Die Band Santiano positioniert sich vor einem Eingang © Universal Music Group Isabell Heim Foto: Christian Barz
Die Band Santiano positioniert sich vor einem Eingang © Universal Music Group Isabell Heim Foto: Christian Barz
Die Band Santiano positioniert sich vor einem Eingang © Universal Music Group Isabell Heim Foto: Christian Barz
AUDIO: Santiano: Sehnsucht nach dem wahren Leben (8 Min)

Pepper-Blog (22) Santiano und die Sehnsucht nach dem Analogen

Stand: 12.02.2024 06:00 Uhr

Ich treffe Björn Both und Hans-Timm Hinrichsen auf einen kurzen Schnack im NDR Landesfunkhaus in Kiel. Dabei geht es nicht um ihr neues Album "Doggerland", sondern um Pepper und die Musik in Zeiten der KI.

von Lornz Lorenzen

Moin ihr beiden, schön, dass ihr kurz Zeit zum Schnacken habt. Vielleicht habt ihr schon von Pepper gehört. Wir haben mal gesagt, der kleine Roboter soll Plattdeutsch lernen und ein richtiger Norddeutscher werden. Timsen, meinst du das ist Quatsch oder könnte das Experiment funktionieren?

Timsen: Ach, weißt du, wenn das hilft, die Sprache ein wenig voranzubringen und auch ein wenig mehr in die Öffentlichkeit zu bringen, auch im Unterricht oder so, dann will ich da nichts gegen sagen. Aber das darf dann nicht in die verkehrte Richtung gehen, dass das so ein angestrengtes Lexikon-Plattdeutsch wird, dass man auf der Straße gar nicht mehr spricht. Aber grundsätzlich, die Idee, da sollte man doch erst mal offen dafür sein.

Peppers Stimme klingt so ein bisschen kindlich. Und man spricht von einem sozialen Roboter. Ist das nicht ein Widerspruch in sich selbst? Also, was ist denn sozial an einem Roboter, der zum Beispiel mal eine Schule besucht?

Both: Ja, wenn er das tut, dann ist er ja doch schon sozial. Jeder Roboter, der älteren Menschen ins Leben hilft und Aufgaben für andere Menschen übernimmt, ist ja sozial, ob er nun ein Roboter ist oder nicht. Das kann keinen Menschen ersetzen, aber wenn wir schon einen Mangel haben an Menschen, die sich kümmern, dann ist das ein Weg über den wir nachdenken sollten.

Wie ist es gerade für euch als Musiker, als Künstler, dass jetzt auch noch Stimmen geklont und Songs neu oder mit der KI zu Ende komponiert werden? Wie geht ihr damit um?

Both: Also generell mit der AI oder KI, das ist wie immer. Das hat zwei Seiten. Es kann vieles nach vorne bringen, aber die größte Gefahr ist nicht, dass Musikern die Songs gestohlen werden, sondern, dass wir irgendwann nicht mehr unterscheiden können zwischen dem, was wahr ist und was nicht wahr ist. Ja, gerade auch in der Politik wird das wichtig. Und wir sehen das gerade schon in den Satire-Sendungen - wenn du nicht wüsstest, dass es Satire ist, dann denkst du, der Lindner hat das tatsächlich gesagt, dabei ist die Stimme gefaket. Und das ist gefährlich, wenn da jemand Schindluder mit betreibt im größeren Maßstab, dann bringen wir die Welt auf den falschen Weg.

Aber wie ist es denn jetzt so mit einem musikalischen Roboter? Würdet ihr so einen wie Pepper in eurer Band mit aufnehmen?

Both: Frag Timmy, nee, ich habe da keine Idee dazu.

Santiano Sänger Hans Timm Hinrichsen im Porträt. © NDR Lornz Lorenzen Foto: NDR - Lornz Lorenzen
"Segg wat wohr is, drink wat kloor is, eet wat goor is", sagt Timsen im Interview.

Timsen: Nein, so einen Roboter in die Band aufzunehmen, das ist für uns kein Thema. Aber das mit der KI, so mit dem Stimmen nachmachen, das ist nicht das, was wir wollen. Dass da ein richtiger Mensch (auf der Bühne) steht, der direkte Kontakt, das ist es doch, worum es geht. Unterm Strich, da bin noch so ein alter Heini und sage: "Segg wat wohr is, drink wat kloor is, eet wat goor is."

Ja, das mit der Musik von John Lennon da haben ja viele gedacht, du kannst Tote wieder auferstehen lassen. Was ist das für ein Gefühl als Musiker?

Both: Das finde ich alles gar nicht so schlimm. Das ist Kultur, die kann sich auch modernisieren und erneuern. Dann können wir auch einen neuen Beatles-Song, der nie veröffentlicht worden ist, mit der KI fertig abmischen. Plötzlich ist er in den Charts auf Platz 1. Das ist ja irgendwie noch gut, da habe ich nichts dagegen. Für mich ist, und das hat Timmi mir auch gesagt, die Gefahr zentral, dass wir hinters Licht geführt werden, nicht mehr unterscheiden können zwischen Lüge und Wahrheit. Und wenn wir das nicht mehr können als Endverbraucher, als Zeitungsleser, als Fernsehzuschauer, dann sind wir auf dem verkehrten Weg.

