Hamburger Pergolenviertel: Bei "autoarm" hakt es im Quartier
Das Pergolenviertel in Hamburg an der City Nord im Stadtteil Winterhude gilt als Vorbild für soziales und nachhaltiges Wohnen. Der Anteil an Sozialwohnungen ist hoch, es gibt Lastenräder zum Ausleihen, einen Radschnellweg und eine S-Bahn direkt um die Ecke. Parkplätze sind bewusst knapp, dafür sollte es ein umfassendes Carsharing-Angebot geben. Doch bei der Umsetzung dieses Konzepts gibt es offenbar Schwierigkeiten.
Langsam öffnet sich das Tor zur Tiefgarage. Günter B. läuft die Rampe hinunter, vorbei an den vielen Fahrradstellplätzen direkt neben dem Eingangstor. Unten zeigt er auf zwei Wallboxen: Alles bereit für den Start des Elektro-Carsharings. "Das war auch einer der Gründe, weshalb wir uns für die Wohnung entschieden haben", erzählt er. "Wir wussten, wir brauchen kein eigenes Auto, sondern haben den Luxus, Carsharing in der eigenen Tiefgarage zu nutzen."
Carsharing-System? Bislang Fehlanzeige
Vor etwa drei Jahren ist Günter B. hergezogen, in eine Eigentumswohnung. Ein eigenes Auto hatte er nie. Für Großeinkäufe oder Ausflüge am Wochenende setzt er schon lange auf Carsharing. Das Pergolenviertel, mit all den Ideen für eine grünere Mobilität, schien wie ihn für ihn gemacht. Doch auf die fest geplanten E-Autos wartet er bis heute. Und auch die Solaranlage auf dem Dach, die eigentlich das Carsharing mit grünem Strom versorgen sollte, wird bis heute nicht genutzt: "Eigentlich versorgt sie diese Wallboxen", so Günter B. "Dadurch, dass wir kein Carsharing haben, wird der Strom nicht abgenommen. Dadurch ist die Solaranlage quasi für die Katz. Das hat uns natürlich ziemlich schockiert."
Bald soll die Solaranlage wenigstens die Beleuchtung im Treppenhaus und in der Tiefgarage mit Strom versorgen. Das Problem mit den Autos zu lösen, dürfte langwieriger werden. Geplant waren für diesen Teil des Viertels mal fünf bis zehn fest stationierte Carsharing-Fahrzeuge. Aktuell gibt es nur zwei Stellplätze für Benziner in der Garage gegenüber.
Im "autoarm" geplanten Viertel verzichten wenige aufs eigene Auto
Günter B. tritt wieder ans Tageslicht. Auf dem Platz vor dem Wohnblock: zahlreiche parkende Fahrzeuge. Abends stünden sie hier - im "autoarm" geplanten Quartier - auch in zweiter Reihe oder auf dem Gehweg, sagt er: "Ich denke, da war die Stadt sehr naiv zu glauben, dass hier hauptsächlich Menschen leben, die viel Fahrrad fahren und wo der HVV vollkommen ausreichen würde. Das entspricht bisher nicht der Lebensrealität von vielen Bewohnern, würde ich sagen."
Fürs Pergolenviertel zuständige Planer bestätigen die Schilderung im Wesentlichen. Nur wenige Bewohner verzichten bislang offenbar aufs eigene Auto. Ein Elektro-Carsharing in der bereits vorgerüsteten Tiefgarage könnte neue Anreize zum Umstieg schaffen. Unter anderem wegen offener Details - etwa was die Zugangstechnik zur Garage angeht - hat der favorisierte Anbieter cambio entschieden, zunächst andere Standorte zu versorgen.
Verkehrsclub Deutschland: Feststehende Verträge wichtig
Jan Lange vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) kennt solche Schwierigkeiten. Für den VCD berät er Kommunen und Wohnungsbaugesellschaften zu nachhaltigen Mobilitätskonzepten. Besonders wichtig sei bei der Planung der Mobilitätskonzepte, dass die Verträge so weit feststehen, dass es bei der Umsetzung nicht plötzlich zum bösen Erwachen komme und es dann doch keine Carsharing-Plätze gebe, sagt er.
Projekt "Deine Flotte" in Berlin zeigt, wie es gehen kann
Schon bei der ersten Planung die Mobilitätsanbieter einbinden, möglichst früh verbindliche Verträge schließen - das sind auch für Janna Aljets von der Denkfabrik "Agora Verkehrswende" wichtige Erfolgsfaktoren. Wenn alle Akteure an einem Strang zögen, könne man viel erreichen. Sie nennt als Beispiel das Projekt "Deine Flotte" in Berlin. Autofahrer bekamen Gutscheine für Lastenräder, Scooter, Carsharing-Autos und öffentliche Verkehrsmittel - sofern sie für einen Monat aufs eigene Auto verzichteten. Das Ergebnis: "Die meisten waren nach dieser Testphase bereit, diese Angebote deutlich mehr zu nutzen, ihren Pkw ganz abzuschaffen oder deutlich weniger zu nutzen. Das ist natürlich ein großer Fortschritt", sagt Aljets.
Beispiel Darmstadt: Eigener Pkw muss an Bedeutung verlieren
Auch für ein Viertel in Darmstadt konnten Forscher belegen, dass "autoarme" Konzepte funktionieren können. Die Bewohner nutzen schon kurz nach dem Einzug häufiger Carsharing, Bus und Bahn - der eigene Pkw verlor etwas an Bedeutung. Auch im Hamburger Pergolenviertel sei schon vieles gelungen, meint Anwohner Günter B.: "Es gibt hier diverse Busse, auch die U1 und die S-Bahn ist hier angebunden. Es ist alles, wie wir es erwartet haben. Für die Fahrradfahrer ist es hier sehr paradiesisch." Dank einer Veloroute, die am Viertel vorbei bis ins Zentrum führt. Was noch fehlt, ist der Durchbruch beim Carsharing. Günter B. wird sich weiter dafür einsetzen.