr

Ciesek: Was man auf jeden Fall sieht, ist, dass BA.5 und auch BA.4 gegenüber BA.2, das ist ja die Variante, die im Moment oder vor wenigen Wochen vorherrschend war, einen klaren Wachstumsvorteil hat. Das heißt, sie setzt sich langsam durch. Verantwortlich dafür ist unter anderem eine Mutation an Position 452, also im Spike-Protein. Die kennen wir schon, diese Mutation an dieser Stelle, die findet sich weder in BA.1 noch BA.2. Aber in Delta, also in einer Variante, die vor Omikron eine Rolle gespielt hat.

Und Studien konnten zeigen, dass diese Position 452, also Mutationen an dieser Position dazu führen, dass die Infektiosität von dem Virus steigt. Es gibt auch eine Studie, die zeigt, dass diese Mutation dazu führt, dass die Spaltung des Spike-Proteins sowie die Fusogenität erhöht wird. Das heißt, dass die Zellen stärker verschmelzen, also es ist sozusagen ein Maß für den Schaden an den Zellen, die infiziert sind.

Lungengewebe stärker infiziert

Diese Studie konnte auch zeigen, dass wieder Lungengewebe besser infizierbar war. Wir erinnern uns zurück, am Anfang von Omikron, also bei BA.1 und BA.2 war es ja so, dass vor allen Dingen Zellen des oberen Respirationstrakts infizierbar waren und das Lungengewebe nicht ganz so gut. Das scheint sich jetzt durch diese Mutation wieder zu verändern. Generell ist aber der Vergleich der Varianten, also ist jetzt zum Beispiel BA.5 ansteckender oder pathogener als Alpha, als Beta, das wird immer schwieriger zu vergleichen.

Da sich natürlich auch die Bevölkerung verändert, also die Immunität in der Bevölkerung sich natürlich stark verändert hat. Es gibt kaum Möglichkeiten, das in einer naiven Bevölkerung, die noch keinen Kontakt mit dem Virus hatte, die ungeimpft ist, zu vergleichen. Deshalb vergleicht man ja immer eher die Variante, die bis dahin dominierend war. Also BA.2 und BA.5 kann man besser vergleichen als BA.5 und Alpha zum Beispiel, weil da einfach die Gruppen nicht mehr sauber zu trennen sind.

Immunescape der Sublinien

Schulmann: Was kann man über den Immunschutz sagen? Also wie gut schützt eine Impfung oder eine vorangegangene Infektion?

Ciesek: Was wir bei BA.5 auch sehen, das sollte man auf jeden Fall noch erwähnen, sind Mutationen zum Beispiel an Position 486 und 493, die nach ersten Erkenntnissen einen stärkeren Immune-Escape machen, also eine Immunflucht. Das spielt natürlich auch eine Rolle für die Anzahl der Infektionen, weil das bedeutet, dass auch Geimpfte sich wieder mehr infizieren können oder Genesene.

Und wenn das Virus einfach mehr Menschen hat, die wieder empfänglich sind, also die es wieder infizieren kann, ist ja klar, dass auch die Anzahl der Infektionen steigen. Und man geht eigentlich davon aus, dass der Wachstumsvorteil, den diese Varianten haben, wahrscheinlich vor allen Dingen an diesem verstärkten Immune-Escape liegen.

Und wir wissen nach ersten Daten auch, dass eine Infektion mit Omikron BA.1, also die, die im Januar, Februar BA.1 hatten, nicht mehr sicheren Schutz haben vor einer Infektion mit BA.4 und BA.5. Und das waren natürlich sehr, sehr viele, die BA.1 hatten. Deswegen verbreitert oder vergrößert sich wieder der Pool an Menschen, die eine Infektion bekommen haben.

Schulmann: Liegt das daran, dass die Infektion schon länger her ist, oder dass BA.1 doch noch mal ganz anders ist als BA.2?

Ciesek: Es ist eine Mischung. Es liegt nicht nur an der Zeit. Man sieht auch, wenn man die Zeitpunkte so wählt, dass man vier Wochen nach einer BA.1-Infektion schaut, dann sind die Anzahl der neutralisierenden Antikörper, die man gegen BA.5 oder gegen BA.4 hat, geringer als gegen andere Varianten. Und dann spielt aber auch der Faktor Zeit eine Rolle, den Sie erwähnt haben.

Denn wir wissen, dass die neutralisierenden Antikörper in der Regel über die nächsten Wochen und Monate weiter abfallen. Und wenn sie schon von einem niedrigeren Niveau starten, ist klar, dass das mit der Zeit weiter abnimmt, bis es gar keinen Schutz mehr vor Ansteckung gibt.

Schulmann: Wie sieht es mit denjenigen aus, die zum Beispiel im April oder Mai BA.2-infiziert waren? Wie gut sind die jetzt gerade gegen eine Reinfektion mit BA.4 oder5 geschützt?

Ciesek: Das wird gerade untersucht. Da muss man immer ein bisschen abwarten, bis dann wirklich die Infektion ein paar Wochen her ist und dann Blut abnehmen. Das machen wir auch gerade wieder zusammen mit Biontech und untersuchen das. Es gibt erste Modellierungen dazu, die das untersucht haben.

Da sieht es so aus, als wenn der Schutz auch geringer ist, aber besser als bei BA.1. Also das ist natürlich alles sehr vorläufig. Und da fehlen uns aufgrund der Zeitspanne noch valide Daten, um das wirklich sicher zu machen. Aber es sieht ein bisschen besser aus. Aber auch nicht so, dass es vergleichbar ist mit anderen Varianten, so grob kann man das sagen.

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Virensymbole fliegen um die Silhouette einer Person. (Bildmontage) © picture alliance Foto: lamianuovasupermail, stevanovicigor

Coronavirus-Update: Die häufigsten Hörerfragen

In unserem Podcast mit Christian Drosten und Sandra Ciesek beantworten wir Ihre Fragen zum Coronavirus. In dieser Übersicht sehen Sie, in welchen Folgen Sie die Antworten zu den häufigsten Hörerfragen finden. mehr

Schulmann: Wenn wir in dem Zusammenhang mal nach Portugal blicken, wo die Infektionszahl rapide gestiegen ist: Dort hatten vermutlich viele im Winter BA.1, weil die Welle da schon etwas früher begann als bei uns.

BA.2-Infektionen in Deutschland

Hier haben wir in den vergangenen beiden Monaten ja schon viele Ansteckungen mit BA.2 gehabt. Ist das etwas, das bei uns jetzt eine Sommer- oder Frühsommerwelle verhindern könnte?

