NachGedacht: Die Arroganz der Entdecker
Charles III. ist zum König gekrönt worden. Es gibt einiges, was bei diesem Ereignis nochmal erwähnt sein sollte, findet Lena Bodewein und stellt die Entdecker-Attitüde auf den Kopf.
Was für ein glorreiches Wochenende: Charles III. bekommt die Krone aufgesetzt und in Hamburg ist Hafengeburtstag. Drei Tage lang feiert die Stadt die gewährte Zollfreiheit für seine Schiffe - und damit den Grundstein für ein weltweit erfolgreiches Handelsnetz. So kamen Hamburger Kaufleute bis in die Südsee. Bis dorthin und darüber hinaus erstreckte sich auch das britische Weltreich, dessen Überresten in Form des Commonwealth König Charles vorsteht. Bei allem Krönungs-Prunk darf man ja nicht vergessen: Das Erbe des Empires umfasst vieles, das noch aufzuarbeiten ist, wie Ausbeutung, Massaker und Sklaverei in den ehemaligen Kolonien.
Entdecken, Beanspruchen, Benennen
Zu denen gehört auch Kenia. Mir wurde neulich erzählt, dass ein kenianischer Künstler derzeit in Großbritannien unterwegs ist und das Land entdeckt. Aber nicht im "Oh, schau, wir entdecken jetzt mal die Moore von Yorkshire"-Urlauber-Modus. Sondern: Er entdeckt, beansprucht und benennt. Auf Swahili. Städte, Seen, Berge. Das ist keinesfalls eine Aktion, die man als originell oder putzig abtun darf. Nein, sie zeigt genau die Haltung auf, mit der Seefahrer, Abenteurer, Kapitäne noch vor nicht allzu langer Zeit um die Welt gesegelt sind und hier wie dort Inseln, Länder, Kontinente für ihre jeweiligen Auftraggeber beansprucht haben und nach ihnen benannten. Siehe Neu-Amsterdam, Virginia, Louisiana, Bismarck-Archipel. Auch wenn da schon längst Menschen lebten!
Denn die Reisenden hatten die Gegenden ja "entdeckt". Oder sie hatten zumindest die ansässige Bevölkerung mehr oder weniger freundlich gebeten, Platz zu machen, für die neuen Herren unentgeltlich zu schuften, ihre natürlichen Ressourcen rauszurücken oder vielleicht am einfachsten: zu sterben. Da wurde im Notfall nachgeholfen.
Menschenverschiffung
Die Deutschen waren in diesen Disziplinen nicht schlecht, gerade in den Südseekolonien. Die Briten waren besonders tüchtig darin: Wenn sie an einer Seite des Weltreiches, sagen wir mal Fidschi, etwas besonders Ertragreiches in großem Maße anbauen wollten, wie etwa Zuckerrohr, die dortige Bevölkerung aber nach britischer Meinung nicht fleißig genug auf den Plantagen schuftete, dann schafften sie einfach einen Haufen Menschen aus einer anderen Kolonie dahin. Man hatte ja genug davon. So landeten die Inder auf Fidschi im Pazifik. Und umgekehrt: Nachdem die Briten die Teepflanze erfolgreich aus China gestohlen hatten, ließen sie sie in Indien anbauen, gerne mit Arbeitskräften von außerhalb.
Das postkoloniale Erbe
Das Ergebnis dieses ruchlosen Verschiebens quer durch die Welt sehen wir heute noch in zahlreichen Konflikten, wie zum Beispiel an den Rohingya aus Myanmar, deren Volk vertrieben und ermordet wurde. In Australien wüteten die Briten unter der indigenen Bevölkerung geradezu, feierten regelrechte Schlachtfeste und beraubten sie darüber hinaus noch ihrer Kultur. Auch durch das Umbenennen von Orten: eine der heiligsten Stätten der Aboriginals hieß jahrhundertelang Ayers Rock. Dabei war das Wahrzeichen Australiens als Uluru bekannt für das dort ansässige Volk. Übrigens seit 70.000 Jahren ansässig. Nur, um mal die zeitlichen Relationen klarzumachen. Der als großer Entdecker gefeierte James Cook kam vor läppischen 253 Jahren dort an, in dem Landstrich, den er später Neusüdwales nannte.
Apropos: Die Einfallslosigkeit, mit der in Australien Orte benannt wurden, ist schwer zu toppen. Ein Gouverneur taufte fast alles auf diesem Kontinent auf seinen eigenen Namen. Macquarie Harbour, Macquarie Island, Macquarie River, Macquarie Pass, eine Stadt, unzählige Straßen. Ich wohne übrigens am Bodewein-Deich in Bodewein-Werder, gegenüber der Bodewein-Senke am großen Bodewein-Fluss.