Wiener Festwochen: Lyniv will nicht mit Currentzis auftreten
Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv weigert sich, bei den Wiener Festwochen in einem Zusammenhang mit dem griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis aufzutreten. Ein Gespräch mit Intendant Milo Rau, der nun vor einem Problem steht.
Ein Auftritt des Kiyv Symphony Orchestra unter Leitung von Oksana Lyniv, mit einem Requiem eines ukrainischen Komponisten. Zehn Tage später dann ein Konzert des SWR Symphonieorchesters unter Leitung des umstrittenen Dirigenten Teodor Currentzis, mit Brittens "War Requiem": So hatten es die Wiener Festwochen für kommenden Juni geplant - und die beiden Requiem-Konzerte auch als eine Art Doppelpack angeboten, in einem gemeinsamen Abo.
Aber genau das will die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv nicht mitmachen. Sie wolle nicht in einem Kontext mit Currentzis auftreten und habe von dieser programmlichen Verbindung auch nichts gewusst. Currentzis leitet das Ensemble MusicAeterna in Sankt Petersburg, das unter anderem von der staatlichen russischen VTB Bank finanziert wird. Intendant Milo Rau will eine Absage von Oksana Lyniv unbedingt verhindern, aber hat auch den Auftritt von Teodor Currentzis noch nicht abgesagt.
Herr Rau, können Sie Oksana Lynivs Entscheidung nachvollziehen?
Milo Rau: Ja, natürlich. Ich glaube, dass diese Ankündigung tatsächlich unglücklich war und auch nicht ganz so, wie wir das besprochen hatten. Wir hatten verschiedene Pakete gemacht, die wir im Vorverkauf herausgegeben haben, und diese beiden Projekte wurden natürlich inhaltlich gelesen. Das haben wir dann gemeinsam mit der Agentur von Oksana Lyniv auch dementiert. Es gibt keine inhaltliche Zusammenarbeit, es gibt auch keine Idee eines Doppel-Requiems.
Die Debatte bezüglich der Rolle von Teodor Currentzis im deutschen Konzertbetrieb wurde nie wirklich aufgemacht, und die wird jetzt sehr intensiv geführt. Das ist eine Aufgabe, die wir haben. Es tut mir aber sehr leid, dass da die Kommunikation schlecht lief. Aber jetzt sind wir an einer Lösung dran.
Die ukrainische Dirigentin sagt, sie habe sogar Sorge, dass sie an einem "Whitewashing" teilnehmen würde, wenn sie zusammen mit Currentzis auftreten würde.
Rau: Das darf auf keinen Fall geschehen, weil es keinen Sinn machen würde. Das macht vor allem für uns keinen Sinn, irgendjemanden "white zu washen" in unserem Programm. Dafür ist das Programm nicht da. Wir wollen hier krasse Differenzen aufzeigen. Meine eigene Position zu Russland ist bekannt. Ich habe seit zehn Jahren kein Visum, seit ich mit Pussy Riot zusammengearbeitet habe. Jetzt müssen wir hier eine Lösung finden. Aber um Whitewashing kann es auf gar keinen Fall gehen, und wenn diese Gefahr besteht, müssen wir damit klar umgehen. Wir sind im Austausch, und in spätestens zwei Wochen werden wir eine Konstellation gefunden haben, die dann funktioniert.
Die Konstellation, die Sie sich ursprünglich ausgedacht haben, birgt Zündstoff - das hätte man sich auch vorher schon denken können. Was war denn Ihre Idee, das ukrainische Kaddish-Requiem "Babyn Jar" mit dem "War Requiem" von Benjamin Britten zu kombinieren - und das mit diesen beiden Dirigenten?