Ciesek: Ich denke schon. Da ist es natürlich schwer zu spekulieren, weil es rein theoretische Überlegungen sind, genauso mit der Pathogenität. Ich denke schon, dass das im gewissen Maße helfen kann, weil anscheinend ja BA.2-Infektionen etwas besser schützen als BA.1-Infektionen. Weil die natürlich noch nicht so lange zurückliegen, hoffe ich, dass das bei uns diese Welle mehr bremsen kann als das in Portugal der Fall war. Aber wie gesagt, das sind eher theoretische Überlegungen. Einen Beweis oder einen Nachweis dafür habe ich jetzt nicht.

Schulmann: Wie sieht es aus mit dem Schutz durch die Dreifach-Impfung plus eine Infektion mit entweder BA.1 oder BA.2?

Ciesek: Das ist ja auch genau das, was mittlerweile in verschiedenen Publikationen untersucht wurde. Dass dann nicht so hohe neutralisierende Antikörper gemessen werden, die sicher vor einer BA-5-Infektion schützen. Und für BA.2 fehlen, wie gesagt, noch die Daten. Man muss dazu vielleicht mal generell sagen, ich glaube, das ist für den Laien immer schwer nachvollziehbar: Aber das ist mittlerweile gar nicht mehr so leicht zu untersuchen, weil wir mittlerweile so viele verschiedene Impfschemata bei den Menschen haben.

Manche sind zweimal, manche dreimal, manche viermal geimpft, manche mit ganz unterschiedlichen Impfstoffen. Manche haben nur mRNA bekommen, andere sind heterolog geimpft. Und dann waren einige infiziert mit unterschiedlichen Varianten. Oft weiß man gar nicht mehr, welche Variante es war. Es wird immer schwieriger für uns, da saubere Daten zu erheben.

Das ist manchmal auch der Grund, warum Studien nicht 100 Prozent das gleiche Ergebnis bringen, weil neben dem Impfschema, den Abständen zur Impfung, aber auch der Variante, mit der man infiziert war, und das Alter der Patienten da einen großen Einfluss auf die eigentlichen Resultate haben. Und durch den zunehmenden Immune-Escape von BA.5 sehen wir aber auch Infektionen bei zweimal, dreimal, viermal Geimpften. Und ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass die Impfung nicht sicher vor einer Infektion mit BA.5 schützen kann.

Impfung schützt weiter vor schwerem Verlauf

Trotzdem geht man immer noch davon aus, und das ist, glaube ich, das Wichtige, dass die Impfung vor einem schweren Verlauf weiter zuverlässig schützt. Das haben wir ja auch hier im Podcast mehrmals besprochen, dass man das einfach trennen und unterscheiden muss. Und dass für einen Schutz vor schweren Verläufen vor allen Dingen die T-Zell-Antworten entscheidend sind, und die sich eben nicht so stark verändern bei den Varianten wie die Antikörperantworten.

Und ja, die beste Vorbereitung vor einer Infektion ist für mich deshalb, dass man sein Impfschema vervollständigt und sich immer wieder von Zeit zu Zeit informiert, ob eine Auffrischungsimpfung empfohlen wird, wenn man zu einer bestimmten Gruppe gehört.

Schulmann: Um noch mal bei der Auffrischungsimpfung zu bleiben. Seit einiger Zeit wird von den Impfstoffherstellern nun auch ein angepasster Impfstoff versprochen. Dazu liegen aber noch keine klinischen Daten vor. Dieser Impfstoff, der ist ja auch nur an BA.1 angepasst und nicht an BA.2, geschweige denn BA.4 und 5.

Zweite Auffrischimpfung

Jetzt stehen ja viele ältere Menschen und Menschen aus Risikogruppen vor der Entscheidung eine zweite Auffrischungsimpfung mit dem Impfstoff zu nehmen, der gerade da ist, angesichts der wieder steigenden Fallzahlen, oder auf den angepassten Impfstoff warten. Was raten Sie in so einem Fall?

Ciesek: Da hat die Stiko eigentlich ziemlich klare Empfehlungen ausgesprochen. Und vielleicht können wir die hier noch mal wiederholen. Die Stiko empfiehlt Erwachsenen und Kindern ab zwölf Jahren zwei Impfungen als Grundimmunisierung sowie eine Auffrischungsimpfung, also drei Impfungen. Bei den über 70-Jährigen werden insgesamt zwei Auffrischungsimpfungen empfohlen. Also in der Regel sind das dann vier Impfungen.

Und bei Personen, die irgendeine Art von Immunschwäche haben, weil sie zum Beispiel Medikament nehmen, weil sie eine Erkrankung haben, die das Immunsystem hemmt, da wird generell schon ab fünf Jahren zwei Auffrischungsimpfungen, also insgesamt vier Impfungen empfohlen. Bei medizinischem Personal mit hoher Exposition, das heißt, wenn jemand auf einer Covid-Station arbeitet oder aber, wenn er auf einer Station arbeitet, wo sehr geschwächte Patienten liegen, zum Beispiel auf einer Krebsstation, denen wird auch geraten, sich eine zweite Auffrischung geben zu lassen, also insgesamt vier Impfungen in der Regel.

Und ich denke, insbesondere die Älteren und die Gruppe der Immunsupprimierten, die sollten sich wirklich an diese Empfehlung halten oder diesen Empfehlungen folgen und nicht auf einen Impfstoff warten, wo nicht mal 100 Prozent klar ist, wann der kommt und was der dann auch kann. Und alle anderen, also alle, die unter 70 sind, nicht im Krankenhaus arbeiten und gesund sind, die brauchen laut Stiko erst einmal nur eine Auffrischungsimpfung, also insgesamt drei Impfungen.

Für einen generellen zweiten Booster gibt es derzeit keine ausreichenden Daten. Das heißt aber nicht, dass das für immer gilt. Das ist immer ein Missverständnis. Das heißt, jetzt im Sommer für den Sommerurlaub braucht sich ein gesunder 30-Jähriger meines Erachtens nicht eine vierte Impfung geben lassen.

Mögliche Änderung im Herbst

Aber das kann sich natürlich im Herbst ändern, gerade wenn dann ein anderer Impfstoff kommt oder wenn die Zahlen wieder stark ansteigen und die Immunität weiter abgenommen hat. Und dann kann es sein, dass es wieder für alle Erwachsenen oder alle über zwölf Empfehlungen gibt. Was auch immer. Ich selbst empfehle das eigentlich genauso, wie die Stiko es vorgibt. Das Einzige, wo ich manchmal überlege, ist, wenn jetzt jemand über 50 oder über 60 ist und eine schwere Grunderkrankung hat, also wirklich eine schwere COPD, also eine Lungenerkrankung, chronische Bronchitis oder eine schwere kardiale Erkrankung.

