GPS über der Ostsee gestört: Flugzeuge mussten umkehren
Die großflächigen GPS-Störungen über der Ostsee haben zu ersten Einschränkungen im Flugverkehr geführt. Nachdem zwei Flieger nicht landen konnten, setzte die Finnair ihre Verbindung nach Tartu aus. Der Flughafen Heringsdorf auf Usedom nutzt ein ähnliches Anflugsystem. Experten verfolgen Spuren eines Störsenders für Satellitennavigation in Russland.
Bis zu 20.000 Flüge sind nach Schätzungen von Experten allein seit Mitte Januar von den verstärkt seit Ende 2023 auftretenden Störungen der globalen Satellitennavigation im Ostseeraum betroffen gewesen. Ein Großteil davon dürfte auf den "Baltic Jammer" zurückzuführen sein. Mitglieder der OSINT-Szene (Open-source-intelligence) hatten die Störquelle so benannt. Zuvor hatten sie diese durch Auswertung öffentlich zugänglicher Daten wie etwa Funksignale und Flugdaten genauer lokalisiert. Die Störungen betreffen ein Gebiet, das sich von Schweden über das Baltikum und Polen bis weit hinein in den Nordosten Deutschlands erstreckt - auch nach Mecklenburg-Vorpommern. Mittlerweile ist wohl ziemlich sicher, wer dahinter steckt, wie ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums dem NDR erklärte: "Die anhaltenden Störungen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit russischen Ursprungs und basieren auf Störungen im elektromagnetischen Spektrum, unter anderem mit Ursprung im Oblast Kaliningrad."
Wegen GPS-Störungen: Suche nach Alternativen in Tartu
In OSINT-Kreisen werden derzeit Hinweise diskutiert, dass neben der Ursprungsquelle in Kaliningrad eine weitere in Russland im Großraum St. Petersburg liegen könnte. Diese Quelle ist demnach auch Ursache für jüngst bekannt gewordene Vorfälle, die im Baltikum ein großes Echo ausgelöst haben. Nachdem zwei Finnair-Flüge von Helsinki auf dem Weg ins estnische Tartu wegen GPS-Störungen nicht dort landen konnten und wieder umkehren mussten, setzte die finnische Fluggesellschaft ihre Verbindung in die zweitgrößte estnische Stadt vorerst bis Ende Mai aus. Der Flugbetrieb in Tartu nutze ein GPS-basiertes Landesystem und sei deshalb für Störungen besonders anfällig, hieß es weiter. Es werde nun nach alternative Möglichkeiten zur Navigation gesucht, die einen sicheren Flugverkehr gewährleisten.
Flughafen Heringsdorf auf Usedom nutzt ähnliches Anflugsystem wie Tartu
Die GPS-Störungen könnten sich möglicherweise in ähnlicher Weise auch auf Flughäfen in Deutschland auswirken, die bei Landungen ebenfalls auf GPS-basierte Navigation setzen. Dies tut etwa der Flughafen in Heringsdorf auf Usedom seit März dieses Jahres. Auch Usedom liegt in einem Gebiet, in dem immer wieder GPS-Beeinträchtigungen auftreten. Dennoch gibt sich die Flughafen-Geschäftsführung gelassen: "Wir sehen derzeit hier keine Gefahr, da es sich bei den Störungen um einen höheren Bereich handelt (Reiseflughöhe) als bei unseren Anflügen", sagte eine Sprecherin dem NDR. Bisher habe es keine Komplikationen aufgrund von GPS-Störungen gegeben, allerdings startet die Linienflugsaison auf dem vergleichsweise kleinen Flughafen erst am kommenden Wochenende. Auch auf den Flughäfen Barth und Rostock-Laage sind bislang keine Störungen aufgetreten, wie die Betreiber auf NDR Anfrage mitteilten.
Bundesverkehrsministerium nimmt Vorfälle "sehr ernst", sieht aber keine Gefahr für Flugsicherheit
Dennoch verfolgen deutsche und europäische Behörden die Störungen genau. Die Deutsche Flugsicherung in Bremen hat eine sogenanntes NOTAM - einen allgemeinen Warnhinweis - wegen möglicher GPS-Störungen herausgegeben. Das Bundesverkehrsministerium teilte mit: "Wir nehmen diese Störungen sehr ernst" und betonte zugleich, dass die sichere Abwicklung des Luftverkehrs in Deutschland "zu jeder Zeit gewährleistet" sei. Es gebe etwa bodengestützte Navigationsanlagen und bordseitige Trägheitsnavigationssysteme sowie eine mehrfache Radar- und Funkabdeckung im deutschen Luftraum. Deshalb könnten Flugzeuge unabhängig von Satellitennavigationssystemen gesteuert werden. Der Flughafen in Tartu sei im übrigen einer der wenigen in Europa, bei denen der Anflug nur über GPS erfolge.
