NachGedacht: Demokratische Belastungsprobe in Israel
Frauen und Männer auf den Straßen Israels ziehen los, weil sie Angst haben, weil sie um die Demokratie ihres Landes ringen.
Samstag für Samstag gehen Hunderttausende auf die Straßen in Tel Aviv, Jerusalem oder Haifa, um ihre Werte, ihre Freiheit, ihre Gleichberechtigung und ihre Menschenrechte zu verteidigen. Benjamin Netanjahus rechts-religiöse Regierung ist gerade rund 100 Tage im Amt und ihr Projekt "Justizreform" hat die Proteste im Land angestachelt wie nie zuvor. Und sie haben etwas bewirkt: Entscheidungen werden rückgängig gemacht.
Schriftsteller erheben das Wort
Die Umbaupläne der Justiz liegen erst einmal auf Eis, der eigentlich entlassene Verteidigungsminister Joav Gallant wurde dann doch lieber im Amt belassen. Wer kann, erhebt das Wort. Das tun sie, die Schriftsteller: David Grossmann und Zeruya Shalev. Ihre Texte und Bücher werden weltweit gelesen. Auch der gerade verstorbene Meir Shalev hatte in seinen Kolumnen, Kommentaren der Politik, ihren handelnden Akteuren immer wieder mangelnde Weitsicht attestiert.
Israel: Bedroht und umkämpft seit 75 Jahren
Seit der Gründung vor 75 Jahren ist Israel bedroht und umkämpft von seinen Nachbarn. Das Land befindet sich in einer Dauerschleife zwischen Krieg und Frieden, zwischen Raketenangriffen und Waffenstillstand. Alle kennen die tägliche Bedrohung. Es gibt kaum jemand, der nicht die Einschnitte am eigenen Leib und Körper erlebt oder zu spüren bekommen hat.
Wie sind Kompromisse möglich?
David Grossmann verlor 2006 seinen Sohn bei Kämpfen im Libanon. Zeruya Shalev hat den Terror erlebt, als 2004 ein Linienbus in Jerusalem detonierte und sie schwer verletzt wurde. Meir Shalev wurde als Soldat im Sechstagekrieg verwundet. Schreck, Schock, Schmerz gehören zu den Traumata des Landes und tauchen die Texte israelischer Schriftsteller in eine spürbare Unruhe: Wie wird es weitergehen? Wie lassen sich die Seiten befrieden? Wie sind Kompromisse möglich, die Frieden nicht nur als Utopie erscheinen lassen?
Dramen entspringen der Liebe zum Land
Zeruya Shalev hat ihre Sorgen kürzlich in einem Zeitungsartikel formuliert. Wie in ihren Romanen seziert sie hier das Innenleben der Figuren und untersucht das große Gefühl Liebe und die daraus entstehenden Beziehungen und Dramen. Auch der israelische Regierungschef sei davon nicht verschont. Netanjahu liebe sein Land. Diese Liebe aber sei erschüttert worden, als gegen ihn ermittelt wurde und er sich der Justiz wegen Betrugs, Untreue, Bestechlichkeit stellen musste. Netanjahu holte zum Gegenschlag aus und verbündete sich mit denen, die sich schon immer in der Defensive sahen, den Rechten und Religiösen.
Schriftstellerin Zeruya Shalev ist hoffnungsvoll
Die Geschichtenerzählerin Zeruya Shalev, und das ist ihr Funken Hoffnung, sieht ein Licht am Ende des unendlich lang erscheinenden Tunnels. So viele Menschen, unterschiedlichste Gruppen und Generationen haben sich in den letzten Wochen zusammengeschlossen, weil sie die Demokratie ihres Landes in Gefahr sehen. Vermutlich, das wurde schon angekündigt, wird die gerade im Eisfach liegende Justizreform wieder aufgetaut.
Morgen ist wieder Samstag, die Demonstranten werden wieder auf die Straße gehen. Und während Zeruya Shalev ihren Artikel schreibt, hört sie Schulkinder vorbeiziehen, die singen: "De-mo-kra-tia".