Wenn Insekten und Menschen gemeinsam musizieren
Klangkunst trifft auf Biotremologie: Der Elsässer Komponist Ludwig Berger kommt mit Musikern und Aufnahmen von Insektengeräuschen dieses Wochenende nach Hamburg und Lübeck.
Es gibt Tiergeräusche, die das menschliche Ohr nicht wahrnehmen kann. Ludwig Berger, Klangkünstler aus dem Elsass, übersetzt sie in musikalische Klänge. Seine Stars sind Rossameisen, Gladiatorenschrecken und Spornzikaden.
Wohliger Klangteppich aus Insektenklängen
Zum Tourauftakt war Ludwig Berger schon in Greifswald und Rostock. Dort spielte er in den Botanischen Gärten. So wurde auch eine Wiese in Rostock zur Bühne. Auf Bambusstangen steckten 16 Lautsprecher - ringsherum verteilt. Ihre Form erinnerte an das Schallstück einer Tuba. Aus jedem strömte ein anderer Klang. Es war kaum zu unterscheiden, ob es sich um ein Insekt handelt oder ob es einer der beiden Musiker war, die den Klangkünstler begleiteten. Eines war sicher: Alle Geräusche trafen sich in der Mitte der Wiese und erzeugten einen wohligen Klangteppich.
Ludwig Berger benutze einen Laptop: "Ich habe immer acht verschiedene Spuren und auf jeder ist ein Insektengeräusch. Die kann ich dann zu jeder Zeit ein- und ausschalten und durch den Raum wandern lassen. Das kombiniert sich mit den Klängen der Musiker, die darauf antworten."
Mit dem "Hummelflug" entschleunigen
Es verwundert nicht, dass auf einem Insektenkonzert ein klassisches Stück interpretiert wird, dass die meisten Zuhörer sofort erkennen: der "Hummelflug" des russischen Komponisten Nikolai Rimski-Korsakow. Versierte Instrumentalisten spielen das Stück gerne schnell. Der Weltrekord liegt aktuell bei etwas mehr als 53 Sekunden. Das ist nicht das Ziel des elektroakustischen Komponisten und seiner Mitspieler: "Wir wollen die langsamste Interpretation des 'Hummelflugs' spielen. Das heißt, wir spielen pro Konzert nur einen einzigen Takt - in Greifswald war es Takt 10, in Rostock Takt 11 und in Lübeck und Hamburg folgen der 12. und 13. Takt. Wir glauben, dass uns derzeit Entschleunigung gut tut."
Der Schweizer Patrick Kessler spielt mit seinem Kontrabass nur acht Noten in 45 Minuten. "Wenn ich mich inspiriert fühle, spiele ich eine Note länger oder kürzer. Ich benutze unterschiedliche Rhythmen und Oktaven - aber auch Druck mit dem Bogen oder kleinen Stäbchen." Er versucht auch die Insekten zu imitieren, indem er mit dem Daumen über den Korpus streicht oder den Bogen zwischen die Saiten schiebt.
Insektenklänge aus der ganzen Welt
Ludwig Berger muss seine Sounds schon vor dem Konzert haben. Die besorgt er sich selbst auf Expeditionen. Oft hilft ihm auch die Wissenschaft: "Für dieses Projekt habe ich einen Aufruf gestartet und Wissenschaftler gebeten, mir Aufnahmen zu schicken." Er hat Geräusche aus der ganzen Welt bekommen, zum Beispiel von Monika Eberhard von der Universität Hamburg, die hierzulande Listspinnen untersucht, die meist auf Brennnesseln sitzen.
Oder von Julien Bota, der in seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Greifswald auf Borneo war. Dort hat er Trommelgeräusche von Rossameisen aufgenommen. "Das sehr rhythmische und warme Klopfen entsteht, wenn die Ameisen mit ihren Mundwerkzeugen auf Blätter hämmern. Das tun sie, wenn die Rattanpalme, auf der sie Leben, erschüttert wird", erklärt Berger.
Symbiose von Kunst und Wissenschaft
Dabei untersuchen beide Wissenschaftler meist keine vom menschlichen Ohr hörbaren Klänge. Es handelt sich vielmehr um Vibrationen, die beispielsweise Insekten auf Blättern oder Ästen erzeugen - Spinnen aber auch in ihrem Netz oder über dem Boden. Nur spezielle Lasermikrofone können diese feinen Vibrationen aufzeichnen und in für uns wahrnehmbare Geräusche umwandeln. Biotremologie heißt die noch recht junge Wissenschaft, die sich mit diesen geheimnisvollen Vibrationen beschäftigt.
Diese nutzt Ludwig Berger für seine Auftritte: "Als ich diese Klänge der Biotremologie das erste Mal gehört habe, konnte ich nicht glauben, dass es das gibt. Ohne die Wissenschaft hätten wir diese vermutlich nie gehört. Ich verstehe Wissenschaft als Veränderung unserer Wahrnehmung. Wir hören etwas, was wir vorher nicht gehört haben und sehen die Welt danach anders."
Auch die Wissenschaft profitiert von Kunstprojekten wie diesen, so die Forscherin Monika Eberhard: "Es ist ganz wichtig, dass man die Wissenschaft einem breiten Publikum präsentiert. Das funktioniert sehr gut über Kunst. Sie löst eine Faszination aus, die Vorträge meist nur schwer transportieren können." Und so entsteht eine Symbiose zwischen der Klangkunst und der Naturwissenschaft.
Insektenklang-Konzerte in Lübeck und Hamburg
Die Natur und ihre Geräusche haben Ludwig Berger schon immer angezogen: "Ich bin in einem kleinen Dorf im Elsass aufgewachsen. Dort waren Vögel sehr präsent. Laut meinen Eltern war mein erstes Wort nicht 'Papa' oder 'Mama', sondern 'Fofo', was für 'Vogel' steht." Mit 17 bekam der heute 37-Jährige sein erstes Aufnahmegerät.
In Weimar studierte er dann Musik-, Kunst- und Literaturwissenschaften. Dann folgte ein Studium der elektroakustischen Komposition. Am Institut für Landschaftsarchitektur der ETH Zürich führt er Feldforschungen durch. Dabei nahm er schon Geräusche in Gletschern und Vulkanen auf. Er vertont aber auch urbane Landschaften mit Staudämmen oder Bahnhöfen - und zuletzt sein Insektenprojekt. Das ist heute ab 18 Uhr im Museum für Natur und Umwelt in Lübeck und am Sonnabend zur gleichen Zeit im Loki-Schmidt-Garten in Hamburg zu erleben.