Welt der Musik
Sonntag, 14. Januar 2024, 18:00 bis
19:00 Uhr
Bis zu seinem 40. Lebensjahr hatte Sibelius mit seiner Familie in Helsinki gelebt, in immer wechselnden Mietwohnungen. Das Stadtleben bot ihm Kulturgenuß und ausschweifende Gelage bis tief in die Nacht. Doch eines Tages wurde er dessen überdrüssig: "Meine Kunst verlangte eine andere Umgebung. In Helsinki starb jede Melodie in mir. Im übrigen war ich zu sehr Gesellschaftsmensch, als daß ich Einladungen, die meine Arbeit unterbrachen, hätte ablehnen können. Es fiel mir schwer, nein zu sagen. Ich mussfte fort."
Nur fort aus dem Getriebe der Großstadt!
Die Lage am Tuusula schien Sibelius ideal: nur eine Zugstunde von Helsinki entfernt und trotzdem mitten in der Natur. Er kaufte ein Grundstück mit Wald und Garten beauftragte den renommierten Architekten Lars Sonck, ein zweistöckiges Blockbohlenhaus in zeitlos-traditionellem Stil zu bauen. "Das Haus hat einen steinernen Sockel und fünf Schichten Balken. Wenn ich’s doch schon unter Dach und Fach hätte! Ich kämpfe darum mit Klauen und Krallen. Ich sehne mich nach Ruhe und Frieden." 1904 zieht Jean Sibelius mit seiner Frau Aino und den Töchtern an den Tuusula-See, 40 km nördlich der Hauptstadt Helsinki und läßt sich dort sein Traumhaus "Ainola", bauen. Hier lebt er bis zu seinem Tod 1957.
Das Sibelius-Haus heute
Ainola ist seit 1974 ein staatliches Museum, das den Alltag der Künstlerfamilie bewahrt hat. Im Wohnhaus, in der Sauna und im Park können sich Besucher in den Alltag der Sibelius-Familie hineinversetzen, denn nach Ainos Tod blieb nahezu alles unverändert: vom Erdkeller bis zum Kachelofen, vom Nähkästchen bis zur Zigarrenkiste.
Das Arbeitszimmer
Solange Sibelius Treppen steigen konnte, war sein Zimmer im Obergeschoß von Ainola: hier saß er ungestört und komponierte. Den Flügel unten im Salon brauchte er dazu nicht, es reichte seine Tonvorstellung. Er genoß den Blick ins Weite, über Stoppelfelder und bewaldete Hügel bis zum milchiggrünen See. Für Sibelius war dieser Blick die Voraussetzung für sein Wohlgefühl. Sibelius‘ Schreibtisch hat eine blaßgrüne Filzauflage. Darauf ein Tintenfaß mit Elchkopf und ein Holzlineal im Folklorestil, das Aino ihm zur Verlobung geschnitzt hat. Daneben eine schauerliche Büste von Beethoven und eine Konzertkantele. Die meisten seiner Werke entstanden an diesem Tisch.
Er feilte oft wochenlang an den Themen und schrieb dann die Partitur zügig nieder. Das zeigt das Faksimile seiner 4. Sinfonie in der Mitte des Tischs. Man kann deutlich sehen, wie er beim Komponieren vorging: Er entwarf immer alle Stimmen gleichzeitig, schon bei der ersten Fassung in gestochener Handschrift. Sibelius arbeitete meistens nachts, wenn die Kinder schliefen. Dann wanderte er in seinem Arbeitszimmer umher. Aino wußte: Wenn diese Schritte verstummten, würde es rascheln und ein Gedanke würde zu Papier gebracht.
Salon mit "heiligem" Steinway
Vom kleinen Flur aus betritt man den eleganten Salon: graugrüne Tapeten verbergen die Blockbohlen. Die Decke ist weiß gestrichen. Eine cremefarbene Sitzgruppe im Empire-Stil und zwei Kronleuchter, dazu der imposante schwarze Steinway. Er wäre einmal fast vom Gerichtsvollzieher abgeholt worden. Denn er war leichter zu taxieren als viel wertvolleren Gemälde an der Wand. Das Instrument wird bis heute gespielt. Sibelius' Enkelin Aino Porra kennt es seit ihrer Kindheit: "Zu meiner Zeit hat niemand hier mehr musiziert. Auf dem großen Flügel dort drüben hat sich kein Kind getraut zu spielen. Das war uns zwar nicht verboten. Aber obwohl wir Musikuntericht erhielten, haben wir niemals auf diesem Flügel gespielt."