Dann kann man als Einzelfallentscheidung natürlich auch diskutieren, dass da eine zweite Auffrischung sinnvoll ist, weil man einfach erwartet, dass der Verlauf dann doch nicht angenehm oder sogar sehr schwer wäre. Aber im Grunde genommen, wie gesagt, das sind die Stiko-Empfehlungen. Die sind vernünftig und man sollte sich daran halten.

Schulmann: Ich würde das Thema Impfen jetzt ganz gern hinter uns lassen und nicht mehr weiter vertiefen.

Pathogenität von BA.4 und BA.5

In Sachen BA.4 und BA.5 steht jetzt noch das Themenfeld Pathogenität aus. Also machen diese Subtypen kränker? Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten hatte Mitte Mai verlauten lassen, derzeit gibt es keinen Hinweis auf eine Änderung des Schweregrades für BA.4, BA.5 im Vergleich zu früheren Omikron-Varianten. Diese Welle mit den beiden Sublinien ist in Südafrika auch relativ klein geblieben. Und es gab dort wenige schwere Verläufe, habe ich gelesen.

In Portugal sah das anders aus. Dort wurde auch wieder eine höhere Zahl an Todesfällen berichtet. Heißt das, dass die Sublinien jetzt doch kränker machen? Sie haben eben schon von einem neuen Eintrittsweg in die Zelle gesprochen. Oder heißt das einfach, die Infektionszahlen steigen, also steigt auch die Zahl der Todesfälle?

Ciesek: Das ist etwas, was man abschließend noch nicht sagen kann. Das ist einfach nicht geklärt. Und in Portugal kam es, wie Sie gesagt haben, zum Anstieg der Todesfälle. Aber hier wird vermutet, dass es sich besonders um ältere Patienten handelt, deren dritte Impfung schon lange her war und dass die noch keine vierte Impfung hatten. Es ist auch immer sehr schwer, aus der Ferne in einem anderen Land die Situation genau zu verstehen.

Mir ist zum Beispiel auch nicht klar, wie genau die ihre Zahlen zu den Todesfällen erheben. Also ist die Ursache diese Infektion gewesen? Wie zählen die diese Todesfälle? Und auch insgesamt sind die Todesfälle in Portugal zum Glück nicht vergleichbar mit der Anzahl der Todesfälle in der Delta-Welle in Portugal im Winter 21. Ich halte es aber für möglich, dass BA.5 auch wieder ein wenig pathogener sein könnte.

Eintrittsrezeptor TMPRSS2

Ich denke, wie gesagt, das ist einfach abschließend nicht geklärt, weil anders als BA.1, was ja endosomal in die Zelle gelangt, wieder mehr über diesen Eintrittsrezeptor TMPRSS2 in die Zelle aufgenommen wird und dadurch gegebenenfalls wieder mehr in Lungenzellen zu einer Infektion führen kann. Also theoretisch ist die Überlegung möglich. Oder man kann sehr gut wissenschaftlich nachvollziehen, dass es eine vermehrte Pathogenität gibt und auch diese vermehrte Fusogenität, über die wir gesprochen hatten, also das vermehrte Verschmelzen von Zellen, könnte dafür sprechen.

Aber da gilt auch wieder, es ist sehr schwer zu vergleichen. Also zu sagen: BA.5 ist so pathogen wie Alpha. Das ist kaum möglich, anhand der Daten der Patienten zu vergleichen, weil die Immunität in der Bevölkerung eine komplett andere ist. Also die vergleichen dann Äpfel mit Birnen, also ungeimpfte Personen, mit vielleicht geimpften oder mehrmals genesenen Personen. Und das ist einfach gar nicht mehr so leicht zu untersuchen. Es ist theoretisch von den Überlegungen und den Mutationen gut vorstellbar, dass da die Pathogenität ein wenig angestiegen ist. Es wird aber schwer, das genau festzulegen, wie viel das ist oder ob es so ist. Und das ist einfach abschließend auch noch nicht geklärt.

Schulmann: Es kommt auch dieses Mal, wie so oft, auf das Zusammenspiel verschiedener Faktoren an. Zusammengefasst kann man sagen, BA.4 und BA.5 sind vermutlich schon dominierend oder sind es bald, sind ansteckender und entkommen auch der Immunantwort des Körpers besser. Und ob sie kränker machen als andere Omikron-Varianten, das ist weiterhin nicht abschließend geklärt.

Ciesek: Genau. Und vielleicht kann man noch sagen, ob sie kränker machen in der aktuellen Situation mit der mittlerweile bestehenden Immunität in der Bevölkerung, das ist nicht geklärt. Und ich hoffe, dass es nicht so ist.

Aktuell steigende Infektionszahl

Schulmann: Die aktuelle Lage, also der Anstieg der Infektionszahlen gerade bei uns in Deutschland, ist aber auch nicht nur abhängig von BA.5 und B A4. Da spielen auch noch andere Faktoren rein. Sie haben vorhin schon die Testkapazitäten genannt oder die Anzahl der durchgeführten Tests. Welche Gründe gibt es noch für so viele Infektionen, die wir gerade erleben?

Sommereffekt

Eigentlich hatten wir ja schon mit dem vielbesprochenen Sommereffekt gerechnet oder auf den gehofft. Aber der scheint ja jetzt eher auszubleiben.

Ciesek: Ja, ausbleiben nicht. Also wir haben zum Beispiel auf den Intensivstationen im Moment nicht so viele Patienten, wenn man das mit den vorherigen Wellen vergleicht. Ich glaube, wenn jetzt kein Sommer wäre und BA.5 kommen würde, dann wären die Zahlen noch deutlich höher. Also ich würde sagen, der hat einen gewissen Anteil, der Saisonalitätseffekt. Aber der kann nicht komplett gegenhalten gegen BA.5, deshalb sehen wir einen Anstieg.

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Zwei Ärztinnen und ein Arzt gehen auf einem Krankenhausflur entlang © panthermedia Foto: Kzenon

Coronavirus-Blog: Schutzverordnungen der Länder laufen aus

In Krankenhäusern und Pflegeheimen müssen künftig nur noch Besucher Maske tragen, die Testpflicht entfällt. Die Corona-News des Tages - letztmalig im Blog. mehr

Und wir haben ja auch eigentlich praktisch keine Maßnahmen mehr, die die Ausbreitung irgendwie verhindern könnten. Ich denke, dadurch steigen die Zahlen an. Das liegt vor allen Dingen an BA.5. Und die werden auch noch weiter ansteigen, bis BA.5 halt sein Maximum erreicht hat. Ich denke schon, dass der Anstieg noch stärker wäre, wenn wir im Herbst wären. Und ich fürchte, dass wir das dann auch im Herbst/Winter sehen werden.

