Ramadan: Fasten auch in der Schule?
Im Ramadan kommen auch fastende Schülerinnen und Schüler in den Unterricht - was nicht unproblematisch ist. Gerade in der Vorbereitung auf das Abitur oder die mittlere Reife ist es etwa wichtig, dass alle dem Unterricht konzentriert folgen können. Aber kann das, wer hungert und dürstet? Sogar schon in der Grundschule verweigern Kinder Essen und Trinken. Nicht wenige Lehrer fühlen sich überfordert. Steht das Kindeswohl im Vordergrund oder die Achtung der freien Religionsausübung?
Der Psychologe Ahmad Mansour kennt die Probleme im islamischen Fastenmonat Ramadan. Dann, wenn Schülerinnen und Schüler zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang hungrig und durstig in die Schule kommen: "Vor zwei, drei Jahren meldete sich eine Grundschullehrerin bei mir und erzählte, dass einer der Schüler während des Unterrichts fast ohnmächtig geworden sei. Sie hat ihn aufgefordert zu trinken - er hat dankend angenommen."
Die Lehrkräfte sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass alle Kinder in der Unterrichtszeit ausreichend zu essen und zu trinken erhalten. Der Schüler erzählte abends seinen Eltern, dass die Lehrerin ihn zum Trinken gezwungen habe. "Die Eltern haben einen Brief an die Schulaufsichtsbehörde geschrieben, die wiederum die Schule ermahnt hat, sie solle bitte die Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler akzeptieren", so Mansour.
Kein Fasten bei Kindern unter 14
Ein fatales Signal, müssten doch Behörden gerade Pädagogen unterstützen, denen der geordnete Unterricht und die Gesundheit der Kinder oberstes Anliegen sei, meint Mansour. Zumal es gar keine religiöse Pflicht des Fastens für Kinder gibt, sagt Meryam Schouler-Ocak, Fachärztin für interkulturelle Psychiatrie an der Berliner Charite: "Unter dem 14. Lebensjahr würde ich das nicht empfehlen. Bei langen Tagen brauchen die Kinder Flüssigkeit. Und das sagt ja auch der Koran: vor der Pubertät eher nicht."
Das bestätigt auf Nachfrage auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland. Im Ramadan sollen diejenigen fasten, die dazu gesundheitlich, physisch und psychisch in der Lage sind. Kinder, die noch nicht das 14. Lebensjahr abgeschlossen haben, sind von dieser Pflicht befreit, genauso wie Kranke, Schwangere und Reisende. Laut eines Prophetenwortes sollten Kinder vom 7. Lebensjahr bis zum 14. Lebensjahr allerdings spielerisch und in kleinen, stundenweisen Schritten an die Religion herangeführt werden.
"Die Schule in Deutschland hat Vorrang"
"Das ist Heuchelei", kritisiert Ahmad Mansour, der selbst Muslim ist. "Ich erwarte von den Verbänden, dass sie den Eltern in den Gemeinden am Freitag in aller Deutlichkeit sagen: Die Schule in Deutschland hat Vorrang, die Schulpflicht ist enorm wichtig. Und Fasten, das die Gesundheit von Kindern gefährdet, ist nicht zu rechtfertigen. Was mich am meisten stört, ist dieses selbstbewusste Auftreten von manchen muslimischen Schülern, die im Ramadan fordern, keinen Sport zu machen, keine Prüfungen zu schreiben und keine Ausflüge zu unternehmen. Das ist nicht machbar."
Seyran Ates bietet kompetente Beratung an
Keiner könne verlangen, dass das Schulpersonal nun besonders auf Muslime Rücksicht nehme, meint auch Rechtsanwältin Seyran Ates: "Wie kann es sein, dass aufgrund der Pluralität der Gesellschaft verlangt wird, dass sie Islamexperten sind? Das müssen sie nicht. Sie müssen keine Experten im Islam sein, und sie dürfen nicht kritisiert werden, dass sie es nicht sind."
Kultursensibler Unterricht bedeute nicht, dass man Forderungen vermeintlich streng religiöser Schüler, etwa nach Befreiung von Prüfungen oder vom Unterricht während des Ramadan, einfach nachgibt. Die Forderungen danach hätten aber zugenommen, so Ates: "In den 80er-Jahren gab es das noch nicht in dieser Dimension. Ich bin als muslimisches Kind hier zur Schule gegangen, und Kinder in der Grundschule haben noch nicht gefastet und hatten keine Kopftücher oder Burkinis getragen.“
Seyran Ates hat in Berlin mit gleichgesinnten Muslimen die liberale Ibn Rushd-Goethe Moschee gegründet. Die soll auch Anlaufstelle für Pädagoginnen und Pädagogen sein, die kompetente Beratung brauchen. Und das nicht nur im Ramadan.