Geschichten aus einer glazialen Landschaft
"Die Noten sind schottisch, aber der Ansatz ist Jazz", sagt Fergus McCreadie über die Musik seines Trios und zeigt auf "Stream", wie man Folk-Musik klug analysiert und für die Neuzeit aufbereitet.
Es ist die Ruhe nach dem Sturm und ein "Stream", ein Bach rauscht und windet sich durch die Berge der Highlands: Klingt nach Kitsch, ist aber Jazz. Fergus McCreadie ist Schotte und reist mit dem Rüstzeug des Piano-Trios durch die glazialen Landschaften seiner Heimat, spiegelt ihre Traditionen und Geschichten - vor allem die: McCreadie ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. Und hier ist der 26-Jährige zu Hause, hier ist die Musik seines Trios verwurzelt: McCreadie wuchs auf im Städtchen Dollar, wo sich alljährlich Bands im Dudelsack-Spiel messen.
Auch für McCreadie waren die Pipes das Instrument erster Wahl. Ein junger Folk-Musiker, der von sich sagt: "Ein paar meiner Lieblingsalben sind einfach Dudelsack-Klänge über einem Brummen und sonst nichts." Der dann fürs Jazzstudium ans Royal Conservatoire of Scotland nach Glasgow geht, dort vor allem das Spiel von Oscar Peterson und Keith Jarrett für sich studierte und verinnerlichte. Und der seither diese ganz große Bögen schlägt: "Die Noten sind schottisch, aber der Ansatz ist Jazz", so sagt er über die Musik seines Trios. Den Bassisten David Bowden und den Drummer Stephen Henderson kennt er vom Konservatorium, alle drei gehören zur Kreativszene Glasgows - und bilden nun auf bisher vier Alben eine stabile Einheit: "Das fühlt sich mittlerweile manchmal an, als seien wir eine Person", so McCreadie über sein Trio.
Der Pianist Fergus McCreadie und sein "Stream"
Im Gegensatz zu früheren Alben hat "Stream" einen thematischen Spannungsbogen. McCreadie sagt: "Die Stücke sind eine Reise aus der Dunkelheit ans Licht, aus einem Wolkenhimmel in sonnige Regionen". Und das kommt hin: Mit "Storm" geht's los, der Weg vom epischen, mal dräuenden, mal dramatischen "The Crossing" hin zur schieren Lebensfreude von "Sun Pillars" ist weit und überraschend. Im pastoralen Idyll der Highlands kommt der Pianist vom Hölzchen aufs Stöckchen: "Driftwood", "Snowcap", "Mountain Stream" und "Stony Gate" heißen die Stücke: Steht alles unter Kitsch-Verdacht, ist aber nur ein erstaunlich mutiges und kreatives Spiel mit einer einzigartigen Kultur und Szenerie.
Wie man Folk-Musik klug analysiert, seziert und für die Neuzeit aufbereitet, hatte der Pianist als Fan bei Konzerten der Kelten-Kammermusiker "The Gloaming" beobachtet - sein eigener Weg verrät jetzt die Einflüsse Altvorderer wie John Surman und Bobo Stenson - und im betörend einfachen "Stream"-Finale "Coastline" scheinen wir sogar mit Bill Evans die Wellen zu zählen. "An sich ist der Jazz ja aus seiner Geschichte heraus auch eine Art von Folk", so McCreadie, der sich mit "Stream" sehr selbstbewusst in einer Nische bewegt: Klug, kitschfrei und sehr eigenwillig - einer der interessantesten jungen Jazzer Europas feiert seine tiefe Verwurzelung in einer uralten Tradition.
"Stream"
- Genre:
- Jazz
- Label:
- Edition Records
- Veröffentlichungsdatum:
- 03.05.2024
- Preis:
- 14,99 €