Stand: 09.05.2019 19:15 Uhr

Ramadan: Fasten auch in der Schule?

von Thomas Klatt

Im Ramadan kommen auch fastende Schülerinnen und Schüler in den Unterricht - was nicht unproblematisch ist. Gerade in der Vorbereitung auf das Abitur oder die mittlere Reife ist es etwa wichtig, dass alle dem Unterricht konzentriert folgen können. Aber kann das, wer hungert und dürstet? Sogar schon in der Grundschule verweigern Kinder Essen und Trinken. Nicht wenige Lehrer fühlen sich überfordert. Steht das Kindeswohl im Vordergrund oder die Achtung der freien Religionsausübung?

Ahmad Mansour © dpa Foto: Kappeler
"Fasten, das die Gesundheit von Kindern gefährdet, ist nicht zu rechtfertigen", meint Ahmad Mansour.

Der Psychologe Ahmad Mansour kennt die Probleme im islamischen Fastenmonat Ramadan. Dann, wenn Schülerinnen und Schüler zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang hungrig und durstig in die Schule kommen: "Vor zwei, drei Jahren meldete sich eine Grundschullehrerin bei mir und erzählte, dass einer der Schüler während des Unterrichts fast ohnmächtig geworden sei. Sie hat ihn aufgefordert zu trinken - er hat dankend angenommen."

Die Lehrkräfte sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass alle Kinder in der Unterrichtszeit ausreichend zu essen und zu trinken erhalten. Der Schüler erzählte abends seinen Eltern, dass die Lehrerin ihn zum Trinken gezwungen habe. "Die Eltern haben einen Brief an die Schulaufsichtsbehörde geschrieben, die wiederum die Schule ermahnt hat, sie solle bitte die Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler akzeptieren", so Mansour.

Kein Fasten bei Kindern unter 14

Ein fatales Signal, müssten doch Behörden gerade Pädagogen unterstützen, denen der geordnete Unterricht und die Gesundheit der Kinder oberstes Anliegen sei, meint Mansour. Zumal es gar keine religiöse Pflicht des Fastens für Kinder gibt, sagt Meryam Schouler-Ocak, Fachärztin für interkulturelle Psychiatrie an der Berliner Charite: "Unter dem 14. Lebensjahr würde ich das nicht empfehlen. Bei langen Tagen brauchen die Kinder Flüssigkeit. Und das sagt ja auch der Koran: vor der Pubertät eher nicht."

Das bestätigt auf Nachfrage auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland. Im Ramadan sollen diejenigen fasten, die dazu gesundheitlich, physisch und psychisch in der Lage sind. Kinder, die noch nicht das 14. Lebensjahr abgeschlossen haben, sind von dieser Pflicht befreit, genauso wie Kranke, Schwangere und Reisende. Laut eines Prophetenwortes sollten Kinder vom 7. Lebensjahr bis zum 14. Lebensjahr allerdings spielerisch und in kleinen, stundenweisen Schritten an die Religion herangeführt werden.

Mann vor Moschee mit Mondsichel im Hintergrund. © EPA
AUDIO: Ramadan: Fasten auch in der Schule? (5 Min)

"Die Schule in Deutschland hat Vorrang"

"Das ist Heuchelei", kritisiert Ahmad Mansour, der selbst Muslim ist. "Ich erwarte von den Verbänden, dass sie den Eltern in den Gemeinden am Freitag in aller Deutlichkeit sagen: Die Schule in Deutschland hat Vorrang, die Schulpflicht ist enorm wichtig. Und Fasten, das die Gesundheit von Kindern gefährdet, ist nicht zu rechtfertigen. Was mich am meisten stört, ist dieses selbstbewusste Auftreten von manchen muslimischen Schülern, die im Ramadan fordern, keinen Sport zu machen, keine Prüfungen zu schreiben und keine Ausflüge zu unternehmen. Das ist nicht machbar."

