Welt der Musik

Wenn Töne sprechen - Nikolaus Harnoncourt zum 95. Geburtstag

Donnerstag, 05. Dezember 2024, 19:00 bis 20:00 Uhr

"Ich bin ja selbst kein Künstler, sondern ich bin jemand, der Kunstwerke interpretiert, darstellt, und der versucht, dem Schöpfer dieser Kunstwerke im größtmöglichen Maß gerecht zu werden." Aufzuspüren, was die Noten erzählen, die ein Komponist zu Papier gebracht hat, das war eines der wichtigsten Anliegen von Nikolaus Harnoncourt. Dazu gehörte für ihn, nicht nur die Noten technisch korrekt wiederzugeben, sondern vor allem die Emotionen hinter den Noten zu verstehen, nachzuvollziehen und zu vermitteln.

Emotionen verstehen und vermitteln

Nikolaus Harnoncourt wurde am Nikolaustag 1929 in Berlin geboren, wuchs im steiermärkischen Graz auf und starb am 5. März 2016. Er kam aus einer adligen Familie - was für ihn wenig Bedeutung hatte. Höchstens im Sinn von "Adel verpflichtet", menschlich und künstlerisch. Die Familie war musikalisch und künstlerisch interessiert. Der Vater spielte exzellent Klavier und komponierte, der Onkel war Direktor des berühmten Moma, des Museum of Modern Art in New York.

Kein Wunder, dass für Nikolaus Harnoncourt die Kunst allgemein immer eine große Rolle spielte, und, von Spezialistentum hielt er gar nichts. "Ich habe mich aber immer interessiert für Kunst, Philosophie und Literatur. Musik war für mich nicht eine gesonderte kulturelle Äußerung, sondern immer ein Teil eines Ganzen." Nikolaus Harnoncourt selbst war einer der vielseitigsten Künstler überhaupt: Dirigent, Cellist, Gambist, Musikforscher, Buchautor.

Spezialisten unerwünscht

Mit 10 Jahren lernte Harnoncourt Cello, später studierte er in Wien u. a. bei Paul Grümmer. Und hier wunderte er sich, dass die Alte Musik - Corelli, Vivaldi, Telemann - als leicht und langweilig galt, Dvorák und Tschaikowski dagegen in den Himmel gehoben wurden. "Ich konnte überhaupt nicht verstehen, wie zur selben Zeit, als Bernini seine tollen Gebäude und Statuen baute, die Komponisten in diesen Gebäuden so langweilige Musik machen sollten. Das konnte unmöglich so sein. Es musste daran liegen, dass diese Musik schlecht gespielt wurde."

Pionier der historischen Aufführungspraxis

Der junge Cellist schaute sich historische Gemälde an, auf denen Instrumente zu sehen war, suchte in Klöstern und Museen nach alten Originalen. Als er 1952 Cellist bei den Wiener Symphonikern wurde, konnte er mit einem festen Gehalt beginnen, Instrumente zu sammeln und spielbar zu machen. Er wurde einer DER Pioniere der historischen Aufführungspraxis. Mit Musikerfreunden und Kollegen gründete sich rund um Nikolaus Harnoncourt und seine Frau, die Geigerin Alice Harnoncourt, 1953 eines der ersten Originalklang-Ensembles, der Concentus Musicus Wien. Lang spielte man nur bei Hauskonzerten, wurde aber immer wieder ermuntert, doch die alte Musik einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen. Man gab Konzerte im schönen historischen Palais Schwarzenberg. Und als das auf so riesiges Interesse stieß, wechselte man in größere Konzertsäle.

Jahrhunderte alte Manuskripte

Die Musik spürte man in Bibliotheken und Klöstern auf. Alice Harnoncourt schrieb unzählige Noten mit der Hand ab. Mikrofilme gab es damals noch nicht. "Man hatte damals die Originale in der Hand", verriet Alice Harnoncourt. Etwas, das heute undenkbar wäre. So förderte der Concentus Musicus Wien viel alte Musik, bis zurück ins Mittelalter, zu Tage und spielte sie auch.

Dirigent aus der Praxis

Siebzehn Jahre liefen Nikolaus Harnoncourts Forschungen und seine Konzerttätigkeit auf dem Gebiet der Alten Musik parallel zu seiner Stelle als Cellist bei Wiener Symphonikern. Im Orchester wurde er immer unzufriedener, vor allem mit Interpretationen von Klassikern wie Beethoven oder Mozart. "Der letzte Anlass war eine Aufführung der g-Moll-Sinfonie von Mozart. Wenn es möglich ist, ein Stück so herunterzuspielen, ohne irgendwelche Inhalte, gegen die Partitur und all das, was Mozart da hereingeschrieben hat, wenn das möglich ist, dann, dann habe ich in diesem Orchester nichts mehr verloren. Und zwar wenn ausgewiesene Mozart-Dirigenten so etwas machen. Da habe ich das Gefühl gehabt, ich muss das selbst machen."

Legendärer Monteverdi-Zyklus in Zürich

1969 kündigte Nikolaus Harnoncourt seine Stelle bei den Wiener Symphonikern. Lange leitete er seinen Concentus Musicus Wien noch vom Cello aus. Aber immer häufiger wechselte er ans Dirigenten-Pult, wo er von seiner langjährigen Erfahrung als Orchestermusiker profitierte. In den 1970-er Jahren dirigierte er erstmals eine Monteverdi-Oper an der Piccola Scala in Mailand. Ab 1975 brachte er mit dem Regisseur Jean-Pierre Ponnelle alle drei Monteverdi-Opern heraus. Legendäre Produktionen, die als Gastspiele um die Welt reisten, und dazu beitrugen, dass Monteverdis Opern zum Standard-Repertoire gehören.

Vorbildliche, kompromisslose Haltung

Bis zu seinem Tod 2016 hat Nikolaus Harnoncourt alle großen Orchester der Welt dirigiert, die Wiener und Berliner Philharmoniker, das Concertgebouw Orkest Amsterdam und andere. Mit dem Chamber Orchestra of Europe nahm er in den1990-er Jahren alle neun Beethoven-Sinfonien auf. Nicht nur die Alte Musik, sondern eben auch die Werke der Klassik und Romantik hat Harnoncourt dirigiert und aufgenommen. Aber genauso Musik von Béla Bartók, Bruckner oder George Gershwin, und österreichische Komponisten. Mehrfach luden ihn die Wiener Philharmoniker ein, ihr Neujahrskonzert zu dirigieren. In seinem kompromisslosen, klaren, unverstellten, nicht ästhetisierenden Musizieren war er vorbildlich für jüngere Musiker.

Eine Sendung von Elisabeth Richter

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