Timsen: Du hast eben gefragt, wie wir das als Musiker sehen, aber wie sieht es denn von der anderen Seite aus, von der Hörerseite. Ich möchte doch den hören, der das wirklich gesungen hat. Ganz ehrlich. Ich will da nicht irgendwie so einen Roboter hören, der unsere Stimmen nachmacht, das hat doch nicht das Wahre. Das ist noch viel schlimmer als früher. Da hatten wir Schallplatten. Dann kamen die CDs und jetzt haben wir so einen komischen Kasten in der Hand und können Millionen Lieder streamen, überall an jedem Ort, jede Stunde und jede Sekunde.

Ja, also für euch als Live-Band zählt das Bühnenerlebnis, Musiker zum Anfassen?

Santiano Sänger Björn Both im Porträt. © NDR Lornz Lorenzen Foto: NDR - Lornz Lorenzen
"Die KI nimmt uns irgendwo auch Geld weg", sagt Santiano-Sänger Björn Both.

Both: Ja, Anfassen weiß ich es jetzt nicht, aber uns reicht es, wenn wir analog weiterleben und unsere Musik so machen. Dazu kommt ja auch, dass wir jetzt keine Platten mehr verkaufen, sondern Streaming haben. In Sachen Musikverwertung kommen wir da in eine Schieflage. Wir machen einmal im Jahr eine Platte oder alle zwei Jahre - die meisten Musiker müssen das so machen. Du kannst also nicht jeden Tag Songs veröffentlichen. Aber die KI haut jeden Tag in der Woche 400 Songs über Spotify raus. Das führt dort zu einer Überflutung, die Abrechnungsmodi verändern sich für die wirklichen Menschen, die da dran hängen, zum Nachteil. Die KI nimmt uns da irgendwo auch das Geld weg.

Also Björn, wenn ich jetzt deine Stimme perfekt digitalisiere, dazu deine Verhaltensweisen tracke und noch ein bisschen was von dir einscanne - dann bauen wir eine Björn-Both-KI, in der du nach deinem Tod weiterleben könntest?

Both: Das ist überheblich, hochmütig und anmaßend. Wenn wir nun nicht einmal mehr die feststehenden Dinge, wie Werden und Sterben, akzeptieren. Wenn der Tod nicht ein Ende markiert, außer vielleicht in der Erinnerung. Wenn wir jetzt anfangen, Avatare zu bauen von Menschen, die eigentlich tot sind, und die geistern dann auch noch in irgendwelchen Buden zuhause herum? Uropa und Uroma, Oma und Opa und so weiter. Wie voll soll das dann werden? Das ist doch alles Schwachsinn.

Das hört sich absurd an, aber im Silicon Valley arbeiten die Leute schon dran. Das nennen die dann Transhumanismus, die sind der Meinung, das sei nur eine Frage der Zeit, das dauere nicht mehr lang.

Timsen: Ja, aber muss das jetzt auch noch sein? Eigentlich geht's doch nur darum, Geld zu verdienen. Das sind doch wirtschaftliche Interessen, so etwas hochzuschaukeln. Ich weiß nicht, ob die Menschen das wirklich gut finden, ob das viele Menschen gibt, die so etwas tun. Meine Güte, vielleicht setzt dann auch eine Gewohnheit ein und in 30 oder 50 Jahren spricht kein Mensch mehr darüber. Aber aus heutiger Sicht, wie ich das heute fühle, passt das nicht zusammen.

Both: Das (Leben und Tod) sind feststehende Dinge des Lebens. Was wollen wir daran rütteln, wenn wir davor auch noch den Respekt verlieren? Was ist denn dann so ein Leben noch wert? Da kommt doch keiner mehr zur Beerdigung. Du kannst morgen den Avatar anschalten, weil eigentlich ist Günter ja gar nicht tot und wenn wir das haben, ist doch alles verloren. Dann haben wir auch die große Trauer und den großen Verlust nicht mehr. Aber das gehört doch dazu, wenn wir jemanden geschätzt und geliebt haben. Dann empfinden wir Trauer und Verlust. Derjenige ist nicht mehr da, das ist eine schlechte Nachricht, aber das muss man sich doch auch bewahren, das ist Natur und das ist Mensch sein.

Timsen: Nicht immer mehr, mehr und mehr. Sondern irgendwann ist auch mal etwas zu Ende und alles hat seine Zeit und gut ist. Also wir sehen das Ganze sehr skeptisch. Sagen wir mal so.

Vielen Dank!

Das Interview führte Lornz Lorenzen.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 12.02.2024 | 20:10 Uhr

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