Seyran Ates bietet kompetente Beratung an

Seyran Ates © imago/ZUMA Press Foto: Emmanuele Contini
"In den 80er-Jahren gab es das noch nicht in dieser Dimension", erinnert sich Seyran Ates.

Keiner könne verlangen, dass das Schulpersonal nun besonders auf Muslime Rücksicht nehme, meint auch Rechtsanwältin Seyran Ates: "Wie kann es sein, dass aufgrund der Pluralität der Gesellschaft verlangt wird, dass sie Islamexperten sind? Das müssen sie nicht. Sie müssen keine Experten im Islam sein, und sie dürfen nicht kritisiert werden, dass sie es nicht sind."

Kultursensibler Unterricht bedeute nicht, dass man Forderungen vermeintlich streng religiöser Schüler, etwa nach Befreiung von Prüfungen oder vom Unterricht während des Ramadan, einfach nachgibt. Die Forderungen danach hätten aber zugenommen, so Ates: "In den 80er-Jahren gab es das noch nicht in dieser Dimension. Ich bin als muslimisches Kind hier zur Schule gegangen, und Kinder in der Grundschule haben noch nicht gefastet und hatten keine Kopftücher oder Burkinis getragen.“

Seyran Ates hat in Berlin mit gleichgesinnten Muslimen die liberale Ibn Rushd-Goethe Moschee gegründet. Die soll auch Anlaufstelle für Pädagoginnen und Pädagogen sein, die kompetente Beratung brauchen. Und das nicht nur im Ramadan.

Fünf Fragen und Antworten zum Ramadan

1. Was bedeutet Ramadan?
Ramadan leitet sich ab von dem arabischen Wort ramad, was so viel wie "Hitze" und "Trockenheit" des Bodens bedeutet. Neben der Erklärung, der Ramadan verbrenne die Sünden wie die Hitze den Boden, verweist das Wort auch auf das Gefühl von Durst während des Fastens. Zwischen dem Beginn der Morgendämmerung und dem Sonnenuntergang sollen Muslime nicht essen, trinken, rauchen oder Sex haben. Mit einem Abendessen wird das Fasten täglich im Familien- oder Freundeskreis gebrochen (auf Arabisch: Iftar). In Deutschland ist der Ramadan auch ein Monat der interreligiösen Begegnungen beim Iftar.
2. Warum wird gefastet?
Das Fasten geht auf ein koranisches Gebot zurück und gehört zu den sogenannten fünf Säulen des Islam, also zu den zentralen gottesdienstlichen Handlungen im Leben einer Muslimin oder eines Muslims. Es soll die Menschen gottesfürchtig machen, die Seele des Fastenden erfährt dadurch eine Reinigung und Läuterung.
3. Wer muss fasten?
Alle geistig gesunden Muslime, die die Pubertät erreicht haben und damit als mündig gelten. Es sei denn, sie gehen damit gesundheitliche Risiken ein. Reisende zum Beispiel oder Schwangere können die versäumten Fastentage später nachholen.
4. Können Nichtmuslime ihre fastenden Arbeitskollegen unterstützen?
An erster Stelle sollten Nichtmuslime respektieren, wie wichtig diese Zeit für gläubige Muslime ist. Sie können auch fastende Arbeitskollegen unterstützen, indem sie versuchen, sie körperlich weniger zu fordern oder ihnen beispielweise ermöglichen, ihre Arbeitszeiten während des Fastens flexibel zu gestalten.
5. Wie wird am Ende des Ramadan gefeiert?
Ramadan endet traditionell mit einem dreitägigen Fest. Auf Arabisch heißt es Id al-Fitr (Fest des Fastenbrechens), auf Türkisch Seker Bayrami (Zuckerfest). Muslime beginnen das Fest mit einem besonderen Gebet nach Sonnenaufgang. Danach feiern sie gemeinsam in der Familie und mit Freunden.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 10.05.2019 | 15:20 Uhr

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