"Niedersachsen dreht auf" - mit Johann Sebastian Bach
Das Vokalwerk Hannover und Concerto Ispirato haben Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe in der Markuskirche Hannover aufgeführt. Ein Gespräch mit Leiter Martin Kohlmann.
2019 haben Sie das Vokalwerk Hannover gegründet. Da konnten Sie noch nicht ahnen, was kurz darauf folgen würde, ab März 2020. Was hatten Sie ursprünglich vor? Was war die ursprüngliche Idee, dieses Ensemble zu gründen?
Martin Kohlmann: Dazu muss ich sagen, die Idee, wie sich dieses Ensemble gebildet hat, das kommt ein bisschen aus meiner Zeit an der Musikhochschule in Hannover. Ich habe selbst dort studiert. Man hat einfach mit Kommilitonen zusammen Musik gemacht. Ich habe Sängerinnen und Sänger gefragt, ob sie Lust haben, ein kleines Projekt zu verwirklichen. Es fing an mit Bach-Motetten, für die man noch nicht so viele Leute brauchte. Diese Arbeit hat sich dann in eine Richtung entwickelt, dass ich irgendwann gesagt habe: Jetzt lasst uns doch mal ein Ensemble gründen und versuchen, diese Arbeit zu verstetigen. Die Projekte sind im Laufe der Zeit immer größer geworden, bis dann die Pandemie eine kleine Auszeit erzwungen hat.
Wie haben Sie diese Zeit überstanden?
Kohlmann: Eigentlich erstaunlich gut. Es gab natürlich am Anfang diesen Moment der Bremse, wo wir alle nichts machen konnten, wo wir auch nicht wussten, welche Gefahr diese Pandemie mit sich bringt. Aber dann ging es relativ schnell in eine Richtung, dass wir Fördermöglichkeiten erkannt haben und auch genutzt haben und eben letztendlich über Förderprojekte, die gezielt Solo-Selbständige, Musikerinnen und Musiker fördern, Chancen geschaffen haben, ganz tolle Konzertprojekte zu initiieren. Ein Meilenstein dieses Weges ist jetzt die Aufführung der h-Moll-Messe.
Sie haben es angesprochen: Es gab Initiativen zur Unterstützung der Kulturszene, zum Beispiel "Niedersachsen dreht auf". Wie haben Sie das Prozedere wahrgenommen?
Kohlmann: Ich muss sagen, dass wir alle - da spreche ich für mich, aber auch für viele Kollegen und Kolleginnen - sehr dankbar sind, dass es dieses Förderprojekt gab. Die Antragstellung war vergleichsweise einfach. Im Vergleich mit regulären Förderprojekten, die ausgeschrieben sind, ging es relativ unkompliziert. Es ist natürlich wie immer: Man muss ein paar Unterlagen zusammenstellen, aber ich hatte eine sehr gute Beratung durch die Mitarbeiterinnen der Region Hannover. Insofern kann ich sagen, dass wir damit jetzt die Chance haben, fantastische Projekte zu machen.
In welcher Größenordnung spielt das?
Kohlmann: Die h-Moll-Messe, die wir jetzt aufführen, ist mit 30.000 Euro von der Region Hannover über dieses Sonderpaket "Niedersachsen dreht auf" gefördert. Das ist eine Größenordnung, mit der man gut arbeiten kann. Wir haben in unserem Ensemble über 40 Musikerinnen und Musiker dabei. Damit kann man schon ein ganz fantastisches Konzert machen. Man muss auch dazu sagen, dass diese Fördersumme mehr oder weniger vollumfänglich zur Verfügung gestellt worden ist, das ist bei regulärer Projektförderung nicht so oder häufig nicht so. Da funktioniert es so, dass man nur zu 90 Prozent, 75 Prozent gefördert wird. Da muss man den Rest durch Eigenmittel oder weitere Anträge aufbringen. All dies war hier nicht nötig. Das heißt, wir haben eine nahezu vollumfängliche Förderung für dieses Projekt erhalten. Das ist ein ganz fantastisches Ereignis, dass wir das jetzt so machen können.
Am 21. August ist es soweit: In der Markuskirche in Hannover führen Sie die h-Moll-Messe von Bach auf. Natürlich gibt es sehr viele maßstabsetzende Aufnahmen. Welchen Ansatz verfolgen Sie mit Ihrer Interpretation?
Kohlmann: Grundsätzlich schneiden wir das Konzert auch mit. Insofern ist es zum Teil auch eine Aufnahme, aber natürlich trotzdem ein Live-Ereignis, hauptsächlich für die Leute, die kommen. Ich wurde gefragt, als jemand das Plakat gelesen hatte: Wer sind eigentlich die Solisten? Die stehen da nämlich gar nicht drauf. Daraufhin habe ich erklärt, dass wir alle Solopartien aus dem Ensemble musizieren. Das heißt, das ist ein eher klein besetztes Vokalensemble, bestehend aus 18 Personen. Aber die sind alle Konzertsängerinnen und -sänger. Entsprechend haben wir einen Chor, der eher klein besetzt ist, was aber im Sinne der historisch informierten Aufführungspraxis normal ist.
Da gibt es viele Bücher drüber. Es gibt Textquellen, Bildquellen, wo man erforschen kann, wie Bach sich das ursprünglich gedacht hat. Es ist das Ziel, eine sehr, sehr hochwertige Aufführung zu liefern, die sich an den Leitlinien der historisch informierten Aufführungspraxis orientiert. Aber natürlich werde ich auch selbst die eine oder andere Idee - ich habe mir ganz viele Gedanken zu diesem Werk gemacht - und etwas Persönliches einfließen lassen. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass wir nur etwas reproduzieren, was alle unter diesem Oberbegriff historische Aufführungspraxis machen, sondern es ist auch ganz viel Eigenes und ganz viel Kreatives und Neues natürlich dabei.
Die Aufführungspraxis hat sich enorm entwickelt. Bei Bach ist es allerdings oft so, dass es die einen gibt, die sagen: Da darf man keine einzige Note verändern. Und andere, die sich mehr trauen, zum Beispiel die Niederländische Bachgesellschaft, die auch quasi improvisando die Werke aufführt. Wie stehen Sie dazu?
Kohlmann: Unser Barockorchester, das uns begleitet, heißt Concerto Ispirato. Da steckt das im Namen schon drin, dieses Inspirierende, dieses Kreative und Neuartige, mit dem man da ran geht. Das ist sicher ein Aspekt. Was Sie ansprechen führt dazu, dass die gesamte Vokalmusikszene heutzutage unter einem Professionalisierungsdruck steht. Mir selbst ist Laienmusizieren sehr, sehr wichtig. Ich leite in meiner Arbeit ganz viele Kantoreien und Kammerchöre, die das alle als Hobby machen. Und das ist eine ganz wertvolle und wichtige Arbeit, die absolut ihren Wert hat. Aber nichtsdestotrotz werden Leute, die die h-Moll-Messe heute hören wollen, an dieses Werk hohe Erwartungen setzen. Und es gibt die anderen Aufnahmen, die auf so tollem Niveau musiziert sind. Dann ist man auch im Zugzwang, entsprechend in diesem Bereich auch etwas zu liefern. Und das können wir mit dem Vokalwerk Hannover eben sehr, sehr gut leisten.
Das Gespräch führte Raliza Nikolov.
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