Roland Kaiser: Der sanfte Erotiker des Schlagers
Roland Kaiser feiert im Sommer 2024 sein 50-jähriges Bühnenjubiläum mit einer Open-Air-Tournee. Im Norden ist er in Bad Segeberg (26.05.2024), Hannover (21.06.2024) und Rostock (22.06.2024) zu erleben. Ein paar Betrachtungen zur Schlagerlegende vom Hamburger Literaturhauschef Rainer Moritz.
Zu den Unvermeidlichkeiten des Unterhaltungsgeschäfts gehört es, dass langanhaltender Ruhm selten ist. Große Chartserfolge sind keine Garantie für dauerhafte Anerkennung, und so fliegen viele Schlagerschwalben oft nur einen Sommer, gehen als One-Hit-Wonder in die Geschichte ein und kommen nicht umhin, sich im fortgeschrittenen Alter ihre Brötchen mit Auftritten auf Firmenweihnachtsfeiern oder Baumarkteröffnungen zu verdienen.
An zwei Händen sind jene Künstler abzuzählen, die dieser Entwicklung trotzen und sich über Jahrzehnte hinweg im Geschäft halten. Udo Jürgens, Howard Carpendale, Vicky Leandros oder Mary Roos gehören in diese Kategorie – und fraglos auch der 1952 geborene Roland Kaiser.
Mit risikofreudigen Songs zum Erfolg
Seine ersten Hits in den späten 1970er-Jahren ließen noch nicht erahnen, dass es ihm gelingen würde, sich über das Schlagereinerlei zu erheben. Stets gut geföhnt brachte er es mit 67 Auftritten zum König der legendären ZDF-"Hitparade" und schien sich in die Riege eines Jürgen Drews, Bernd Clüver oder Jürgen Marcus einzureihen.
Doch Roland Kaiser erkannte früh, dass mit Retortenliedern kein musikalisches Überleben möglich war - vor allem als Anfang der 1980er der angloamerikanische Pop die Macht endgültig übernahm und für den Schlager das Totenglöckchen geläutet wurde, etwa von der das Genre satirisch aufbrechenden Neuen Deutschen Welle. Roland Kaiser indes hielt stand. Gewiss, er sang schlichte Stimmungslieder wie "Sieben Fässer Wein" (das ihm heute peinlich ist), doch bald verstand er es, sich mit ungewöhnlichen, risikofreudigen Songs zu etablieren.
"Santa Maria" wird zum unfreiwilligen Hit
Zur Ironie seiner Karriere gehört es, dass sein einziger Nummer-1-Hit, "Santa Maria" aus dem Jahr 1980, einer Rotweinlaune entsprang. Die ursprüngliche Idee, einen Italopopsong der Brüder Oliver Onions mit einem Text über Kolumbus zu covern, missfiel der Plattenfirma, sodass Kaiser vom Alkohol befeuert zusammen mit Norbert Hammerschmidt ein klischeegetränktes Deflorationslied schrieb.
Aus dem Spaß wurde Ernst, ein unfreiwilliger Hit. Darüber, dass hier eine sehr junge Insulanerin, ein "Kind der Sonne", das Opfer männlicher Übergriffigkeit wurde ("Nachts an deinen schneeweißen Stränden / hielt ich ihre Jugend in den Händen"), hörte man damals gnädigerweise hinweg. Mit "Santa Maria" festigte Kaiser seinen Ruf als sanfter, nie plumper Erotiker des Schlagers.
Mit der Zuverlässigkeit eines Markenprodukts
Er und seine Produzenten erkannten, dass in Zeiten steigender Scheidungsraten mit einer komplikationslosen "Ganz-in-Weiß"-Rhetorik nichts mehr zu gewinnen war. "Dich zu lieben", "Lieb mich ein letztes Mal" oder "Manchmal möchte ich schon" blieben eng verbunden mit den alltagserotischen Erfahrungen der Deutschen, und dass Kaiser sich von machohaftem Gehabe fernhielt und, nun seriös im guten Anzug auftretend, bei allem, was er sang, "authentisch" wirkte, dankte ihm sein Publikum über die Jahre hinweg.
Top-Chartsplatzierungen mit seinen Singles gelangen zwar auch ihm nicht mehr, doch mit seinen Alben und vor allem seinen Konzerten erreichte er eine durchgängig breite Resonanz. Genau betrachtet meisterte Kaiser ein Paradox: Einerseits blieb er sich treu und verkörperte die Zuverlässigkeit eines Markenprodukts; andererseits erfand er sich immer neu und sorgte regelmäßig für Überraschungen. Zu diesen zählen insbesondere das Duett "Warum hast du nicht nein gesagt", das er 2014 mit Maite Kelly aufnahm und das mittlerweile als Schlagerevergreen gilt, und sein Auftritt 2021 im Passauer Dom, als er mit der russischen Opernsängerin Olga Peretyatko das Weihnachtslied "When A Child Is Born" mit gebührender Rührung zelebrierte.
Roland Kaiser: Grandseigneur des deutschen Schlagers
In seiner 2021 erschienenen Autobiografie "Sonnenseite", die sich wohltuend von den üblichen in Buchform gepressten Selbstbeweihräucherungen seiner Kollegen absetzt, nennt Kaiser eine ihn leitende Maxime: "Unterhaltung als Haltung". Dass er dieser glaubhaft bis heute folgt, hat mit seiner Lebensgeschichte zu tun, zu der auch eine schwere Lungenerkrankung gehört, die seine Laufbahn zu beenden drohte.
Im ärmlichen Berliner Stadtteil Wedding bei einer Pflegemutter aufgewachsen, arbeitete sich Kaiser vom Autoverkäufer zum Schlagerstar hoch. Aus seiner Sympathie für die SPD, deren Mitglied er seit zwanzig Jahren ist, machte er nie einen Hehl, und bei seinen legendären Dresdner Elbkonzerten zeigte er sich, was in der Branche selten vorkommt, politisch standhaft und verurteilte die Pegida-Auswüchse öffentlich.
Roland Kaiser ist inzwischen der Grandseigneur des deutschen Schlagers. Dessen Sternchen hat er in den letzten fünf Jahrzehnten kommen und gehen sehen. Er ist geblieben.