Der Salon öffnet sich zum Eßzimmer. Seitlich eine Treppe mit Einbauschränken für das bunt zusammengewürfelte Geschirr. Frische Gartenblumen und bestickte Deckchen schmücken die Tische am Fenster. Der Raum strahlt mit seinen naturbelassenen Holzbalken finnische Landhausatmosphäre aus. Dazu gehört der obligatorische langhaarige Wandteppich mit Folkloremotiven. Unter einer plissierten rechteckigen Hängelampe der ovale Eßtisch, umgeben von schlichten Stühlen mit Korbgeflecht.
Grün war für Sibelius F-Dur
Gegenüber ein raumhoher grüner Kachelofen im finnischen Jugendstil. Die Kunsthistorikerin Julia Donner ,Leiterin des Ainola-Museums, sagt dazu: "Grün war Jean Sibelius' Lieblingsfarbe, die er als Synästhetiker in F-Dur gehört haben will. Der Kamin wurde vom Architekten Lars Sonck entworfen, und die Kacheln sind handkoloriert. Das Eßzimmer war ein wichtiger Ort für die Familie. An dem großen Tisch traf man sich zum Essen und Verweilen. Das Blockhaus war kühl, vor allem im Winter, und so wärmte man sich am Kachelofen. In Ainola gibt es elf Öfen, darunter der Holzofen in der Küche. Man stelle sich vorn, wie viel Brennholz man zum Heizen brauchte! Aber wie klang ein grüner Ofen für Jean Sibelius? Wir können uns das vorstellen, wenn wir uns seine Romanze für Violine und Klavier opus 78 anhören. Sie entstand 1915 und ist eine wunderbar melodische Komposition, vielleicht das bezauberndste Soloinstrumentalwerk von Sibelius."
Ainos Reich im Obergeschoß
Ein Bett, ein Schreibsekretär, Waschtisch mit Krug und Schüssel, karamellfarbener Kachelofen, davor ihr Nähtisch, aus dem Nadeln und Garnrollen quellen. Knöpfe, Haken und Ösen verwahrte sie in einer Zigarrenkiste ihres Mannes. Die Mutter seiner sechs Töchter, die Geliebte und Trösterin, hält seine Welt zusammen: Garten, Haushalt, Finanzen; sie musiziert, tischlert, schnitzt und stickt. Der Dirigent Markus Lehtinen meint: "Ein Geheimnis von Sibelius, finde ich, daß der eine starke Frau hatte. Nicht nur stark, aber sehr empfindlich und sehr künstlerisch. Nicht nur wie eine Muse, sondern wie eine große Persönlichkeit."
In Ainos Zimmer hängen zwei Fotos ihres Mannes: Jean als Knabe mit trauriger, ein wenig ängstlicher Miene - daneben das Porträt des greisen Sibelius. Trotz der Lebensspanne von über 70 Jahren sehen die beiden Porträts einander verblüffend ähnlich.
Sauna und Erdkeller
Zu jedem finnischen Haus gehört natürlich eine Sauna. Die Sauna in Ainola ist besonders komfortabel: Ein Pfad führt durch den Wald zum stattlichen Saunahaus, das Aino entworfen hat. Im Vorraum Waschzuber und ein Heißwasserofen, der von einer Wasserleitung aus der Gartenpumpe gespeist wurde. Im Schwitzraum eine Bank. Schöpfkellen, Emaille-Eimer und Schüsseln stehen bereit. Und im Nebenraum eine europäische Badewanne. Was wie eine Hängelampe aussieht, entpuppt sich als Duschvorrichtung, ein für damalige Verhältnisse sensationeller Komfort!Ein Erdkeller mit einer mannshohen Tür diente als Kühlraum, wo die Früchte des Gartens gelagert wurden. Ainos Äpfel waren preisgekrönt!
Das Sibelius-Haus - kein typisches Museum
Das Sibelius-Haus wirkt nicht wie ein Museum. Es fehlen Schilder und Absperrungen. Die Wanduhr funktioniert einwandfrei. Man meint, jeden Augenblick könne der Meister mit Stock und Hut und weißem Sommerjacket hier hereinspazieren.
Eine Sendung von Hildburg Heider.