Maßnahmen

Schulmann: Was folgt für die aktuelle Situation daraus? Maßnahmen gibt es, wie Sie gesagt haben, fast keine mehr, außer in öffentlichen Verkehrsmitteln. Brauchen wir jetzt wieder welche? Oder sind wir in Sachen Bevölkerungsimmunität so weit, dass wir sagen können, diese Welle, wenn sie sich zu einer Welle entwickeln sollte, läuft durch, und der bisher gewonnene Schutz ist hoch genug und wir brauchen zurzeit keine Maßnahmen mehr?

Ciesek: Das ist eine schwierige Frage. Wenn man Maßnahmen einsetzen will, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, also das verhindern will, dann denke ich nicht, dass man derzeit stärkere Maßnahmen braucht. Denn davon sind wir, wie gesagt, weit entfernt. Schaut man sich die Zahl der Menschen an, die mit Covid-19 auf Intensivstationen liegen, also im letzten RKI-Wochenbericht von gestern, wird die Zahl mit knapp 700 angegeben. Das waren zum Beispiel im November noch knapp 5000. Und das ist natürlich ein wahnsinniger Unterschied. Und das ist nicht das Problem. Probleme gibt es eher volkswirtschaftlich.

Ausfall von Arbeitnehmern

Wenn viele Arbeitnehmer wochenlang ausfallen und gleichzeitig krank werden, kann es schon in bestimmten Bereichen einfach eng werden. Wenn ich mal wieder als Beispiel mein eigenes Arbeitsumfeld nehme, also mein Labor, dann könnte ich, wenn eine bestimmte Anzahl von von Arbeitnehmern ausfallen gar nicht mehr die gesamte Diagnostik in der Breite und vor allen Dingen in der Schnelle abbilden. Also kann ich nicht mehr so häufig die Tests machen und vielleicht auch nicht alle.

Das sind schon Probleme, die auf einen zukommen könnten. Und wenn man sich selbst schützen will, weil man sich nicht infizieren will, dann gelten immer noch die gleichen Regeln, die uns ja alle seit über zwei Jahren bekannt sind. Daran hat sich eigentlich auch nichts geändert.

Schulmann: Jetzt bleibt noch die große Frage: Geht das jetzt immer so weiter mit immer neuen Varianten? Sie und auch Christian Drosten haben hier im Podcast immer wieder betont, dass wir uns alle irgendwann mehrmals mit dem Virus anstecken müssen, um so viel Schutz und auch eine Schleimhautimmunität aufzubauen, dass Covid bald einfach wirklich nur noch ein kleiner Schnupfen ist.

Aber jetzt ändert sich das ja auch oder wir sehen eine Immunflucht-Variante oder eine Sublinie nach der nächsten. Und eine Infektion mit einer vorherigen Variante schützt nicht mehr so gut vor der neuen wie erhofft. Dann geht es doch eher von der breiteren Immunität weg. Ist das dann nicht eher schädlich, sich mehrmals zu infizieren, auch im Hinblick auf Long Covid?

Ciesek: Das ist natürlich die große Frage: Wie geht es weiter? Die kann, wenn man mal ehrlich ist, niemand beantworten. So unbefriedigend das auch ist. Ich erinnere mich immer noch, dass vor wenigen Monaten noch von verschiedenen Leuten behauptet wurde, dass Varianten immer milder werden. Ich denke, dass das zwangsweise nicht so ist, sondern einfach zufällig ist, wie die Varianten entstehen. Das sehen wir ja gerade aktuell.

Trotzdem hat sich aber die Situation oder unsere aller Situation ja stetig verbessert. Wir haben Impfstoffe, wir haben antivirale Medikamente, wir haben diese monoklonalen Antikörper. Und selbst wenn eine Variante ein wenig pathogener ist als BA.1, also wenn sich das bei BA.5 bewahrheiten sollte, dann kann sie zum Glück weniger Schaden anrichten, als sie das noch vor zwei Jahren konnte.

Und was als Nächstes kommt ist unbekannt. Aber insgesamt zeigt sich, dass die Modelle in dem Sinne recht haben, die vorausgesagt haben, dass es wahrscheinlich noch eine ganze Weile dauern wird, bis sich die die Situation an sich beruhigt und das Virus nicht mehr so häufig mutiert.

Schnelleres Impfstoff-Update

Ich denke, hier ist ein ganz entscheidender Punkt, und das muss man wahrscheinlich noch häufiger ansprechen, dass wir schneller ein Update des Impfstoffs brauchen, wenn es neue Varianten gibt. Und das vielleicht so ähnlich wie bei der Influenza, wo man jedes Jahr schaut, welche Varianten zirkulieren und welche kommen dann in den Impfstoff als polyvalenten Impfstoff, also mehrere zusammen.

Schulmann: Wo der Impfstoff nicht jedes Jahr neu zugelassen werden muss, sondern der Impfstoff an sich zugelassen ist, aber immer upgedatet wird.

Ciesek: Genau. Es ist natürlich die Aufgabe der regulatorischen Behörden zu prüfen, was ist wirklich notwendig, um ein Update zuzulassen? Also brauchen wir dafür wirklich eine komplette klinische Studie? Das wird dann wieder so, wie wir jetzt sehen, ein halbes, Dreivierteljahr dauern, und dann kommt schon wieder die Variante zwei und drei danach. Eine Anpassung der Sequenz, das wissen wir ja mittlerweile, dauert nur wenige Wochen.

Ich glaube, da muss dringend darüber diskutiert werden, wie man damit umgehen will, um nicht immer hinterherzulaufen. Und ich denke, durch Impfungen und Medikamente hat sich die Zahl der Menschen, die an Covid schwer erkranken, entscheidend reduziert. Trotzdem aber, und das haben wir jetzt noch gar nicht besprochen, bleibt natürlich Long Covid ein wirklich ernst zu nehmendes Risiko, was wir bisher einfach nicht genug verstehen und auch nicht behandeln können.

Selbstschutz vor Infektion und Reinfektion

Deshalb ist es meines Erachtens eine gute Idee, dass man selbst versucht, eine Infektion oder auch eine Reinfektion für die, die es durchgemacht haben, zu vermeiden. Besonders, wenn die Infektionszahlen sehr hoch sind. Und dazu sollte man, wie eben besprochen, seinen Impfstatus nach den aktuellen Empfehlungen anpassen.

Also wer noch keinen Booster hat, sollte das tun oder auch freiwillig Maske tragen in schlecht belüfteten Räumen. Und gerade, wenn die Infektionen hoch sind, einfach wirklich ein bisschen vorsichtig sein, um möglichst einer Infektion aus dem Weg zu gehen.

