Anton Bruckner: Vom "Verrückten" zum "Heilsbringer"
Heute vor 200 Jahren wurde Anton Bruckner geboren. Sein ganzes Leben lang war er Einzelgänger. Die Anerkennung der Wiener Gesellschaft blieb ihm lange verwehrt. Heute dagegen verneigt sich die Musikwelt vor ihm und seinen himmlischen Klangkathedralen.
Anton Bruckner stammte aus einfachen Verhältnissen und wurde sein Image als "ungeschickter Bauer vom Land" nie so richtig los. Selbst Johannes Brahms urteilte über den am 4. September 1824 im oberösterreichischen Ansfelden geborenen Bruckner: "… er ist ein armer verrückter Mensch, den die Pfaffen von St. Florian auf dem Gewissen haben."
Vom Chorsänger zum gefeierten Orgelsolisten
Das Stift Sankt Florian nahe Linz: hier fing alles an. Nach dem Tod seines Vaters wurde Anton Bruckner 1837 zunächst als Chorknabe im Stift aufgenommen, später als Schulgehilfe und schließlich als Organist eingestellt. Die 13 Jahre in Sankt Florian prägten den jungen Bruckner fürs Leben. Hier lernte er die großen geistlichen Werke kennen, durfte nach Belieben auf der Orgel üben und brachte es als Autodidakt auf der "Königin der Instrumente" zu hoher Kunstfertigkeit. Bruckner entwickelte sich zum Orgelvirtuosen, erhielt 1855 die Domorganistenstelle in Linz und wurde später als Orgelimprovisator international wie heutzutage ein Popstar gefeiert.
Musik zum Leuchten gebracht
Doch als Sinfoniker war Bruckner ein unbeschriebenes Blatt. Seine ersten Versuche nahm er schnell wieder zurück. Die f-Moll-Sinfonie, die er 1866 während seines Studiums komponiert hatte, und auch die d-Moll-Sinfonie von 1869, die man heute als die "Nullte" bezeichnet, "annullierte" Bruckner wieder: ab in den Papierkorb. Er war nicht zufrieden und von Selbstzweifeln geplagt. Doch kluge Menschen holten die beiden Sinfonien - im übertragenen Sinne - wieder aus dem Papierkorb heraus und veröffentlichten sie nach Bruckners Tod. Denn bereits in diesen beiden Sinfonien legte Bruckner den Grundstein für seinen späteren Erfolg. So wie er virtuos auf der Orgel improvisierte, war er auch beim Komponieren sinfonischer Musik begeistert experimentierfreudig. Wie Ludwig van Beethoven ein halbes Jahrhundert zuvor revolutionierte auch Anton Bruckner die Sinfonie und hob sie auf eine neue Ebene. Bruckner brachte die Sinfonik zum Leuchten.
"Wer hohe Türme bauen will, muss lange beim Fundament verweilen"
Im Gegensatz zu Mozart, der seine Sinfonien oftmals vollständig im Kopf hatte, bevor er sie auf Papier brachte, konstruierte Bruckner seine sinfonischen Werke über einen langen Zeitraum hinweg - quasi auf dem Reißbrett. Er entwickelte Themen und Motive, die - so wie Bach es in seiner "Kunst der Fuge" vorgemacht hatte - vorwärts, rückwärts, gespiegelt und in der gespiegelten Umkehrung gespielt werden konnten. Klingt verwirrend, funktioniert aber bestens. Bruckner erweiterte die Sonatenhauptsatzform um ein drittes, manchmal sogar um ein viertes Thema und schuf somit Fundamente, auf die er seine Sinfonien wie gigantische Kirchenbauten setzte. Der strenggläubige Katholik wollte dem lieben Gott mit seiner Musik möglichst nahekommen. So formte er von Sinfonie zu Sinfonie immer größere Fundamente, auf die er immer größere Klang-Kathedralen baute.
Bisher ungehörte Klanggewalten
Bruckner, der sein Leben lang um Anerkennung kämpfte, sich als Autodidakt immer nach akademischen Titeln sehnte, von Prüfungen nie genug kriegen konnte und Professor an der Wiener Universität werden wollte, feierte erst im Alter von 60 Jahren den internationalen Durchbruch, und zwar mit seiner siebten Sinfonie. Sechsmal hatte er mit gesenktem Kopf den Konzertsaal verlassen und miterleben müssen, wie seine Sinfonien vom Publikum und meist auch von Dirigenten und Orchestern abgelehnt wurden. Zu schwer, zu diffus, zu lang: der Musik fehle es an Form und Logik, so die Kritiker. Selbst Gustav Mahler urteilte über Bruckner, er sei "ein einfältiger Mensch, halb Genie, halb Trottel". Oder sagte dies der Dirigent Hans von Bülow? Da ist sich die Musikwissenschaft nicht einig. Jedenfalls wurde der "komische Kauz aus der Provinz", dessen Anzüge stets zu groß wirkten und dessen deftiger Dialekt, Unbeholfenheit und Weltfremdheit ihn für die Wiener Gesellschaft zum Außenseiter gemacht hatten, nun mit dem Erfolg seiner Siebten als Sinfoniker anerkannt. Mehr noch: Bruckner notierte nach der am 30. Dezember 1884 im Leipziger Stadttheater von Arthur Nikisch dirigierten Uraufführung, dass "zum Schluss eine ¼ Stunde applaudiert wurde".
Gewaltige Crescendi und Streichertremoli - Bruckners Markenzeichen
Doch was macht Bruckners neun Sinfonien so einzigartig? Zum einen sind es die monumentale Struktur, die immense orchestrale Klangfülle und die tiefe spirituelle Dimension jeder einzelnen Sinfonie. Zum anderen sind es die für Bruckner so typischen Elemente, die sein sinfonisches Schaffen unverkennbar machen, wie die gewaltigen Crescendi, die sich oftmals minutenlang aufbauen und das Orchester vor große Herausforderungen stellen. Denn Takt für Takt muss eine feine Dynamiksteigerung erzeugt werden. Dabei darf nicht bereits zu Beginn das gesamte Pulver verschossen werden. Nein, das Klanggebäude muss kontinuierlich, Note für Note aufgebaut werden bis zum Kulminationspunkt: der Stelle, an der sich mit der geballten Kraft der Blechbläser und unter der Fortissimo-Streichertremoli die gewaltige Brucknersche Klangkathedrale auftürmt. Das ist Bruckner vom Feinsten, so etwas hat die Welt vor Bruckner noch nicht gehört.
Das letzte Werk dem lieben Gott gewidmet
Bruckners Musik spiegelt seine tiefe religiöse Überzeugung wider. Sie ist ernsthaft und erhaben. Im Gegensatz zu Ludwig van Beethoven trat Bruckner den Landesfürsten und Regenten stets unterwürfig gegenüber. Er gierte nach Anerkennung, die ihm selbst sein Vorbild Richard Wagner immer verwehrte.
Seine siebte Sinfonie widmete Anton Bruckner dem "Märchenkönig" Ludwig II., seine Achte bereits Kaiser Franz Joseph und seine dreisätzige unvollendete Neunte (vermutlich, denn es gibt keinen schriftlichen Beweis) dem lieben Gott. "Wenn er sie nehmen mag", soll der Komponist in seinem letzten Lebensjahr gesagt haben. Doch zur Vollendung kam es nicht. Bruckner starb während der Arbeit am vierten Satz. Man hätte ihm die Anerkennung, die sein Gesamtwerk heute genießt, zu Lebzeiten gewünscht. Die Musikwelt verneigt sich vor einem der ganz großen Sinfoniker des 19. Jahrhunderts. Mit Recht!