Umbruch: Die GEMA diskutiert über das Ende von E- und U-Musik
Die GEMA steht vor einer grundlegenden Reform ihrer Vergütungsmodelle: Die Unterscheidung zwischen "E-Musik" und "U-Musik" - und das Missverhältnis bei den Ausschüttungen und den Punktewertungen - sei nicht mehr zeitgemäß. Ein neues Modell müsse her.
Es ist selten, dass die Belange der GEMA, einer Gesellschaft mit immerhin 90.000 Mitgliedern, überhaupt in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Die "Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte" nimmt Gebühren ein, wenn irgendwo Musik gespielt, gesendet oder aufgeführt wird, und verteilt diese weiter an Verlage, Texter und Komponisten. Der Umsatz aus den Gebühren liegt bei rund einer Milliarde Euro. Alle paar Jahre gerät ein GEMA-Aufreger in die Schlagzeilen der Boulevard-Medien, dann heißt es, das Singen in Kindergärten würde verboten oder Musik auf Weihnachtsmärkten verunmöglicht. Das ist Unfug, aber es zeigt, auf wie vielen Feldern die Verwertungsgesellschaft tätig ist, und wie kompliziert es sein kann, Gebühren für Musiknutzung angemessen festzulegen.
Es rumort unter den Mitgliedern der GEMA
Jetzt rumort es unter den Mitgliedern der GEMA. Einige von ihnen suchten die Öffentlichkeit. Moritz Eggert, Komponist und Präsident des Deutschen Komponist:innenverbandes, schrieb in einem offenen Brief "die Existenz der E-Musik, also klassischen Musik, an sich sei gefährdet". Auch der Präsident der Berliner Akademie der Künste schreibt, wie das Portal Backstage Classical zitiert, von einer "Abwicklung der E-Musik" und einer "Kommerzialisierung der Gema". Wie kommt es zu diesen dramatischen Botschaften?
Der Konflikt liegt im Bemühen, die Milliarde Umsatz unter den Mitgliedern möglichst gerecht aufzuteilen. Die Tarifblätter der GEMA sind ein Dickicht. Es gibt Tarife für Freiluftkonzerte, mit Tanz oder ohne Tanz, mit Musik vom Tonträger oder mit Live-Ensembles, man unterscheidet zwischen Hintergrundmusik und Musik als Hauptsache, Laienmusik wird anderes berechnet und ausgeschüttet als Musik von Profimusikern und das ist erst der Anfang. Aus den Kreisen der GEMA-Mitglieder hört man, dass nicht mal sie, geschweige denn die Sachbearbeiter, alle Sphären dieses Einnahme- und Verteilungssystem durchdringen könnten.
Ist Musik gleich Musik?
Über all dem steht: Musik ist nicht gleich Musik. Während in anderen Sphären der Kultur die Unterscheidung zwischen "E-Musik" (Ernste Musik) und "U-Musik" (Unterhaltungsmusik) nur noch belächelt wird, bei der GEMA ist sie noch gelebte Praxis. Und so althergebracht, wie das zunächst wirken mag, ist diese Unterscheidung gar nicht. Eine Sinfonie zu schreiben, dauert Monate oder Jahre, diese wird dann in der Regel ein- oder zweimal aufgeführt, wenn keine Aufnahme entsteht, war es das für den Komponisten. Nächstes Projekt.
Eine Telefonwarteschleife oder ein Radio-Jingle entstehen oft sehr schnell und werfen dann jahrelang Gebühren ab. Dieses Missverhältnis soll ausgeglichen werden. Die gewaltigen Einnahmen aus der allgegenwärtigen Gebrauchsmusik sollen die geringeren Einnahmen aus der Kunstmusik ausgleichen. Fragt man Verlage oder Komponisten, wie groß diese Unterschiede bei den Tantiemen denn konkret seien, hört man die unterschiedlichsten Zahlen. Mal ist vom Achtfachen die Rede, mal heißt es, E-Musik würde, wenn sie aufgeführt werde, das 35-fache von U-Musik abwerfen. Beides kann nicht stimmen! Oder doch?
Maßgeblich für die Verteilung der Einnahmen ist auch eine Punktewertung. Die bestimmt die Summe, die ausgezahlt wird, aber auch, wie ein Mitglied innerhalb der GEMA aufsteigt. Nur die sogenannten Vollmitglieder dürfen über die Belange der Gesellschaft mitentscheiden, und nur solche Mitglieder, die hohe Punktwertungen haben, bekommen entsprechende Ausschüttungen. Es geht also auch um Macht und Mitsprache. Bei der Mitgliederversammlung 2024 teilte der Aufsichtsrat der GEMA mit, dass die Unterscheidung zwischen E-Musik und U-Musik so nicht mehr zeitgemäß sei. Das Missverhältnis bei den Ausschüttungen und der Punktewertungen sei nicht mehr vermittelbar, ein neues System müsse her.
