NachGedacht: Und jetzt alle - Rücktritt, olé, olé!
Das war mal eine Welle bei den Grünen, eine wahre Rücktritts-Welle! Interessant für die Politik. Aber es steckt noch mehr Potenzial drin, meint Ulrich Kühn in seiner Kolumne.
Rücktritt ist keine Frage des Alters. Klar, Joe Biden war 81, als er die Präsidentschaftskandidatur aufgab. Omid Nouripour aber ist rüstige 48 und will trotzdem nicht mehr Grünenchef sein. "Und ich nicht Grünenchefin", hat Ricarda Lang gesagt, die mit zarten 30 verzichtet. Ha! Das unterbieten wir spielend, ruft der Vorstand der Grünen Jugend und erfindet das Spektakel "Vorstandsmassenrücktritt mit integriertem Parteiaustritt". Einfach geschlossen gehen, zehn auf einen Streich. Beispiele wirken anziehend, fragen Sie nur den Landesvorstand der Grünen Jugend in Niedersachsen: Der sagt auch geschlossen adieu.
Wenn schon Rücktritt, dann richtig
Der Befund scheint glasklar zu sein: Rücktritt ist keine Frage des Alters. Auch wenn es manchmal den Ausschlag gibt, siehe Papst Benedikt, mit dem ganz Deutschland ein bisschen zurücktrat, immerhin waren wir damals Papst. Vielleicht ein Modell für die Zukunft: Ein Land tritt geschlossen zurück und verzichtet aufs Unfehlbar-Sein. Möglich, dass wir Deutschen das längst üben, ohne es kapiert zu haben.
Aber das ist nicht mein Punkt. Die spannende Frage heißt ja: Was kommt danach? Biden war nicht konsequent, er ist Präsident geblieben, natürlich im Dienste der Partei, des Landes, der guten Sache und so. Und Benedikt war zwar nicht mehr Papst, aber noch Papst Emeritus, also nicht ganz frei von Unfehlbarkeit. Bis umso brutaler auffiel, dass er eben doch fehlbar war. Nein, wenn schon Rücktritt, dann richtig. Die Alten könnten das, sie haben lange gelebt und genug verdient. Was aber machen die Jungen? Geht Ricarda Lang im Siegesgefühl einer Jugend, die noch alles vor sich hat? Wir wissen es nicht, wir können ihr nicht in die Psyche schauen.
Kernig-jugendlicher Rums-Rücktritt
Interessanter finde ich deshalb, was die Ex-Vorstands-Gang der Grünen Jugend vorhat: eine Bewegung gründen, hieß es irgendwo. Was neu entsteht, schreibt sich nicht mehr "sozialdemokratisch", "christlich-demokratisch", "frei demokratisch", es sollte schon eine Bewegung sein. Oder vielleicht auch ein Bündnis, am besten eins, das auf den Namen und das Wort einer einzigen Person hört. Gruslig eigentlich, oder? Stellen Sie sich vor, ich würde sagen: Hallo, ich bin der Gründer und Chef vom BUK, "Bündnis Ulrich Kühn"! Absurd, wie? "Ja", sagen Sie, "absurd, Sie sind ja nur ein Herr Kühn und nicht die große Frau Wagenknecht!" Stimmt, sage ich, und wissen Sie was? Ich würde nicht mit ihr tauschen. Nie.
Pardon, ich schweife wieder ab. Jedenfalls werden wir nach der jüngsten Rücktrittswelle genau hingucken, wem so ein kernig-jugendlicher Rums-Rücktritt auch stehen könnte. Ich sage jetzt nicht Christian Lindner (jung!), ich sage auch nicht Saskia Esken. Das bringt nur Schärfe ins Gespräch. Ich sage nur leise: Wir gucken hin.
Was bleibt übrig, wenn die Ämter weg sind?
Falls Sie aber wissen wollen, welches Potenzial wirklich in so einem Rücktritt steckt: Kaiser Karl V., zugleich König Carlos I. von Spanien, war Mitte fünfzig, als er im 16. Jahrhundert alle Kronen hinwarf. Das war mal ein Akt! Noch besser ist nur der großartige Roman, den Arno Geiger daraus gemacht hat, "Reise nach Laredo". Was bleibt übrig, wenn die Ämter weg sind? Der nackte, beschädigte Mensch. Der darf sich dann fragen, wer er eigentlich ist. Mein Vorschlag: Wir singen alle zusammen "Rücktritt, olé, olé!". Und dann werden wir geschlossen menschlich, einfach nur so, ohne Stolz und Krone. Natürlich nur als Experiment, danach treten alle schnell wieder vor. Menschen als Menschen, ohne Ämter? Das wäre ja nicht auszuhalten.
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