Wie umgehen mit islamistischen Einstellungen in der Schule?
Vor allem jungen Männer fühlen sich durch die Parolen von Islamisten angesprochen, zunehmend aber auch muslimische Schülerinnen und Schüler. Zwei aktuelle Studien belegen diese Entwicklung.
In einer breit angelegten Befragung von Neuntklässlern in Niedersachsen ist der Soziologe Carl Philipp Schröder auf eine fundamentalistische Auslegung des Islam bei vielen Schüler*innen gestoßen: "Das sind Aussagen wie: Die Regeln des Koran sind mir wichtiger als die Gesetze in Deutschland. Hier stimmen 68 Prozent zu. (…) Die Zustimmung bei anderen Aussagen ist geringer - zum Beispiel bei der Aussage: Die deutsche Gesellschaft sollte stärker nach islamischen Regeln gestaltet werden; da sind es 36 Prozent Zustimmung."
Der Mitarbeiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen betont aber, dass lediglich rund 300 muslimische Jugendliche befragt wurden. Deshalb stelle die Studie kein repräsentatives Ergebnis dar. Dennoch würden die Ergebnisse aufhorchen lassen: "Wenn Sie Jugendliche nehmen, die in der Tendenz eher islamistischen Aussagen zustimmen, dann sind das bei uns 22 Prozent der muslimischen Jugendlichen", so Schröder.
Religionsbezogene Konflikte im Schulalltag
Margit Stein, Pädagogikprofessorin in Vechta, will nicht dramatisieren, aber sie hat bei einer bundesweiten Befragung und bei Einzelinterviews von Lehrkräften und Schulsozialarbeiter*innen festgestellt: Rund ein Viertel der pädagogischen Fachkräfte hat Erfahrungen mit islamistischen Einstellungen von Schüler*innen gemacht. Und rund ein Drittel der befragten Pädagogen nehme unter den Schüler*innen Konflikte wahr, die offenbar religiös motiviert seien: "Zum Beispiel hatte eine Interviewpartnerin geschildert, dass die Schule einen Gebetsraum angeboten hat und dass sich muslimische Schüler*innen teilweise von anderen unter Druck gesetzt gefühlt haben, den Raum aufzusuchen, dass besonders stark praktizierende Schüler auf andere, vermeintlich zu wenig praktizierende, Druck ausgeübt haben. Das ging so weit, dass Namen an die Moschee gemeldet worden sind: Wer betet gar nicht, wer hat was gegessen im Ramadan."
Auch familiäre Konflikte würden auf den Schulalltag ausstrahlen. Zwei Beispiele: "Eine Schülerin hatte sich an die Lehrkraft gewandt, weil sie in Gefahr stand, zwangsverheiratet zu werden", erzählt Stein. "Oder weil die Eltern auf die Wiederherstellung des Jungfernhäutchens durch eine Operation gedrängt hatten."
Und es gebe nicht nur innermuslimische Konflikte: "Zum Beispiel Konflikte durch anti-muslimischen Rassismus, dass Schüler*innen, die fasten oder ein Kopftuch tragen möchten, Angriffen ausgesetzt sind."
Islam als kulturelle Identität
Studien würden belegen, dass bei muslimischen Jugendlichen die Religion einen immer höheren Stellenwert einnehme: "Wobei es nirgendwo so eine Heterogenität auf religiöse Vorstellungen gibt wie im muslimischen Kontext", stellt Stein fest. "Oft finden wir bei muslimischen Jugendlichen 'commitment without belonging', eine Betonung von religiösen Aspekten als persönliches Identitätsmerkmal."
Also der Islam auch als ein wichtiger Bezugspunkt für die kulturelle Identität. Eine Beobachtung, die Mehmet Kart bestätigt. Der Professor für Soziale Arbeit an der Internationalen Hochschule Bremen war beteiligt an der wissenschaftlichen Befragung der Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter*innen: "Unsere Studie zeigt, dass viele pädagogische Fachkräfte sich nicht ausreichend vorbereitet fühlen, um mit religiösen Konflikten im schulischen Kontext umzugehen. Es gibt einen deutlichen Bedarf an Fort- und Weiterbildungen, die darauf ausgerichtet sind, Lehrkräfte in ihren Kompetenzen zu stärken, religiöse Vielfalt zu managen und darauf zu reagieren."
Keine innerreligiösen Konflikte, sondern Toleranz
Margit Stein hat in den Interviews mit den Lehrkräften beobachtet, dass viele den Fehler begehen würden, sich mit Schüler*innen und Eltern auf die Auslegung des Islam einzulassen: "Wenn man Konflikte auflösen möchte, raten wir, nicht mit den Schüler*innen zu diskutieren, wie oft sie in den Gebetsraum gehen sollten, sondern pädagogisch zu wirken, dass man sagt: Jeder kann seine Religion leben, wie er möchte, und dass es wichtig ist, tolerant zu sein." Also nicht darauf zu pochen, dass nur die eigene Auslegung zu gelten habe.