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Viele Fragezeichen um einen Kopf. © picture alliance Foto: Sergey Nivens

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Schulmann: Ich würde zum Schluss gern noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, für das Sie hier quasi bei uns als Doppel-Expertin sitzen.

Hepatitisfälle bei Kindern und Zusammenhang mit Corona

Sie sind ja nicht nur Professorin für Virologie, sondern auch Gastroenterologin und damit ja auch Expertin für Hepatitis. Und wir wollen daher heute noch über Hepatitis bei Kindern und den Zusammenhang mit Corona sprechen. Im Februar haben britische Gesundheitsbehörden eine ungewöhnliche Häufung von Hepatitis-Fällen bei Kindern gemeldet.

Seitdem sind Fälle auch in anderen Ländern aufgetreten, also bis Anfang Juni waren etwa 400 Kinder in Europa im Alter von wenigen Monaten bis 16 Jahren betroffen. Vielleicht können wir erst mal ganz niedrigschwellig damit anfangen, was eine Hepatitis eigentlich genau ist. Also eine Entzündung der Leber. Aber was passiert da genau?

Ciesek: Hepatitis bedeutet erst mal, wie Sie sagen, eine Entzündung in der Leber oder den Leberzellen. Das kann verschieden schwer verlaufen. Wir kennen eine Hepatitis, die eigentlich gar keine Symptome macht und asymptomatisch verläuft, wo der Patient nichts merkt und man nur im Labor erhöhte Leberwerte messen kann, bis zu einer schweren Hepatitis, die zum Leberversagen führen kann. Also dass das gesamte Organ kaputtgeht und nicht mehr funktionsfähig ist.

Und man sieht, dass bei einer Hepatitis die Leberzellen zugrunde gehen, also die gehen kaputt. Und dann werden verschiedene Enzyme aus diesen Leberzellen freigesetzt. Das sind GOT und GPT. Das kennen vielleicht viele, wenn sie mal beim Hausarzt Leberwerte bestimmt haben. Die sind dann erhöht. Und irgendwann, wenn der Schaden zu groß ist, also wenn zu viel Lebergewebe zerstört wird, dann hat das einen Einfluss auf die Funktion der Leber.

Funktion der Leber

Was macht die Leber eigentlich? Dazu muss man vielleicht erklären, sie ist vor allen Dingen ein Entgiftungsorgan. Das heißt, Giftstoffe werden von ihr in unschädliche Stoffe umgewandelt und dann ausgeschieden. Ein Beispiel ist Ammoniak. Ammoniak fällt im Körper an, wird dann umgewandelt in ungiftigen Harnstoff und wird sozusagen unschädlich gemacht. Oder auch der Alkohol, das kennen viele auch. Das ist natürlich ein Giftstoff für den Körper, den macht die Leber unschädlich und scheidet ihn aus.

Und wenn die Leber so stark entzündet ist, dass die Funktion der Leber nicht aufrechterhalten werden kann, führt das dazu, dass diese Entgiftungsfunktion nicht mehr funktioniert und zum Beispiel das Ammoniak im Körper ansteigt. Und das führt dann, je nachdem, wie hoch das ist, im schlimmsten Fall dazu, dass man ins Koma fällt und auch versterben kann. Die Leber ist aber auch ein Stoffwechselorgan. Das heißt, die speichert in ihren Zellen verschiedene Stoffe, Zucker, Fette, Proteine oder Vitamine.

Sie produziert auch eine Menge, zum Beispiel Gerinnungsfaktoren. Die sind ja wichtig für die Blutgerinnung. Also wenn man eine Verletzung hat, dass es aufhört zu bluten, da spielt die Gerinnung eine entscheidende Rolle. Die Stoffe, die dafür zuständig sind, werden sehr, sehr viel in der Leber produziert. Und wenn das nicht mehr geht, weil die Leber das nicht mehr leisten kann, weil sie so geschädigt ist, dann ist ein weiteres Symptom zum Beispiel, dass es zu spontanen Blutungen kommt. Der Quick-Wert, der wird ja oft auch beim Hausarzt gemessen, um zu sehen, wie ist die Blutgerinnung, der ist dann ganz niedrig.

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Die Menschen können im schlimmsten Fall stark bluten oder sogar verbluten, wenn es größere Blutungen sind. Und sie produziert Albumin. Das ist auch ein Protein für den Transport von Fetten oder Hormonen im Blut. Wenn das nicht mehr ausreichend produziert wird, dann fällt der sogenannte kolloidosmotische Druck im Blutplasma. Das führt dazu, dass Wasser nicht mehr im Gefäßsystem gehalten werden kann und dass das ins Gewebe übertritt oder dass man Ödeme bekommt, ein Pleuraerguss bekommt, also Wasseransammlungen im Körper.

Gelbfärbung

Was vielen als Erstes auffällt, bei einer schweren akuten Hepatitis, ist, dass sich die Augen oder die Haut gelb verfärbt, der sogenannte Ikterus. Diese Gelbfärbung, dafür ist das Bilirubin verantwortlich. Und das ist auch ein Farbstoff, der beim Abbau von roten Blutkörperchen, also auch bei der Entgiftungsfunktion sozusagen eine Rolle spielt. Und der wird normalerweise dann ausgeschieden über den Stuhl und Urin. Und wenn die Leber gestört ist, dann ist das nicht mehr möglich, dieser Abbauweg, und das Bilirubin lagert sich ab in den Augen, in der Haut. Das sieht man zuerst in den Augen. Das ist so dieses typische Bild eines leberkranken Patienten, die gelbgefärbten Skleren, also der weiße Anteil in den Augen ist gelb, und wenn es noch ausgeprägter ist, kann sich die gesamte Haut gelb verfärben.

Schulmann: Welche Ursachen kann eine Hepatitis bei Kindern haben?

Ciesek: Ganz viele. Also nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen gibt es ganz, ganz viele Ursachen, die man alle ausschließen muss. Also das ist eine sehr breite Diagnostik, die dazugehört. Zum Beispiel Stoffwechselerkrankungen. Es gibt so Kupfererkrankungen, also Kupferspeichererkrankung, Eisenspeichererkrankung. Hämochromatose haben vielleicht schon mal einige der Hörer gehört. Da lagern sich diese Stoffe im Körper ab und führen zu Symptomen und auch zu einer Schädigung der Leber.

Dann gibt es Autoimmunerkrankungen der Leber. Das haben wir häufiger besprochen, Autoimmunerkrankungen, wo sich der Körper gegen eigene Strukturen des eigenen Körpers richtet. Das ist ein großes Gebiet in der Hepatologie, diese Autoimmunerkrankungen gibt es auch schon bei Kindern. Eine große Rolle spielen Toxine, also Giftstoffe wie zum Beispiel Drogen, Alkohol ist ein Toxin, aber auch Medikamente wie zum Beispiel Paracetamol ist ein Lebertoxin.