Fluggesellschaften wie Lufthansa und Sundair: Thema bekannt
Das ist nach Angaben der Lufthansa auch der Grund, warum die Fluggesellschaft Tartu nicht anfliege. Ein Sprecher teilte dem NDR mit, dass das Thema GPS-Störungen bekannt sei und in Fachgremien diskutiert werde. Zu konkreten Vorfällen und deren Häufung wollte die Lufthansa keine Auskunft geben. Die Fluggesellschaft Sundair mit Sitz in Stralsund, die derzeit aber nicht den nordostdeutschen Luftraum überfliegt, erklärte gegenüber dem NDR, dass sie im Flugbetrieb über Deutschland bislang keine derartigen Störungen registriert habe. Dennoch sei das Cockpit-Personal instruiert worden, wie es sich im Falle solcher Störungen verhalten solle. "Denn aufgrund der aktuellen Konflikte sind etwaige Vorfälle in anderen Gebieten durchaus zu erwarten", so ein Sprecher. Die Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit (EASA) teilte auf NDR Anfrage mit, dass seit 2019 ungefähr 25.000 Fälle von Störungen der globalen Satellitennavigation von Flugzeugbesatzungen gemeldet worden seien. "Derzeit wird die Situation nicht als unsicher angesehen. Sie ist eher ein Ärgernis für die Besatzung." Dennoch veröffentlicht die Behörde laufend Sicherheitsupdates. "Wir haben die Flugzeughersteller und Systemlieferanten gebeten, eine Auswirkungsanalyse durchzuführen, da die Flugzeugarchitekturen unterschiedlich sind." Ferner würden Veranstaltungen organisiert, um das "Bewusstsein der am Flugbetrieb beteiligten Personen zu schärfen".
Estland und nordische Staaten wollen EU und NATO einschalten
Im Baltikum schlägt der jüngste Vorfall auch politisch hohe Wellen. Estland und andere nordische Staaten wollen das Thema im größeren Rahmen auf die Tagesordnung bringen. "Wir werden das Problem mit NATO-Verbündeten und EU-Partnern besprechen", schrieb der estnische Außenminister Margus Tsahkna auf "X" (vormals "Twitter") nach Gesprächen mit seinem Amtskollegen aus Lettland, Litauen, Finnland und Schweden. Estland wirft Russland vor, für die Störungen des GPS-Signals verantwortlich zu sein. Mit seinem "völlig vorsätzlichen Handeln" gefährde Russland die Sicherheit des Flugverkehrs und verstoße gegen internationale Vorschriften, so Tsahkna im estnischen Rundfunk. Zudem wird spekuliert, dass Russland mit dem GPS-Jamming Kaliningrad und St. Petersburg vor ukrainischen Drohnenangriffen schützen wolle.
Was tun staatliche Stellen in Deutschland gegen GPS-Jamming?
In Deutschland äußern sich offizielle Stellen zu den Störungen eher zurückhaltend. Klar ist, dass die Vorkommnisse im Ostseeraum sehr genau beobachtet werden - von mehreren beteiligten Stellen. Im Fall der GPS-Störungen laufen viele Fäden bei der Bundesnetzagentur zusammen. Sie ist unter anderem für den Schutz des elektromagnetischen Spektrums zuständig. Bei ihr laufen Meldungen über Störungen ein, und zudem spielt sie bei der Aufklärung eine zentrale Rolle. Dazu steht sie im engen Austausch etwa mit der Bundeswehr und der Deutschen Flugsicherung, sammelt aber auch selbst Informationen - mit "ortsfesten und mobilen Messmitteln" und der "Messstelle für Weltraumfunkdienste", wie es heißt.
Bundesnetzagentur zögert noch mit einer Meldung an die ITU
Der Bundesnetzagentur obliegt es auch, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Dazu muss zunächst die Quelle der Störungen ermittelt werden. Denn der betreffende Staat, von dessen Territorium die Störungen ausgehen, ist auch für deren Behebung zuständig. Per Meldung an die Internationale Fernmeldeunion (ITU) wird der zuständige Staat zur Ergreifung von Maßnahmen aufgefordert. Doch obwohl selbst die Bundeswehr von Russland als Verursacher ausgeht, teilte die Bundesnetzagentur am Dienstagabend auf NDR Anfrage mit, dass eine Meldung an die ITU bislang noch nicht erfolgt sei. Begründung: "Die messtechnischen Nachweise der Störquellen sind noch nicht abgeschlossen." Weiter heißt es, man stehe in engem Austausch mit den beteiligten Behörden und berate sich noch "mit unseren europäischen Partnern".
