Paul Lincke: War der Komponist ein Nazi oder ein Mitläufer?
Der Musikpreis der Stadt Goslar, der Paul-Lincke-Ring, wird in diesem Jahr vorerst nicht verliehen. Die Stadt geht den Verstrickungen Linckes in der NS-Zeit nach. Paul-Lincke-Biograf Jan Kutscher mit Einschätzungen.
Seit 1955 verleiht die Stadt Goslar den Paul-Lincke-Ring an Künstlerinnen und Künstler, die die deutsche Unterhaltungsmusik bereichern. In diesem Jahr hätte Sänger und Autor Sven Regener den Preis bekommen sollen. Allerdings liegt die Verleihung derzeit auf Eis, denn vor der erneuten Vergabe möchte die Stadt die mögliche NS-Vergangenheit des Namensgebers untersuchen. Wann es erste Ergebnisse geben wird, ist im Moment schwer zu sagen, sagt die Oberbürgermeisterin der Stadt Goslar, Urte Schwerdtner. "Wir haben erste Gespräche mit Instituten und Universitäten gestartet", sagt Schwerdtner. Sie hofft auf ein Ergebnis im Herbst.
Kutscher: "Paul Lincke war kein Nationalsozialist und kein Antisemit"
Der Paul-Lincke-Biograf Jan Kutscher hat 2016 eine Biografie über den Komponisten herausgebracht. Der Autor und Musiker forscht nach wie vor in den Archiven und spielt mit seinem Salon-Orchester auch Linckes Stücke. "Was man definitiv sagen kann ist: Er war kein Nationalsozialist und er war auch kein Antisemit", meint Kutscher. "Das würde mich doch sehr wundern, wenn da jetzt jemand etwas ausgraben würde. Da wurden die Archive sehr gründlich durchwühlt. Er war jemand, der sich arrangiert hat. Der Begriff Mitläufer ist natürlich ein bisschen besetzt. Aber er hat sich in jedem Fall nicht öffentlich distanziert."
Karriere-Renaissance in den 30er-Jahren
Das liege auch an seiner Biografie, meint Kutscher. "Er ist in den 20er-Jahren in Vergessenheit geraten. Er war nie arm oder völlig aus der Welt. Aber es gab dann sozusagen die große Renaissance. Die hätte er sicherlich auch erlebt, wenn die Nationalsozialisten nicht an der Macht gewesen wären." Aber es sei ihm in den 1930er-Jahren sicherlich zugute gekommen, dass er "nicht jüdischer Abstammung" war, meint der Lincke-Biograf. "Für die ganzen Operetten und Schlager, die nicht mehr gespielt werden durften, hat man Komponisten gesucht. Das kam natürlich seiner Karriere sehr zugute im Dritten Reich. Das war sehr verlockend für ihn. Man kann ihm vorwerfen, dass er dann nicht den Mut gehabt hat zu sagen: 'Ich mache mit den Nazis nicht mit'. Wie man es wahrscheinlich jedem vorwerfen kann."
Umgang mit Nazi-Liedgut
Zu den Umständen, dass Lincke auch den Marsch "Unsere braunen Jungs" und ein Lied Adolf Hitler gewidmet haben soll, schränkt der Biograf Jan Kutscher ein: "Den Marsch 'Unsere braunen Jungs' hat er schon 1928 komponiert. Da hieß der noch 'Kopf hoch'." Es sei den Nazis sehr gelegen gekommen, dass er einen Marsch hatte, der noch nicht weiter bekannt war. Man habe ihn dann einfach umgetauft. "Das ist eigentlich ein ganz harmloses Stückchen: Wir haben schon mal überlegt, ob wir es mit unserem 'Isola Bella Salonorchester' spielen, aber das kann man heute natürlich nicht mehr bringen."
Zu der "Führer-Kantate" oder dem "Führer-Lied", wie Lincke es selbst nannte, habe Kutscher die Noten nicht finden können: "Das wäre mal interessant, wenn die irgendwo auftauchen." Er habe auch ein paar weitere Stücke komponiert. "Darunter fällt beispielsweise das Lied 'Deutschland muss siegen' zum Kriegsbeginn", schildert Kutscher. "Aber da kommt Lincke sicherlich zugute, dass die Nazis mit den Kompositionen nicht viel anfangen konnten. Von jemandem, der leichte Muse komponiert, von dem wollte man keine Führer-Hymnen. Er hat sich angebiedert, aber das haben viele gemacht."
Lincke stand bis zuletzt auf der Schwarzen Liste
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Besatzungsmächte Lincke auf ihre Schwarzen Listen gesetzt. Der Komponist durfte eigentlich nicht mehr gespielt werden. "Trotzdem haben sie ihn auftreten lassen, gerade die Amerikaner", erzählt Kutscher. "Er ist nach dem Krieg aus Marienbad nach Arzberg in Franken gezogen, wo er die letzten Jahre im Krieg überstanden hat", schildert der Biograf. Dort habe er weiter aufführen dürfen. "Er hat sogar in Bayreuth seine Werke in ein Programm mit dem Titel 'Musical Like To Hear' dirigiert. Die Amerikaner waren ganz begeistert von der Musik. Der 'Glowworm', Glühwürmchen, war sein international bekanntestes Stück. Das wollten Sie da mal im Festspielhaus hören."
Von der Schwarzen Liste kam er allerdings nie runter und behielt sein offizielles Auftrittsverbot, erklärt Kutscher: "Er hatte das jetzt sicherlich nicht, weil er der größte Nazi war, sondern weil die Geheimdienste doch gute Informationen hatten. Die wussten sehr gut Bescheid, zu wem er aus der NS-Führungsriege Kontakte unterhalten hatte."
Neuer Umgang mit dem historischen Wissen
Für den Lincke-Biografen Kutscher wäre es vermessen "als oller Berliner der Stadt Goslar Empfehlungen" zu machen. Der Autor und Musiker fände es sehr schade, wenn der Paul-Lincke-Ring nicht mehr verliehen werden würde. "Man sollte natürlich das kritische Element aufnehmen, also Paul Lincke nicht nur in den Himmel erheben." Weiter regt Kutscher an, den jüdischen Komponisten Siegfried Translateur und Hugo Hirsch, mit denen Lincke persönlich befreundet war, posthum den Paul-Lincke-Ring zu verleihen. Hirsch hat das Dritte Reich überlebt, Translateur dagegen ist im KZ Theresienstadt gestorben. "Das fände ich ein ganz schönes Signal, wenn man das auf diese Weise anerkennt."
Als Beispiel der Aufarbeitung nennt Kutscher den Umgang der Bayreuther Festspiele mit ihrer Vergangenheit. Sie zeigen in Ausstellungen die ganze Vergangenheit Wagners, mit seinen antisemitischen Schriften. "Man hat da, glaube ich, einen guten Weg gefunden und ich denke, das schafft man in Goslar mit dem Paul-Lincke-Ring auch", so der Lincke-Biograf. Die Oberbürgermeisterin von Goslar sieht es als Aufgabe der Stadt, zu prüfen, ob die Vergangenheit Linckes heute neu bewertet werden muss. "Man sollte aber ganz klar sagen, dass die Jury stets den Preis an Künstlerinnen und Künstler verliehen hat, die den Ring aufgrund ihrer Leistung verdient haben", betont Schwerdtner. Der Fokus des Preises habe immer auf den Leistungen der Künstlerinnen und Künstler gelegen und das solle auch künftig so sein.