Und Knollenblätterpilze sind ein Toxin, die zum akuten Leberversagen führen. Das haben wir jedes Jahr in der Hepatologie im Herbst, wenn die Menschen Pilze sammeln gehen und sich nicht gut auskennen, dass sie dann fälschlicherweise Knollenblätterpilze sammeln und verzehren. Und leider gibt es dadurch jedes Jahr akute Leberversagen in Deutschland, weil es wohl in Osteuropa einen Pilz gibt, der so ähnlich aussieht, der aber essbar ist. Und dadurch gibt es, wie gesagt, eigentlich jede Saison dadurch bedingte Leberversagen.

Viruserkrankungen

Dann spielen natürlich Viruserkrankungen eine große Rolle, also die berühmten Hepatitis-Viren, Hepatitis A, B, C, D, E. Die können alle eine Hepatitis auslösen, aber auch andere Viren, die oft vergessen werden, die Herpes-Virenfamilie, also Cytomegalievirus, CMV, oder EBV, das Epstein-Barr-Virus. Die können auch klassischerweise eine Hepatitis verursachen, gerade bei Kindern, weil das ja oft die Erstdiagnose ist oder die erste Infektion im Kindes- oder Jugendalter stattfindet.

Und dann gibt es noch seltenere Ursachen wie eine Thrombose der Lebervenen. Das nennt man Budd-Chiari-Syndrom. Aber das ist dann wirklich Spezialdiagnostik und selten. Wenn Sie in der Hepatologie sind, ist das oft gar nicht so einfach. Also Sie nehmen den Menschen ganz viel Blut ab, machen ganz viele Untersuchungen und oft ist es gar nicht so leicht zu finden, was eigentlich die Ursache ist. Ich habe das den Patienten damals immer so erklärt, dass das manchmal wie ein Unfall mit Fahrerflucht ist.

Das heißt, der Auslöser der Hepatitis ist zum Zeitpunkt der eigentlichen Hepatitis oder des Leberschadens schon gar nicht mehr nachweisbar, sondern die abgelaufene Immunreaktion oder die dadurch ausgelöste Immunreaktion führt dazu, dass die Leber einen Schaden nimmt. Manchmal hilft dann da zum Beispiel auch weiter, eine Probe aus der Leber zu nehmen.

Schulmann: Und bei den Hepatitis-Fällen der Kinder, die ich eben schon angesprochen habe, da geht man ja davon aus, dass sie in Kombination mit einer anderen Viruserkrankung entstanden sein könnten.

Rolle der Adenoviren

Da sind Adenoviren im Gespräch. Bestätigt ist das aber wohl noch nicht. Halten Sie das für eine wahrscheinliche Ursache?

Ciesek: Das ist schwierig. Es gibt Argumente für und gegen diese Theorie. Dafür spricht, dass bei sehr vielen Kindern Adenoviren zum Zeitpunkt der Hepatitis gefunden wurden, also da gibt es auch genau veröffentliche Zahlen, das ist schon viel. Aber man weiß nicht, wie häufig man das bei Kindern im gleichen Zeitraum ohne Hepatitis gefunden hätte. Da fehlt sozusagen die Kontrolle. Und dagegenspricht als zumindest alleinige direkte Ursache, das in den Lebern selbst, also einige der Kinder mussten lebertransplantiert werden, dann kann man das ja untersuchen, oder man hat eine Leberbiopsie, eine kleine Probe genommen, dass man da gar keine Adenoviren gefunden hat.

Das spricht ein bisschen dagegen, dass die Adenoviren diesen Leberschaden direkt auslösen. Und aus meiner Erfahrung als Hepatologe ist das auch nicht die Regel. Also es gibt zwar ganz seltene Fallbeschreibungen, dass Adenoviren eine schwere Hepatitis mit Leberversagen auslösen können. Das sind aber dann eher Einzelfälle gewesen von sehr schwerkranken Kindern, die vorerkrankt waren.

Aber dass Adenoviren jetzt klassischerweise eine Hepatitis auslösen oder ein Leberversagen ist eigentlich nicht bekannt. In Zusammenschau, wenn man sich die Befunde anschaut, die es im Moment gibt, klingt das eher so, als wäre das auch ein immunvermittelter Leberschaden bei den Kindern. Also nicht, dass das ein Virus direkt auslöst, sondern die Immunreaktion auf dieses Virus oder auf verschiedene Viren, die dann eine Reaktion in der Leber auslösen, die zu diesem Leberschaden führt. Und das kennen wir auch von anderen Viren. Also das ist jetzt nicht typisch für Adenoviren.

SARS-CoV-2 und andere Viruserkrankungen

Es kann natürlich auch sein, dass es eine Infektion mit zum Beispiel SARS-CoV-2 plus anderen Viren ist. Also bei den Kindern, bei den ersten Fallbeschreibungen, die auch veröffentlicht wurden, wurden ja ganz viele Viren gefunden, also Noroviren, also Durchfallerkrankungen. Es kann schon sein, dass SARS-CoV-2 in Kombination mit Adenoviren oder auch andere Konstellation dazu führen, dass dann eine Immunreaktion ausgelöst wird, die sich gegen die Leber richtet.

Und mir ist besonders unklar, warum das lokal so unterschiedlich ist. Also es gibt in Deutschland kaum Fälle. Aber in Großbritannien gab es schon ein deutliches Signal, was über den zu erwartenden Fällen war. Dazu muss man sagen, es gibt immer akute Leberversagen, auch bei Kindern. Das ist jetzt nicht so, dass das sonst nie auftritt, sondern Sie haben immer eine gewisse Anzahl, wo nicht klar ist, was die Diagnose ist und wo es dazu kommt, ohne dass Sie eine Ursache finden, also der Unfall mit Fahrerflucht.

Und das ist halt die Frage: Ist das jetzt mehr als in den letzten Jahren? Das scheint zumindest in Großbritannien doch ein eindeutiges Signal gewesen zu sein. Hier in Deutschland haben wir das zum Glück bisher in der Häufung nicht gesehen. Und es betrifft ja auch vor allen Dingen die Gruppe unter fünf, also kleine Kinder, wo auch mir unklar ist, warum es gerade die trifft und nicht ältere. Also warum gerade die Unter-Fünfjährigen?

