Schuberts Lebensbilanz für Streicher
Welche Werke der klassischen Musik sollte man kennen? Die Antwort auf diese Frage kann man in Lexika suchen oder in Lehrplänen für die Schule. Oder man kann Musiker fragen. Im Weltwissen Musik stellen die Mitglieder des NDR Sinfonieorchesters ihre Lieblingsstücke vor. Heute: Die Cellistin Katharina Kühl und Schuberts Streichquintett - das zu den wenigen Kammermusikstücken gehört, in denen zwei Celli spielen und der Musik so den entscheidenden Klang geben.
"Ich kann mich erinnern, dass mein Vater mir das Stück als erstes gezeigt hat, auf Platte, weil er das auch sehr liebt. Das weiß ich noch, wie ich im heimischen Wohnzimmer zum ersten Mal dieses Stück gehört habe," sagt Katharina Kühl.
"Und dann war das eins von diesen klassischen Stücken, die man auf irgendwelchen Kammermusikkursen oder Jugendorchesterfahrten vom Blatt abends noch schrummelt, am besten mit einem Glas Wein intus. Wo man dann einerseits einen Heidenspaß hat und merkt, wie großartig das ist, andererseits aber auch merkt: Man ist maßlos überfordert und wird dem Stück gar nicht gerecht in dieser Situation," so die Cellistin.
Mit einem Lächeln im Gesicht
Katharina Kühl kennt das Streichquintett von Franz Schubert schon seit der Jugendzeit. Mittlerweile hat die Cellistin - seit 2010 Mitglied im NDR Sinfonieorchester - das Stück längst auch professionell einstudiert und mehrfach aufgeführt. Ihre Begeisterung ist dabei noch gewachsen, etwa für das herrliche zweite Thema.
"Auf einmal steht diese harmonisch klare Melodie im Raum. Man muss eigentlich lächeln, sowohl wenn man es spielt, als auch wenn man es hört. Es ist so einfach und so wunderschön," schwärmt Katharina Kühl.
Hier übernehmen die beiden Celli die Melodie. Ein Fest für alle Cellisten - denn an dieser Stelle dürfen sie die Instrumente singen lassen, wie Katharina Kühl mit der ersten Stimme vormacht. Solche lieblichen Momente sind nur eine von vielen Facetten des Stücks. Im Streichquintett von 1828 - zwei Monate vor seinem Tod entstanden - durchlebt Schubert noch einmal die existenziellen Erfahrungen des Menschseins. Das macht die Musik so zeitlos und anrührend. Sie erzählt von tiefer Trauer und höchstem Glück, von Wehmut, Liebe, Schmerz und Trost.
Ein Mittelteil, der es in sich hat
Ein aufgewühlter Mittelteil durchbricht die Idylle im langsamen Satz: Einer von vielen schroffen Kontrasten des Schubert-Streichquintetts. Da geht es ans Eingemachte. Als würde der Komponist hier noch einmal mit aller Macht gegen das nahende Ende aufbegehren. Beim Hören wie auch beim Spielen spüre man deutlich, dass sehr viel Kampf und Verzweiflung drin ist, sagt Katharina Kühl: "Das finde ich schon extrem emotional. Das konnte ich auch damals beim Musizieren selbst spüren. Wenn man sich da hineingibt, dann ist das ein Kampf, auch körperlich und akustisch. Wenn man mit allem spielt, was man hat, dann kommt das schon sehr nahe an einen ran, dass das sehr existenziell ist, was da musikalisch passiert."