Lieder ohne Worte: Michael Barenboim & Natalia Pegarkova
Der Geiger Michael Barenboim setzt sich mit der Barenboim-Said Akademie für begabte junge Musikerinnen und Musiker aus dem Nahen Osten ein. Die Musik spielt dort eine wichtige Rolle, gerade jetzt, sagt Barenboim im Interview bei NDR Kultur EXTRA.
Michael Barenboims bisheriger Weg als Künstler zeichnet sich aus durch Vielseitigkeit und Kreativität: Der Geiger und Bratscher ist in der modernen und zeitgenössischen Musik genauso zuhause wie in der Klassik und Romantik. Gemeinsam mit seiner Frau, der russischstämmigen Pianistin Natalia Pegarkova, hat der Sohn von Daniel Barenboim nun eine Auswahl der "Lieder ohne Worte" von Felix Mendelssohn Bartholdy eingespielt. Die Bearbeitungen für Geige und Klavier stammen von Ferdinand David, einem engen Freund Mendelssohns, dem dieser sein berühmtes Violinkonzert op. 64 gewidmet hat. Einige der Lieder hat Barenboim mit Pegarkova bei NDR Kultur EXTRA präsentiert, zudem Musik von Lily Boulanger.
Barenboim-Said Akademie in Berlin
Die Barenboim-Said Akademie ist eine Musikhochschule für begabte junge Musiker aus dem Nahen Osten, die gleichzeitig ein Friedensprojekt ist. Sie soll vor allem junge Musiker aus dem Nahen Osten zusammenbringen: Juden, Muslime und Christen. Gegründet wurde sie von dem israelischen Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim und dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said. Barenboim wollte für sie einen geschützten Raum schaffen, einen Ort der Begegnung, fernab von Krieg und Krisenalltag. Michael Barenboim ist der Sohn von Daniel Barenboim.
Michael, du bist Professor für Violine und Ensemblespiel an der Barenboim-Said Akademie. Außerdem bist du der Konzertmeister des West-Eastern Divan Orchestra und Leiter und Gründer des West-Eastern Divan Ensemble. Das ist gegründet worden, um ein Signal für Dialog zu setzen, gerade auch in Bezug auf den Nahost-Konflikt. Wie erlebst du ihn jetzt im Moment mit den Studierenden?
Barenboim: Mir fällt es schwer, über Dialog zu sprechen in einem Moment, wo Israel im Grunde die Zivilbevölkerung von Gaza in industriellem Maße umbringt. Es ist nicht der Moment, wo man über Dialog spricht, sondern es ist der Moment, wo man darüber spricht, dass das Töten aufhören muss, und zwar sofort und permanent. Darüber hinaus ist es auch perspektivisch gesehen sehr klar, dass am Anfang jeder Lösung oder jedes Gedankens stehen muss, dass Palästinenser gleichberechtigt sind und gleichberechtigt leben sollen. Und zwar in Bezug auf ihre individuellen Rechte, aber auch in Bezug auf ihre nationalen Rechte, wie Souveränität und Selbstbestimmung. Ohne das sehe ich keine Zukunft.
Die Situation in Israel, im Gazastreifen, hat ganz viel mit denjenigen zu tun, die in der Barenboim-Said Akademie zusammenkommen. Viele von ihnen haben dort direkte Wurzeln und Verwandte. Kann man dort in Kontakt sein und miteinander Musik machen?
Barenboim: Natürlich kann man das. Sie spielen auch Musik zusammen: Kammermusik und im Orchester. Sie studieren zusammen. Das funktioniert erstaunlich gut. Dass das so gut funktionieren würde, war nicht immer klar. Die Situation war immer schwierig und wir haben immer schon besondere Studenten gehabt, die besondere Menschen sind. In den letzten Monaten zeigen sie viel Mut. Sie scheuen sich nicht davor, Sachen anzusprechen. Jetzt ist nicht die Zeit, wo man über Verständigung, Dialog oder solche schönen Sachen redet. Es geht jetzt darum, dass das Töten aufhören muss, es muss sofort aufhören, um das Überleben zumindest eines Teils der zivilen Bevölkerung in Gaza zu gewährleisten. Es muss aufhören, dass Kinder an Hunger sterben, weil nicht genug Hilfsgüter reinkommen. Das ist ein Skandal. Solange das so ist, können wir auch nicht so tun, als ob alles gut wäre, selbst wenn sie zusammen Musik spielen.
Natalia und Michael, ihr seid miteinander verheiratet, ihr macht wahrscheinlich auch sehr viel Musik zusammen. Versteht ihr euch blind beim Musikmachen?
Michael Barenboim: Wir machen sehr gerne Musik zusammen. Wir kennen uns mittlerweile sehr gut. Eine gewisse Professionalität gehört dazu. Es ist immer noch Arbeit, nicht nur Spaß. Deshalb funktioniert es nur, wenn man das auch in diesem Maße ernst nimmt, selbst wenn man zusammen wohnt und man sich schon ewig kennt. Es funktioniert auch deshalb, weil wir immer noch professionell sind und immer noch die Arbeit machen, die wir machen müssen.
Ist bei euch zu Hause Musik omnipräsent? Oder gibt es dann auch Phasen, wo es ganz still ist, wo keine Musik läuft, wo man vielleicht einfach nicht über Musik spricht?
Natalia Pegarkova: Ich zähle jetzt nicht die Minuten oder die Stunden, wo keine Musik gespielt wird. Es ist so, dass wir beide natürlich jeden Tag üben müssen, wollen und dürfen. Nach der Schule kommen die Kinder und dann üben wir mit ihnen Instrumente. Für unsere Nachbarn ist es, glaube ich, schon eine Herausforderung. Aber die sind immer noch alle sehr freundlich und sagen, dass es in Ordnung ist.
Michael, wie war das bei dir? Dir wurde quasi die Musik in die Wiege gelegt. War es für dich von vornherein klar, dass du diesen Weg einschlagen würdest?
Barenboim: Nein, überhaupt nicht. Es war nichts klar. Es kann auch gar nicht klar sein, es gehört auch der eigene Wille dazu. Es gehört sehr viel Arbeit, Fleiß und Motivation dazu. Aber es gehört auch sehr viel Glück dazu. Es sind so viele äußere Umstände, die da zusammenkommen müssen, damit das funktioniert.
Jetzt seid ihr selbst als Eltern in der Position, dass ihr mit euren Kindern auch diese Thematik habt. Wie weit führt ihr sie an die Musik ran? Du machst viel mit Kindern, Natalia. Wie ist das mit euren eigenen Kindern und der Musik?
Pegarkova: Ich habe in Berlin mal ein Theaterstück gesehen, "Der Theatermacher" von Thomas Bernhard, das hat bei mir einen Eindruck hinterlassen. Es war mir einfach klar, wir machen viel mit Musik und Kulturveranstaltungen und deswegen bekommen die Kinder das sowieso mit. Wir machen jetzt nichts extra. Wir leben so und sie kriegen das alles mit. Unser Sohn hat aber auch viel Spaß mit Fußball und liest sehr viele Bücher darüber. Er ist ein ganz großer Experte. Früher wollte er Fußballspieler werden, heute sagt er, Fußballmanager ist besser. Ich finde, auch bei Kindern kann man wunderbar Musik mit Theater und mit vielen tollen Geschichten verbinden. Man sollte einfach die Kreativität wachsen lassen.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.