Man muss sagen, das wird ja auch gerne gesagt, das sei die Impfung. Das spricht nicht dafür, denn in dieser Altersgruppe sind natürlich die wenigsten Kinder überhaupt geimpft. Und deshalb, muss man sagen, ist die Ursachenfindung eigentlich noch völlig offen. Und das ist auch wichtig, dass man sich da nicht zu früh festlegt, weil man sonst den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Wenn man jetzt sagt: "Oh, das sind die Adenoviren". Oder: "Oh, das ist auf jeden Fall SARS-CoV-2". Dann kann es sein, dass Sie das eigentliche Problem oder die eigentlichen Auslöser gar nicht erkennen und damit mehr schaden als nutzen.

Schulmann: Sie haben es gerade schon angesprochen, SARS-CoV-2 wird auch als mögliche Ursache diskutiert. Da ist jetzt gerade vor ein paar Tagen eine Studie aus Israel zu Leberschäden bei Kindern erschienen. Die wird in den Medien und auch in sozialen Netzwerken viel besprochen. Diese Studie hat schon im Titel die Worte "Long Covid".

Und in dieser Studie werden fünf Fälle beschrieben von Schäden der Leber und der Gallengänge bei Kleinkindern. Die hatten vorher alle nachweislich eine Covid-19-Infektion durchgemacht. Aber wir haben ja auch hier in zwei Jahren Podcast schon gelernt, bei einer so kleinen Fallzahl werden wir lieber erst mal misstrauisch. Oder?

Ciesek: Ja, nicht nur das. Die Studie habe ich mir näher angeschaut. Und man muss sagen, das ist keine Studie in dem Sinne, sondern es sind retrospektive Fallberichte. Es wurden fünf Fälle genommen und nicht standardisierte Daten erhoben, sondern einfach die Daten, die da waren, ausgewertet und die klinischen Verläufe zusammengesammelt. Das fängt halt mit der Anzahl an. Das stimmt, fünf Fälle ist sehr, sehr wenig.

Heterogene Patientengruppe

Insbesondere, wenn man bedenkt, dass die Gruppe, die da beschrieben wird, auch heterogen ist, also die Patienten. Es gibt zum Beispiel zwei Säuglinge darunter, die sind drei und fünf Monate alt, die werden in die gleiche Gruppe geschmissen wie ein Jugendlicher, der 13 Jahre alt ist. Und die werden zusammen präsentiert, obwohl es in den Altersgruppen sehr unterschiedliche Aspekte und mögliche Ursachen für ein Leberversagen geben kann.

Dann sind die Fälle aus dem Jahr 2020, 2021 also deutlich vor diesen Beschreibungen, die jetzt aktuell zirkulieren. Die waren ja, wie Sie gesagt hatten, 22. Und dann ist auch nicht klar, ob die Fälle 2020 und 2021, das ist ja eine israelische Studie, eigentlich über den zu erwartenden Fällen lag oder ob das die Fälle sind, die sie eh in der Frequenz erwartet hätten.

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Sie sind auch nicht genau vergleichbar mit den Fällen in Großbritannien. Da waren die Kinder, wie gesagt, unter fünf Jahre, und die meisten waren zwei bis drei Jahre, also Kleinkinder. Die hier vorgestellten Kinder in den Fällen waren einmal Säuglinge, drei und fünf Monate, und auf der anderen Seite acht und 13 Jahre alt, also deutlich über diesen fünf Jahren.

Unterschiedliche Behandlung

Und dann war auch die Klinik unterschiedlich. Also die Kleinen haben eine Lebertransplantation bekommen, die älteren Kinder Steroide. Und was auch noch dazukommt, ist der zeitliche Verlauf. Also es gab ein Kind, das hatte gleichzeitig mit der SARS-CoV-2-Infektion eine Hepatitis und das andere vier Monate oder über vier Monate danach. Da ist die Frage, ist das wirklich der gleiche Pathomechanismus, wenn das so unterschiedlich ist?

Und was mich am meisten gestört hat, war, dass die beiden Säuglinge, bei denen hatte man die IgG-Antikörper gegen SARS-CoV-2 nachgewiesen. Das steht in der Publikation. Und da ist gar nicht klar, erstens ist es das Spike oder Nukleokapsid-Antikörper? Und wir wissen ja, dass Nukleokapsid ein Nachweis ist für eine durchgemachte Infektion ist, Spike aber auch bei einer Impfung positiv werden kann oder nachweisbar werden kann.

Jetzt werden Sie sagen, aber in dem Alter ist doch niemand geimpft. Ja, aber die Mutter ist vielleicht geimpft gewesen und stillt vielleicht ihr Kind. Und dann entsteht natürlich ein Nestschutz. Es ist überhaupt nicht diskutiert oder klar, wie der Status der Mutter war, ob die eine Infektion durchgemacht hat, ob die geimpft war und die Säuglinge vielleicht einfach Nestschutz hatten.

Virologische Testungen

Auch die virologischen Testungen sind, weil es Retrospektiven sind, nicht einheitlich. Zum Beispiel wurde bei den gesamten Kindern, gerade bei den Älteren, eine Hepatitis-E-Infektion nicht ausgeschlossen. Und eine Hepatitis-E-Infektion kann natürlich auch mal selten eine schwere Hepatitis machen. Und ja, auch andere Sachen wie diese Eisenspeichererkrankung wurde zum Beispiel gar nicht untersucht. Insgesamt ist das eine schwierige Fallbericht-Sammlung, die mir nicht wirklich weiterhilft in dieser Abklärung der eigentlichen Frage.

Also der Titel ist eigentlich, wenn man ehrlich ist, irreführend. Eigentlich hätte man sich gewünscht, dass vor so einer Veröffentlichung der Reviewer und auch das Journal das unterbindet und sagt: "Wir brauchen da einen anderen Titel, weil es gibt überhaupt keinen Beweis in dieser Studie, dass die SARS-CoV-2-Infektion etwas mit der Hepatitis zu tun hat". Es ist einfach, wie gesagt, eine recht willkürlich wirkende Zusammenstellung von Fällen.

Und es wird auch gar nicht erklärt, warum genau diese fünf Fälle ausgesucht wurden. Also waren das einfach alle Fälle, die sie hatten, mit einer Hepatitis unter 18 oder unter 16? Oder waren das alle, bei denen sie irgendetwas mit SARS-CoV-2-Antikörpern gefunden haben? Wie viele Kinder hatten eigentlich eine Hepatitis in diesem Jahr? Das wird alles gar nicht erwähnt.

Und dadurch, wie gesagt, ist das für die eigentliche Fragestellung, die wir hier haben oder was es suggeriert, dieser Titel "Long Covid Liver Manifestation in Children" ist absolut irreführend und nicht hilfreich. Und das ist trotzdem wichtig, diese Fälle natürlich aufzuführen und bekannt zu machen. Aber dass jetzt alle fünf Kinder die gleiche Ursache haben und dass das unbedingt SARS-CoV-2 sein muss, ist anhand dieser Fallberichte meines Erachtens gar nicht bewiesen.