Möglicherweise Hinweise auf Störung der Schiffsnavigation
Großflächig wirken sich die Störungen bislang nur auf den Luftraum aus. Es gab nur vereinzelte Fälle, in denen auch die Schifffahrt betroffen war - so etwa bei zwei Schnellfähren der dänischen Reederei Molslinjen. Aber die Beeinträchtigungen waren lokal begrenzt - möglicherweise ausgelöst durch russische Kriegsschiffe oder Drohnen, die in der Nähe gesichtet wurden. Doch seit Kurzem werden in der OSINT-Szene Hinweise diskutiert, dass nun erstmals auch großflächigere GPS-Störungen im Schiffsverkehr auf der Ostsee aufgetreten sein könnten.
Hobby-Skipper sollten vorbereitet sein
Hobby-Skipper sollten dennoch vorbereitet sein, wenn sie einen Törn durch die Ostsee planen. Zwar teilte der Bundesverband Charterboote mit, dass ihm in der Ostsee derzeit keine Fälle bekannt sind, in denen Bootsführer über Probleme mit plötzlich ausgefallenem GPS geklagt hätten, allerdings habe die Saison auch noch nicht richtig begonnen - dementsprechend schwach sei bislang die Nachfrage nach Charter-Booten gewesen. "Wenn ich als Hobby-Skipper in einem solchen Bereich (mit Störungen, Anm. d. Red.) unterwegs bin, sollte ich mich sicherheitshalber nicht auf das GPS verlassen", empfahl Christof Tiedgen vom ADAC Hanse bei NDR MV Live. Darüber hinaus gelte: "Mit Seekarte, mit einem Kompass, mit einem Fernglas sich an Landmarken orientieren."
BSI: "Wachsende Bedrohungslage" auch für kritische Infrastruktur
Sollten GPS-Störungen tatsächlich in größerem Umfang auch in Bodennähe auftreten, dürften die Behörden besonders wachsam auf die Vorgänge blicken. "Die Satelliten strahlen präzise Zeitsignale ab, die eine hochgenaue Synchronisation von technischen Systemen erlauben", erklärten Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Automatisierte Prozesse wie etwa Stromnetze, moderne Telekommunikationsnetze, in der Landwirtschaft oder etwa Finanztransaktionen nutzen dies. Dementsprechend weitreichend könnten die Folgen eines Ausfalls sein, insbesondere wenn die Teile der kritischen Infrastruktur beträfen. Davon gibt es in Mecklenburg-Vorpommern etwa mit seinen Windparks, anlandenden Unterwasserkabeln oder auch dem LNG-Terminal reichlich. Für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI) steht fest: "Es muss mit einer wachsenden Bedrohungslage in diesem Bereich gerechnet werden." Die Landesregierung teilte auf Anfrage mit, dass sie für den Katastrophenschutz "keine unmittelbare Relevanz" sehe. "Lediglich die Nutzung von Navigationssystemen in den Katastrophenschutzfahrzeugen könnte gegebenenfalls eingeschränkt sein." Für einen solchen Fall seien die Helferinnen und Helfer jedoch "im Umgang mit Karte und Kompass geschult". Die Flugverkehrssteuerung obliege der Deutschen Flugsicherung.
Marineflieger setzt Notruf über Ostsee ab
Ein Vorfall, der sich Anfang April im internationalen Luftraum nahe Kaliningrad zugetragen hat, steht mit den GPS-Störungen laut Bundeswehr-Angaben indes nicht in Verbindung. Ein Seefernaufklärer des Typs Lockheed P-3 Orion der Marineflieger, auch als das "fliegende Auge" der Marine bezeichnet, das auch bei der küstennahen Aufklärung eingesetzt wird, hatte in der Nacht vom 4. zum 5. April über der Ostsee nahe der russischen Exklave mehrere Schleifen gedreht und dann plötzlich einen Notruf abgesetzt. "Daraufhin wurde entschieden, sicherheitshalber zum Flugplatz Nordholz zurückzukehren, wo Maschine und Besatzung wohlbehalten angekommen sind", teilte ein Sprecher der Deutschen Marine dem NDR mit. Ursache sei ein "kleineres technisches Problem" gewesen. Weitere Angaben wollte die Marine aus "Gründen der militärischen Sicherheit" nicht machen.