Rau: Das steht in einem weiteren Feld, auch mit Debatten. Es gibt sogar Programmteile in den Wiener Festwochen, die sogar diese Verbindung problematisieren. Können russische und ukrainische Künstler*innen, können israelische und palästinensische Künstler*innen zusammen auftreten? Wo geht man in den Boykott? Wo versucht man es und scheitert dann? Wie wir jetzt klar zugeben müssen, auch in einem solchen Versuch. Das war im Grunde unserer Ausgangsfrage.
Wie sollte sich der westliche Kunst- und Kulturbetrieb jetzt positionieren? Wie sollte man zum Beispiel mit Künstlern wie Teodor Currentzis umgehen?
Rau: Was mich als Konsument, als Kurator und vielleicht auch als Aktivist und Kritiker Russlands immer verwirrt hat, ist, dass beispielsweise Currentzis als Künstler komplett kontextlos eingeladen wird. Was wir hier machen, ist der Beginn einer Konzertserie - da gibt es keine ukrainische Position, da gibt es diese ganze Debatte im Sinne von einer programmatisch geplanten Debatte leider nicht. Und auch wenn sie schwierig ist und nach hinten losgehen kann, muss sie geführt werden. Dafür ist Kunst, dafür ist ein Festival da. Gerade in der klassischen Musik und der neuen Musik werden solche strukturellen Debatten kaum geführt.
Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel: Ich bin jetzt in New York, um gemeinsam mit einigen Komponistinnen die Akademie Zweite Moderne zu eröffnen, weil es leider Fakt ist, dass von allen Komponist*innen, die aufgeführt werden, nur zwischen zwei und sieben Prozent Frauen sind. Diese strukturelle Debatte wird auch nicht geführt. Ich bin frisch in dieses Feld gekommen und war sehr erstaunt darüber, dass es da so ein Schleier des Schweigens gibt, und ich bin sehr froh, dass der jetzt zerreißt - auch wenn ich zugeben muss, dass wir da eine Lösung finden müssen.
Der Schleier des Schweigens ist zerrissen, aber es gab auch heftige Debatten im Netz. Hat Sie das überrascht?
Rau: Ich war überrascht. Interessanterweise war ich aber auch überrascht, wie viele ukrainische Künstler*innen mit mir den direkten Austausch gesucht haben, wie viele unsere Strategie auf der einen Seite verstehen und auf der anderen Seite kritisieren, wie gut diese Debatte dann doch läuft. Ich glaube, dass die Nutzung einer solchen Debatte in den Medien - absagen oder nicht absagen - nicht wirklich hilfreich ist, aber es ist Teil davon. Im Endeffekt bin ich ein Freund solcher Debatten.
Was ist Ihnen denn jetzt wichtiger: dass Oksana Lyniv und das Kiyv Symphony Orchestra doch kommen oder dass Teodor Currentzis dabei ist?
Rau: Oksana hat in ihrem Interview gesagt, dass sie denkt, dass es in den nächsten Wochen eine Lösung geben wird. Für mich ist zentral, dass Oksana und das Orchester kommen, das ist mein Statement. Wie wir das Gegenwicht genau strukturieren, das ist Feinplanung. Aber an dieser Grundidee will ich auf gar keinen Fall rütteln.
Wenn ich das richtig verstehe, dann bleibt der Programmpunkt und Currentzis steht gerade zur Debatte?
Rau: Currentzis steht nicht zur Debatte, aber wir müssen gucken, wie wir damit umgehen. Das ist der Punkt, an dem wir gerade sind. Wenn wir vielleicht in einer Woche wieder telefonieren, dann wird es anders aussehen.
Was ist denn Ihre Ideallösung?
Rau: Das kann ich momentan nicht sagen, das liegt nicht ganz in meiner Hand. Meine Ideallösung ist - und das andere ist auch wichtig -, dass Oksana Lyniv und das Kiyv Symphony Orchestra kommen. Das ist der Hauptpunkt, da sind wir uns auch einig mit allen. Da gibt es höchstens ein Kommunikationsmissverständnis, aber das kann nicht entscheidend sein.
Das Interview führte Julia Westlake.