Schulmann: Und wenn wir das unabhängig von der Studie betrachten, für wie plausibel halten Sie es, dass da ein direkter Zusammenhang mit einer vorangegangenen Covid-Erkrankung besteht? Denn man kann ja auch sagen, die Kinder haben ja auch bevor es Corona gab, bevor es die Pandemie gab, Infektionen mit Adenoviren oder mit anderen Viren, die zu Hepatitis führen können, durchgemacht. Die haben dann aber nicht gehäuft zu Leberversagen geführt.

Ciesek: Ja, aber wie gesagt, es gab auch schon vor SARS-CoV-2 Leberversagen, das muss man ganz klar sagen. Und das ist ja auch etwas, was man genau beobachten muss. Warum kommt es lokal zumindest zu einer Häufung? In anderen Ländern wie zum Beispiel in Deutschland gibt es ja diese Häufung nicht. Und im Grunde genommen ist das für mich im Moment weder bewiesen noch ausgeschlossen, dass SARS-CoV-2 eine Rolle spielt.

Also es klingt ja so, als wenn diese Fälle, die gut beschrieben wurden, eine immunvermittelte Komponente hätten. Es kann schon sein, dass SARS-CoV-2 da eine Rolle spielt. Ich halte das nicht für ausgeschlossen, überhaupt nicht. Aber ich halte es für gefährlich, sich da festzulegen. Und ich kann das verstehen. Das ist unbefriedigend. Man will natürlich die Ursache geklärt haben und das im Kopf abhaken. Aber das ist genau das, was ein Wissenschaftler oder ein Arzt nie tun sollte. Denn Sie könnten etwas anderes übersehen.

Es könnte ja genauso sein, dass es irgendein Toxin ist, das in die Nahrung oder sonst was gelangt ist. Und das glaube ich jetzt in dem Fall nicht. Aber es zeigt, wie komplex das ist. Und ich könnte mir schon vorstellen, dass verschiedene Koinfektionen vielleicht, die es früher nicht in der Form gab, doch zu einer Immunantwort führen, die dann zu einem Leberschaden führen kann. Da kann natürlich SARS-CoV-2 beteiligt sein als neues Virus.

Lokale Unterschiede

Aber mir bleibt trotzdem das große Fragezeichen, warum es doch so lokale Unterschiede gibt, ob es da zum Beispiel noch eine genetische Komponente gibt, die eine Rolle spielt. Und im Grunde genommen, wie gesagt, halte ich das noch für nicht geklärt. Wenn man sich noch mal die Daten anschaut, die Sie vorhin erwähnt hatten, diese 400 Fälle, die in Europa gemeldet wurden: In der PCR wurden zehn Prozent SARS-CoV-2 positiv getestet. Das ist ja nicht viel, wenn man überlegt, wie viele Infektionen haben.

Wenn man davon ausgeht, dass es nicht das Virus selber, sondern eine Immunantwort ist, würden wir das aber auch nicht erwarten, dass die PCR-positiv ist. Und die Antikörpertests liegen halt leider nur bei ganz wenigen Kindern in dieser Kohorte vor, da waren knapp 64 Prozent positiv. Das klingt natürlich erst einmal viel, aber Ihnen fehlt die Vergleichsgruppe, wenn Sie jetzt einfach mal ein paar Kinder testen, wie viele von denen jetzt auch positiv werden, weil sie eine Infektion hatten. Das wird ja in einem ähnlichen Rahmen geschätzt, dass es so viele Kinder schon durchgemacht haben.

Also man kann einfach im Moment dazu nicht mehr sagen, als dass es unklar ist, dass man die Fälle gut aufarbeiten muss, sammeln muss und hoffen muss, die Ursache zu erkennen. Und man darf sich einfach nicht zu früh festlegen, weil man sonst betriebsblind wird und vielleicht was Entscheidendes übersieht. Und ich gehe davon aus, dass das auch im Moment gemacht wird und die Fälle in Europa doch etwas strukturierter gesammelt werden, als das in diesen Fallberichten jetzt passiert ist und man da eine Ursache finden wird.

Aber ich gehe auch davon aus, dass diese insgesamt weltweit 700 Fälle nicht alle die gleiche Ursache haben werden. Ich halte SARS-CoV-2 als Mitauslöser für denkbar. Mir ist aber absolut unklar, warum das dann nur in einem bestimmten Alter in bestimmten Gebieten auftritt. Und erst jetzt, weil SARS-CoV-2 haben wir schon eine ganze Weile. Und jetzt, 2022 müsste man ja dann spekulieren, ist das Omikron-spezifisch? Und das ist mir einfach noch unklar.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass es ein Faktor von mehreren ist, die eine Rolle spielen und die zusammenkommen müssen, dass so ein Krankheitsbild entsteht, was dazu passen würde, dass es doch recht unterschiedlich ist in der Ausprägung in verschiedenen Ländern.

Schulmann: Ich höre da raus, Sie sagen eher, Eltern müssen jetzt nicht in erhöhter Alarmbereitschaft sein?

Ciesek: Nein, ich denke nicht mehr als vor anderen Erkrankungen oder anderen Dingen. Also das Leben hat ein gewisses Risiko, sage ich mal. Natürlich ist es, wenn das eigene Kind so schwer erkrankt, eine absolute Katastrophe. Und es gibt sicherlich auch viele Erkrankungen, die der Laie zum Glück nicht kennt oder nicht im Kopf hat, die sicherlich noch schlimmer sind oder genauso schlimm sind. Und wenn man sich um alles einen Kopf machen würde, würde man krank vor Sorge werden.

Ich glaube, im Moment ist das etwas, was man natürlich früh erkennen sollte, wenn man unsicher ist oder mit seinem Kinderarzt auch besprechen sollte, wenn man da den Verdacht hat. Man sieht es bei den Kindern bei einer schweren Hepatitis gut an den gelben Augen. Wenn man das sieht, muss man damit natürlich sofort zum Arzt gehen und abklären lassen. Aber dass man jetzt Panik haben muss, dass das eigene Kind Leberversagen bekommt, ich glaube, dass wäre nicht angemessen anhand der Häufigkeit.

Link-Sammlung aller erwähnten Studien in Folge 114

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NDR Info | Das Coronavirus-Update von NDR Info | 17.06.2022 | 17:00 Uhr

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Die geburtenstarken Jahrgänge gehen nach und nach in Rente. Wo im Norden und in welchen Branchen wird der Mangel am stärksten spürbar? mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?