Welt der Musik

Komponierte Rätsel: Franz Kafka und die Musik

Sonntag, 09. Juni 2024, 18:00 bis 19:00 Uhr

Portrait Franz Kafka © Public Domain
Portrait Franz Kafka © Public Domain
Portrait Franz Kafka

Die stilistische Brandbreite ist groß, zugleich sind die Besetzungen wie die Formen fantasievoll. Franz Kafka selbst hatte ein ambivalentes Verhältnis zur Musik: Der lärmempfindliche Autor hielt sich für unmusikalisch, begeisterte sich aber zugleich etwa für Operette und Klezmer.

"Jeder macht sich seinen Kafka"

"Bei Kafka ist es so, dass er so unterschiedliche Komponisten und Komponistinnen anspricht. Und jeder macht sich seinen Kafka", betont Friederike Wißmann, Musikwissenschaftsprofessorin an der Hochschule für Musik und Theater Rostock; sie ist unter anderem Spezialistin für die Zusammenhänge zwischen Literatur und Musik. "Kafka schreit ja auch danach, weil alle festgelegten Dimensionen auch in seinen Texten: Zeitempfindung, Raumempfindung, Katastrophenempfindung sehr subjektiv werden. Und dieser subjektive Raum, finde ich, ist eine Steilvorlage dafür, wie man die Vielzahl von Gattungen und sehr unterschiedlichen Zugängen erklären kann."

Lange Liste von Kafka-Komponistinnen und -Komponisten

Die Liste von Komponistinnen und Komponisten, die Kafka inspiriert hat, ist lang. Ernst Krenek und Hans-Werner Henze gehören etwa dazu, auch Philip Glass und Bruno Maderna, Gottfried von Einem und Aribert Reimann, György Kurtág und Ruth Zechlin, Gideon Lewensohn und Isabel Mundry. Und viele weitere mehr.

Max Brod hat als erster Kafka vertont

Der erste Komponist, der Franz Kafkas Literatur vertonte, ist Max Brod. Er war mit Kafka eng befreundet und hat Kafkas Werke gerettet, indem er sich als Nachlassverwalter über Kafkas Wunsch hinwegsetzte, nach dessen Tod alles zu vernichten. Brod hat vielmehr auch als Kafka-Herausgeber gewirkt. Und der vielfach Begabte hatte als Komponist bereits 1911 eine Variationenreihe geschrieben: für Klavier zu den Kafka-Worten "Kleine Seele - springst im Tanze". Dieses Material griff Max Brod 1951 wieder auf, als er seine zwei Gesänge für Singstimme und Klavier opus 35 schrieb. Der Komponist und intime Kafka-Kenner griff zum einen auf Texte aus Kafkas "Tagebüchern 1910-1923" zurück, zum anderen auf die Sammlung "Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß". Durch den Titel der Komposition "Tod und Paradies" setzt Brod die beiden Lieder inhaltlich in Beziehung.

Sperrigkeit der Texte attraktiv

Max Brod hat aus Text-Fragmenten Kafkas seine Gesänge geschaffen und damit Neuland betreten: Waren bisher in der Regel Gedichte Ausgangspunkt für Lieder, reicht ein Kafka-Satz, um musikalische Welten zu erzeugen. Das Gleiche gilt im Grunde für Franz Kafkas Ideenwelten, die sich in der Rätselhaftigkeit seiner Erzähltexte widerspiegelt. Komponistinnen und Komponisten müssen die grundsätzliche Sperrigkeit von Kafkas Arbeiten überwinden, erklärt die Rostocker Musikwissenschaftsprofessorin Friederike Wißmann. Sie denkt dabei besonders an György Kurtág und dessen Kafka-Fragmente. "Es gibt so viele Dinge, die bemerkenswert sind. Die musikalische Kafka-Rezeption ist extrem vielfältig und widersprüchlich. Kafka-Texte sind keine, die nach der Musik rufen. Und diese Widerspenstigkeit reizt. Kurtág hat sich mit den Widrigkeiten konstruktiv und auf eine nahezu lyrische Weise auseinandergesetzt."

Herausragend: György Kurtágs Kafka-Fragmente

Die Kafka-Fragmente entstanden zwischen Juli 1985 und März 1987. György Kurtág hat 40 Miniaturen geschaffen - manche dauern nur wenige Sekunden. Die Texte zu den Fragmenten für Violine und Sopran hat der ungarische Komponist in Briefen und Tagebüchern von Franz Kafka aufgespürt. "Also für mich haben diese Fragmente einen ganz klaren roten Faden, das ist der des körperlichen Erfahrens von Welt. Immer wieder tauchen Bewegungsabläufe und Choreographien in den Texten auf", sagt Friederike Wißmann. "So widerborstig und skurril die Texte sind, und so wie Kurtág darauf reagiert, finde ich, sie sind von einer großen Schönheit, weil sie eine geradezu plastische plastische Sinnlichkeit haben."

Kafkas Sprache voller Klang und Rhythmik

Ob etwa Kreneks Motetten nach Worten von Franz Kafka, Philip Glass‘ Kammeroper "In the Penal Colony" oder eben die Fragmente-Zyklen von György Kurtág und Isabel Mundry: Es ist ungewöhnliche Vokalmusik - und das korrespondiert mit Kafkas besonderer Sprache, weiß die Musikwissenschaftlerin Friederike Wißmann. Der Schriftsteller achtete auf Rhythmik und Sprachklang: "Aber dieser Sprachklang ist einer, der nicht primär auf das Melodische zielt, sondern tatsächlich auch eine Dramaturgie der Sprachbetonung in sich trägt. Das ist schon mal ein Anknüpfungspunkt. Es gibt ja auch Stimmen in der Musikwissenschaft, die sagen: 'Musik ist immer eine Entgegnung auf Kafka'. Das finde ich nicht, sondern es gibt diesen gemeinsamen Nenner des Rhythmischen. Und es gibt das Zeitliche und das Räumliche, das eine Rolle spielt."

Experimentierfreude in der Musik des 20. Jahrhunderts

Musikalische Gattungen erlebten im 20. Jahrhundert einen Umbruch und weckten die Experimentierfreude - auch deshalb haben Kafkas Werke und Texte Komponistinnen und Komponisten angezogen.

Eine Sendung von Dagmar Penzlin.

Konzerttipp: Wer neugierig geworden ist: In der NDR-Konzertreihe "das neue werk" stehen Kurtágs Kafka-Fragmente am 9. Dezember 2024 auf dem Programm, in Hamburg, im Kleinen Saal der Elbphilharmonie.

 

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