Menschenfeinde und Kaffeekocher - Wann kommt ein AfD-Verbotsverfahren?
Wenn Worte und Taten auseinanderdriften, steigt der Verdruss. Alexander Solloch fragt in seiner Kolumne: Wie lange wollen wir noch warten, ehe wir den Kampf mit dem Rechtsextremismus aufnehmen?
Vor knapp vier Wochen sagte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil im Fernsehen: "Ich glaube, dass dieses Ergebnis der Europawahl - dass die Nazis stärker geworden sind - viele Menschen nochmal wachrüttelt. "Oha", dachte man da, die zweitstärkste Partei bei den Europawahlen, die stärkste Partei in den ostdeutschen Ländern: eine "Nazipartei"? Da wird doch aber ausgehend von dieser Erkenntnis jetzt bestimmt rasend schnell etwas geschehen. Immerhin kann es Schlimmeres und Verboteneres in der deutschen Politik gar nicht geben, als eine "Nazipartei" zu sein.
Initiativen nach Klingbeils Erkenntnissen blieben aus
In vier Wochen kann der Mensch viel unternehmen. Georges Simenon hätte in dieser Zeit zwei erstklassige Romane geschrieben. Ein bisschen mehr als ‘rumsitzen und in die Luft gucken geht da also schon. Darum die Frage an die SPD-Pressestelle: Welche Initiativen gehen nach Klingbeils Erkenntnis von der SPD aus, ein Verbot der AfD vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen?
Schnell kommt eine Antwort aus dem Willy-Brandt-Haus: "Entsprechend ihren Befugnissen werden die Verfassungsschutzämter die extremistischen Bestrebungen dieser Partei auch weiterhin beobachten. Sollten diese Erkenntnisse eines Tages so weitreichend sein, dass sie die Erfolgsaussicht eines solchen Verfahrens als gesichert erscheinen lassen, dann ist für uns ein Antrag auf Prüfung der Verfassungswidrigkeit der AfD eine klare Option zur Verteidigung unserer Demokratie."
Kurt Tucholsky fand schon vor 100 Jahren passende Worte
Also doch: ‘rumsitzen und in die Luft gucken. "Weiterhin beobachten." "Sollten eines Tages." "Eine klare Option." Die SPD ist ja immer so stolz auf ihre Geschichte, darf sie auch gern sein. Aber manchmal kommt einem doch auch die Verwünschung in den Sinn, die Kurt Tucholsky der Partei vor knapp 100 Jahren entgegenschleuderte, weil sie ihm so mutlos und erstarrt schien im Kampf gegen die nationalistischen Kräfte: Die SPD solle aufhören, "Sozialdemokratische Partei Deutschlands" zu heißen, meinte Tucholsky, der ehrlichere Name wäre "Partei des kleineren Übels" oder "Hier können Familien Kaffee kochen".
Wir merken also, dass Klingbeil seinen Spruch von den "Nazis" gar nicht ernst meinte, sondern solches Vorgaukeln von Entschlossenheit nur zur Erstversorgung blutender SPD-Seelen anwendete. Sinnvoller als diese Folklore wäre der Verzicht aufs "Nazi"-Wort, weil es historisch mindestens ungenau ist und es der AfD allzu leicht macht, sich nicht gemeint zu fühlen.
Beweise für die Verfassungswidrigkeit der AfD gibt es genug
Man muss es präziser und schärfer und zeitgemäßer sagen, man muss es sagen, wie es ist: Die AfD ist die Partei des organisierten Rassismus, der organisierten gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und damit der organisierten Verfassungswidrigkeit. An nichts mangelt es so wenig wie an Beweisen.
Die offiziellen Verlautbarungen der Partei sind ja schon schlimm genug. Darüber hinaus verbreiten Sympathisanten, Mitglieder und auch Funktionsträger der Partei Tag für Tag in Tausenden von Posts in - scheinbar - geheimen Online-Foren ihren Unrat.
Björn Höcke wegen SA-Parole wieder verurteilt
Ganz großes Thema momentan: die deutsche Nationalmannschaft. Dass nicht alle Spieler so blond und bleich sind wie Alice Weidel, bringt das Blut dieser Leute zum Kochen. Interessant ist auch, was Björn Höcke diese Woche im Gerichtssaal erklärte, wo er wegen der Verwendung seiner derzeitigen Lieblings-SA-Parole wieder mal zu einer Geldstrafe verurteiltwurde: Er könne, jammerte er, eigentlich gar nichts mehr sagen, ohne sich der potentiellen Strafbarkeit auszusetzen. Die meisten Menschen schaffen es ja durchaus, ohne volksverhetzendes Gequatsche durchs Leben zu gehen. Höcke schließt das für sich aus; dann müssen er und seine Partei eben ausgeschlossen werden.
Millionen Menschen gehen gegen Rechts auf die Straße
Die Millionen von Menschen, die seit Jahresbeginn gegen die AfD auf die Straße gegangen sind, haben ihr Verlangen nach einem freundlichen Deutschland bekundet und damit die Politik in die Pflicht genommen - was aber macht die? Denkt sich teils panisch, teils genüsslich immer neue Möglichkeiten aus, Menschen abzuschieben. Kein einziges Problem wird mit solcher Schaufensterpolitik gelöst, keine Wohnung wird dadurch erschwinglicher, keine Gemeinde dadurch existenzfähiger, kein AfD-Wähler wird überzeugt.
Kalt und bitter ist dieser Kaffee, man spuckt ihn aus und ist vergrätzt.
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie diese Kolumne geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sie sich bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.