Die Einordnung in E- und U-Musik ist nicht "frei von Willkür"
Zu diesem Umdenken trugen sicher auch diverse erfolgreiche Klagen vor deutschen Gerichten bei. Eine davon führte der Berliner Komponist und Musikwissenschaftler Klaus Martin Kopitz, studierter Komponist und promovierter Musikwissenschaftler. Er editierte für die Sächsische Akademie der Wissenschaften die Korrespondenz zwischen Robert und Clara Schumann, er gab die Werke des rheinischen Romantikers Norbert Burgmüller heraus und gründete an der Universität der Künste eine Forschungsstelle über Beethoven. In seinem eigentlichen "Hauptberuf" komponiert er unter dem Pseudonym "Mia Brentano" Klaviermusik, aber auch elektronische Musik und Werke für Orchester. Als er 2018 den ersten Klavierzyklus "Hidden Sea" bei der GEMA anmeldete, wunderte er sich. Man habe die Musik automatisch als "unterhaltend" eingestuft, und das nur, weil die Uraufführung in einem Jazzclub stattgefunden habe, sagt Kopitz NDR Kultur. Ferner würde die GEMA tonale Musik per se als "U" einordnen, atonale Musik hingegen als ernst. Stimmt das?
In der Tat greift auch bei der GEMA zunächst ein Automatismus. Es wäre den ca. 800 Mitarbeitern der Gesellschaft nicht zuzumuten, jeden Einzelfall künstlerisch einzuordnen. Erst wenn Konflikte entstehen, tagt der "Werkausschuss" der GEMA. "Sicher sehr erfahrene Leute!", sagt auch Kopitz, der den Ausschuss anrief. Da man auch hier keine kammermusikalischen Privataufführungen veranstalten kann, wird nach Notentext entschieden. Ein Komponist, der nicht genannt werden will, sagt NDR Kultur, dass manche Verirrung in der Niederschrift aktueller Musik, in diesem System begründet sei. Je komplizierter der Text, desto wahrscheinlicher die Einordnung als "Ernste-Musik".
Bei Mia Bentano blieb es bei der Entscheidung "Unterhaltung". "Die halten alles für Unterhaltung, was harmonisch klingt", sagt Kopitz. Er setzte sich als Musikwissenschaftler schon in den 80ern, für einen zeitgenössischen Musikbegriff ein, der das Tonale beinhalte. Jazz und Minimal Music seien hierfür das beste Beispiel. Seine Klage sei aber eher ein Experiment gewesen, er wollte gern wissen, was passiert. 2023 entschied das Berliner Landgericht, dass die Entscheidung der GEMA nicht "frei von Willkür sei". Das Gericht forderte eine klare Definition der Kriterien. Passiert ist im Fall Mia Brentano seitdem nichts.
Mit der Abrissbirne durch die Kultur?
An einem Donnerstag im Januar wurden die neuen Vergütungs- und Verteilungskriterien bei der GEMA erstmals unter den Mitgliedern diskutiert. Iris ter Schiphorst, Wiener Kompositionsprofessorin und Vizedirektorin der Sektion Musik der Berliner Akademie der Künste und Mitglied Deutschen Komponist:innen Verbandes, sah sich von dem Zahlenwerk, das dort präsentiert wurde, überfahren. Das müsse nun erstmal durchgerechnet werden, sagt sie NDR Kultur. Der Unmut der Komponisten rühre auch daher, dass sie sich fast ein Jahr nicht gehört fühlten. Dass die neuen Verteilungskriterien ohne sie verhandelt worden seien, trotz zahlreicher Eingaben und Bitten um Mitsprache.
"Derzeit geht in Deutschland die Abrissbirne durch die Kultur, das ist eine Katastrophe und darf sich bei der GEMA und ihrer Kulturförderung nicht fortsetzen!“, so ter Schiphorsts dringlicher Appell an die Gemeinschaft der Texter, Komponisten und Musikverlage. Gleichzeitig ist auch ihr und anderen klassischen Komponisten klar, dass das "E" und "U", wie es schon zu den Zeiten der Vorgängerinstitution der GEMA von Richard Strauss oder Engelbert Humperdinck definiert wurde, neu gedacht werden müsse. "Wir alle sehen den Reformbedarf, aber bitte lasst uns mitsprechen!", sagt ter Schiphorst. Im Mai soll auf der Versammlung der GEMA-Mitglieder entschieden werden. Bis dahin wird genau gerechnet und hart verhandelt.