Wenn man nicht in der Muttersprache singt: Profi-Sänger erzählen
Die Muttersprache hat einen festen Platz im Gehirn, mit ihr fühlen wir uns sicher. Was passiert, wenn man sich beim Singen die Sprache aus einem anderen Land zu eigen machen muss? Ein Besuch beim NDR Vokalensemble in Hamburg.
Ein Mittag im Studio 11 des Norddeutschen Rundfunks am Rothenbaum in Hamburg. Das NDR Vokalensemble probt mit dem Dirigenten Marcus Creed für das Programm "O schöne Nacht." Ein Stück daraus ist die "Nachtwache II" von Johannes Brahms. Der Text von Friedrich Rückert beginnt mit der Frage: "Ruhn sie?"
"Ruhe ist schön auszusprechen und zu singen, das macht so einen schönen Klang", sagt der Bariton Dávid Csizmár. "U und O sind immer ganz nett, am Anfang zu haben."
Csizmár sang schon in Ungarn auf Deutsch
Csizmár lebt seit 2007 in Deutschland. Er kommt ursprünglich aus Budapest, seine Muttersprache ist Ungarisch - und trotzdem fühlt er sich in der deutschen Sprache schon lange heimisch. "In Ungarn habe ich auch zu 70 Prozent auf Deutsch gesungen - auf falschem Deutsch, aber auf Deutsch. Das war immer meine Gesangssprache, und deshalb wollte ich auch nach Deutschland kommen zum Studieren. Die Sprache ist für mich wie ein Zuhause."
Wie Csizmár gehört auch die britische Sopranistin Lucy de Butts zu den festangestellten Mitgliedern des NDR Vokalensembles. Sie lebt und arbeitet seit 2010 im deutschsprachigen Raum und spricht ebenfalls exzellent. "Ich finde es sehr erfrischend, wie viele Regeln es im Deutschen gibt, an die man sich einfach hält - und dass die Konsonanten sehr klar ausgesprochen sein dürfen und müssen", so die Sängerin.
Ein Blick auf die Lippen der Kollegen hilft manchmal
Trotz dieser klaren Regeln und ihrer Erfahrung braucht de Butts manchmal schon noch einen kleinen Zusatzaufwand bei bestimmten Vokalen oder Umlauten. Etwa wenn in einem romantischen Text ein seltener Konjunktiv des Verbs "fliegen" auftaucht. "Heute hatten wir was mit 'flöge' - und ich habe bemerkt, dass ich doch die Kollegen anschauen musste, um zu sehen, wie sie ihre Lippen bewegen, damit ich das auch richtig mache."
Eine Sache bedauert die Sopranistin: "Ich finde es schade, dass es nie das Gleiche sein wird wie die Muttersprache. Wenn ich auf Englisch singe, dann kann ich Sachen ausdrücken, die ich auf Deutsch nicht ausdrücken würde." Aber de Butts singt ja nicht nur auf Deutsch, weder bei ihren solistischen Auftritten noch im NDR Vokalensemble. Manchmal sind die Rollen auch vertauscht. Bei Werken in englischer Sprache ist sie dann Zuhause. "Bei einem Wort wie 'I', das man ganz oft singt, hört man, ob es ein Muttersprachler ist oder nicht. Wann man bei 'aaaaiii' genau von dem einen auf den anderen Vokal wechselt, kann echt den Unterschied machen."
Ungarisch-Coaching für Bariton Gerald Finley
Auch Dávid Csizmár ist immer wieder als musikalischer Muttersprachler gefragt. Wie gerade erst beim Festival "Kosmos Bartók", wo er sowohl in einem Konzert mit dem NDR Vokalensemble als auch als Solist in der Oper "Herzog Blaubarts Burg" zu erleben war. Dort hat er auch den Bariton Gerald Finley für die Hauptrolle auf dessen Wunsch ein bisschen gecoacht. "Er war ziemlich gut, aber eine Sache habe ich ihm gesagt: 'Tränen' heißt auf Ungarisch ‘Könnyek’. Und er hat oft so etwas wie 'Köhnyek' gesungen. Das hat dann fast wie 'Könyök' geklungen - das ist der Ellbogen. Ein großer Unterschied!"