Leslie Feist © picture alliance / abaca | DS/ABACA

"Multitudes": Leslie Feist überrascht mit neuem Sound

Stand: 18.04.2023 11:50 Uhr

Nach sechs Jahren hat Feist wieder ein neues Album rausgebracht. Seit ihrer letzten Platte wurde sie Mutter und verlor ihren Vater.  Beide Ereignisse haben "Multitudes" geprägt. Ihr neues Album ist nachdenklicher als frühere Alben.

von Juliane Reil

Mitte der 2000er-Jahre war Leslie Feist mit ihrer Stimme stilprägend. Ihr zweites Album "Let It Die" von 2004 bedeutete den Durchbruch für die Kanadierin. Es ließ nicht nur die Herzen der Indie-Gemeinde höherschlagen, sondern enthielt auch den Song "1234", der im Radio und in der Werbung hoch und runter lief.

Leslie Feist verarbeitet prägende Lebensereignisse

Die Sängerin Feist © Mary Rozzi / Universal Music Foto: Mary Rozzi
Die Sängerin Feist bei einem Pressetermin im Jahr 2009.

In einer damals stark durchproduzierten Musiklandschaft stand Ihr Gesang für Natürlichkeit und Nähe. Dieses Konzept ist auch der Ausgangspunkt für ihr neues Album "Multitudes". Die Songs darauf waren 2021 bereits fertig. In einer Serie intimer Live-Konzerte an verschiedenen Orten der Welt bekamen sie jedoch ihren letzten Schliff. "Ich habe versucht, mich in einer veränderten Welt zurecht zu finden. Ich bin Mutter geworden. Kurz danach ist die Pandemie ausgebrochen. Das war eine enorme Veränderung für mich", sagt Feist. "Zur gleichen Zeit habe ich meinen Vater verloren. Das war eine Situation, in der alles für mich infrage gestellt wurde."

Live auf Tour: Album perfektionieren

Im Live-Setting feilte sie an den Texten. "Ich hörte ein Wort oder einen Satz aus meinem Mund und merkte, dass ich auswich und nicht aufrichtig war", schildert sie. "Ich habe mich gefragt: Was will ich eigentlich sagen? Und wie könnte ich es stattdessen formulieren? Bei der nächsten Show habe ich dann zum Beispiel das Wort durch ein anderes ersetzt. Ich habe aber nichts am Arrangement oder der Struktur der Songs verändert. Das stand alles schon. Es war eher so, dass ich die Songs mit einem Wahrheitsserum versetzt habe."

"Multitudes": Tiefe im Ausdruck

"Multitudes" wirkt nachdenklicher und melancholischer als frühere Alben. Fast fehlt die Verspieltheit und Leichtigkeit eines Songs wie "1,2,3,4". Der Effekt ist, dass man sich noch verlorener beim Hören vorkommt. Dafür sorgt die Tiefe ihres Ausdrucks im Gesang, die unverändert ist.

Zum ersten Mal schichtet Feist stellenweise ihre Stimme zu Chören, sie rezitiert - oder schreit sogar. Das ist neu und überraschend. Es zeigt eine bisher unbekannte Seite. Streicher, Synthesizer, Schlagzeug, Gitarre, Bass und manchmal sogar ein Saxophon sind zu hören. Im Song "Borrow Trouble" überschlägt sich zum Schluss alles förmlich. Auch das überrascht, da der typische Feist-Song eigentlich minimalistisch und filigran ist.

"Multitudes" thematisiert Veränderungsprozesse

Die Themen kreisen um Verlust, Mutterschaft, unerwiderte Liebe. Es geht um Veränderungsprozesse und die unterschiedlichen Seiten, die wir anderen von uns zeigen. Ursprünglich bezieht sich der Albumtitel "Multitudes" allerdings auf die Erfahrung der Pandemie.

"Die Idee von Multitudes war die Menschheit im Allgemeinen. Ich habe mich mit allen verbunden gefühlt, aber gleichzeitig war jeder wie hinter Plexiglas", erklärt Feist. "Zu Beginn der Pandemie hatte ich die Vorstellung, dass jeder den gleichen seltsamen Moment wie ich erlebt. Dadurch fühlte ich mich einerseits allen nah, andererseits aber auch fern von ihnen."

Feist hat sich als Musikerin weiterentwickelt

"Multitudes" zeigt, wie eine etablierte Musikerin nicht müde wird, sich weiterzuentwickeln, und ihr Spektrum erweitert. Als Sängerin und als Songschreiberin. Das unterscheidet die Künstlerin vom Industrieprodukt. Es ist ein mutiger und inspirierender Schritt. Feist erlaubt sich, eine neue Facette von sich zu zeigen. Mit dem ersten Song "In Lightning" stellt sie dafür die Weichen.

"Bei 'In Lightning' geht es darum, dass Du entscheidest, wer Du sein willst, nachdem Du Dich selbst konfrontierst hast", sagt die Kanadierin. "So eine Konfrontation kann schmerzhaft sein, aber auch schön. Ich habe mir mein älteres Ich vorgestellt, das mit 83 viel entspannter sein wird und über mein heutiges Ich schmunzelt, vielleicht sogar lacht."

Multitudes

Genre:
Pop
Zusatzinfo:
Leslie Feist
Preis:
18,99 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Matinee | 18.04.2023 | 14:40 Uhr

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